Dienstag, 9. August 2022

Dieses dekadente Überlegenheitsgefühl


Mein Gewicht heute früh am ersten von zwei nicht aufeinanderfolgenden Fastentagen in der Woche 3 von 4 ohne lange Fastenintervalle: 87,6 Kilogramm. Letzte Woche am Dienstag waren es 87,9 Kilogramm und vorletzte Woche 87,3. Offenbar habe ich mich tatsächlich stabil zwischen 87 und 88 Kilogramm eingependelt (geringfügige Schwankungen sind ja normal), und falls das bis übernächste Woche zum nächsten langen Fastenintervall so bleibt, ist das der perfekte Einstieg in einen Herbst mit hoffentlich zügigem weiteren Gewichtsrutsch ... der September war ja immer mein zweitbester Abnahmemonat des Jahres (März ist traditionell immer der beste), möglicherweise gerade wegen des urlaubsbedingten Zurückfahrens beim Fasten im August. Und Oktober/November steht dann ja wieder Low Carb auf dem Programm und wird mit Sicherheit auch ein drittes Mal einen Zusatzschub nach unten bewirken.


Irgendwann im Lauf der nächsten drei Monate, darauf lege ich mich jetzt fest, werde ich zum ersten Mal die 80 Kilogramm unterschreiten. Und darauf freue ich mich schon. Nicht nur, weil ich dann zum ersten Mal seit meiner Schwangerschaft im Jahre 1987 wieder eine Sieben vorne sehen werde, und ebenso nicht nur, weil ich dann meinem Ziel schon ziemlich nahe gekommen bin, sondern auch, weil meine diesjährige Abnahme damit keinen Vergleich mit der vorjährigen zu scheuen haben wird. Das hatte ich natürlich gehofft und ich hatte darauf spekuliert - aber mir ist klar, daß es auch ein weiteres Mal zu einer Verlangsamung der Abnahme hätte kommen können.


Im Vorjahresvergleich liege ich heute sogar bei 11,2 Kilogramm weniger, auch das gefällt mir natürlich sehr. Seit Dezember letzten Jahres liege ich immer um 10 Kilogramm minus im Vorjahresvergleich, manchmal ein bißchen mehr, manchmal ein bißchen weniger, aber weniger als 9,x Kilogramm waren es seither nie.

Ich bin jetzt nahe genug an meinem Zielgewicht - Stand heute bin ich 13,9* Kilogramm davon entfernt -, um dadurch das beruhigenden Gefühl zu haben, daß jetzt nichts Ernsthaftes mehr schiefgehen wird, allenfalls dauert es ein bißchen länger als gedacht. 

* Huchje, rechnen sollte man können. Tatsächlich sind es 14,1 Kilogramm. 😎


Meine Genugtuung darüber wird noch größer, wenn ich mir dieses Video anschaue, das auf Twitter einen ziemlichen Proteststurm ausgelöst hat. Bill Maher ist in der USA eine ziemlich bekannte TV-Größe (ich selbst habe allerdings bislang nur wenig von ihm gesehen), ich bin mir nicht ganz sicher, ob es der Sache gerecht wird, wenn ich ihn mit Jan Böhmermann vergleiche. Wikipedia nennt Maher einen Comedian, Böhmermann versteht sich als Satiriker mit gelegentlichen Ausflügen in eine Art Enthüllungjournalismus, das ist ja nicht dasselbe. Aber Maher handelt auch politische Themen ab, also ist der Vergleich vielleicht doch nicht völlig daneben.

In dem verlinkten Video hat er sich am Thema Adipositas versucht und damit praktisch jeden gegen sich aufgebracht, der sich persönlich oder beruflich ernsthaft und um Lösungen bemüht mit diesem Thema befaßt. Denn wie jeder, der das Thema nur als Außenstehender beurteilt, ist Maher fest davon überzeugt, daß der Grund für den ständig wachsenden Bevölkerungsanteil der BMIs über 30 in den USA nur darin bestehen kann, daß es den Betroffenen an nichts weiter als ein bißchen guten Willen und Selbstbeherrschung fehlt.

