Donnerstag, 16. Februar 2023

Sind Vitamine für Krebspatienten schädlich?

Mein Gewicht heute früh zu Beginn des zweiten von zwei Fastentagen diese Woche sowie Tag 9 nach der zweiten Chemo-Session: 86,1 Kilogramm. Trotz des Durchfalls, der mich seit dem Montag drei Tage lang begleitet hat und heute morgen endlich vorbei zu sein scheint, liegt das niedriger als eigentlich erwartet. Mein Befinden: Auf einem guten Weg zurück zur Normalität. Die Nebenwirkungen, die ich den Zellgiften zuordne (von Muskelschmerzen bis Schwindel), haben sich bereits verkrümelt. Falls es so weiterläuft wie beim letzten Mal, wird mir aber der "Antikörper-Durchfall" latent über den gesamten Zyklus erhalten bleiben.

Dieser Durchfall unterscheidet sich deutlich von der Art von Durchfall, die kurz vor oder kurz nach dem Ende eines mehrtätigen Fastenintervalls immer auftritt und ein Fall von "kurz und schmerzlos" ist: einmal notfallmäßig sitzen, danach ist die Verdauung wieder normal. Der Antikörper-Durchfall ist nämlich Bestandteil einer Art von Magen-Darm-Gesamtkunstwerk, bestehend aus Aufstoßen, Übelkeitsgefühl, Blähungen, Durchfall sowie einmalig, bevor der ganze Rest einsetzt, eine mittlere bis schwere Verstopfung. Diesmal hatte ich zum Glück nur eine mittlere, also mußte ich das starke Abführmittel, mit dem ich mich für Notfälle gewappnet hatte, nicht zum Einsatz bringen, sondern konnte der Natur einfach ihren Lauf lassen. Im letzten Zyklus hat mindestens das Aufstoßen bis zum Schluß nicht ganz aufgehört, wenn auch der Rest im Lauf der Zeit immer geringfügiger und schließlich bloß noch zu einer unterschwellig wahrnehmbaren Drohung wurde. 

Daß vor allem bei Pertuzumab Durchfall eine häufige Nebenwirkung ist, war mir bekannt. Was ich aber nicht wußte, ist, wie dabei eigentlich die vier Schweregrade definiert werden, die in der verlinkten Studie untersucht wurden, also habe ich das mal recherchiert. Unter vier "Sitzungen" pro Tag gilt der Quelle nach also als Schweregrad 1 ("geringe Beeinträchtigung"), bis zu sechs als Schweregrad 2 ("Aktivität stark eingeschränkt"), alles was noch mehr ist, wäre bedenklich und würde ein ärztliches Eingreifen notwendig machen. Ich war drei Tage lang, wenn auch relativ knapp, in Schweregrad 2 - wobei ich mich in meiner Aktivität aber keineswegs eingeschränkt fühlte ... sieht man einmal davon ab, daß ich zu bestimmten Tageszeiten gut beraten war, ein Klo in der Nähe zu haben. Im ersten Zyklus war der Verlauf ähnlich, deshalb rechne ich damit, daß ich spätestens bis zum Wochenende wieder bei "Schweregrad 0" liegen werde. 

Eigentlich hatte ich gehofft, über die Ursachen der von sonst erlebten Durchfällen so deutlich abweichende Gesamtsymptomatik meines "Gesamtkunstwerks" in dieser Studie auch etwas zu erfahren. Aber, so ein 💩: Für die Wissenschaft scheint Durchfall jeglicher Art als Begleiterscheinung einer Chemotherapie einfach ein- und dasselbe zu sein. Dabei ist das, was sich in meinen Eingeweiden abspielt, ja trotz Durchfall-Schweregrad Null während der meisten Zeit des Zyklus ein Phänomen, das auf Niedrigstlevel die gesamten drei Wochen lang weiter anhält. Was da im Vergleich zum "normalen" Nach-Fasten-Durchfall in meinem Inneren abläuft, hätte mich schon interessiert. Aber es sollte mich wohl nicht wundern, daß solche Studien die eigentlich interessanten Informationen nur selten überhaupt zu erheben versucht haben.

