Freitag, 10. Februar 2023

Die Filmdoku "Fat Fiction". Low Carb vs. Low Fat. Eine Filmkritik.

Mein Gewicht heute früh: 84,2 Kilogramm - 2,4 Kilogramm weniger als vor drei Wochen. Na also, die Sache bewegt sich in die richtige Richtung, wie ich das auch erwartet hatte. 

Drei Tage nach der zweiten von vier THCP-Chemos merke ich nur leichte Nebenwirkungen - großer Durst, ab und zu ein leicht metallischer Geschmack im Mund, etwas Schwindel, trockene Haut und Nasenschleimhaut sowie einen Anflug von Muskelschmerzen -, einstweilen erfreulicherweise alles in geringerem Umfang als beim letzten Mal. Die eigentliche Stunde der Wahrheit schlägt aber erst morgen und übermorgen. Deshalb hatte ich eigentlich auch vor, erst im Lauf der nächsten Woche einen neuen Blogartikel zu schreiben, in dem es um Nebenwirkungen und deren Bekämpfung gehen soll. Dann stieß ich auf den kostenlos bei YouTube freigegebenen Film "Fat Fiction", in dem nahezu die gesamte Low-Carb-Prominenz sowie als eine Art Bonus Dr. Jason Fung von der - im Film nirgends erwähnten - Intervallfasten-Gemeinde zur Wort kommen. Er hat bei mir recht gemischte Gefühle hinterlassen, und das löste jetzt diesen Spontan-Blogartikel aus. 

Die Theorien der Low-Carb- und Intervallfasten-Gemeinde setze ich als bekannt voraus, und ebenso ihre Überzeugung, daß der Kampf gegen das Nahrungsfett und die damit verbundene Aufwertung von Kohlenhydraten, die Ernährungsempfehlungen der US-Gesundheitsbehörde und ebenso die Empfehlung, anstelle der eigentlich üblichen drei Hauptmahlzeiten sechs kleinere Mahlzeiten am Tag zu essen, für die Adipositas-Epidemie hauptverantwortlich seien. 

Ehrlich gesagt, wird mir diese Botschaft in dem Film zu reißerisch verkauft, obwohl sie mindestens der Wahrheit deutlich näher kommen dürfte als die konventionelle Herangehensweise. Mich stört vor allem ein gewisser verschwörungstheoretischer Ansatz beim Stochern in der Vorgeschichte, in der ein gewisser Dr. Ancel Keys, der Erfinder der Mutmaßung, daß Nahrungsfett für den dramatischen Anstieg bei den Herzinfarkten verantwortlich sei, eine meines Erachtens zu stark überbetonte Schurkenrolle einnimmt, die mich ebenso unangenehm berührt wie die Beschuldigungen an die Nahrungsmittelindustrie, insbesondere den zuckerlastigen Teil, schon damals, in den sechziger Jahren, die öffentliche Debatte über diese Ernährungsfragen mit viel Geld beeinflußt zu haben. 

Nicht, daß ich mir beides nicht sehr gut vorstellen könnte, aber das schien mir so belanglos, daß ich es nicht überprüft habe und das auch nicht tun werde. Wissenschaftlerehrgeiz und -eitelkeiten sind eine wichtige Triebfeder, im Guten wie im Bösen. Sie haben schon zu wichtigen Durchbrüchen, aber gerade im epidemiologischen Bereich sicherlich genauso oft in langwierige therapeutische Sackgassen und damit zu einem Schaden für die davon betroffenen Patienten geführt. Dasselbe gilt für die typische Reaktion von Lebensmittelkonzernen, wenn ihre Produkte in ihrer gesundheitlichen Wirkung in Frage gestellt werden - und dies geschah während der Debatte um Nahrungsfette auch durch eine konkurrierende Theorie mit dem Zucker, weshalb die zugehörigen Erzeuger und Verabeiter die zweite Schurkenrolle im Film einnehmen, denn es gelang ihnen, mit viel Geld die Gefahr von ihren Erzeugnissen abzuwenden. Daß diejenigen, die umgekehrt wiederum die von Keys' These bedroht waren, also die "fettlastigen" Erzeuger und Vertreiber, es anders gemacht haben sollen, halte ich aber für unwahrscheinlich. Sie waren vermutlich lediglich die Verlierer in diesem Beeinflussungswettkampf.

