Dienstag, 11. März 2025

Alter Falter! Oder: Wenn wohlstandsverwahrloste Parteistrategen versuchen, eine Regierung zu falten ...

Mein Gewicht heute früh nach dem ersten von zwei nicht zusammenhängenden Fastentagen diese Woche: 74,5 Kilogramm. Diese Woche wird ein bißchen chaotisch bei mir, also mein Blogartikel gleich heute. Nächste Woche kann ich nun doch kein viertägiges Fastenintervall umsetzen, sondern beschränke mich auf die drei Tage von Montag bis Mittwoch. Warum? Weil mein Mann ab Donnerstag seinen Resturlaub von 2024 abfeiert. Diesen Urlaub werden wir nutzen, um den letzten Wohnungsverkauf endlich auch anzuleiern und hoffentlich auch innerhalb angemessener Zeit abschließen zu können - wenn es auch unwahrscheinlich ist, daß die Sache so schnell geht wie bei der vorigen Wohnung. Wir hatten es letzten Sommer ja bereits einmal versucht, aber im ersten Anlauf klappte es nicht, danach fehlte uns wegen des Umzugs die Zeit, anschließend war der Mieter ziemlich lange verreist und danach wollte ich erst mit der meiner Einschätzung nach leichter verkäuflichen kleineren Wohnung anfangen, was meiner Meinung nach auch die richtige Strategie gewesen ist, da die Käufersuche wirklich einfach war.

Da die letzte zu verkaufende Wohnung meinem Mann gehört, wird er die Besichtigungen übernehmen, deshalb haben wir das auf seinen Urlaub gelegt. Das Organisatorische drum herum ist mein Job, das hat sich auch gut bewährt. Der Mieter ist nächste Woche praktischerweise nachmittags ab ca. 15 Uhr daheim, also läßt sich ein erster Besichtigungstag wahrscheinlich schon nächste Woche am Donnerstag umsetzen. Einen zweiten Termin für Leute, die unter der Woche nicht können, planen wir am Samstag. 

Ich bin schon unheimlich gespannt darauf, ob es diesmal vielleicht doch weniger zäh ablaufen wird als letzten Sommer. Bei dieser Wohnung war ich mir von Anfang an unsicherer als bei den beiden anderen Wohnungen gewesen, sowohl was den Preis als auch, was die Dauer der Käufersuche betrifft. Hinzu kamen dann noch Umstände, die nicht vorhersehbar waren, nämlich Schwierigkeiten mit der unfähigen Hausverwaltung - inzwischen wurde sie durch eine neue ersetzt - und dann eine unerwartet lange Abwesenheit des Mieters im Ausland. 

Aber wer weiß, wofür es gut war. Im Lauf des Herbsts sah ich nämlich ausgerechnet für vermietete Wohnungen dieser mittleren Größe überall in der Stadt die Preise auf  Talfahrt gehen, also war der Versuch letzten Sommer wohl auch zeitlich ungeschickt. Dieser Trend ist mittlerweile gestoppt. Wir haben unsere Preisvorstellung der Marktentwicklung gemäß nunmehr dennoch auch etwas nach unten korrigiert.  Ein paar weitere Faktoren sind nun weniger ungünstig als letzten Sommer, das gilt nicht zuletzt auch für das Zinsniveau. 

Also mal sehen, vielleicht wird es ja im zweiten Versuch doch einfacher als gedacht. Und wenn nicht, nehmen wir uns eben so viel Zeit, wie wir brauchen.

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Was ich auch nicht einschätzen kann, ist, ob die beschissene Weltlage für unseren Verkauf eher günstig oder eher ungünstig ist, aber das wird sich demnächst ja ebenfalls herausstellen. Vorstellbar ist an sich beides: Daß Immobilien mit ihrer handfesten Nutzungslogik, die jeder begreifen kann, in unsicheren Zeiten gegenüber Aktien vorgezogen werden, aber ebenso, daß die wenn auch entfernte Möglichkeit eines Krieges auf deutschem Boden Immobilien plötzlich riskanter erscheinenen läßt. Wer vor zehn Jahren in der Ukraine eine Wohnung gekauft hat, dessen Vermögen liegt jetzt ja vielleicht in Trümmern oder ist von den Russen besetzt. Eine verlockende Geldanlage funktioniert irgendwie anders.

Wobei ich mir aber nicht vorstellen kann, daß die zweite Möglichkeit auch in Deutschland allzu vielen Leuten wirklich präsent ist. Das bedeutet aber nicht, daß sie völlig undenkbar ist in Zeiten, in denen weiter östlich Immobilien von den Russen in Trümmerhaufen verwandelt werden und weiter westlich die Amis in Grönland aus heiterem Himmel Besitzansprüche auf europäischen Boden erheben.

Umso ärgerlicher ist es in Zeiten, in denen Gewißheiten dieser Art auf einmal doch nicht mehr völlig gewiß sind, daß die deutsche Regierungsbildung nun doch wieder von kindischen Politikspielchen geprägt wird, die sehr bezeichnend für die zu erwartende Kompetenz der künftigen Regierungsparteien - oder genauer gesagt: deren Fehlen - sind. Ich fürchte fast, das hat zum Teil auch etwas mit der Persönlichkeit Friedrich Merz zu tun, der ja aus mir unerfindlichen Gründen die CDU nach Merkels Ruhestand für sich begeistern konnte - auf welche Weise es diesem politischen Untoten gelungen ist, ist mir schleierhaft. Merz jedenfalls, der als politischer Rivale Angela Merkels vor ihrer Kanzlerschaft von ihr vermeintlich für immer in den politischen Ruhestand geschickt wurde, gehört dieser besonders unangenehmen Politikergeneration an, die vom neoliberalen Klima der ausgehenden Neunziger geprägt wurde. Wie man an Gerhard Schröder sehen konnte, werden solche Leute mit zunehmendem Alter nicht etwa reifer, erfahrener oder sogar weise, wie das der Generation Helmut Schmidt oder Gerhart Baum noch ohne große Mühe gelungen ist. Sie werden bloß faltiger.

Jedenfalls ist unser mutmaßlich künftiger Bundeskanzler ein Anachronismus. Auf die Fragen von heute findet er mit seinem dreißig Jahre alten Werkzeug außerdem garantiert keine überzeugenden Antworten. Genau das hat er gerade auch überzeugend demonstriert, noch bevor er überhaupt zum Bundeskanzler gewählt werden konnte.

Dabei fand ich es als Nichtwähler ohne Vorlieben für ein bestimmtes Parteiprogramm eigentlich zunächst ermutigend, daß dieses Sondierungspapier so schnell vorlag. Wir brauchen nämlich angesichts der weltpolitischen Lage wirklich so schnell wie möglich eine neue Bundesregierung. Das ist glasklar Priorität 1. Nicht zuletzt deutete das Tempo auch darauf hin, daß die Parteien, die die Regierung bilden wollen, die Gefahr nicht unterschätzen, die durch langwieriges Sichbeharken um weniger vordringliche Fragen, verbunden mit selbstverliebten Spielchen à la Christian Lindner, entstehen würde. 

Daß das Papier inhaltlich tatsächlich so unausgegoren ist, wie das alle Welt behauptet: geschenkt. Das Problem besteht darin, daß wir uns diese parteipolitische Gewinnmaximierungsmethode echt nicht leisten können, die mit diesem Papier betrieben wird. Wieso zum Geier wurde kurzerhand ignoriert, daß man, um die gesamte Chose tatsächlich umsetzen zu können, auch die Stimmen der Grünen benötigt? Warum bildete die CDU sich ein, es nötig zu haben, jemanden, von dem man so abhängig ist, zu brüskieren? Und wie kommt es, daß auch der Koalitionspartner SPD dagegen keine Einwände gehabt hat, obwohl man bislang ja mit den Grünen in einer Koalition war? 

Die Staatsraison der Grünen auf diese Weise auszutesten - mit dem Ziel, daß sie entweder dem Gegenteil dessen zustimmen, was sie für richtig halten, oder man ihnen die Schuld an der verzögerten Regierungsbildung in die Schuhe schieben kann -, ist auf eine wohlstandsverwahrloste Art dummdreist. Das erinnert stilistisch fast schon an diesen Bodenschätze-Deal, den die USA zum eigenen Vorteil mit der Ukraine abschließen wollten. Friedrich Merz entpuppt sich vom Denken her also als eine Art Donald Trump für Arme. Staatsmännische Größe würde der vermutlich nicht einmal entwickeln, wenn man sie via Infusion in ihn reinpumpen würde.