Was auch immer da nämlich im Magen-Darm-Bereich passiert, es führt zu erheblicher Gasbildung, und das Gas möchte dann gerne wieder hinaus, egal wo. Klappt das nicht auf Anhieb, folgt ein leichtes Übelkeitsgefühl. Das passiert mehrere Male am Tag, hält aber immer nur ganz kurz an, dann folgt entweder ein meistens merkwürdig unspektakulärer, bescheidener Rülpser, ein verdruckster Pups oder besonders zwischen Tag 6 und Tag 9 ein menschliches Rühren, das mich auf das stille Örtchen zwingt, und dann ist die Übelkeit sofort wieder weg. Zum Glück war es tatsächlich mit einer einzigen Ausnahme immer nur ein sehr leichtes Übelkeitsgefühl, aber am Montag nach dem Zähneputzen habe ich wohl in einem taktisch unklugen Moment den Mund ausgespült, denn ich war mir kurz nicht ganz sicher, ob nun doch noch der Kotzend-über-der-Kloschüssel-Moment für mich gekommen sei. Noch während ich versuchte, den aufsteigenden Brechreiz niederzukämpfen, fing es an im Gedärm zu rumoren und was auch immer mich da geplagt hatte, kam zum anderen Ende raus - und alles war wieder gut.

Das ist das besondere Kennzeichen dieser Übelkeit, sie vergeht auf der Stelle, wenn der Gasdruck gesunken ist, egal, an welcher Stelle er den Ausgang gefunden hat. Und das passiert fast immer innerhalb weniger Minuten.

So, jetzt habe ich aber genügend über 💩 geschrieben.

Insgesamt fand ich den Verlauf diesmal deutlich milder als beim letzten Mal. Am Wochenende war der Samstag sogar um ganze Welten besser als der vor drei Wochen, er fühlte sich bis zum Abendessen fast genauso an wie der noch nahezu gänzlich symptomfreie Freitag. Der Sonntag kam dem damaligen Sonntags-Erlebnis schon ein bißchen näher, mittags wurde ich sehr müde und legte mich ein Stündchen hin, aber danach fühlte ich mich wesentlich besser. Auch dieser Tag war aber weniger unangenehm als sein Vorgänger nach der ersten Chemo. Zu meiner besonderen Freude schmeckte sogar der Kaffee gut, obwohl er ein bißchen verfremdet wirkte, so, als hätte ich einen Löffel Kakao mit hineingegeben. Also: anders, aber keineswegs unangenehm.

Mein Heizkissen (Vorsicht, Schleichwerbung - aber das Teil ist zu gut, um es nicht zu verlinken) hat sich als echte und im Einsatz sehr simple Wunderwaffe erwiesen, denn ich habe damit nicht nur das Frösteln während des Fastens, sondern die chemobedingte Phase wirksam bekämpfen können, in der es mir ungeachtet der steigenden Außentemperatur von innen heraus den ganzen Tag lang geradezu lausig kalt war. Ich tippe außerdem darauf, daß die Muskelschmerzen ebenfalls vor allem wegen dieses Kissens diesmal kaum der Rede wert waren, wobei da vielleicht das Rücken/Nacken-Heizkissen vielleicht sogar noch wirksamer gewesen wäre. Wir haben auch so eins, aber mein Mann hat es irgendwie verkramt und die Wirkung des anderen Kissens war ja überzeugend genug, also hatte ich keinen Grund, ausgerechnet in der Nebenwirkungs-Höhepunktphase eine Suchaktion zu starten.