Später hat die zuckerlastige Lebensmittelindustrie sehr wohl Mittel und Wege gefunden, mit nicht abwendbaren Bedrohungen für ihre Produkte umzugehen, und zwar, indem sie Zucker zunehmend durch künstliche Zuckerersatzstoffe ersetzte. Auch beim Fett erwies sich das als möglich, indem man vermeintlich ungesündere tierische Fette durch vemeintlich gesündere Pflanzenfette ersetzte. Im Falle von Fertigprodukten griff man dabei natürlich auf die billigstmöglichen zurück. Ausgerechnet die dabei massenhaft mit ins Spiel gekommenen Transfette werden mittlerweile aber für noch ungesünder gehalten. Wäre dieser Irrtum vermeidbar gewesen? Und wenn ja, hätte seitens der Gesundheits- und Verbraucherschutzbehörden überhaupt der Wille bestanden, das Umschwenken darauf zu verhindern? Näher betrachtet, haben sich die Lebensmittelkonzerne immer gut auf alle Ernährungsmoden einstellen können, um sich ihre Gewinne zu sichern. Die Erzeuger der verfemten Grundstoffe, also die Zuckerrübenbauer oder die Milch- und Milchprodukterzeuger und die Anbieter von Fetten wie Rindertalg oder Schweineschmalz werden am ehesten wirtschaftliche Probleme bei der Umstellung bekommen haben.

Die Lebensmittelindustrie mag also die Wissenschaft beeinflußt haben, aber umgekehrt griff sie auch regelmäßig deren Ergebnisse auf und produzierte dazu passende Produkte. Das ist die andere, im Film nicht ausreichend verdeutliche Seite der Medaille. Und daran ist letztlich ja noch gar nichts verwerflich. Würden diese Ergebnisse uns wirklich gesünder machen, wäre es sogar genau das richtige. Werden damit aber Fehlannahmen der Wissenschaft umgesetzt, womöglich noch auf eine Weise, die von den Wissenschaftlern gar nicht vorausgeahnt werden konnte und die einer von vornherein zweifelhaften Empfehlung noch weitere Probleme hinzufügt, kann man allenfalls dann damit rechnen, daß die Produktion wieder aufgegeben wird, wenn sich das Produkt zu schlecht verkauft - was gerade im Low-Fat-Bereich meinem Eindruck nach mindestens hierzulande aber gar nicht so selten passiert. Die Leute kaufen diesen Kram ja nicht, weil er so gut schmeckt, sondern weil sie glauben, es sei ihre Pflicht gegenüber ihrer Gesundheit, solche Produkte zu essen. In Wirklichkeit schmecken Produkte, die als Ersatz für ein fetthaltigeres Produkt gedacht sind, nie so gut wie das (idealerweise selbst gekochte oder gebackene oder knackfrisch gegessene) Original. Schlechtes-Gewissen-Käufer sind aber nie so gute und zuverlässige Kunden wie Käufer, denen ein Produkt wirklich schmeckt.

Keine Frage, der Film enthält viel Wichtiges und Richtiges. Was mit dem Wohlbefinden der drei Testpersonen, mit ihrem Hungergefühl und mit ihren Insulinwerten geschieht, wenn sie möglichst genau den Ernährungsempfehlungen der US-Gesundheitsbehörde folgen, im Vergleich zu einem gleichen Zeitraum (eine Woche) einer Low-Carb-Ernährung, ist im Prinzip überzeugend für jeden, der Vergleichbares aus eigener Anschauung beurteilen kann. Aber wie überzeugend ist es für Zuschauer, auf die das nicht zutrifft und die ähnliche Demonstrationen schon für Dutzende anderer Ernährungstheorien gesehen haben, die ja alle ihre jeweiligen Methoden in derselben Weise bejubeln? In einem Film kann man Leute ja einfach vor die Kamera setzen und irgendetwas behaupten lassen, ob das aber wirklich seine Richtigkeit hat, weiß man erst, wenn man die Sache selbst ausprobiert. Und da kann es halt doch passieren, daß das Versprechen sich gar nicht oder nur vorübergehend erfüllt - und das sieht dann für sie genauso aus wie bei anderen Diäten, obwohl es sich in mancher Hinsicht bei vielen doch unterscheidet oder sich jedenfalls unterscheiden würde, falls sie daraufhin nicht nach dem Prinzip "Eh alles für die Katz" Low Carb wieder ganz aufgeben und damit natürlich in einen klassischen Jojo hineinrutschen würden. Nicht nur diejenigen, denen das selbst passiert ist, glauben der Sache dann nicht mehr, sondern auch diejenigen, die es aus der Nähe miterlebt haben. 