Und der soll unser Land ausgerechnet durch solche Zeiten heil hindurchsteuern? Armes Deutschland. 

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Und hier die Wirtschaftsnachrichten: Die Tesla-Aktie ist ungeachtet ihres Absturzes seit Donald Trumps Amtseinführung nach wie vor überbewertet, denn das Unternehmen verliert gerade weltweit rasant Kunden. Gut, Märkte sind launisch und neigen zu Überreaktionen. Ich würde aber niemandem empfehlen, ausgerechnet einen Tesla als fahrbaren Untersatz zu kaufen, weil man dennoch nicht mehr sicher sein kann, daß das Unternehmen den politischen Amoklauf seines obersten Chefs überleben wird. Wenn ich Tesla-Aktien hätte, dann würde ich sie - notfalls mit Verlust - außerdem sofort verkaufen (und dafür Rheinmetall-Aktien kaufen). Auch deshalb, weil meine Mutter auf ihren wertlos gewordenen Gazprom-Aktien bis heute sitzengeblieben ist. (Ich hatte mich noch über diesen Kauf entsetzt, war aber bei ihr auf taube Ohren gestoßen.)

Ja, ich habe ein - relativ kleines - Aktiendepot, eigentlich nur als Spielerei und weil meine Mutter unbedingt wollte, daß ich mir eines zulege, allerdings habe ich in den letzten paar Jahren damit nicht mehr viel gemacht. Das kann sich wieder ändern, wenn ich den aktuellen und den letzten Wohnungskauf mal hinter mir habe und damit unsere Finanzen wieder geordnet sind. Falls ich auf diese Sorte Spielereien wieder Lust bekommen sollte, denn natürlich kann es auch sein, daß ich zu viel anderes spannender finde. Zum Beispiel meinen Garten. Morgen gehe ich Johannisbeer- und Stachelbeersträucher kaufen. Und: einen Zwetschgenbaum. Dinge, die auch dann ihren Wert behalten, falls der Aktienmarkt crasht.

Ach, und apropos fahrbarer Untersatz: Hatte ich eigentlich schon erwähnt, daß mein Mann und ich uns Fahrräder gekauft haben? Keine E-Bikes, ganz normale muskelkraftbetriebene Drahtesel.

Donnerstag, 6. März 2025

Schiefgelegte Weltbilder und interessante Zeiten

Mein Gewicht heute früh nach zwei Fastentagen am Montag und Dienstag sowie einem Eßtag gestern und zum Start von zwei weiteren Fastentagen: 75,7 Kilogramm. Eigentlich sollte ich damit am Samstag unter 73 Kilo aufschlagen.

Die vier Fastentage diese Woche hatte ich eigentlich nicht geplant, aber weil ich gestern eine Verabredung mit gefühltem "Kuchenzwang" hatte, wollte ich den gestrigen dritten Fastentag verschieben und fand, eigentlich könnte ich dann auch gleich zur Abwechslung mal wieder zweimal zwei Fastentage machen. Für einmal sollte das gehen, aber dauerhaft würde sich das früheren Erfahrungen nach eher nicht empfehlen. Wie auch immer, mein Stoffwechsel wird überrascht sein, und genau das spricht für diesmal dafür, es so und nicht anders zu machen. Ich war nämlich am Montag zum Beginn des Fastens wieder bei 77,3 Kilogramm, und mein Ziel ist ja zum Beginn des Aprils weniger als 77 Kilo. 

Aber immerhin, 77,3 entsprechen 3,2 Kilogramm minus im Vergleich zum Start der Low-Carb-Phase am 13. Januar nach wiederaufgefüllten Glykogenspeichern mit entsprechend höherem Wasserstand. Für gerade mal sechs Wochen Low Carb ist das als Nettoabnahme weiß Gott gar nicht so übel. Es sind allerdings trotzdem ärgerliche 3,8 Kilogramm, die ich immer noch von meinem Zielgewicht entfernt bin. Mal sehen, vielleicht disponiere ich ja übernächste Woche - anstelle der geplanten zwei Fastentage - ja doch noch auf vier Fastentage um, nur dann eben mal wieder am Stück. Immerhin war es ja doch der März, der jahrelang immer mein bester Abnahmemonat gewesen ist. Falls ich zum 31.3. weniger als 76 Kilo wiegen sollte, mache ich mit den restlichen 2,4 oder weniger Kilos dann gleich im April mit einem knackigen Endspurt kurzen Prozeß. 😡

Die gestrige Verabredung war aber unterhaltsam und ziemlich interessant, also war es jedenfalls gerechtfertigt, mit dem Fasten umzudisponieren. Die Frau, mit der ich mich traf, hatte ich bei einem Büchertauschregal kennengelernt und wir waren uns gleich sympathisch gewesen. Es hat mehrere Anläufe gebraucht, damit es mit einer Verabredung klappte, und nebenbei habe ich nun auch ein nettes Café gefunden, in das es mich bestimmt noch öfter verschlagen wird, ob mit meiner neuen Bekanntschaft, anderen Leuten oder mit meinem Mann - das Bier ist dort nämlich auch gut.

Mit der Frau bin ich in vieler Hinsicht auf einer Wellenlänge, allerdings hat sie weltbildtechnisch eine ziemliche Schlagseite als Nachwirkung der Coronazeit entwickelt, die sie wohl nachhaltig erschüttert hat. Daß sie ihre Auswahl an Nachrichten aus den Quellen bezieht, die von den einschlägigen Social-Media-Accounts vorgefiltert wurden, ergab sich, als ich eine Behauptung, die sie gestern gemacht hatte, heute recherchierte: Der US-Bundesstaat South Dakota sei katastrophenfrei ohne jegliche Corona-Maßnahmen ausgekommen. Davon hatte ich selbst noch nie etwas gehört, und da ich ja ziemlich tief in die Corona-Meldungen eingestiegen bin, war ich darüber einigermaßen erstaunt. Also wollte ich wissen, was da nun eigentlich Sache ist.

Mir fehlten die Zeit und die Lust, mich wie bei mir wichtigen Themen selbst in die Quellen einzuarbeiten, deshalb stattdessen hier diese quick and dirty recherchierte zusammenfassende Analyse. Kürzestfassung:  Es gab in South Dakota sehr wohl Corona-Maßnahmen, etwa Schulschließungen, und zwar keine bundesstaatweite Maskenpflicht, aber sehr wohl wurden Maskenpflichten auf lokaler Ebene eingeführt. Tatsächlich war South Dakota näher betrachtet auch schwerwiegender betroffen als das benachbarte North Dakota - diesen Vergleich hatte meine Bekannte gestern auch unterschlagen. Die Hospitalisierungsrate lag 2020 und 2021 die meiste Zeit erheblich über der von North Dakota, und die Sterberaten überstiegen die des Nachbarstaats ebenfalls nahezu kontinuierlich - aber erst, nachdem North Dakota eine Maskenpflicht einführte.

Mein Bekannte hatte ihre Infos, an deren Richtigkeit sie ganz ehrlich glaubt, also einfach aus dem, was sie für zuverlässige Nachrichtenquellen hielt, erfahren. Sie erwähnte auch, daß sie bis heute täglich stundenlang online aktuelle Themen nachliest. Man braucht wenig Phantasie, um zu erkennen, daß das ebenfalls bis heute alles sogenannte "Alternativmedien" sind. Das kam am Rande zutage, als wir im Gespräch die aktuelle Weltlage streiften und sie - ohne deshalb Trump weniger abstoßend zu finden - eine ausgeprägte Abneigung gegen den ukrainischen Präsidenten Selenski zum Ausdruck brachte. Das ist eigentlich außerhalb von AfD-Kreisen nirgends eine besonders häufige Ansicht. Als ich - ebenfalls nebenbei - einwarf, daß ja, egal, was man von dem Präsidenten des Landes hält, es ja auch nicht akzeptabler macht, dieses Land einfach zu überfallen, wußte sie dagegen nichts einzuwenden. Wir haben die Sache dann nicht weiter vertieft, obwohl es mich schon interessiert hätte, was sie gegen Selenski hat und welche Schlußfolgerunggen sie daraus so zieht. Aber das Risiko, mit ihr in einen sinnlosen Streit zu geraten, war mir doch zu hoch.
 