Was an beiden Tagen des Wochenendes auffällig war: Nach dem Abendessen - die geplante Hühnersuppe, mit Liebe gekocht von meinem Mann - machte ich praktisch auf der Stelle schlapp, physisch wie mental, und verkrümelte mich ziemlich schnell ins Bett. Daß das eine gute Idee gewesen sein muß, zeigte sich daran, daß ich mich sowohl am Sonntag als auch an Montag (obwohl ich nachts zweimal notfallmäßig aufs Klo mußte) morgens wieder ziemlich gut gefühlt habe. Bei der EC-Chemo zeigte die Tageskurve immer - vom jeweiligen Mittagsbefinden aus - gegen Abend in Richtung Normalität. Bei THCP war das am Wochenende exakt andersherum, aber seit Montag fühlen sich die Abende wie der Morgen jetzt normaler an als die Mittagszeit, die auch sonst immer meine flügellahmere Zeit ist. Wenn mein Mann Frühschicht hat und ich erst um 15 Uhr mit ihm zusammen Kaffee trinke, habe ich immer ein, zwei Stunden hinter mir, in denen ich eigentlich schon das Bedürfnis nach einer Dosis Koffein gehabt hätte. Dann sollte ich aber nicht schwach werden, sonst bekomme ich, wenn ich den Kaffee mit meinem Mann auch noch trinke, häufig den Tatterich.

Beweisen kann ich es nicht, daß die Verschiebung des vierten Fastentags auf Tag 2 nach der Chemo zum milderen Nebenwirkungsverlauf beigetragen hat. Es ist schon möglich, daß es auch von ganz alleine so gekommen wäre. Aber in jedem Fall hat mir dieser Verlauf keinen Grund geliefert, das modifizierte Fastenschema nun noch einmal weiter zu verändern, denn verschlechtert hat es augenscheinlich an keiner Stelle irgendetwas. Dabei hatte ich am Chemotag sogar morgens das Medikament gegen Übelkeit vergessen, weil der Krankentransportfahrer mich unerwartet früh anrief und damit meinen ganzen sorgfältig geplanten Ablauf am Morgen durcheinandergebracht hatte. Erst am Abend bemerkte ich mein Versäumnis, aber da waren die potentiell unangenehmen Folgen während der Chemo bereits ausgeblieben.

Erfreulicherweise habe ich nun auch die Termine der beiden letzten Chemo-Sitzungen, und sie wurden sogar auf die beiden optimalen Tage gelegt, nämlich exakt 21 Tage nach der jeweils vorherigen, wie ich das gehofft hatte, also auch beide wieder am Dienstag, so daß ich den Höhepunkt der Nebenwirkungen an dem jeweils folgenden Sonntag hinter mich bringen werde, anstatt mich an einem Arbeitstag arbeitsunfähig zu fühlen. Falls es nicht doch noch wider Erwarten zu krankheits- oder blutbildbedingten Verschiebungen kommen sollte, habe ich am 21. März die letzte Chemo und voraussichtlich drei bis vier Wochen danach die OP. Anschließend folgen noch ein paar Wochen Bestrahlung (waren das jetzt drei oder vier? Ich habe es schlicht nicht mehr im Kopf), und bis spätestens Ende Mai sollte dann - abgesehen von der weiterlaufenden Antikörpertherapie, deren Details ich aber erst nach der OP exakt erfahren werde - der Alltag langsam wieder einkehren. Ich glaube, den Sommer 2023 werde ich dann sehr genießen! 

Heute fand endlich mein verschobener Kardiologen-Kontrolltermin statt, bei dem überprüft werden sollte, ob meine Pumpe weiterhin so vorbildlich wie vor der Chemo pumpt, und das tat sie. Über meinen Blutdruck mußte ich dann sogar lachen. 75 zu 125 - einen so perfekten Blutdruck hatte ich, glaube ich, bei einem Arztbesuch noch nie. Die Kardiologin sagte, sie werte das als Kompliment, offenbar sei ich bei ihr tiefenentspannt.