Das Problem ist, daß nur ein Teil der begeisterten Low-Carb-Anfänger diese Ernährungsweise dauerhaft durchhält. Denn sie ist nun einmal mit Verzicht verbunden, und das umso mehr, je geringer man den Anteil der Kohlenhydrate zu halten versucht. Daß andere Dinge, auf die man bei Low Fat verzichten mußte, nun erlaubt sind, ändert daran nichts. Und manche von diesen Dingen, auf die man verzichten soll, kann sich so mancher halt auch nur schwer verkneifen. Sogar die fanatischsten Keto-Jünger bekennen ab und zu tränenreich, daß sie bei dieser oder jener Gelegenheit vom Wagen gefallen sind oder zumindest große Mühe hatten, ihren Drang nach diesem oder jenem verbotenen Genuß, von Pizza bis Donuts, zu unterdrücken. Davon ist in diesem Film nirgends die Rede, im Gegenteil wird der Eindruck erweckt, wenn man es einmal angefangen habe, sei alles ganz easy, und das mag zwar wirklich für manche Glückspilze zutreffen - ob da vielleicht auch genetische Faktoren eine Rolle spielen? -, aber für die Mehrheit nun einmal nicht.

Die Konzentration auf die Suche nach irgendwelchen Schuldigen hinterläßt bei mir aber vor allem einen faden Geschmack im Mund. Nüchtern betrachtet, haben beide Akteure so gehandelt, wie es in ihrem Bereich typisch war und auch heute noch ist. Denn wie kam wohl die Opioid-Krise zustande, wenn nicht auf genau dieselbe Art? Der Fehler, den man beseitigen müßte, ist deshalb ein struktureller: ein Gesundheitssystem wie auch ein politisches und wirtschaftliches System, das dieser Art von Machenschaften offenbar nicht beikommt, meines Erachtens, weil einfach nicht nüchtern genug analysiert wird, wie gewinnerzielende Unternehmen aus ihrer eigenen inneren Logik heraus ticken, nämlich nach dem Primärziel, ihr Geschäftsmodell nicht beschädigen zu lassen, und dem Sekundärziel, dabei ihre Gewinne zu maximieren. Darüber zu zetern, halte ich für durch und durch sinnlos, es als Tatsache einzusehen und strukturell als Realität seinem Umgang damit zugrundezulegen, wäre viel sinnvoller. Man kann noch so viele Schuldige anprangern und vielleicht ernsthaft in Bedrängnis dadurch bringen, aber wenn das System so bleibt, wie es ist, wird dasselbe Problem in anderen Bereichen immer wieder neu entstehen, wie es ja auch in der Vergangenheit immer wieder neu mit wechselnden angeprangerten Beschuldigten aufgepoppt ist, von Philip Morris bis Monsanto. Auch auf die Low-Carb-Zielgruppe haben sich die Lebensmittelkonzerne ja längst mit manchmal zweifelhaften Produkten eingestellt und tragen damit aus ihrer Gewinnerzielungslogik mit dazu bei, daß viele Low-Carb-Anhänger aus Bequemlichkeit zu viele minderwertigere Low-Carb-Produkte verzehren und damit ihren eigenen Erfolg gefährden.