Ich kann mir in etwa ausmalen, was Maher höchstwahrscheinlich glaubt. Als Fernsehgröße wird er ja selbst auf sein Gewicht achten müssen, und wie auch immer er das genau anstellen mag, es scheint bei ihm halbwegs zu funktionieren; vermutlich hat er genetisch eine glückliche Veranlagung. Wahrscheinlich bildet er sich ein, wenn jeder an die Sache mit dem Gewicht ungefähr wie er selbst herangehen würde, hätte auch jeder seine Figur. Im Umkehrschluß bedeutet das, wer fett ist, kümmert sich zu wenig darum, sein Gewicht zu halten. Das prangert er in scharfen Worten an. Dabei bekommen nicht nur die Dicken selbst ihr Fett weg, sondern auch eine Gesellschaft, die ihr Dicksein akzeptiert, anstatt es als gesellschaftliches Problem zu bekämpfen.


Kein Wunder, daß meine Twitter-Bubble aufgeheult hat.

Besonders erbost ist Maher über die Fat-Acceptance-Bewegung, und das ergibt aus seinem Blickwinkel natürlich viel Sinn - es scheint ja zu bestätigen, was er ohnehin glaubt, nämlich daß diese Leute fett sind, weil sie es gut finden, fett zu sein. Wie dumm von ihm es ist, dies zu glauben, ist ihm nicht klar, und das Wutgeheul wird ihn kaum überzeugen. Das einzige, was dagegen helfen würde, wäre vermutlich, wenn er selbst Opfer einer hartnäckigen Gewichtszunahme würde, die sich seinen gewohnten Methoden der Gewichtskontrolle widersetzt.

Es ist schon ein Weilchen her, daß ich selbst meine ambivalenten Gefühle zur Fat-Acceptance-Bewegung in einem Blogbeitrag aufgedröselt habe. Meiner Meinung nach muß man schon sehr naiv oder bedenklich denkfaul sein, um im Ernst daran zu glauben, daß es Menschen gibt, die deshalb dick sind, weil sie dick sein wollen. Sie sind dick, weil sie nicht daran glauben, mit vertretbarem Aufwand an ihrem Gewicht etwas ändern zu können, oder weil sie die noch weitaus schlimmere Erfahrung gemacht haben - sie als "traumatisierend" zu bezeichnen, scheint mir nicht übertrieben -, daß aller vertretbarer und oft genug sogar eigentlich unvertretbarer Aufwand, den sie in ernst gemeinte und mit viel Diszplin verfolgte Abnahmeprojekte gesteckt haben, sie am Ende doch nur wieder an den Ausgangspunkt - oder Schlimmeres - zurückgeführt haben.

Was, wie die Wissenschaft genau weiß, 95 Prozent aller Abnehmenden passiert. Es ist ein befremdlicher Gedanke, daß jemand, der halbwegs intelligent ist, im Ernst glaubt, ohne die Fat-Acceptance-Bewegung würde das nicht passieren ... es passierte nämlich schon immer. Der Sängerin Mama Cass ist es schon vor mehr als fünfzig Jahren passiert, und ich bin überzeugt davon, daß ihre angestrengten Bemühungen, abzunehmen, ihr Übergewicht überhaupt erst so extrem haben werden lassen. Eigentlich könnte die notorische Erfolglosigkeit der Abnehmkonzepte nach Kalorienlogik allgemein bekannt sein, und würde man darüber mal ernsthaft nachdenken, könnte man ziemlich leicht dahinterkommen, daß eine so hohe Mißerfolgsquote vor allem gegen das Konzept sprechen müßte, nicht gegen diejenigen, die es anzuwenden versuchen.

Maher ist ungerecht zu Amerikas Dicken, wenn er von ihnen verlangt, sie dürften sich keinesfalls in ihrem Körper wohlzufühlen versuchen, denn das ist das einzige, was übrigbleibt, wenn man von ständigen Mißerfolgen zermürbt seine Anstrengungen aufgibt. Ich kaufe es ihm ab, daß ihm das nicht klar ist. Je höher der Aufwand ist, den er selbst betreiben muß, um sein Gewicht halten zu können, und je weniger Spaß ihm das macht, umso einleuchtender finde ich es, daß er sich denen, die es nicht schaffen, irrtümlich für überlegen hält.


Mir geht es mit ihm allerdings ganz genauso. Ich fühle mich Bill Maher auf eine geradezu dekadente Wiese überlegen, genauso, wie er sich wiederum den Dicken überlegen fühlt.