Der Doc zeigte sich bei meinem Besuch am letzten Donnerstag ebenfalls sehr zufrieden. Erstmals hat er mir auch offiziell verkündet, daß die OP in jedem Fall brusterhaltend durchgeführt werde - was ich aber, ehrlich gesagt, spätestens seit dem raschen Dahinschrumpfen meines Feinds und Widersachers nach der ersten THCP-Chemo sowieso nicht mehr anders erwartet hatte. Allerdings meine ich, anders als der Arzt, den Tumor selbst immer noch zu finden, wenn ich mir ein bißchen Mühe gebe. Wie beim letzten Mal fühlt sich das im Moment so an, als wäre an der Stelle, wo vorher der Knoten war, eine Art Vertiefung im Gewebe entstanden (auch im Vergleich, wie sich das an derselben Stelle bei der anderen Brust anfühlt), und wenn ich richtig ernsthaft danach suche, meine ich am Rande dieses "Hohlraums" noch etwas zu spüren, das dann wohl der derzeit noch verbleibende Rest des Tumors sein müßte. Aber ganz sicher bin ich mir da doch wieder nicht. Auf die Mammographie nächste Woche bin ich deshalb sehr gespannt.

***

Eigentlich hatte ich heute etwas über Nebenwirkungen und die Mittel, die ich dagegen einsetzen, schreiben wollen, aber mir ist etwas dazwischengekommen: Meine alte Freundin, die Ernährungs-Umschau, hat mich mit einem Bericht über eine Studie unter der Überschrift "Nahrungsergänzungsmittel können Krebstherapie beeinträchtigen" mal wieder in tiefe Zweifel an der Kompetenz, dem Verstand oder vielleicht auch der Integrität ihrer Berichterstattung gestürzt. Denn könnte man bei dieser Überschrift ja noch vermuten, es ginge um irgendwelche obskuren Mittelchen zweifelhafter Herkunft und umstittener Wirkung, war dem Text des Artikels zu entnehmen, daß diese Besorgnis vor allem um Antioxidanzien kreiste, insbesondere Vitaminpräparate. Die Autoren der Studie wurden von der Ernährungs-Umschau wie folgt zitiert: 

„Wir haben keine Hinweise auf einen positiven Nutzen durch die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln und Supplementen während einer Krebsbehandlung finden können, aber Anzeichen für Wechselwirkungen bis hin zu reduzierten Lebenserwartungen.“
Das erinnerte mich doch sehr an die ganz ähnlich lautenden Worte der Frau Professorin Hübner. Daneben ist es auch weit von dem entfernt, was man über Vitamine zu lesen erwartet. Ich war darüber irritiert genug, um mich zu vergewissern, was die Autoren in der Studie selbst denn über ihre Schlußfolgerungen schreiben, und da war zu lesen:

Considering these inconclusive findings discussed in the literature [22,48], the intake of supplements by cancer patients, especially during their conventional treatment, seems at least questionable.

Nun bin ich ja noch nicht einmal ein Fan von Vitamintabletten und solchem Zeug. Nahrungsergänzungsmittel nehme ich fast ausschließlich nur dann, wenn ich eine spürbare Wirkung bemerke - etwa Magnesium bei Wadenkrämpfen, und das nur in Situationen, in denen Wadenkrämpfe meiner Erfahrung nach zu befürchten sind, etwa bei langen Fastenintervallen. Aber diese Begründung kam mir völlig gaga vor. Denn nähme man das wirklich ernst, müßte man Krebspatienten ja auch von Lebensmitteln abraten, die Vitamine oder sonstige Antioxidanzien enthalten. Das würde nicht nur die Nahrungspalette ganz schön einengen, die Wahrscheinlichkeit, daß es sie gesünder gemacht, bewegt sich meines Erachtens im homöopathischen Verdünnungsbereich. Denn auch dann, falls Vitamine wirklich von Tumoren zum eigenen Vorteil genutzt werden können sollten, wäre es kaum eine sonderlich gute Idee, Mangelzustände bei sich hervorzurufen. Vitaminarme Diäten für Krebspatienten in die Leitlinien - eine solche Forderung hört sich ganz schön bekloppt an, oder? Genau darauf müßte es aber eigentlich hinauslaufen, was in dieser Studie gefordert wird.

