Mittwoch, 10. April 2019

Waagen-Achterbahnfahrten



Nachdem ich vorgestern nicht etwa, wie am Sonntag erwartet, knapp unter 110, sondern vielmehr 110,5 Kilogramm gewogen hatte, begann ich den gestrigen Tag mit durchaus erfreulichen 108,2 Kilogramm, sogar nach Frühstück. Heute waren es wieder 109,5 – was okay ist, aber es hätte gerne auch ein bißchen weniger sein dürfen. Mal schauen, ob ich morgen wieder einen Grund zur Freude bekommen werde. Dafür sollten es weniger als 108 Kilogramm sein; je weniger, desto erfreulicher natürlich. Die 106,3 werde ich zwar so schnell nicht wieder erreichen, und das war mir ja von vornherein klar, aber unter die 107 möchte ich in absehbarer Zeit schon wieder kommen, vorzugsweise gleich diese Woche am Samstag. 

Normalerweise frühstücke ich morgens nicht sofort nach dem Aufstehen und habe auch frühestens zwischen 9 und 10 Uhr ein echtes Bedürfnis danach, sondern trinke nur zwei große Tassen Kaffee. Mein Mann wurde aber, und zwar „bis auf weiteres“, zu Dauer-Nachtschichten verdonnert, und das gemeinsame Frühstücken, bevor er sich nach seiner Schicht schlafen legt, ist bei Nachtschichten – die gar nicht zu seinem normalen Schichtplan gehören, aber manchmal notfallmäßig für einige Wochen angeordnet werden – eine uns liebgewordene Tradition, die ich außerhalb meiner Fastentage nicht missen möchte. Ich hätte gar nichts dagegen, wenn er auch an den Tagen, an denen ich nicht mitesse, Brötchen zum Frühstück für sich selbst mitbringen würde. Aber alleine zu essen macht ihm keinen Spaß. Essen ist nun einmal mehr als nur Nahrungsaufnahme, und auf unsere gemeinsamen Mahlzeiten legen wir beide großen Wert. 

Eigentlich mache ich das mit dem Wiegen nicht so richtig „nach Vorschrift“, denn auch die zwei Tassen schwarzer Kaffee, mit denen ich jeden Tag, auch Fastentage, beginne, erhöhen mein Gewicht ein wenig im Vergleich zu dem Gewicht, das ich hätte, wenn ich mich vor dem Kaffeetrinken wiegen würde. Aber meine Waage steht eine Etage tiefer, einerseits, weil ich dort den nötigen Platz dafür habe, und andererseits, weil ich das Fasten ja anfangs meinem Mann verheimlicht habe und deshalb auch die Waage an einer unauffälligen Stelle aufstellen mußte. 

Ich bin dabei geblieben, auch wenn keine Geheimniskrämerei mehr nötig ist, denn das Platzproblem hat sich in den letzten zwei Jahren eher verschlimmert als verbessert. Die Veränderungen bei meinem Gewicht sind außerdem auch auf diese Art vergleichbar. Nur dann, wenn ich, wie in den letzten Wochen, unter der Woche (an Wochenenden haben wir wieder andere Gewohnheiten und Rituale) außerhalb meiner Fastentage frühstücke, sind es, über den Daumen gepeilt, noch einmal um die 200 Gramm mehr, als der Kaffee alleine ausmachen würde. Ich notiere das Gewicht trotzdem so, wie es angezeigt wird, und bemühe mich, mein Hirn nicht mit sinnlosen Herumkalkulierereien zu belasten.
Man sollte sich von seiner Waage außerdem nicht über Gebühr terrorisieren lassen, denn die Schwankungen im Gewicht von einem Tag auf den nächsten sagen gar nichts über Erfolg oder Mißerfolg beim Abnehmen aus. Irgendwo im Web las ich mal den schönen Satz: „Wenn du ein Kilo Brokkoli ißt zeigt die Waage ein Kilo mehr an.“ Das faßt sehr gut zusammen, daß und warum die Zahl auf der Waage nicht das ist, worauf es eigentlich ankommt. 