Hinzu kommt seitens der Gesundheitspolitik ein unangenehmer Hang dazu, mit maximaler medialer Unterstützung in halsbrecherischer Weise mit Ernährungs- und anderen Lebensstilempfehlungen vorzupreschen, deren wissenschaftliche Basis längst nicht so gesichert ist, wie sie es dann immer im Brustton der Überzeugung uns glauben machen will. Sind solche Empfehlungen aber erst einmal als Standard etabliert, wird man sie aber nur noch mit viel Mühe los, und zwar auch dann, wenn die Einsicht allmählich aufkeimt, daß es nicht geholfen hat oder sogar Schaden damit angerichtet wurde. Erinnert sich hier noch jemand an die Eier und das Cholesterin? Das gilt noch mehr - wie in dem Film richtigerweise erwähnt -, weil daran ja die Reputation und die Karriere der beteiligten Wissenschaftler mit dranhängt, denen es so schwerfallen würde wie jedem anderen, unter solchen Voraussetzungen einen so kapitalen Fehler zuzugeben. Das System begünstigt die Beharrungskräfte, die es ihnen ermöglichen, sich notfalls auch wider besseres Wissen an Falschem möglichst lange festzuhalten. Ich tippe darauf, daß in der Wissenschaft häufig erst der Ruhestand der zentralen Vertreter einer falschen These, die sich durchgesetzt hat, nach einer gewissen Scham- und Verlegenheitsfrist ein Umschwenken ermöglicht. Bei besonders angesehenen Personen vielleicht sogar erst ihr Tod.

Die irrationalen Elemente in der Wissenschaft sind also nicht zu unterschätzen, und sie beeinflussen die Wirkung auf Menschen, die der Wissenschaft vertrauen, in ungünstiger, manchmal tödlicher Weise. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten, wenn mal wieder jemand aus diesen Kreisen gar zu lautstark und selbstbewußt "Follow the Science!" fordert. Auch wenn diese Leute wirklich daran glauben, mit solchen Ermahnungen Menschen vor Schaden zu retten, kann zu viel Vertrauen in die Wissenschaft leider auch tödlich sein - auch wenn das noch lange nicht bedeutet, daß nun jeder wissenschaftliche Außenseiter, dem zum Verdruß der Wissenschaft zu viele Leute stattdessen Vertrauen schenken, so nahe an die Wahrheit herankommt, wie auch ich das der Low-Carb-Fraktion hiermit ausdrücklich bescheinigen möchte. Auf ein bißchen eigene Hirntätigkeit und kritische Beobachtung dessen, was tatsächlich passiert, wenn man die Empfehlungen der Etablierten wie der Außenseiter umsetzt, kann man nicht verzichten.

Der Film "Fat Fiction" verschaffte mir in noch einem anderen Bereich ein eher unerwartetes Aha-Erlebnis. Eigentlich ist das für das besprochene Thema ein ziemlich nachrangiger Nebenkriegsschauplatz. Er geht auf Dr. Fungs Buch "Obesity Code" zurück und betrifft seine Erklärung, was damals, als Ancel Keys das Nahrungsfett für die steigende Zahl an Herzinfarkten verantwortlich machte und sich damit nach einigen Jahren in der Debatte durchsetzte, seiner Meinung nach in Wirklichkeit der eigentliche Schuldige gewesen sei, nämlich das Rauchen.

Weil ich damals die Hauptthese Dr. Fungs auch ohne eine Alternativerklärung für die Herzinfarktwelle in den USA der fünfziger Jahre so überzeugend fand, habe ich diesen Teil seines Buches nur kurz überflogen, aber mich schon damals darüber gewundert, in welch epischer Breite er die Sache mit dem Rauchen auswalzte. Vielleicht ist es mir, weil ich von der zentralen These im Buch so elektrisiert war, gar nicht richtig zum Bewußtsein gekommen, daß schon in ihm diese aggressive Suche nach Schuldigen in mehreren Bereichen zu sehr überbetont wurde? Denn natürlich bekamen auch bei ihm darüber hinaus auch die Lebensmittelindustrie, die Pharma-Industrie und alle möglichen anderen ausgiebig ihr Fett ab. Daß ich jetzt doch von der Neugier gepackt wurde, lag an dem Film, der mir spontan schon in den ersten zehn Minuten mehrere gedankliche "Ja, aber ..."-Momente beschert hatte, und dann kam das mit dem Rauchen wieder zur Sprache. Eine bereits vertraute Grafik direkt darin eingebettet, die beweisen soll, daß Keys bei der Auswahl der verglichenen Länder bezüglich Konsum von Nahrungsfetten und Herzinfarkten Rosinenpickerei betrieben hatte, brachte mich auf den Gedanken, dann doch auch einmal die Raucheranteile der herzinfaktarmen Länder der fünfziger Jahre mit dem in den USA zu vergleichen. Google macht es ja möglich, mit wenig Aufwand solche Informationen zu finden.