Warum nämlich Obst und Gemüse in dieser Hinsicht ein anderer Fall sein sollten als Vitamine, die in Tablettenform genommen werden, wäre erst einmal zu begründen, und das tun die Autoren nicht. Natürlich weiß ich, daß Nahrungsmittel etwas anderes sind als Nahrungsergänzungsmittel, und ich bin außerdem der Meinung, daß die Vitamine, die man aufnimmt, wenn man etwa einen Apfel ißt, im Körper nicht exakt gleich wirken können wie dieselben Vitamine, die man aus einer Vitamintablette zu sich genommen hat, da sie ja zusammen mit anderen weiteren Inhaltsstoffen im Verdauungstrakt landen, die andere zusätzliche Wirkungen auslösen und auch miteinander in Wechselwirkung stehen. Das ist auch einer der Gründe, warum ich die Vitamine aus dem Apfel allemal bevorzuge, denn physiologisch sollten wir bei der bestmöglichen Verwertung der Vitamine und all dem anderen ja eher auf das natürliche als das erst seit wenigen Jahrzehnten verfügbare künstlich hergestellte Produkt optimiert sein. Aber das alles ändert nichts an folgendem: Vitamine sind Vitamine sind Vitamine. Antioxidanzien sind Antioxidanzien sind Antioxidanzien. Wenn sie wirklich deshalb schädlich sein sollten, weil sie Vitamine und weil sie Antioxidanzien sind, dann sind sie in allen Darreichungsformen schädlich.

Was um alles in der Welt kann die Autoren dieser Studie nur dazu gebracht haben, sich in solche waghalsigen Behauptungen zu versteigen? Eines kann es nämlich nicht sein, und das ist die Beweislage aus ihrer Studie - bei der es sich eigentlich um eine sogenannte Metaanalyse handelt, also das Zusammenwerfen mehrerer Studien zu in etwa demselben Thema, um aus der größeren Anzahl der untersuchten Fälle, wenn möglich, weitreichendere Schlußfolgerungen ziehen zu können, als aus einer der enthaltenen Studien alleine. 

Im Falle dieser Metaanalyse, in der 37 Studien mit einer Mindestzahl von mehr als 1000 Teilnehmern enthalten waren, war eine Basis für die von den Autoren gezogene Schlußfolgerung nämlich erst recht nicht ersichtlich. Das beginnt damit, daß in den meisten dieser Studien sowieso nur die Nutzung von Nahrungsergänzungsmitteln die gestellte Forschungsfrage gewesen war, ohne dabei aber auch einen Vergleich der Therapieerfolge und -mißerfolge zwischen den Nutzern und Nichtnutzern zu ziehen. Wieso die Autoren dann aber diese Fleißarbeit überhaupt vorgenommen haben, ist ein weiteres Rätsel, denn die Auswertung der Nutzungshäufigkeit solcher Präparate nimmt nur einen recht kleinen Teil der Arbeit ein und ist außerdem ziemlich nutzlos. Denn welche Erkenntnisse, geschweige denn daraus abzuleitende praktische Nutzanwendungen, wären zu erwarten, indem man die Daten aus Teilen der Welt mit geringer Nutzung (Asien) und extrem hoher (USA) sowie mittelhäufiger (Europa) miteinander zu einem einzigen Brei verquirlt? Wenig erhellend oder unerwartet fand ich auch die Erkenntnis, daß  jüngere und höher gebildete Frauen mit Brustkrebs häufiger zu solchen Mitteln als andere Krebspatienten greifen. Darauf wäre ich auch von ganz alleine gekommen: Je mehr Lebensjahre man zu gewinnen oder verlieren hat, desto höher die Motivation, so viel wie irgend möglich dafür zu tun. Je gebildeter, desto mehr Möglichkeiten, sich zu informieren, und desto höher das Selbstbewußtsein als Grundlage für Eigeninitiative. Brustkrebs wiederum bietet häufiger als andere Krebsarten eine realistische Chance auf vollständige Heilung, ebenfalls ein zur Eigeninitiative motivierender Faktor.