Die verbreitete Annahme, diese oder jene „Sünde“ vom Vortag müsse für ein oder zwei Pfund scheinbare Gewichtszunahme von heute verantwortlich sein, ist vor allem ein Ausdruck des schlechten Gewissens, das wahrscheinlich jedem, der Diäten hält, mehr oder weniger stark im Nacken sitzt, weil es in der Natur der Sache liegt, daß niemand immer so heilig ist, wie er eigentlich sein zu müssen glaubt. Immer hätte man sich noch mehr sportlich betätigen oder auf irgendein Lebensmittel verzichten können. Nicht einmal ich bin davon völlig frei, obwohl ich gerne und häufig und aus Überzeugung sündige und mir im Zweifelsfall noch eine Extra-Sünde gönne, wenn ich mich bei solchen destruktiven Gedanken ertappe. 😇 Die „Sünde“ vom Vortag befindet sich am Morgen nach einer abendlichen Schlemmerei noch im Magen-Darm-Trakt, und was sie dort wiegt, ist – siehe den Brokkoli – nicht das zu lösende Problem, sondern vielmehr, wie man verhindert, daß sie es sich auf den Hüften und unseren anderen Problemzonen gemütlich macht und dort eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis beantragt. 

Die Waage lügt einen manchmal aber auch an, wenn sie Erfreuliches kundtut. Habe ich etwa gerade zwei Stunden lang schwitzend Möbel geschleppt, zeigt die Waage unmittelbar danach meistens einen höchst erfreulichen Wert an. Dummerweise drückt dieser Wert aber vor allem den Wasserverlust durch die Anstrengung und das Schwitzen aus, nicht etwa „abgearbeitetes“ Speicherfett.

Dazu kommen außerdem noch zyklische Schwankungen im Gewicht, die ebenfalls gar nichts mit wachsenden Fettpolstern zu tun haben, sondern eher mit dem Wasserhaushalt. Das kann bei Frauen mit dem Menstruationszyklus zusammenhängen, der ja auch hormonell gesteuert ist, und obwohl ich mich jenseits der Menopause befinde, habe ich doch den Eindruck, daß da noch das eine oder andere bei mir aktiv ist, denn meine Gewichtsabnahmen kommen manchmal ziemlich abrupt in Ein- bis Zwei-Kilo-Sprüngen. (Allerdings ist das nicht immer so. Dann wäre die Sache wohl zu einfach zu durchschauen …) Außerdem spielen bei mir auch die Jahreszeiten eine Rolle. Letzten Winter hatte ich beispielsweise eine wochenlange Stagnationsphase beim Gewicht, aber meine Jeans schlotterten trotzdem immer stärker und Ende Dezember bin ich bei immer noch fast dem gleichen Gewicht, bei dem ich Ende September die nächstniedrigere Größe – noch viel zu eng – gekauft hatte, auf diese neue Jeans umgestiegen, weil sie nun paßte. Übrigens hat diese Stagnation kaum etwas mit Vorweihnachtssünden zu tun, denn ich bin kein großer Fan von Weihnachtsgebäck und dergleichen, und zu Weihnachten nahm ich schon wieder ab. 

Die Zuverlässigkeit von Waagen läßt außerdem meist zu wünschen übrig. Schwankungen von bis zu 300 Gramm plusminus sind völlig normal und auch zulässig, wenn es sich um normale, ungeeichte Personenwaagen handelt, aber die zahlreichen entsprechenden Beschwerden bei Amazon und ähnlichen Portalen lassen vermuten, daß das gemessene Gewicht bei vielen handelsüblichen Waagen noch erheblich weiter abweichen kann. 