Und siehe da: Egal und völlig unabhängig von dem, was Rauchen der Lunge alles antun kann: Daß ausgerechnet das Rauchen die Erklärung für das Herzinfarktproblem der USA in den fünfziger Jahren gewesen sein müsse, ist mindestens so unwahrscheinlich wie die Annahme, es wären die Nahrungsfette gewesen. Und das kann ich belegen, ebenso überzeugend wie andere die Fehlerhaftigkeit der Nahrungsfett-These. 

Diese Grafik hier bietet den Schlüssel: 

 

Ancel Keys hatte tatsächlich Rosinenpickerei bei den ausgewählten Ländern betrieben: Der Zusammenhang zwischen Fett-Kalorien und Herzkrankheiten ergab sich vor allem, weil er Länder wie Deutschland, die Schweiz oder Frankreich ignorierte, in denen traditionell fettreich gegessen wird und die in seine Kurve deshalb nicht hineingepaßt hätten.

Das Problem mit Dr. Fungs Gegenthese besteht darin, daß die Raucheranteile in den Bevölkerungen der Länder mit erheblich geringeren Problemen mit Herztodesfällen sogar noch höher lagen als in den USA. Das hat mich übrigens ziemlich überrascht. Aber sollten die Daten des CDC wirklich korrekt sein, träfe es womöglich zu:

USA

Frankreich

Italien

Deutschland

Schweiz:

 Und ebenso Japan, das Land, das bei den Herztoten bei Keys am besten dastand: 

Ein paar Einschränkungen der Aussagekraft dieser Daten bleiben natürlich bestehen. Haben rauchende Amerikaner vielleicht typischerweise mehr geraucht als die Bewohner der viel ärmeren europäischen Nachkriegsländer? Und wieviele Raucher, die bei Befragungen angaben, Raucher zu sein, waren eigentlich nur Gelegenheitsraucher, die zur damaligen Zeit halt dann zur Zigarette griffen, weil sie nicht ungesellig erscheinen wollten oder sie von einem Vorgesetzten oder sonst einer wichtigen Person angeboten bekamen? Und gab es da Unterschiede in diesen Ländern? Vor allem aber ist "Raucher" und "Zigarettenraucher" nicht dasselbe, und nur in zwei Ländern, USA und Italien, ging es ausdrücklich um Zigarettenraucher. Die Italiener freilich hatten die zweitniedrigste Herzinfarktrate. (Ganz am Rande vermerkt, sind sie außerdem berühmt für kohlehydratlastige Gerichte wie Pizza und Pasta.) Es kann also gut sein, daß die Raucher der Länder Deutschland, Schweiz, Japan und Frankreich minus Zigarren- und Pfeiferaucher auf einmal doch auf Augenhöhe mit den Amis gewesen wären. Allerdings gehe ich nicht davon aus, daß ihr Anteil so niedrig gewesen sein könne, daß der Zigarettenkonsum nennenswert niedriger als in den USA gewesen sein kann, den Zigarren waren schon damals vor allem ein Statussymbol und Pfeifen galten als altväterlich. Spätestens im Zweiten Weltkrieg hatte sich das Zigarettenrauchen als Standard durchgesetzt.

Alle Wenns und Abers ändern jedenfalls nichts daran, daß der von Dr. Fung gemutmaßte so eindeutige Zusammenhang des Rauchens mit der Herzinfarkt-Welle in den USA der fünfziger Jahre über keine seriösere Faktengrundlage als die Fett-These verfügt - egal, was man dem Rauchen zu Recht an gesundheitlichen Folgen sonst anlasten kann.