Was für eine arme Wurst muß man außerdem sein, um es anderen Leuten so bitter übelzunehmen, daß sie sich - so stellt Maher sich die Sache ja tatsächlich vor - das Leben nicht permanent genauso sauer machen, wie er - das unterstelle ich ihm jetzt einfach mal genauso, wie er Dicken dies und jenes unterstellt - es selbst offenbar tut? Vielleicht ist das kein besonders netter Zug von mir, aber ich gönne mir diesem Menschen gegenüber mein Überlegenheitsgefühl. Immerhin ist es sachlich berechtigter als seines. Der Beweis dafür ist, daß ich ja alles mache, was er den Adressaten seiner Philippika unterstellt, aber mir passiert das nicht, was er irrtümlich für eine Art gerechte Strafe für die Todsünden der Faulheit und Völlerei zu halten scheint.

Hatte ich eigentlich in diesem Blog schon einmal den Cargo-Cult erwähnt? Ich las davon bei Richard Feynman:

"In the South Seas there is a cargo cult of people. During the war they saw airplanes land with lots of good materials, and they want the same thing to happen now. So they've arranged to imitate things like runways, to put fires along the sides of the runways, to make a wooden hut for a man to sit in, with two wooden pieces on his head like headphones and bars of bamboo sticking out like antennas—he's the controller—and they wait for the airplanes to land. They're doing everything right. The form is perfect. It looks exactly the way it looked before. But it doesn't work. No airplanes land. So I call these things cargo cult science, because they follow all the apparent precepts and forms of scientific investigation, but they're missing something essential, because the planes don't land."


Auch Bill Maher übersieht etwas Grundlegendes, etwas, das zwar fast alle übersehen, aber das ist in meinen Augen keine Entschuldigung, weil er auf Basis dieses Irrtums so gnadenlose Urteile fällt.

***
Mein neuer kleiner Clage-Durchlauferhitzer ist seit heute an der Küchenspüle in Betrieb. Ich liebe ihn schon jetzt nach den ersten Benutzungen, obwohl das Anbringen aufwendiger war als erwartet. Das frühere Gerät dieser Art, das ich in meiner vorletzten und letzten Wohnung hatte, ersetzte einen Fünf-Liter-Boiler, man mußte es nur auf die bereits vorhandenen Rohre aufstecken. Aber in meiner jetzigen Wohnung hatte ich ja Warmwasser aus der Therme im Bad, also brauchten wir erst mal diese noch nicht vorhandenen Rohre, und als wir schon mal dabei waren, entschieden wir uns außerdem spontan für eine neue Spüle, deren Einbau sich aber richtig kompliziert gestaltete, weil die Befestigungsmechanismen sich seit dem letzten Spüleneinbau vor über zwanzig Jahren verändert hatten. Mein Mann hat geflucht wie ein Bierkutscher, es aber am Ende hingekriegt. Anschließend war ich den ganzen Nachmittag damit beschäftigt, meine Küche wieder benutzbar zu machen, was nur mit Einschränkungen gelungen ist. Mein Spülenregal etwa paßt nun leider nicht mehr hin. Aber ich mochte das Ding ohnehin nicht mehr so richtig, es versiffte immer so schnell. Ich werde wohl ein paar kleine Drahtkörbchen beschaffen und an der Wand anbringen, um die Dinge, die ich zuvor auf dem Regal gelagert hatte, unterzubringen. Mehr Kopfzerbrechen macht mir mein Sprudelgerät, ich weiß immer noch nicht so recht, wohin damit. Mein Mann schlug vor, nächsten Sommer die Küche zu renovieren, jedenfalls die "Spülenseite", und dabei die Hängeschränke, die ihre besten Tage weiß Gott hinter sich haben und die mir außerdem etwas zu tief sind - an die Teile, die hinten stehen, kommt man nicht so richtig ran -, durch andere zu ersetzen und sie dann etwas höher zu hängen. Dann klappt es auch mit dem Spudelgerät wieder. Bis dahin brauche ich eines meiner berüchtigten Provisorien, die manchmal endlos Bestand haben. So wie die alte Spüle. Ich bildete mir damals, als ich hier einzog, nämlich ein, ein rundes Spülbecken wäre schick und eine Fläche zum Abtropfen des Gespülten bräuchte ich nicht, weil ich ja eine Spülmaschine habe. Schon nach vierzehn Tagen habe ich diese Anschaffung bereut - trotzdem hatte ich dieses Spülbecken jetzt geschlagene 22 Jahre lang ...


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