Das gilt vor allem für Digitalwaagen, und noch mehr, wenn man wie ich in einem Gründerzeit-Altbau mit diesen schönen alten Holzdielenböden wohnt. Die sind nämlich nie hundertprozentig eben, und so etwas irritiert Digitalwaagen ganz furchtbar. Als ich noch ein solches Modell benutzte, bin ich oft mehrere Male hintereinander draufgestiegen, und meistens bekam ich dann mehrere verschiedene Gewichtsangaben, jedenfalls dann, wenn ich ihr dazwischen ein oder zwei Minuten Zeit gelassen habe, die vorherige Anzeige, die irgendwie gespeichert wird, vorher wieder zu „vergessen“. Stellte ich die Waage an eine andere Stelle im Raum, waren die Schwankungen noch erheblicher. Wählte ich versehentlich eine Stelle aus, die der Waage besonders uneben vorkam, bekam ich nur noch Zahlensalat: Die Waage konnte sich nicht entscheiden und sprang manchmal eine halbe Minute lang oder noch länger zwischen verschiedenen Werten hin und her, und das konnte dann auch leicht zwanzig Kilogramm hin oder her ausmachen. 

Weil ich gerne eine Waage haben wollte, die mir, wenn ich zweimal hintereinander draufstieg, beide Male dasselbe Gewicht anzeigt, und schon zwei Digitalwaagen mit demselben Problem hinter mir hatte, probierte ich es mit einem mechanischen Modell. Theoretisch hätte sie bis 150 Kilogramm geeignet sein müssen, jedenfalls reichte die Gewichtsanzeige bis dahin, aber in der Praxis muß ihre Belastungsobergrenze unter meinem Gewicht gelegen haben – irgendeine Feder leierte vielleicht aus. Nach kurzer Zeit mußte ich sie nämlich nach jedem Wiegevorgang wieder neu einstellen, weil sie dann nicht die Null anzeigte, sondern ca. ein Kilo plus.

Das verunsicherte mich, was die Höhe meines tatsächlichen Gewichts betraf, und so wechselte ich doch wieder auf die launische Digitalwaage. Die benutzte ich, wenn auch fluchend, bis mein Mann vor ungefähr einem Jahr auf dem Flohmarkt diese alte eichfähige Arztwaage fand, die ich seitdem in Gebrauch habe. Erstens ist sie unkaputtbar und zweitens, behauptet er jedenfalls (und mit diesem mechanischen Kram kennt er sich wirklich gut aus), wie alle Waagen, die nach dem Prinzip der Balkenwaage funktionieren, absolut zuverlässig, auch wenn sie ausweislich eines entsprechenden Aufklebers schon seit den frühen neunziger Jahren nicht mehr geeicht wurde. Alles, was man für zuverlässige Ergebnisse tun muß, ist, sie gelegentlich auf null zu stellen und ggf. nachzujustieren, bis sie im Lot ist. Das mache ich alle paar Monate (meistens, wenn sie ein Ergebnis anzeigt, das für mich positiv oder negativ überraschend ist), und verstellt hatte sich dann jeweils so gut wie gar nichts. Dieser Waage kann ich also endlich vertrauen, auch wenn ich nicht immer zufrieden mit dem angezeigten Gewicht bin. 😲



Vom Kopf her ist mir völlig klar, daß ich die Zahl, die die Waage anzeigt, nur als Momentaufnahme ohne größeren Erkenntniswert betrachten sollte, die nur in einer mehrwöchigen Perspektive anzeigt, ob die Richtung stimmt, in die sich das Körpergewicht bewegt. Aber ich bin halt auch nur ein Mensch. Wenn ich morgens auf die Waage steige, möchte ich gerne – im Rahmen der bei meinem Fastenrhythmus zu erwartenden Schwankungen – ein Erfolgserlebnis haben, und wenn das ausbleibt, habe ich schlechte Laune. Zum Glück ist es bislang nie dauerhaft ausgeblieben.

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