Vollends absurd wirkt angesichts dessen dann das noch dazu leicht gekränkt wirkende Staunen der Autoren darüber, daß die Nutzer von Nahrungsergänzungsmitteln sie für wirksam halten (aber wenn sie das nicht täten, warum sollten sie sie dann nehmen?), obwohl sie ihnen von, pfui, so unwissenschaftlichen Quellen wie Freunden, Verwandten oder Online-Quellen empfohlen worden waren, nicht etwa von seriösen Empfehlungsgebern wie etwa ihnen selbst.

Das alles sind Erkenntnisse auf dem Niveau "Je höher das ssst, desto stärker das Bums". Dafür braucht man kein Zeit an eine Studie zu verschwenden. 

Einen Fingerzeig, worauf die Studie vor allem hinauswollte, lieferte ihr mittleres Drittel, in dem es um die "Beweislage" zu Lasten der Antioxidanzien geht, die theoretischen Grundannahmen, Laborergebnisse und dergleichen, die nahelegen könnten, daß - ähnlich wie bei der Autophagie - die Wirkung bei bestehender Krebserkrankung trotz des guten Rufes von Vitaminen in der Krebsprävention ungünstig sein könnte. Dieses Problem kennen wir schon sowohl vom Fasten als auch von Low Carb, allerdings wurde daraus die exakt entgegengesetzt Schlußfolgerung gezogen. Das, was unter Laborbedingungen für einen einzelnen Faktor meßbar ist, muß noch lange nicht dasselbe sein, was im komplexen Geschehen in einem selbst drinnen passieren wird. Es beweist außerdem noch überhaupt nichts, sondern entspricht eher dem Anfangsverdacht eines kriminalistischen Ermittlers gegen einen Verdächtigen, den er nun freilich auch noch überführen muß. Deshalb hat ja auch die Frau Professorin Hübner sich von Studien dieser Art überhaupt nicht aus dem verfolgten Konzept bringen lassen, Gründe an den Haaren herbeizuziehen, die Fasten während einer Krebsbehandlung auf Basis von Patientenstudien gefährlich erscheinen zu lassen - was im Kriminalfall bedeuten würde, daß man bereit ist, den Mörder ein One-Way-Ticket auf die Bahamas buchen und abfliegen zu lassen, statt ihn wenigstens mal in U-Haft zu nehmen. Diesmal ist also genau das Umgekehrte passiert: Das gewünschte Ergebnis ließ sich auf Basis von Patientenstudien nicht belegen, also verschanzt man sich halt hinter diesen Ergebnissen, was bedeutet, es schien aus irgendwelchen Gründen ausreichend, einfach irgendwen zu verurteilen und hinter schwedische Gardinen zu bekommen.

Im Prinzip hat es selbstverständlich einen Sinn, herausfinden zu wollen, was unter Realbedingungen passiert, wenn Krebspatienten Nahrungsergänzungsmitteln nehmen. Die korrekte Antwort scheint allerdings zu lauten: Im Durchschnitt nicht besonders viel, und außerdem nicht das, was die Autoren in den beiden obigen Zitaten zum Ausdruck brachten. 

Unter den wenigen der 37 metaanalysierten Studien - ich glaube, es waren zehn - die auch diese Frage behandelt hatten, fanden sich sage und schreibe zwei (ZWEI!), in denen negative Effekte beobachtet worden waren, nämlich diese hier und diese hier. Je nachdem, wie man "positive Effekte" und "negative Effekte" definiert, ergaben dreimal bis viermal so viele Studien genau das Gegenteil. In der ersten verlinkten Studie betraf die entdeckte ungünstigere Entwicklung bei Krebspatienten, die Nahrungsergänzungsmittel nutzten, im Vergleich zur Kontrollgruppe außerdem keineswegs die Nutzer von Antioxidantien, sondern die von Omega-3-Fettsäuren, Eisen und Vitamin B12. Die absoluten Zahlen, auf denen sich das begründet, waren außerdem ziemlich niedrig. In der zweiten Studie betraf die entdeckte mögliche unheilvolle Wirkung ausschließlich Carotinoide, und die absoluten Zahlen waren sogar noch niedriger. 