Im Alltag habe ich sonst mit "solchen" Leuten nicht viel zu tun. Mal sehen, ob wir den Kontakt weiter aufrechterhalten - ich werde das jetzt nicht aktiv vorantreiben, weil ich zum einen so wenig Zeit habe, um Bekanntschaften dieser Art aktiv zu pflegen, und zum anderen ist es natürlich auch ein bißchen anstrengend, ständig im Gespräch auf Verschwörungstheorien gefaßt sein und darauf irgendwie reagieren zu müssen -, aber ich bin offen dafür, falls sie selbst aktiv wird. Es war ja unter dem Strich wirklich ein netter Nachmittag und sie wirkt auf mich auch nicht wie jemand, bei dem Hopfen und Malz ganz verloren ist.

Der Casus knackus waren in ihrem Fall erkennbar die Coronamaßnahmen, und über die unterhielten wir uns auch recht lange. Sie wirkte ziemlich überrascht, als ich ihr zwar in der Kritik an einigen Teilmaßnahmen zustimmte (anderen Kritikpunkten widersprach ich), aber sagte, angesichts der Überrumpelung unserer Regierungsriege, die außerdem nicht gerade mit Genies besetzt war, seien Fehleinschätzungen und daraus abgeleitete falsche oder übertriebene Maßnahmen von vornherein zu erwarten gewesen und meines Erachtens auch verzeihlich, solange man annehmen dürfe, daß der beste Wille bestanden habe, in einer unübersichtlichen Situation das Richtige zu tun. Daß ein Fehler in diesem Bereich etwas anderes als unverzeihlich sein könne, war für sie offensichtlich ein völlig neuer Gedanke.

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Dieser Denkfehler ist allerdings einer, den nicht nur die Opfer von rechtspopulistischer Propaganda machen. Man sollte es deshalb gelegentlich erwähnen, daß der große Vorzug einer Demokratie mit Gewaltenteilung nach dem Rechtsstaatprinzip nicht darin besteht, daß nur Heilige und Genies, vorzugsweise in Personalunion, in verantwortliche politische Positionen kommen. Der große Vorzug eines solchen Systems besteht darin, daß es auch mittelmäßige oder noch mäßigere Charaktere in hohen Ämtern nicht gleich zum Kollabieren bringen und etwaige Fehler im Anschluß repariert werden können. Aber auch kluge Leute in hohen Ämtern, etwa Helmut Schmidt, waren trotzdem fehlbar und haben Fehler gemacht. Manchmal sogar richtig dumme Fehler. Dieser Unfehlbarkeitsanspruch an jeden, der ein politisches Amt hat, ist einer, der den Leuten eingeredet wird, und zwar - natürlich - von den gegnerischen Parteien, aber vor allem von den Medien. Wenn das aber der Anspruch sein soll, müßten wir uns von einer KI-Lösung regieren lassen, was per se eine unmenschliche Regierung bedeuten würde, weil dann der menschliche Faktor fehlen würde, der nicht nur fehlbar macht, sondern auch Ermessensspielräume nach empfundener Angemessenheit in die eine oder die andere Richtung ausschöpft oder kreative Wege aus einem Dilemma zu suchen bereit ist. 

Solange das System stabil bleibt, sind fehlbare Politiker auszuhalten und jeder sollte wissen, daß ihre Fehlbarkeit als solche noch lange nicht gegen sie spricht. Das heißt aber natürlich nicht, daß ihre Fehler nicht angesprochen und, sofern angemessen, auch angeprangert werden sollten. Aber im Falle von Corona war eine so ungewöhnliche neue Situation entstanden, daß man ein paar mehr Fehler als sonst verzeihen können sollte. 

Das kommt freilich nicht nur schiefdenkerischen Populisten unvorstellbar vor, sondern auch wohlmeinenden Verteidigern der Coronamaßnahmen, die damit, daß sie Fehler nicht als Fehler anerkennen, ebenfalls Teil des Problems sind.

Das Grundproblem des Einflusses von populistischen Meinungsmachern, den ich gestern quasi am lebenden Objekt studieren konnte, besteht darin, daß nicht nur alle Parteien, sondern im Prinzip generell alle gesellschaftlichen Kräfte mehr oder weniger populistisch argumentieren. Die Botschaften derjenigen mit medialer Reichweite bekommen, wenn möglich, noch weitere Zuspitzung durch den Sensationalismus verpaßt, der auch die sogenannten Qualitätsmedien in den letzten Jahrzehnten zunehmend beherrscht. Was mir an Robert Habeck so gefiel, obwohl mir das Gebäudeenergiegesetz, das auf sein Konto geht, überhaupt nicht gefallen hat, ist, daß er eine der seltenen Ausnahmen war, die das unter ihrer eigenen wie auch der Würde der von ihm Angesprochenen finden. Genau dieses Kommunikationsverhalten, das ihm wenige so richtig gedankt haben, müßte sich eigentlich überall wieder einbürgern, um überhaupt noch eine Chance gegen die populistischen Halbwahrheiten der anderen Seite zu haben.

Denn tatsächlich verbreiten alle Seiten, die politisch wirksam zu sein versuchen, überwiegend Viertel- und Halb- bis Dreiviertelwahrheiten, aber andererseits genauso selten vollständige Lügen wie vollständige Wahrheiten. Gemeint sind hier auch ausdrücklich keine Irrtümer - irren ist menschlich. Mein Problem besteht darin, daß ich mir häufig sicher bin (und manchmal sogar einen Beweis dafür finde), daß nicht das gesagt wird, was in alten Gerichtsfilmen mit der Formel "Die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit" zusammengefaßt wird. 

Daß das überall salonfähig geworden ist und für normal gehalten wird, bietet die Möglichkeit, sich, wenn einem als Medienkonsument die Botschaft gefällt, an die wahren Teile zu halten und die unwahren zu ignorieren, oder, falls sie einem nicht gefällt, es genau andersherum zu machen. Genau das machen die Leute dann natürlich auch. Am Ende hängt also alles nur noch von den Sympathien für eine Person oder eine von ihr vertretene Sichtweise ab, aber nicht mehr davon, ob die Fakten korrekt, vollständig und zusammenpassend beschrieben wurden, die daraus gezogenen Schlußfolgerungen haltbar und die zugehörigen Lösungsvorschläge erfolgversprechend sind. Genau das hat die aktuell zu diagnostizierende allgemeine gesellschaftliche Glaubwürdigkeitskrise erzeugt, die dazu führt, daß es ein wachsender Teil der Bevölkerung keinen Unterschied mehr zwischen den - leicht erkennbaren - Dreiviertellügen der Populisten und den Halbwahrheiten der anderen wahrnimmt und sich für die Botschaft entscheidet, die ihre Stimmung und ihre selbst vermuteten Interessen besser trifft.

Das ging mir auch deshalb durch den Kopf, weil sich kürzlich alle Welt so sehr über eine sogenannte "Kleine Anfrage" der CDU entrüstete, bei der es um NGOs, also Nichtregierungsorganisationen ging. Die betreiben im Rahmen ihrer Möglichkeiten Lobbyarbeit, genauso, wie das auch Unternehmen tun. Und dabei bedienen sie sich längst auch allesamt professioneller PR mit der zwangsläufigen Folge, daß man es mit der Wahrheit nicht mehr ganz so genau nimmt. Das Unangenehme daran ist, daß diejenigen, die dafür verantwortlich sind, sich wahrscheinlich noch nicht einmal einer Schuld bewußt sind. Es machen ja alle, und vermutlich wird es in den einschlägigen Studiengängen längst auch so als völlig normal gelehrt. Nur, das ist es eben, was dazu führt, daß nahezu jeder schon mal die Erfahrung gemacht hat, daß diese Leute in Bereichen, in denen sie sich auskennen, etwas behauptet haben, was einfach nicht wahr ist. Passiert einem so was öfter, womöglich mit denselben Urhebern, dann braucht sich aber niemand mehr darüber zu wundern, wenn es für so jemanden dann ziemlich glaubwürdig aussieht, wenn jemand anders daherkommt und dieselben Urheber an anderer Stelle auch bei Lügen ertappt haben will.

Die CDU jedenfalls wollte wissen, welche solchen Organisationen staatliche Förderungen bekommen, und nannte dabei einige Organisationen namentlich, nämlich: Omas gegen rechts, Correctiv, Campact, attac, der Amadeu Antonio Stiftung, Peta, Animal Rights Watch, Foodwatch, Dezernat Zukunft, die Deutsche Umwelthilfe, die Agora Agra GmbH, Greenpeace, BUND, Netzwerk Recherche, Neue Deutsche Medienmacher und Delta. An dieser Liste merke ich, daß ich schon seit anderthalb Jahren keine Zeitung mehr lese, denn ein paar davon kannte ich noch gar nicht, etwa Agora Agra oder Delta. Ich glaube aber nicht, daß ich diese Bildungslücke unbedingt schließen muß. ;-)

Die Empörung über die Anfrage jedenfalls erklärt sich sehr plausibel daraus, daß die CDU diese Frage in eigener Sache stellte, weil diese Organisationen sie im Wahlkampf kritisiert und teils auch härter - etwa durch Demos - angegangen waren, weil sich die CDU für ihren Geschmack zu sehr am rechten Rand anzubiedern versuchte. Das wirkt natürlich schon arg larmoyant, vor allem dann, wenn man sowieso die Wahl bereits gewonnen hat. Aber daß Friedrich Merz kein besonders sympathischer Mensch ist, hat man im Grunde ja vorher schon gewußt, also finde ich es nicht weniger larmoyant, sich jetzt über den Umstand so zu entsetzen, daß er nach seinem Sieg - wie soll ich's ausdrücken? Sagen wir: nicht gerade durch staatsmännische Größe glänzt. Bei einer Wahl zwischen Pest und Cholera hielten ihn aber von vornherein mehr seiner Wähler einfach für das kleinere Übel als den Olaf Scholz, und dieses Übel haben wir jetzt halt mit allen Konsequenzen bekommen.

Interessant fand ich es aber auch, daß ausgerechnet zu Correctiv dann in meiner Timeline ein Tweet aufpoppte, das genau das wiedergibt, was ich weiter oben angesprochen hatte, nämlich eine persönliche Erfahrung, die eines der vermeintlich unschuldigen Opfer des schlechten Gewinners CDU in einem weniger positiven Licht erscheinen läßt. Das kam mir spontan auch plausibel genug vor, und ich mache mir jetzt mal nicht die Mühe einer tiefergehenden Recherche mit dem Ziel, mir ein fundiertes Urteil zu bilden, sondern nehme einfach mal an, daß Frau Schumacher-Wulf die Sache korrekt wiedergibt. 

 

Correctiv ist nämlich auch meiner eigenen Erfahrung nach ein reichlich dubioser Laden. Ich war, als sie noch ganz neu waren, bei denen zwei Jahre lang zahlendes Mitglied, und zwar deshalb, weil Correctiv vorspiegelte, ein vielversprechendes neues journalistisches Modell entwickeln zu wollen. Das gefiel mir, weil ich dachte, die mit der schönen neuen Onlinewelt erkennbar überforderte Medienlandschaft brauche dringend neue Ideen, und so etwas zu unterstützten, ob nun rein finanziell oder auch durch aktive Beteiligung, sei auch in meinem eigenen Interesse, da ich mich durch die Medien immer schlechter informiert fühlte. Ich wäre dabei tatsächlich gerne auch über die rein finanzielle Beteiligung hinausgegangen. Nur, dazu gab es dann gar keine Gelegenheiten. 

Nach etwa zwei Jahren Mitgliedschaft, das war 2017, schrieb ich, ziemlich ernüchtert, eine Mail an den Geschäftsführer:


...
Als ich Mitglied wurde, gefiel mir die Vorstellung, selbst aktiv werden zu können, auch wenn mir klar war, dass das nur in beschränktem Umfang möglich sein würde - schließlich habe ich schon einen Beruf, der mich inhaltlich fordert und zeitlich auslastet. Vage hatte ich dabei die Vorstellung eines Online-Diskussionsforums im Kopf [...] Der Anblick der internen Austauschmöglichkeiten bei CORRECTIV, die ungefähr so verlockend sind wie ein zugiges Buswartehäuschen und entsprechend spärlich genutzt werden, hat mich dann natürlich ziemlich schnell wieder auf den Boden der Tatsachen gebracht.

Tatsächlich fand ein Austausch unter Mitgliedern jedenfalls im angeblich dafür vorgesehenen Bereich praktisch nicht statt. Es wurden gelegentlich Offline-Veranstaltungen angeboten, allerdings am anderen Ende der Republik. Keine Ahnung, ob sie wenigstens auch ein Ort des internen Austauschs und der Entwicklung von Projekten gewesen wären, aber ich vermute, eher nicht. Denn "... wer wann an welchem Thema arbeitet, scheint Berufsgeheimnis des jeweiligen Mitglieds zu sein, von dem man erfährt, wenn die Arbeit abgeschlossen und der zugehörige Text publiziert ist", wie ich in meiner Mail feststellte. Eine solche Publikation weckte meine Aufmerksamkeit, weil sie ein Thema betraf, bei dem ich mich ein bißchen auskannte, und weil ich darin in sich widersprüchliche sowie anderen Quellen widersprechende Behauptungen fand, aber auch auf Quellen Bezug genommen wurde, auf die bis dahin noch niemand Zugriff gehabt zu haben schien. Das fand ich spannend, und so schrieb ich die Autoren von Correctiv an, teilte meine Beobachtungen mit und bot an, mich in ihre Recherche mit einzuklinken. Ich war damals noch naiv genug, wenigstens damit zu rechnen, daß die Autoren dankbar dafür sein würden, einen Fehler in ihrem Artikel beseitigen zu können. 

Der Artikel ist online immer noch zugänglich einschließlich der Fehler und Widersprüchlichkeiten. Ich bekam nie eine Antwort. 

"Was genau habe ich eigentlich davon, wenn ich weiter Mitglied bleibe?", wollte ich nun wissen. "Oder ist irgendetwas an der Sache gesellschaftlich so wichtig, dass es auf meinen eigenen Vorteil gar nicht ankommt? Soweit ich das überblicke, geht es nur um solide Reportagen, wie man sie in gleicher Qualität auch bei Spiegel und Stern lesen kann, und auch die Themen sind ein solider Querschnitt [...] Jetzt kam mir aber [...] der Gedanke, Sie einfach mal zu fragen: Warum würden Sie an meiner Stelle Mitglied bleiben wollen? Habe ich einen Grund, damit zu rechnen, dass das irgendwann doch wieder spannend für mich wird, und wenn ja, worin besteht dieser Grund?"

Der Chef von det janze wußte offenbar auch nicht, warum ich Mitglied bleiben wollen sollte, jedenfalls aber hielt er mich keiner Antwort für würdig. Ich kündigte also meine Mitgliedschaft. Eine nichtssagende bedauernde Textbaustein-Nachricht, unter der David Schravens Name stand, bekam ich dann natürlich trotzdem noch. 

Damit war es eigentlich offensichtlich: Ich war mit meiner Unterstützung von Correctiv auf einen Schwindel hereingefallen. Die Mitgliedschaft sollte Correctiv nichts weiter als die Gehälter der dort tätigen jornalistischen Profis in einer Art Anschubfinanzierung sichern, während man sich auf dem journalistischen Markt etablierte, wie das dann ja auch gut gelungen ist. Daß der Rahmen eine gGmbH war, die nicht gewinnorientiert arbeitet, steht dem auch nicht entgegen. Die von Anfang an nicht sonderlich bescheidenen Gehälter des Führungsteams kann man übrigens hier nachlesen. 

Die innovative Idee daran war es also, sich in Krisenzeiten als Journalist ein besseres Arbeitsmodell als die Tätigkeit für die großen Medienhäuser zu sichern. Entgegen allen Behauptungen hatte offenbar nie die Absicht bestanden, die Möglichkeiten der Onlinekommunikation für neue journalistische Wege auszuloten und nutzbar zu machen und dabei, wie man Mitglieder geködert hatte, auch Nichtjournalisten mit einzubeziehen. Die Insider wollten vielmehr von Anfang an unter sich bleiben und weiter genau das machen, was sie gelernt hatten, nur dabei nicht mehr von den Strukturen innerhalb der großen Medienhäuser abhängig sein, was die verfolgten Themen und ihre regelmäßige Bezahlung betrifft. Von Leuten wir mir wollten sie nichts weiter als unser Geld. 

Daran war im Prinzip eigentlich in Zeiten des Crowdfundings ja noch nichts auszusetzen, wäre das nur offen kommuniziert worden. Da stattdessen die Leute mit Lügen geködert wurden, warum sollte ich dann glauben, daß man dort bei der journalistischen Recherche seriöser vorgeht? Tatsächlich fiel mir Correctiv seitdem auch vor allem dadurch auf, daß man dort nicht weniger reißerisch als die BLÖD-Zeitung ist, nur eben mit einer linken bis linksliberalen Zielgruppe, an deren Interessen man auch seine Recherchen inhaltlich ausrichtet. Das aufbereitete Ergebnis muß dann vor allem diesem Zielpublikum gefallen. Etwas anderes als Viertellügen und Halbwahrheiten ist aus dieser Quelle also auch nicht zu erwarten. Denn sachlich zutreffende Informationen enthalten immer ein Spektrum unterschiedlicher Grautöne, nicht etwa Schwarz und Weiß. Und bei Correctiv gibt es eigentlich immer vor allem viel Schwarz und Weiß.

In diesem Zusammenhang fand ich es also interessant, was Frau Schumacher-Wulf mit Correctiv erlebt hat, und daß ihrem Patientenmagazin für Brustkrebspatientinnen kurzerhand unterstellt wurde, es sei pharmafinanziert, womit man sich wohl glaubte, eine inhaltliche Widerlegung sparen zu können, finde ich tatsächlich allerhand. Weltanschaulich mögen sie bei Correctiv vielleicht für links gelten wollen, im Umgang mit Menschen verhalten sie sich aber genauso wie die Springer-Presse. Von ihrer inhaltlichen Beratungsresistenz fange ich lieber gar nicht erst an.

Würde man die unpassende und weinerliche Begründung der CDU-Anfrage weglassen, ist die Frage, in welchem Umfang CORRECTIV mittlerweile - direkt und indirekt - von Staatsgeldern lebt, sehr wohl interessant, und das gilt für andere NGOs ebenfalls. Eine NGO, die beispielsweise zu einem so großen Teil durch Steuergelder finanziert wird, die teils direkt, teils über staatliche Stellen, teils über andere Organsationen hindurchgeschleust werden, daß sie für ihren Fortbestand zwingend auf diese Art der Finanzierung angewiesen ist, wäre das dann aber überhaupt noch eine Nichtregierungsorganisation? Aus dem angelsächsischen Raum ist mir der Begriff "Quango" bekannt. Das steht für "Quasi-non-governmental Organization", also für eine Mogelpackung: Sie tut so, als wäre sie eine Nichtregierungsorganisation, obwohl sie in Wirklichkeit ganz oder überwiegend vom Staat finanziert wird, also keineswegs unabhängig ist. Ihr Job ist es, lautstark für die Umsetzung bestimmter politischer Ziele Propaganda zu machen, damit die Regierung so tun kann, als würde der öffentliche Druck sie dazu nötigen, diese Forderungen zu erfüllen, die sie insgeheim die ganze Zeit selbst verfolgt und durch die Finanzierung von Quangos zu befördern und beschleunigen versucht hatte. Ich kann beim besten Willen nicht einsehen, warum ein gewisses Grundmißtrauen gegenüber dieser Art von insgeheim nicht unabhängigen, aber nach außen Unabhängigkeit vortäuschenden Organisationen als Majestätsbeleidigung gelten sollte. Die Logik, nach der diese Gruppierungen öffentlich Meinungsbildung betreiben, besteht dann ja gerade nicht darin, der Öffentlichkeit ein unvoreingenommenes Urteil zu ermöglichen.

Alleine schon deshalb wäre es an sich ganz gut, die finanziellen Verhältnisse solcher Organisationen transparent zu machen, auch um diejenigen kennenzulernen, die tatsächlich unabhängig sind und aus dem Aufklärungs- und Handlungsinteresse der Öffentlichkeit heraus sich gebildet haben und in diesem Interesse handeln. Daß die CDU es nun zum falschen Zeitpunkt und aus den falschen Gründen fordert, ändert nichts daran, daß es nicht ganz unwichtig wäre, dies zu wissen.

Die bittere Wahrheit lautet nämlich, daß die Schwurbler und Verschwörungstheoretiker und Schiefdenker ihre Phantastereien häufig um einen wie kleinen auch immer, aber jedenfalls wahren Kern herum zusammengesponnen haben, und der wahre Kern ist es, der sie in den Augen vieler - zu vieler - anderer dann auch so glaubwürdig wirken läßt, obwohl sie natürlich erst recht lügen, daß sich die Balken biegen. Dieser Reflex, den Feind des Feindes für seinen Freund zu halten, scheint leider unausrottbar. Vielleicht übertreibe ich ja, wenn ich mir angewöhnt habe, ebenso reflexartig und bis zum Beweis des Gegenteils immer beide Seiten jeder Kontoverse gleichermaßen für meine Feinde zu halten - je undifferenzierter sie argumentieren, desto mehr -, aber vermutlich liege ich damit dennoch weniger weit daneben als der Durchschnitts-AfD-Fan.

Eine weitere unangenehme Wahrheit besteht meines Erachtens darin, daß alle Bemühungen gegen antidemokratische Populisten vermutlich zum Scheitern verurteilt sind, solange man nicht dafür sorgt, daß es diesen wahren Kern in jeder ihrer Lügen nicht mehr gibt, der ihnen zu dieser Glaubwürdigkeit mitverhilft. Dafür bräuchten wir aber vermutlich mehr Robert Habeck und weniger Friedrich Merz. Wie wenig Spaß es gemacht haben muß, in der scheidenden Regierung Robert Habeck zu sein, läßt sich aber erahnen, seit Habeck ankündigte, innerhalb der Grünen keine höheren Ämter mehr wahrnehmen zu wollen. Man mag von ihm halten, was man will, aber leicht hat er sich sein Ministeramt offenbar nicht gemacht. Es ist bestimmt um einiges weniger unbequem, stattdessen Friedrich Merz zu sein. 

***

Soweit die Weltlage das künftig für ihn zulassen wird, also weiter der gewohnte Friedrich Merz zu sein, heißt das. Was mit Donald Trump auf die Welt zukommen würde, war ja von vornherein klar, und ob es tatsächlich bei seehr langen vier Jahren bleiben wird, läßt sich im Moment auch noch nicht seriös voraussagen. Denn Donald Trump selbst ist keinesfalls der Autor der politischen Strategien, in deren Rahmen am Freitag eine Art weltpolitisches Erdbeben ausgelöst wurde. Dazu ist er intellektuell gar nicht in der Lage. Der "kollektive Donald Trump" hinter seiner Präsidentschaft hat aber ein strategisches Interesse daran, die Macht dauerhaft zu gewinnen. Ob die Mittel der amerikanischen Oligarchen dazu ausreichend sind, kann nur die Zeit zeigen, aber jedenfalls ist die Person Donald Trump nur ihr besonders häßliches Gesicht nach außen. Dieses häßliche Gesicht wäre ersetzbar, ohne daß sich an einer veränderten Struktur und autkratischen Steuerung der USA noch etwas ändern muß, wenn sie erst einmal eingerichtet ist.

Aber zurück zum Erdbeben. Über die öffentliche Demütigung des ukrainischen Präsidenten Selenski war ich ironischerweise weniger erschüttert als nahezu jeder, den ich in Politik und Privatleben in den letzten Tagen dazu erlebt habe. Und im Grunde genommen hat für mich diese dick aufgetragen Erschütterung schon etwas Aufgesetztes. War das etwa nicht eines der Dinge, mit denen man bei einem Trump von vornherein rechnen mußte? Man kann darüber entsetzt sein, aber was war daran denn erstaunlich? Wenn man über Donald Trump etwas Positives sagen kann, dann  ist es dies, daß er nie ein Geheimnis daraus gemacht hat, wes Geistes Kind er ist, und seine ersten vier Jahre waren ja auch schon lang genug, daß dies jedem hätte auffallen können. Wer also darüber erstaunt war, der kann die Sache nicht sonderlich genau beobachtet haben. Das aber kann nur für Normal-Medienkonsumenten überhaupt denkbar sein, denn in der höheren Politikriege muß das jeder längst gewußt haben.

Mit dem Bodenschätze-Deal, um dessen Unterzeichnung es am Freitag eigentlich hätte gehen sollen, habe ich mich zugegebenermaßen nicht befaßt, aber die Sache hörte sich für mich auch schon ziemlich fishy an, so als hätte die US-Regierung sich alle Mühe gegeben, aus der Ukraine das Maximum an Vorteilen herauszuschlagen, was ja bei einem Land, das um seine Existenz kämpft, eine Menge Rücksichtslosigkeit beweist. Erinnert sich eigentlich noch jemand an den von allen, die sich für links hielten, auf unzähligen Demos nachgebeteten Slogan "Kein Blut für Öl"? Es hat jahrzehntelange Tradition, den USA bei jedem friedlichen oder unfriedlichen Einsatz in anderen Gegenden der Welt vorzuwerfen, in Wirklichkeit wolle sie sich nur an den Rohstoffen des betreffenden Lands bereichern. Aus irgendeinem Grund ist aber das völlig offene und hemmungslose Sichbereichernwollen an der Ukraine etwas, woran diesmal erstaunlicherweise niemand etwas auszusetzen hat. 

Ich habe mittlerweile, glaube ich, alle denkbaren und undenkbaren Deutungen der Szenen im Oval Office gelesen, weil ich mir ein Urteil bilden wollte, was genau der Auslöser für dieses Spektakel war und was die Folgen davon sein können, und bei aller gebotenen Vorsicht, weil man ja nie hinter die Fassade sehen kann: Es gibt ein paar Gründe dafür, warum ich es für sehr wahrscheinlich halte, daß die Sache inszeniert war. Ein paar dieser Gründe habe ich anderswo gelesen. Ein besonders wichtiges Indiz ist es aber meines Erachtens, daß die berüchtigte Sankt Petersburger Trollarmee nach den allerersten schockierten Solidaritätsadressen mit Selenksi auf Twitter unverzüglich und in Heerstärke in Marsch gesetzt worden ist und jede Solidaritätsbekundung der einschlägig bekannten Twitterer mit Selenski - von Politikern über Experten bis zu Journalisten oder auch Prominente, die die Ukraine unterstützen -  mit gehässigen Angriffen auf diesen Mann überzog. Durch einen glücklichen Zufall habe ich das live mit angesehen und mir fielen sofort die Parallelen zum Aufmarsch der bezahlten Trolle 2014 bei der Krim-Annexion auf. Abgesehen davon, daß es einfach zu viele Teilnehmer mit so einer Meinung waren, um echt sein zu können - auch ohne Strichliste fällt ja auf, daß das die vielfache Zahl an Leuten ist als sonst -, auffällig war auch, daß Begrifflichkeiten und "Argumente" wie damals bei der Krim überhaupt nichts mit dem zu tun hatten, was man von normalen Leuten so hören kann. Was geradezu roboterhaft von unzähligen Kommentaren auf einen einzigen Tweet eines Politikers oder Journalisten oder Experten wieder und wieder auftauchte, waren etwa immer wieder zwei Begriffe, "Bettler" und "Kokser", mit denen der ukrainische Präsident auch von unzähligen deutschsprachigen Accounts wieder und wieder bezeichnet wurde. Das am Freitagabend waren in der deutlichen Mehrheit eindeutig keine echten Meinungsäußerungen, und früher oder später wird sich das, genau wie 2014, bestimmt beweisen lassen. Merkwürdigerweise ist dieser Zusammenhang bislang außer mir aber anscheinend niemandem aufgefallen. 

Wie auch immer, dieser Just-in-Time-Trollaufmarsch spricht ganz deutlich dafür, daß man in Moskau wußte, was bei diesem Termin passieren würde.

Die USA haben also die Seiten gewechselt, unterstützen nun aktiv Rußlands Interessen und die US-Regierung spricht sich mit dem Kreml über ihre Weltpolitik ab. Über die Folgen dieses Seitenwechsels wage ich einstweilen keine Prognose, aber sie müssen nicht zwangsläufig in eine Katastrophe führen. Fest steht, daß die USA nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Europa kein Verbündeter mehr, sondern ein Risikofaktor und schlimmstenfalls ein Gegner sind. Daß Europa seine Verteidigung nunmehr schnellstmöglich von den USA unabhängig machen muß, das stand übrigens auch für meine Bekannte gestern im Café außer Frage. Vielleicht gelingt es sogar. Aber Spaß machen wird es natürlich nicht, irgendwie muß es finanziert werden, und auf wessen Kosten das geschehen wird, ist im Moment noch nicht absehbar, und nach dem ersten Schock wird sich dagegen vermutlich noch, bevor solche Details entscheiden werden, natürlich eine schiefdenkerische Protestbewegung formieren. Damit die nicht das AfD-Wählerpotential noch einmal verdoppelt, kann Donald Trump im Grunde gar nicht übergeschnappt genug auftreten, um denen, die für die Aufrüstung zur Kasse gebeten werden, überzeugend zu demonstrieren, daß die Rüstungsausgaben keinesfalls vermieden werden können. Also bin ich in der kuriosen Lage, mir zu wünschen, daß bloß niemand auf die Idee kommt, ihm Ritalin oder ein starkes Beruhigungsmittel zu verabreichen.

Wir leben also in sogenannten interessanten Zeiten. Ja, mir wäre mehr gepflegte Langeweile eigentlich auch lieber. Aber raussuchen kann man sich so was ja nicht. 

 


Mittwoch, 26. Februar 2025

Unser kleines gallisches Dorf

Mein Gewicht heute früh nach dem ersten von zwei nicht zusammenhängenden Fastentagen diese Woche sowie nach einem Montag, in dem ich in allen Arten von Kohlenhydraten geschwelgt habe (und kein Gramm davon bereue): 74,8 Kilogramm. Gestern früh war es deshalb auf 76,6  hochgeschossen. Ungefähr das Gewicht, das ich Anfang April gerne hätte - ob das klappen wird, wenn ich schon nach einem einzigen Tag so weit hochgebounct bin? Nun ja, wir werden es ja sehen, wo ich nach dem einen dreitägige Fastenintervall nächste Woche stehen werde, das ich für den Monat März geplant habe. Die Ausschläge davor nehme ich noch nicht ganz so ernst.

Obwohl Nichtwähler, mache ich mir auch meine Gedanken zum Wahlergebnis der Bundestagswahl.

Die gute Nachricht lautet: Der nächste Bundeskanzler heißt nicht Olaf Scholz. Die schlechte Nachricht lautet: Er wird Friedrich Merz heißen, und das ist auch nicht viel besser. Mit welchen Partnern Merz regieren wird, ist noch nicht in trockenen Tüchern, höchstwahrscheinlich wird es aber die SPD. Daß die FDP nicht dazu zählen wird, ist eine gute Nachricht. Noch besser gefällt mir, daß Christian Lindner sich nach seinem politischen Amoklauf und dem anschließenden Zerschellen seiner Partei an der Fünfprozenthürde aus der Politik zurückziehen will. Dazu fällt mir darüber hinaus nur noch eines ein: Gute Reise. 

Das Abschneiden der SPD ist verdient schlecht, allerdings bin ich versucht zu sagen: noch längst nicht schlecht genug. Solange sie sich bei ihren Stammwählern nicht für Schröders Verrat entschuldigt hat, ist es längst nicht ausreichend, daß sie sich bemüht hat, dessen praktische Auswirkungen wieder zu beseitigen. 

Die Grünen sind nicht mehr Regierungspartei. Es gab Zeiten, in denen hätte ich darüber frohlockt, aber inzwischen zucke ich nur noch die Achseln, weil es irgendwie keinen großen Unterschied mehr macht. Kurioserweise war außerdem einer von zwei Regierungsmitgliedern der Ampelkoalition, die mir angenehm auffielen, ausgerechnet Robert Habeck. (Der zweite war Boris Pistorius.)

Eine weitere gute Nachricht lautet, daß auch die Rinderwahn-Partei sehr knapp an der Fünfprozenthürde gescheitert ist. Auf den Rückzug dieser gräßlichen Sahra Wagenknecht ins Privatleben, was noch eine gute Nachricht gewesen wäre, müssen wir einstweilen allerdings noch warten. Damit verbunden ist aber noch eine gute Nachricht, nämlich daß der Exodus der Bekloppten innerhalb der Linkspartei in die Arme des galoppierenden Rinderwahns die Linkspartei endlich einigermaßen wählbar gemacht hat. In einem Land, in dem sich die Links/Rechts/Mitte-Parteien aus meiner Jugend nun allesamt in derselben Mitte zusammendrängeln und solche Mühe haben, sich voneinander als unterschiedlich erkennbar zu machen, daß sie ständig irgendwelche Marginalien zu Riesenaufregern aufzublasen genötigt sind, ist es eine gute Nachricht, daß wir nun endlich wieder über eine demokratisch akzeptable Partei mit linken Inhalten verfügen, die die Rolle einnehmen könnte, die früher mal die SPD hatte. Sobald wir den Punkt mal erreicht haben, daß man von der Partei rechts von der CSU dasselbe sagen kann, müßten CDUCSUSPDFDPGrüne fusionieren und die Parteienlandschaft wäre links, rechts und mittig wieder solide aufgestellt. Allerdings kann das noch dauern, bis die AfD - oder eine noch zu gründende andere Partei - diesen Punkt erreichen wird. Bei der Linkspartei, ehemals PDS, noch früher SED, hat es ja auch mehr als drei Jahrzehnte gedauert, bis sie wählbar wurde. 

Wählen werde ich die Linkspartei deswegen aber noch lange nicht, obwohl ich mich von Haus aus und bis zum Schröder-Schock immer im sozialdemokratischen Sinne als links betrachtet habe. Mittlerweile kann ich mich auf der politischen Landkarte aber in keiner weltanschaulichen Richtung mehr wiederfinden. Das liegt womöglich daran, daß Weltanschauungen immer zu irgendwelchen Lebenslügen tendieren und die Teile der Realität ausblenden, die im Widerspruch zu dem stehen, wie sie die Welt gerne haben wollen. Mit so was kann ich mich mit zunehmendem Alter immer weniger anfreunden.

Welche weiteren guten und schlechten Nachrichten sich aus der nun wahrscheinlichsten Regierungskonstellation, nämlich einer Koalition aus CDU und SPD, ergeben werden, kann man nur abwarten. Die wichtigste schlechte Nachricht betrifft aber das große Ganze, denn keiner Partei ist die politische Größe zuzutrauen, nun endlich einmal das Staatswohl als dem Wohl ihrer jeweiligen Partei für übergeordnet zu halten. Und das wäre in Zeiten, in denen der Demokratie ihre Befürwörter am linken und rechten Rand immer schneller wegbröckeln, das, was wir am allerdringendsten brauchen würden. Die Wahl, in der ich das einer der Parteien wieder zutrauen kann, wäre die erste Wahl seit 2017, in der ich meine Stimme wieder abgeben werde. Ich kann versichern, daß ich von dieser Möglichkeit viel lieber Gebrauch machen würde als von einem Erfordernis, deshalb zu wählen, weil andernfalls eine Regierung von Antidemokraten droht. Aber der künftigen Koalition traue ich diese Erkenntnis genausowenig zu wie der scheidenden Ampelkoalition. Sie taugt allenfalls für ein vorläufiges Resümee: Es hätte noch schlimmer kommen können. 

Sicherlich ist es bei jemandem mit so negativer Einstellung zum heutigen politischen Landschaft keine Überraschung, daß ich eher grämlich reagierte, als ich am Tag vor der vorgezogenen Bundestagswahl vor der Bäckerei einen Wahlstand, noch dazu ausgerechnet einen der Grünen, vorfand, an dem mich die aufgesetzt muntere Wahlkämpferin, die ihn besetzte, partout nicht vorbeilassen wollte, ohne mir einen Flyer aufzunötigen. Ich muß es mir wirklich dringend angewöhnen, beim Anblick von Ständen dieser Art, ob von einer politischen Partei oder Greenpeace oder meinetwegen einem Waschmittelproduzenten, unbedingt die Straßenseite zu wechseln. Vor allem, wenn ich es eilig habe. Abgewehrt habe ich den Flyer am Ende doch noch, indem ich mich bemühte, schneller zu laufen, und hinter mich rief, ohne mich umzudrehen, daß sie es vergessen solle, da ich ihre Partei sowieso nicht wählen würde. 

Aber die lästige Grünin bin ich auf diese Weise nicht losgeworden. Sie rief mir erst zwei oder dreimal weiter hinterher, und als ich mich nicht umdrehte, sondern meinen Schritt nur noch einmal beschleunigte, rante sie mir sogar noch nach. "Ich habe gesehen, daß Sie rauchen", sprudelte sie heraus, ohne sich daran zu stören, was ich für ein Gesicht dazu machte, "und da wollte ich Ihnen etwas geben." Sie streckte mir auffordernd ein kleines rundes Döschen, einen Taschenaschenbecher, entgegen, und konnte es gar nicht fassen, als ich sie daraufhin spontan anfauchte, ich hätte von jemandem wie ihr keine pädagogischen Maßnahmen nötig, vielen Dank. Dabei zog ich meinen Schlüsselbund heraus, an dem ich schon seit fast zwanzig Jahren einen Taschenascher hängen habe. Und zwar kein bescheuertes Billig-Werbegeschenk, das einem die Asche bei Nutzung immer gleichmäßig in der Jackentasche verteilt - eines der Dinge, von denen werbegeschenkverteilende Nichtraucher  natürlich keine Ahnung haben -, sondern eine solide Konstruktion, in die erstens was reingeht und die zweitens richtig dicht ist. 

Diesen Ascher verwende ich auch immer, wenn ich im Freien eine Kippe zu entsorgen habe. Das ist angewandte Solidarität einer kehrwochenerprobten ehemaligen Großstadtbewohnerin mit anderen Kehrwöchnern. Von niemandem lasse ich mir implizit unterstellen, als Raucherin würde ich meine Kippen auf die Straße werfen, wie das dieses Werbegeschenk ja mit ausdrückte, und von der Volkserzieher- und Nudger-Partei der Grünen schon gleich gar nicht. Bevor ich anfange, für die Grünen Werbung zu laufen - wie ich das mit so einem Döschen ja täte - müssen außerdem erst noch viele bislang ungeschehene Dinge passieren. Was mich aber am meisten geärgert hat, das war die Dickfelligkeit, mit der sich diese Frau nicht damit zufriedengeben konnte, mich wie von mir erkennbar gewünscht einfach nur in Ruhe meinen samstäglichen Verrichtungen nachgehen zu lassen.

Genau das ist es nämlich, was ich am allermeisten an den Grünen verabscheue, dieser fehlende Respekt vor dem erklärten Willen anderer Leute. Das ist ein Nebenprodukt des missionarischen Eifers, den man entwickelt, wenn man sich hat einreden lassen, man wisse ganz genau, was gut und schlecht, richtig und falsch ist, und aus diesem Wissen heraus dürfe oder gar müsse man unbedingt jeden anderen erleuchten. Schade, daß man bei Wahlen keine Negativstimmen abgeben kann, die der betreffenden Partei eine positive Wählstimme wieder entzieht. So was hätte ich diesmal vielleicht wirklich genutzt. 

***

Die Tagesschau hat in bewegenden Worten eine weitere Verschlimmerung der Wohnungsnot heraufbeschworen. Jetzt weiß ich natürlich nicht, ob meine Stadt womöglich eine andere Entwicklung nimmt als andere Regionen, aber bei uns hatten wir schon wesentlich schlimmere Zeiten, das war der Eindruck, den ich im Dezember beim Vermieten einer ziemlich preisgünstigen Dreizimmerwohnung in angesagtester Lage hatte. Das in Zeiten eines angespannten Wohnungsmarkts so gerne genutzte Instrument, Freunden freiwerdende Wohnungen, von denen man hört, zu vermitteln, noch bevor sie auf dem Markt landen, funktionierte dabei verblüffend schlecht - ein einziger von ca. einem halben Dutzend angeblicher Interessenten im Freundeskreis der Nachbarschaft tauchte überhaupt auf, besah die Wohnung und meldete sich danach einfach nicht mehr. So schlimm kann es da also eigentlich nicht sein mit der Wohnungsnot.

Das Angebot an Mietwohnungen bei Immoscout übersteigt das ebenfalls weiterhin hohe Angebot an Eigentumswohnungen mittlerweile außerdem sehr deutlich, das läßt jedenfalls nicht auf rasante weitere Anstiege der Mieten schließen, obwohl es natürlich richtig ist, daß aktuell weiterhin viele Wohnungen überteuert angeboten werden. Trotzdem nehme ich an, daß die Einkommen in den letzten zwei, drei Jahren stärker gestiegen sind als die Mieten und das weiter anhalten wird. Das Problem (dessen Existenz ich natürlich nicht abstreite) wird sich also weiter verringern. Die Frage, die sich mir stellt: Warum wird die Lage ausgerechnet jetzt, da Anzeichen der Besserung durchaus erkennbar sind, so furchtbar dramatisch dargestellt? Es fällt mir schwer zu glauben, daß da keine Interessen dahinterstecken, die vielleicht ja vor allem Einfluß auf die Koalitionsverhandlungen nehmen möchten. Ob das wieder die Berliner Mietendeckel-Fraktion ist? Berlin ist bezüglich des Wohnungsmarkts aber tatsächlich ein erkennbarer Sonderfall. Noch vor zwanzig Jahren waren die Mieten dort weit unter Durchschnitt und Eigentumswohnungen wurden einem mehr oder weniger nachgeworfen. Der Anstieg der Mieten und Kaufpreise seither war dafür besonders steil. Mein Bruder hat in Berlin vor über zehn Jahren seine Mietwohnung der Vermieterin abgekauft. Heute würde er wohl den dreifachen Preis für sie bezahlen müssen. Aber hätte er schon Anfang der 2000er zugeschlagen - er ließ sich seinerzeit von mir dazu beraten, zog dann aber vorübergehend aus Berlin fort, also wurde die Sache gegenstandslos -, dann hätte er ein vergleichbares Objekt noch für einen Appel und ein Ei bekommen können.

Es gibt in dieser Sache außerdem einen Elefanten im Raum, den alle hartnäckig beschweigen. In zwanzig Jahren wird meine Generation allmählich in zunehmender Zahl auf den Friedhof umziehen, und dann kann es passieren, daß Leerstände von Wohnraum das neue Problem werden, denn wir in den Sechzigern Geborenen sind nun mal größere Geburtsjahrgänge gewesen als alles, was nach dem Pillenknick noch nachkam, und wenn immer weniger von uns Wohnraum in Anspruch nehmen, wird dieser Wohnraum sich rechnerisch auf immer weniger potentielle Bewohner verteilen. Man muß echt kein Einstein sein, um das jetzt schon kommen zu sehen. Auch dafür könnte man jetzt also schon mal anfangen zu planen. Aber wie immer wird man von dieser Entwicklung wohl total überrascht werden, wenn sie eintritt, und ein entsetzliches Gejammer wird anheben. Genauso war es ja auch mit dem Fachkräftemangel, dessen Eintreten man bereits zu Schröders Zeiten leicht vorhersagen konnte und gegen den man gerade damals am besten hätte vorbeugen können. Aber die Unternehmen zogen den schnellen Reibach auf Kosten einer verlorenen Generation von Schulabgängern und Arbeitssuchenden einer vorausschauenden Strategie vor. 

Für mich selbst sehe ich da aber keinen großen Handlungsbedarf. Die Wohnungen, die ich weiter behalten werde, dürften wegen ihrer großstädtischen Lage immer vermietbar bleiben, falls es zu keinem wirtschaftlichen Totalzusammenbruch kommt. Diejenige, die ich jetzt verkauft habe, war unter meinen Eigentumswohnungen die am wenigsten "zukunftssichere", und auch das ist eher relativ zu sehen. Und unser Haus? Es ist schon eines für den etwas spezielleren Geschmack. Ich riskiere aber mal die Behauptung, daß Häuser wie unseres weit weniger von einem künftigen Abriß bedroht sind als diese gesichtslosen in Styropor gepackten Mehrfamilienhaus-Bunker, die in den letzten Jahren in unserer Nachbarschaft andere Häuser, die ähnlich wie das unsere aussahen, ersetzt haben.

Aber wie man den Spagat hinkriegen soll, einerseits jetzt genügend Wohnraum zu schaffen, aber andererseits dafür nicht die Bauruinen von übermorgen dafür aus dem Boden stampfen zu müssen, dazu fällt mir auch keine geniale Lösung ein. Mich irritiert es nur seit Jahrzehnten, daß die Lösungen, die für die Probleme von heute gesucht werden, nie auch nur einen Gedanken an die heraufziehenden Probleme von morgen mitenthalten. Genau deshalb, weil das früher auch schon so gemacht wurde, haben die heutigen Probleme aber solche Ausmaße angenommen.

Ach ja, was genau mit der neuen Regierung nun mit dem Gebäudeenergiegesetz werden wird, bleibt natürlich auch noch abzuwarten. In ihrem Wahlprogramm hatte die CDU ja dessen Abschaffung angekündigt, aber das wird wohl auch nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wurde. Wie auch immer, eine solche Abschaffung würde auf dem Wohnungsmarkt auch zu etwas mehr Entspannung beitragen.

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So, und damit komme ich jetzt endlich auch mal auf das Positive.

Am Wochenende habe ich eine reizende alte Dame kennengelernt, deren Haus auf dem ziemlich weitläufigen Grundstück hinter unserem - gelichteten, aber noch nicht ganz abgeholzten - Bambuswald steht. Über den Winter hat sie darauf verzichtet, sich von Nahem anzuschauen, was sich bei uns auf dem Grundstück so tut, aber jetzt, wo es wärmer wird, kam sie zum Zaun, als sie sah, daß ich dort zugange war. Wir haben eine klassische Über-den-Zaun-Unterhaltung unter Nachbarn geführt und dabei habe ich erfahren, daß unsere Vor-vor-Vorgängerin im Haus die Tante dieser Nachbarin gewesen ist.Die  Tante war mit fünf Geschwistern dort aufgewachsen, wir haben nämlich das Stammhaus der Familie ihres Mannes erworben - ob sie seit der Erbauung 1820 dort gewohnt haben, muß ich aber erst noch herausfinden. 

Wenn man bedenkt, daß wir als Käufer nahezu konkurrenzlos waren, weil dieses Haus für Familien mit Kindern als zu klein gilt! 

Außerdem hat die Nachbarin mir gezeigt, welcher Baum bei uns der Quittenbaum ist, den ich nicht gefunden hatte, und mir empfohlen, ihm baldmöglichst den jahrelang versäumten Baumschnitt verschaffen zu lassen. Das verschiebe ich aber auf den späten Herbst, glaube ich, weil man immer noch nicht gut genug zu ihm durchkommt und sich das Zeitfenster für den Baumschnitt allmählich schließt. Ein halbes Jahr ungeschnitten wird er hoffentlich noch aushalten. Die Nachbarin hat außerdem verheißen, daß ich bei weiterem Bambusabholzen noch auf einen dritten Apfelbaum stoßen werde - mal sehen, ob das stimmt, denn vielleicht ist er ja auch längst vom Efeu erwürgt worden. (Jaja, ich weiß, Efeu soll angeblich ja gar nicht so schlimm sein, wie ihm das viele nachsagen - aber wenn ich so eingeschnürt würde wie manche der Bäume bei uns im Garten vom Efeu, bekäme ich ganz bestimmt Atemnot.) 

Was haben wir doch für einen tollen Garten. Mindestens zwei, möglicherweise drei Apfelbäume, einen Quittenbaum, einen Feigenbaum, und wir haben außerdem, glauben wir, auch schon einen Haselnußstrauch identifiziert. Und nette Nachbarn haben wir tatsächlich hinter jedem Zaun unseres Gartens. Mit dieser speziellen  Nachbarin habe ich mich schon für die jetzt kommenden wärmeren Monate bei passenden Gelegenheiten zu weiteren Schwätzchen am Zaun verabredet und freue mich schon darauf. 

Wir haben hier einen Ort gefunden, der sich vom ersten Tag an wie ein Zuhause angefühlt hat - und zwar mehr und anders als jedes Zuhause, das ich vorher hatte. Wir sind verblüffenderweise Teil einer Gemeinschaft geworden, die uns sofort das Gefühl vermittelt hat, willkommen zu sein. Genau das, was wir in diesen politisch miesen Zeiten gebraucht haben, obwohl wir das, als wir das Haus kauften, gar nicht gewußt haben. Auf das dazu passende Motto: "In a time of poor leadership Community is an act of resistance." bin ich vor ein paar Tagen zufällig gestoßen, und ich finde, darin steckt eine Menge Wahrheit.

In diesem Sinne werden wir miese Regierungen hier, wo wir jetzt sind, wohl besser als in der Stadt aussitzen können. Mein Mann und ich haben offenbar unser kleines gallisches Dorf gefunden. Ob der Trollinger, der hier getrunken wird, auch ein Zaubertrank ist? :-)