Was es dann aber gewesen ist, sei dahingestellt. Wenn ich mir die oberste Grafik mit Blick auf diese Frage noch einmal anschaue - Ancel Keys' Darstellung und die um Daten anderer Länder und deren Zuckerkonsum ergänzte von Dr. Eenfeld von "Diet Doctor"- , dann beschleicht mich immerhin eine Ahnung, daß es ein Faktor sein muß, der vor allem im gesamten angelsächsischen Raum, nicht in den USA alleine, mehr oder weniger stark zu Buche schlug, wenn auch nirgends so stark wie in den USA. Vergeblich habe ich nach irgendwelchen möglichen Schuldigen gesucht. Der Zucker kann es ausweislich der Grafik von Dr. Eenfeld nicht gewesen sein, ein Zusammenhang ist in ihr nicht ersichtlich. Wäre es eine Wohlstandsfolge, dann hätte die Schweiz - das Ausnahmeland in Europa, dem es gelungen war, sich erfolgreich aus dem Zweiten Weltkrieg herauszuhalten und damit auch nicht mit Nachkriegsproblemen bei einer ausreichenden Lebensmittelversorgung zu kämpfen hatte -, ein ähnliches Problem entwickelt haben müssen, und das war nicht der Fall. Kriegsgefallene, die nie das herzinfarktträchtige Alter erreichten und somit die Statistik hätten verzerren können, gab es beim Kriegsbeteiligten USA ebenfalls mehr als genug. Auch eine Folge atomaren Fallouts kommt nicht in Frage, da in diesem Fall Japan nicht die geringsten Herzinfarktraten überhaupt hätte haben dürfen.

Ganz ehrlich, ich habe nicht die leiseste Ahnung, was nun wirklich diese Herzinfarkte bei den Amis in den Fünfzigern ausgelöst hat. Aber der Ländervergleich zeigt eindeutig genug, daß Dr. Fungs Urteil bezüglich des Rauchens vorschnell gewesen ist. Das ist, glaube ich, das erste Mal, daß ich ihm attestieren muß, schlecht recherchiert und der Versuchung nachgegeben zu haben, eine allgemein geglaubte und scheinbar einleuchtende Erklärung ungeprüft zu übernehmen und dabei in dieselbe Falle zu tappen wie die Mediziner und Wissenschaftler, die er jetzt dafür kritisiert, daß sie trotz der geradezu spektakulären Erfolglosigkeit aller Bemühungen, auf Kalorienbasis dauerhafte Abnahmeerfolge zu erzielen, so stur weiter an diesem Modell festhalten. 

Verwunderlich daran finde ich vor allem, daß ein Realitäts-Check weder schwierig noch aufwendig gewesen wäre, ich hatte die von mir geposteten Grafiken innerhalb einer Viertelstunde recherchiert. Warum kam er, der in seinem großartigen Buch so vieles ganz pingelig recherchiert hat, nicht auch auf diesen Gedanken? Eigentlich gibt es dafür nur eine einzige plausible Erklärung. Die Überzeugungskraft dessen, was "allgemein bekannt" ist und bei dem deshalb niemand - außer Freaks wie mir, denen Statistiken, Grafiken und deren Hinterfragen einen solchen Kick geben, daß solche Recherchen einen unleugbaren Spaßfaktor für sie haben - auch nur auf den Gedanken kommt, es zu überprüfen, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. 

Daraus müßte man zu lernen versuchen, gerade in der Frage, wie man Adipositas wirksamer als bisher zu Leibe rücken kann. Das gilt ganz besonders, weil es höchstwahrscheinlich das Rauchen schon lange als Risikofaktor Nummer 1 Krankheiten wie Krebs, Schlaganfälle, Herzkrankheiten abgelöst hat, für die sowohl Rauchen als auch Übergewicht als Auslöser gelten. Für eine große Zahl weiterer potentiell tödlicher Krankheiten, die Philip Morris und Konsorten nie angelastet werden konnten (obwohl man es durchaus versucht hat), ist sie darüber hinaus verantwortlich: Diabetes und die Unzahl weiterer damit verbundener Folgeerkrankungen, vermutlich bis hin zu Alzheimer und natürlich Nierenversagen, für das Diabetes als wichtigster Faktor bekannt ist. Vermutlich könnte man sich sogar die gesamte mit so viel emotionaler Leidenschaft geführte Organspendedebatte sparen, bei der es insgeheim größtenteils um Nieren geht, wenn nur "Wissen" als vermeintliches Wissen, weil irrtümlich jeder glaubt, es sei wahr, im Wissenschaftsbetrieb schneller durch echtes Wissen ersetzt würde, wenn sich Verdachtsmomente darür ergeben. Denn wer könnte ernsthaft behaupten, es sei besser, möglichst viele Spenderorgane - ohne dabei vor dem Einsatz unguter fauler Tricks verzichten zu wollen, die ich für ein ernstes ethisches Problem halte - abzugreifen, wenn es auch möglich sein sollte, die zugehörigen Krankheiten zu verhindern, zu heilen oder mindestens nicht so weit fortschreiten zu lassen, daß ein Spenderorgan nötig wird? 

Ich bin ziemlich fest davon überzeugt, daß ein Umdenken bei der Diabetesprävention und -behandlung das Potential hätte, dies möglich zu machen, und wenn ich nur wüßte, wo ich den Hebel ansetzen soll, würde ich den zwar schon wahrnehmbaren, aber momentan immer noch lediglich im Tempo der Kontinentaldrift fortschreitenden Prozeß gerne irgendwie beschleunigen können. Nicht, weil ich mich plötzlich doch zum Weltenretter berufen fühle, sondern weil ich diese Sache als potentiell selbst Betroffene, die sich nur durch mehrere glückliche Zufälle am eigenen Schopf aus diesem Sumpf der medizinischen Fehlinformationen gezogen hat, sehr persönlich nehme. Ich möchte nicht ausgerechnet von Wissenschaftlern, Ärzten und Medien auf einen nahezu sicheren Weg in Krankheit und möglicherweise vorzeitigen Tod geschickt werden und nehme es übel, daß das um Haaresbreite geschehen wäre. Wie viele andere dieses Glück nicht hatten, darüber mag ich gar nicht nachdenken. Mein eigener Vater gehörte übrigens dazu.

Daran, daß dieses möglichst zügige Korrigieren von eigentlich erkennbaren Fehlern, nachdem ihre Auswirkungen sich in der Praxis zeigen, damals wie heute nicht geschah und geschieht, ist weder die Lebensmittelindustrie schuld noch der einzelne Wissenschaftler und seine Eitelkeiten und sein Ehrgeiz, berühmt zu werden. Schuld ist ein System, das keine wirksamen Mittel hat, diesen in unheilvoller Weise einwirkenden Faktoren gegenzusteuern und noch nicht einmal so richtig begreift, wie dringend es sie bräuchte und deshalb gar nicht auf die Idee kommt, sie zu entwickeln.

Dazu, daran etwas zu ändern, trägt der Film "Fat Fiction" dummerweise nicht im Entferntesten bei. Im Gegenteil machte man bei ihm genau dieselben Fehler, die uns auch schon in die Adipositas-Misere geführt haben: Plakatives Zuspitzen unter sorgfältigem Weglassen aller Einschränkungen, die es bei dem vertretenen Lösungvorschlag ja auch schon lange gibt, weil es scheint, als könne man sich keinerlei Zweifel im Detail mehr leisten, wenn man eine Botschaft wirkungsvoll verbreiten will. Und Suchen nach Schuldigen, um sie lautstark anzuprangern, anstatt die Frage aufzuwerfen, wie man die Strukuren verändern müßte, um erstens die Versuchung zu verringern, zu unlauteren Mitteln zu greifen, um seine Interessen durchzusetzen, wenn sie gegen das allgemeine Interesse sind, und zweitens aus Perspektive der von den zugehörigen Schädigungen Bedrohten, dem Versuch schneller und wirkungsvoller entgegentreten zu können.

Mir ist natürlich klar, daß es schwierig ist, die öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen, indem man sorgfältige Abwägungen mit viel "Einerseits/andererseits" und dem Eingeständnis, daß man noch längst nicht so viel über die Mechanismen der Zu- und Abnahme weiß, wie man gerne wüßte, und daß man auch noch ein gutes Stück davon entfernt ist, "DIE" Lösung gefunden zu haben, sondern sich einstweilen auf Teillösungen beschränken und vom aktuellen Punkt aus, möglicherweise noch relativ lange, weitersuchen muß. 

Vielleicht haben die Autoren dieses Films den Erfolg einer differenzierteren Darstellung von vornherein für unmöglich gehalten, vielleicht aber haben sie es sich auch doch nur zu bequem gemacht. Aber es ist wirklich sehr, sehr schade, daß sie sich die Mühe nicht gemacht haben, es mit der intellektuellen Ehrlichkeit über die Grenzen ihrer Möglichkeit, zu helfen, wenigstens zu versuchen. Denn die Hilfe, die sie bieten können, und auch das zeigt der Film ja eindrucksvoll, ist viel, viel mehr, als ein Patient anderswo erwarten kann, und das kann und will ich unter keinen Umständen kleinreden.

Noch viel bedenklicher finde ich die Vorstellung, daß die Akteure des Films bei allen ihren Verdiensten den Kern des Problems wahrscheinlich ebenfalls noch nicht erkannt haben. Ihre Botschaft ist ja wirklich wichtig, und zwar viel zu wichtig, um sie durch Selbstsabotage unwirksamer zu machen, und das ist der Fall, weil sie an mehreren Stellen problemlos angreifbar ist. Denn auch wenn das in jenen Kreisen nicht so gerne erwähnt wird: Es gibt ja längst neben den vielen Überzeugten auch schon viele Enttäuschte, die sowohl Low Carb als auch Intervallfasten als "genauso untauglich wie alles andere" abgehakt haben, weil eben beides bei vielen nur für eine begrenzte Zeit eine Abnahmewirkung mit sich bringt und vermutlich bei manchen Leuten viel schlechter als bei der Mehrheit derjenigen, die es ausprobieren, oder sogar gar nicht wirkt. Ja, und dann ist da natürlich auch noch die Sache mit dem subjektiv empfundenen Verzicht, der real ist und real bleibt, egal wie diejenigen Low-Carb-Enthusiasten, die ihn nicht empfinden, ihn wegzureden versuchen. Daß die Anfangserfolge bei Virta mit Low Carb bei Diabetes, die in dem Film ebenfalls ausgiebig zur Sprache kamen, im Lauf der Zeit bei einem immer größer werdenden Teil der Patienten wegbröckeln, ist teils auf den ersten, teils auf den zweiten Punkt zurückzuführen und ein Problem, zu dessen Lösung es rein gar nichts beiträgt, wenn man es kurzerhand unter den Teppich kehrt - wie in diesem Film geschehen. Daß diese Patienten ungeachtet dessen um Welten besser behandelt wurden als mit einer konventionellen Diabetesbehandlung und ihre weiteren Aussichten erheblich ermutigender sind, leuchtet mir ein, aber es ändert nichts daran, daß hier ein noch zu lösendes Problem besteht, und ob dieses Problem wirklich ernsthaft in Angriff genommen wird, kann ich so lange nicht wissen, wie darüber diese ärgerliche Intransparenz besteht, die dazu führt, daß am Ende doch wieder nur wie bei "den anderen" nach Fehlern gesucht wird, die die Patienten selbst gemacht haben sollen, was ich auch in diesem Fall einfach nicht für fair halte und außerdem überzeugt davon bin, daß solche Beschuldigungen die Lösungsfindung erschweren wenn nicht gar ganz unmöglich machen.

Diese auftrumpfende Botschaft des Films, eine allgemeingültige Wahrheit enthüllt zu haben, ist in Teilen leider ein Fall von "knapp an der Wahrheit vorbei". Das könnte zum Bumerang werden, und der Film hat mich nicht nur deshalb eher ein bißchen unangenehm berührt, statt mich uneingeschränkt zu erfreuen, sondern auch aus prinzipiellen Gründen. Ich möchte das nicht, daß die Leute auf "meiner" Seite sich in einem so wichtigen Bereich genauso falsch verhalten wie die auf der Gegenseite. Der Film "Fat Fiction" konnte mich in dieser Hinsicht nicht überzeugen. Schade, weil ich gerade diesem Thema die bestmögliche, also peinlichst korrekte und dadurch auch nicht angreifbare, aber dennoch mitreißende Darstellung gewünscht hätte. Sollte sich dieser Film dennoch eines Tages als ein Meilenstein auf dem Weg zur Korrektur der Ernährungsirrtümer erweisen, die nötig ist, um die Adipositas- und noch viel mehr die Diabetesprävention und -behandlung wirksamer zu machen und den Betroffenen ein längeres Leben und bessere Gesundheit zu verschaffen, freue ich mich darüber natürlich trotzdem.



 

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