Sogar die Autoren unserer Metaanalyse fanden das wohl doch zu wenig, um ihre - in der Studie in so epischer Breite begründete - Annahme, daß Antioxidanzien Krebspatienten schaden könnten, ausreichend zu begründen, aber von ihr ablassen wollten sie aus irgendwelchen Gründen nicht. Deshalb ergänzten sie ihr "Beweismaterial" noch um eine Reihe weiterer Studien mit geringerer Teilnehmerzahl. Es wird sie enttäuscht haben, daß auch dies lediglich "uneinheitliche" Ergebnisse erbracht hat, aber sie konnten sich nicht dazu überwinden, nun auch ihre Schlußfolgerung aufzugeben. Und so kam es zu ihrem Fazit, das alleine auf Indizien beruht, für die vor keinem Richter, der so etwas wie Juristenehre im Leib hat, irgendwer eine Verurteilung zu befürchten haben sollte, Nahrungsergänzungsmittel während der Krebstherapie seien "mindestens fragwürdig", womit natürlich gemeint ist, solche unkontrollierbaren Patienten-Eigenmächtigkeiten sollten gefälligst unterbleiben.

Ich frage mich ja immer, was die Autoren solcher Sinnlos-Studien überhaupt antreibt. Auch in diesem Fall stehe ich im Grunde vor einem Rätsel. Vielleicht verbirgt sich die Lösung aber ganz simpel in der zentralen Forderung am Ende, nämlich viele, viele neue Studien zum Thema. War des Sinn des Ganzen also vielleicht nichts weiter als die Auftragsakquise von Forschern, die sich von einem Drittmittelprojekt zum nächsten hangeln müssen? Falls ja, bin ich froh, daß ich selbst etwas Anständiges gelernt habe und anderen Menschen keinen Schaden zufügen muß, um an meine Aufträge zu kommen. Was diese Leute da betreiben, grenzt meiner Meinung nach an Körperverletzung, noch dazu verübt an einer - wie solche Leute das in ihrem Rotwelsch voller unverständlicher Einschüchterungsvokabeln gerne bezeichnen - besonders "vulnerablen" Gruppe. Denn was man als Krebspatient ja ganz bestimmt nicht auch noch braucht (und schon gleich dreimal nicht, wenn die Botschaft - wie in diesem Fall - gar keine vernünftige Faktenbasis hat), ist diese ständige Kakophonie einander widersprechender Empfehlungen und Warnungen, die bei manchen mit Sicherheit dazu führen, daß sie nicht mehr wissen, was sie überhaupt machen sollen - was einen Menschen mit einer lebensbedrohlichen Krankheit unnötigerweise vollends in Verzweiflung stürzen kann.

Und was würde ich nun jemandem empfehlen, der sich gerade fragt, ob er nun Nahrungsergänzungsmittel irgendwelcher Art nehmen soll oder nicht? Meine generelle Meinung zu solchen Präparaten habe ich ja weiter oben beschrieben. Aber ich habe andererseits dieser Studie auch kein Argument entnehmen können, warum so etwas unbedingt und generell vermieden werden müßte. Also: Wer sich besser damit fühlt, warum denn nicht? Falls irgendeine Mangelerscheinung festgestellt wird, die damit behoben werden kann, empfehle ich es sogar ausdrücklich. Andererseits halte ich es aber auch für ratsam, die Einnahme wieder zu beenden, falls subjektiv oder objektiv sich das Befinden verschlechtert und das betreffende Mittel die Ursache dafür sein könnte. Das Schöne an solchen Nahrungsergänzungsmitteln ist ja, daß man immerhin selbst frei entscheiden kann, sie zu nehmen oder es wieder bleibenzulassen.

Alles hängt also vom jeweiligen Einzelfall ab, und vom eigenen Einzelfall kann und darf jeder ausgehen. Es ist ja schließlich auch ganz besonderer Unsinn, auf die Durchschnittswerte von möglichst großen Personenzahlen zu vertrauen, wenn es um die höchstpersönliche eigene Krankheit und deren hoffentlich rasche und vollständige Heilung geht.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen