Montag, 17. November 2025

Wir teuren Krebspatienten

Mein Gewicht heute früh zu Beginn des dreitägigen Fastenintervalls: 75,4 Kilogramm. Das ist mein niedrigstes Vor-Fasten-Gewicht ever, wenn auch nur knapp. Während des fehlgeschlagenen Endspurts lag zu Beginn des letzten langen Fastenintervalls im April 2024 mein Vorher-Gewicht bei 75,5. Wahrscheinlich hätte es mit vier Fastentagen also geklappt mit einem neuen Tiefstgewicht - aber so isses jetzt halt, daß die Umstände das nicht zulassen. Ich hoffe aber zuversichtlich, daß das abschließende lange Fastenintervall in der ersten Dezemberwoche im Anschluß an die Low-Carb-Phase es mir endlich beschert. Immerhin, mein heutiges Gewicht liegt 3,8 Kilogramm unter dem, mit dem ich vor fünf Wochen  in Low Carb gestartet bin. Das dürfte etwa zur Hälfte Wasser sein. Der Rest müßte echte Gewichtsabnahme sein - die ich im übrigen um den Bauch herum im Spiegel auch sehen kann. Bei knapp 400 Gramm durchschnittlicher "echter" Abnahme pro Woche Low Carb könnte zum Ende der ersten Dezemberwoche bei mir eine Netto-Abnahme von drei Kilo herausgesprungen sein und ich könnte dann damit rechnen, trotz der wasserbedingten Wiederzunahme, wenn die Kohlenhydrate wieder fließen, Mitte Januar mit unter 77 Kilogramm wieder in Low Carb reinzugehen. 

Falls das klappen sollte, könnte ich Anfang März wohl wirklich bei meinem Zielgewicht ankommen. Falls ich es doch verpassen sollte, wird das aber in jedem Fall knapp genug sein, daß ich mich vielleicht ja doch noch zu einer neuen Endspurt-Variante hinreißen lasse, über deren genaue Ausgestaltung ich mir aber erst dann Gedanken mache, falls sich abzeichnet, daß das spruchreif werden könnte. 

Es bleibt spannend, denn es ist auch möglich, daß sich meine Abnahme zum Schluß von LC hin doch wieder verlangsamt - das habe ich auch schon gehabt.  

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Über die Entdeckung, daß mRNA-Coronaimpfungen die Wirkung von Immuntherapien bei Krebs verbessern, schrieb ich neulich schon, aber das begeisterte Interview im Scientific American reiche ich als Nachklapp jetzt auch noch nach, obwohl mir keine wirklich neuen Aspekte der Sache darin aufgefallen sind. Merkwürdig finde ich es allenfalls, daß die Publikumsmedien sich über diese Sache nicht viel heftiger überschlagen; es wird zwar darüber berichtet, aber eigentlich hätte das BILD tagelang als Titelschlagzeile bringen müssen. Tatsächlich ist es ja so, daß diese Sache keineswegs darauf beschränkt werden muß, einfach nur die Coronaimpfung zum Bestandteil der Krebsbehandlung zu machen, da tun sich eine Menge Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und Optimierung auf. Was mich besonders interessieren würde, ist, ob die Kombination Immuntherapie plus mRNA-Impfung Immuntherapien auch bei Krebsarten auf einmal wirksam machen würde, bei denen sie sich bislang nicht bewährt hat.  

Immuntherapien haben den einen Haken, daß sie so verflixt teuer sind, und je neuer sie sind, desto teurer. Fünfmal Pertuzumab hat bei mir die Krankenkasse mehr gekostet als das Trastuzumab für ein komplettes Jahr - einer der Gründe, warum ich ganz froh bin, daß meine pathologische Komplettremission es unnötig machte, auch Pertuzumab ein volles Jahr lang alle drei Wochen zu verabreichen. (Der zweite Grund bestand natürlich darin, daß ich keineswegs scharf darauf war, ein komplettes Jahr lang alle drei Wochen ein paar Tage mörderische Verstopfung und anschließenden explosionsartigen Durchfall zu genießen. Auch wenn ich damit erforderlichenfalls hätte umgehen können.) 

Daß das teuer ist, ist auch dem dafür eigentlich gar nicht zuständigen Drogenbeauftragten der Bundesregierung aufgefallen, der meinte, bei einer Talksendung der Welt dazu öffentlich seine Meinung äußern zu müssen, womit er sich prompt nicht nur einen Shitstorm, sondern auch, schon ungewöhnlicher, eine Klatsche der Gesundheitsministerin eingehandelt hat. Immuntherapien hat Hendrik Streeck dabei zwar nicht explizit erwähnt, aber  er erwähnte die Lungenkrebserkrankung seines Vaters. Hier mal der genaue Wortlaut:  „Es wurde in den letzten Wochen, wo er gestorben ist, so viel Geld ausgegeben. Und es hat nichts gebracht. Es wurden die neuesten Therapien aufgefahren. Es hat nichts gebracht. Und er hat mehr dort ausgegeben als je in seinem ganzen Leben im Gesundheitswesen“

Für mich klingt das schon nach irgendeiner Form von Immuntherapie, die bei Lungenkrebs auch zu den möglichen Behandlungsarten gehört.  

Aber was für eine merkwürdige Formulierung. Als ob es sein Vater gewesen wäre, der über die Art der Behandlung und deren Kostspieligkeit irgendetwas zu bestimmen gehabt hätte. Eigenartig kommt es mir auch vor, daß Streeck so betont, die teure Behandlung habe nichts gebracht. Begründet hat er das nämlich nicht, und bei Lungenkrebs und einigen anderen Krebsarten, die für gewöhnlich erst in fortgeschrittenem Stadium entdeckt werden, ist die Tatsache, daß Prof. Ulrich Streeck in der Tat schließlich verstarb, noch kein Beleg dafür, daß die Behandlung wirklich nichts gebracht hatte. In solchen Fällen wird ja nicht auf Heilung abgezielt, sondern auf Lebensverlängerung, idealerweise in Kombination mit einer bestmöglichen Lebensqualität für die noch verbleibende Lebenszeit. Auch die Erkenntnisse über den Nutzen der Coronaimpfung bei fortgeschrittenen Lungenkrebserkrankungen bedeuten nicht, daß von diesen Patienten niemand gestorben ist. Tatsächlich lebte nach  40 Monaten nur noch etwa die Hälfte der Patienten - aber von den nicht geimpften waren während dieses Zeitraums deutlich mehr gestorben. Für wen war die Sache also aus der Sicht von Streeck als Erfolg zu werten gewesen? Nur für diejenigen, die nach dreieinhalb Jahren immer noch lebten? Oder auch für diejenigen unter den Verstorbenen, die länger lebten, als es ihre behandelnden Ärzte eigentlich erwartet hatten? Und da es bestimmt auch erfolglose Patienten gegeben hat, deren ursprüngliche Prognose zur weiteren Lebenszeit nicht überschritten wurde, spricht das dann aus seiner Sicht dafür, daß man es gleich hätte bleiben lassen sollen?

Was genau hat Streeck mit "Es hat nichts gebracht" also gemeint? Ich bin nicht bereit, mich zu bemühen, Streecks Gedanken zu lesen, sondern kann nur auf Basis dessen zu urteilen versuchen, was er tatsächlich gesagt hat, und das kann man nachlesen und nachhören und sogar sehen, was für ein Gesicht er dazu gemacht hat. Werner Bartens, den ich eigentlich schätze, fand hingegen zu meinem diesmaligen Mißvergnügen, er müsse diese Aussagen interpretieren, und zwar so, wie er selbst sie für gut und richtig und ethisch nicht nur akzeptabel, sondern sogar für geboten halten würde. Und was er sagte, hatten im Prinzip Hand und Fuß. Todkranke mit kaum noch vorhandenen Aussichten auf ein Überleben sollte man nicht noch mit Chemotherapien strapazieren, sofern - und hier kommt mein großes Aber -, sofern sie selbst das nicht haben wollen. Das wiederum ist aber unabhängig vom Alter. Es gibt Leute, die haben solche Angst vor dem Tod, daß sie in jedem Alter alles täten, um nur so viel Lebenszeit wie möglich herauszuschlagen, und es gibt Leute, die wollen zusätzliche Lebenstage nicht um jeden Preis, auch nicht mit fünfzig oder sechzig. Beides muß meiner Meinung nach in gleicher Weise respektiert werden. Das ist es, was aus meiner Sicht ethisch tatsächlich geboten ist - und sich nicht etwa über Fünfundfünfzigjährige echauffieren, die eine Chemotherapie verweigern (etwa, weil sie sie im Familienkreis schon miterlebt haben, was da auf sie zukäme, und es für ein Schicksal halten, das schlimmer ist als der Tod), aber Fünfundachtzigjährigen subtil oder ausdrücklich vermitteln, daß sie unsolidarisch seien, würden sie von der Solidargemeinschaft verlangen, ihnen eine so teure Behandlung zu bezahlen, die ihnen "sowieso nichts bringen" werde. 

Mir wird hier zu wenig aus dem Blickwinkel des Krebspatienten gedacht. Auch bei Bartens kommt mir das zu kurz. Daran ist schlecht, daß jedes Instrument, das eigentlich der Selbstbestimmung der Patienten nützen soll, irgendwie in einen Bumerang verwandelt werden kann. Es ist schon ein paar Wochen her, daß ich zum Beispiel das erste Mal von einem Fall las, in dem eine ältere Person zu einem assistierten Suizid gedrängt werden sollte, den sie eigentlich gar nicht gewollt hatte - ich suche den Artikel jetzt aber nicht, denn mir war von Anfang an klar, daß dies passieren würde. So etwas läuft nicht immer so ab, wie man das spontan denkt, daß also irgendwelche habgierigen Erben in spe dabei in Aktion sind. Und nicht zuletzt kann man dieselbe Sache auch mit subtileren Mitteln erreichen. Alleine die Debatte, die Streeck hier angestoßen hat, ist für jemanden, der alt ist und gerade eine Krebsdiagnose bekommen hat und entsprechend demoralisiert ist, womöglich keine Angehörigen hat oder in einem Pflegeheim von überlasteten Pflegekräften mehr schlecht als recht betreut wird, vielleicht ein Grund, seinem Leben ein Ende setzen zu wollen, um bloß niemandem mit seiner teuren Krankheit noch mehr als durch seine bloße Existenz zur Last zu fallen. 

Unsere Gesellschaft sollte sich vielleicht einmal darüber klar werden, ob sie es wirklich will, daß wir alle so alt wie möglich werden wollen. Und niemand scheint es zu interessieren, was das eigentlich mit den davon Betroffenen macht, wenn man ihnen ständig auf die eine oder andere Weise vermittelt, daß auf ihre Existenz eigentlich leicht verzichtet werden könnte. Mich erinnert das übrigens an den älteren Herrn aus meiner Nachbarschaft. Womöglich besteht das ganze Geheimnis, daß er mit 94 Jahren noch so bewundernswert körperlich und geistig so fit ist, ja darin, daß niemand hier am Ort sich vorstellen könnte, auf ihn, sein Wissen und seine Erfahrung verzichten zu können und sein Rat von vielen, auch von mir, gesucht wird. 

So, wie Bartens ihn verstanden haben will, hat Streeck das jedenfalls nicht gesagt. Auch nicht in dem Beitrag, den er in mehreren Medien nachgeschoben hat, und dabei seine Vorstellungen etwas zu präzisieren versuchte. Es ist schon eigenartig, daß der Blickwinkel des Patienten in seinem Szenario, über dessen Würde er gleichzeitig gar nicht genug zu schwadronieren hat, auch hier gar nicht vorkommt. Hatte denn sein Vater gar keine eigene Meinung über die Behandlung, der er zugestimmt hatte? Das hätte mich vielleicht ja etwas weniger unversöhnlich gemacht, wenn ich spätestens aus Streecks zweiten Text ein Gefühl dafür bekommen hätte, wie es seinem Vater mit dieser Behandlungsentscheidung ging - ob er sie beispielsweise ab irgendeinem Punkt bereute und es rückblickend anders entschieden hätte. Ob er unterschätzt hatte, wie schlecht es ihm mit der Therapie gehen würde, und ob er vielleicht die möglicherweise zu gewinnende Lebenszeit nun doch zu teuer erkauft fand. All das sind ja legitime Erwägungen, und wenn man bei Krebs einmal entschieden hat, es so oder umgekehrt zu machen, führt kein Weg wieder zurück an den Ausgangspunkt, um die Sache doch noch andersherum anzugehen. Ob Hendrik Streeck irgendetwas anders als sein Vater gemacht hätte, finde ich ziemlich uninteressant, falls das nichts mit dem zu tun hat, was sein Vater zu seiner Behandlung meinte. 

Gerade bei Krebsbehandlungen sehe ich, wenn der Patient sie haben möchte, aber einen sehr wichtigen Grund, warum neue und teure Therapien durchaus auch dann einen Sinn haben, wenn sie den meisten Patienten am Ende doch nicht geholfen haben. Neue Behandlungsmethoden entwickeln sich nämlich auch durch ihren praktischen Einsatz. Eine Unzahl erfolgloser und dabei extrem teurer Behandlungen etwa mittels Immuntherapien ist auch deshalb geschehen, weil sie bei HER2-positiven Brustkrebs und, wenn ich das richtig im Kopf habe, auch beim Melanom ein solcher Gamechanger gewesen sind. Daß sie bei einigen anderen Krebsarten weit weniger und bei zahlreichen einzelnen Patienten "gar nichts gebracht" (und trotzdem ein Heidengeld gekostet) haben, hat jedenfalls die Erkenntnis gebracht, daß man bei dieser Art von Krebs leider weiter suchen muß, um für sie auch einen Gamechanger zu finden. Auf diese Weise werden die Behandlungen nach und nach zielgerichteter, der Anteil der Patienten, bei denen sie "gar nichts geabracht" haben, reduziert sich dadurch. Aber natürlich, sogar bei meiner Behandlung, die bei mir so erfolgreich war und bei den meisten erfolgreich ist, gibt es eine Minderheit von Patientinnen, bei denen sie auch "gar nichts gebracht" haben. 

So alt war Streecks verstorbener Vater übrigens noch gar nicht, daß er für die Behandlung von über 90jährigen oder über 100jährigen, von denen bei Streeck ansonsten die Rede ist, ein geeignetes Beispiel wäre. 78 ist heute ja kein Alter mehr. 60 Prozent seiner Jahrgangsgenossen haben ihn überlebt. 

Ulrich Streeck war übrigens Professor und deshalb höchstwahrscheinlich privat versichert. Seine Behandlung kostete die Solidargemeinschaft nichts. Das heißt freilich nicht, daß nicht die Allgemeinheit zur Finanzierung dieser Kosten beigetragen hätte: Der Steuerzahler beglich die Hälfe der Kosten, die von der Beihilfe für Beamte übernommen wird. Die anderen 50 Prozent bezahlte eine gewinnorientiert arbeitende private Versicherung. 

Auch wenn es nur die Hälfte ist, schon 50 Prozent von Pertuzumab bedeuten eine SEHR teure Behandlung, und es gibt garantiert noch neuere -mabs, für die die Kosten noch exorbitanter sind. Außerdem sind ja nicht nur Beamte privat krankenversichert, sondern auch die Mehrheit der Selbständigen (ich gehöre der Minderheit der gesetzlich Versicherten an), und bei denen geht es um 100 Prozent der Kosten. Hinzu kommt außerdem noch, daß jedenfalls Beamte eine überdurchschnittliche Lebenserwartung haben, also mutmaßlich auch häufiger in hohem Alter an Krebs erkranken. Wie kommt das dann eigentlich, daß private Krankenversicherungen imstande sind, das, was Streeck bei älteren Patienten in der gesetzlichen Krankenversicherung viel zu teuer findet, kostendeckend in ihren Tarifen unterzubringen? Das gilt noch mehr, weil private Krankenversicherungen ja traditionell in den meisten Bereichen großzügiger sind als die Gesetzlichen, was die Übernahme von Kosten betrifft. Warum das, was die privaten Versicherungen bei viel großzügigerer Kostenübernahme schaffen, der gesetzlichen nicht auch möglich sein soll, leuchtet mir nicht ein. 

Ich bin immer dafür, ein bestehendes System, das zu teuer wird, erst einmal daraufhin abzuklopfen, ob es möglich ist, es gleichzeitig billiger UND besser zu machen, und ich möchte wetten, das wäre im Gesundheitssystem möglich. 

Speziell bei Immuntherapien hätte ich beispielsweise auch einen eigenen Sparvorschlag zu machen. Man könnte nämlich dafür sorgen, daß sich die Apotheken, die die Infusionen herstellen - das sind nicht allzu viele bundesweit -, sich nicht daran eine goldene Nase verdienen können, indem sie für die Herstellung einer einzigen Infusionslösung mehrere hundert Euro, manchmal sogar mehr als 1000 Euro aufschlagen - eine Tätigkeit, die angeblich nur wenige Minuten dauern soll. Ich sehe überhaupt keinen Grund dafür, warum die Solidargemeinschaft diese Apotheken so begünstigen müssen sollte - im Zweifelsfall, falls es zu schwierig erscheint, dieser Selbstbereicherung  einen Riegel vorzuschieben, würde ich empfehlen, dass die Krankenkassen selbst Apotheken eröffnen, um diese Tätigkeit kostengünstiger vornehmen zu lassen. 

Daneben habe ich noch einen zweiten, allgemeineren Sparvorschlag für den solche Apotheken ebenfalls genutzt werden könnten: den Umgang mit Medikamenten, die von Patienten nicht (mehr) benötigt werden - sofern noch verpackt und mit einem ausreichend langen Mindesthaltbarkeitsdatum versehen. Nach aktuellem Recht ist es unmöglich, solche Medikamente wieder einer sinnvollen Verwendung zuzuführen, sie können nur noch weggeworfen werden. Der Casus knacksus ist nämlich, daß nach geltendem Arzneimittelrecht in so einem Fall erneut eine Apotheke dazwischengeschaltet sein müßte. Es hat aber niemand sonderliche Lust, so etwas zu organisieren. Dabei werden gerade chronisch Kranke - Herz-Kreislauf, Diabetes und solche Dinge - mit Unmengen von Medikamenten zugeschüttet, bei denen sich die Zusammensetzung des Cocktails immer wieder ändern kann, um die am wenigsten nebenwirkungsträchtige Kombination auf der Trial-and-error-Weg herauszufinden. Dabei verwandeln sich via Ausgabe in der Apotheke eine Menge teurer Präparate in kostspieligen Abfall, weil nur der Patient, der das Medikament bekommen hat, es nun noch einnehmen darf. 

Wie wäre es also analog zum Umgang mit Batterien mit einer Rücknahmepflicht für übriggebliebene Medikamente für Ärzte durch ihre eigenen Patienten bzw. im Falle ihres Todes durch deren Angehörige? Das hätte nebenbei auch eine disziplinierende Wirkung, was die Verschreibungsmengen und -häufigkeiten betrifft, denn speziell bei meinem Schwager war ich schockiert über die Unmengen alleine jedes aktuell von ihm noch verwendeten Präparats, die er herumliegen hatte. Von denen, die ihm nicht mehr verschrieben wurden, ganz zu schweigen. Eine Rücknahmepflicht würde solche Mengen gar nicht erst auflaufen lassen, wenn er es beim Arztbesuch einfach mitbringen und dalassen könnte. Wie es weitergingen: Alles, was abgelaufen ist, und angebrochene Blister --> unbesehen in die Tonne. Über die weitere Verwendung oder Nichtverwendung des Rests müßte dann die Apotheke entscheiden, der diese Aufgabe übertragen wird. Wenn man also krankenkasseneigene Apotheken hätte, die sich um die Herstellung von Infusionen kümmern, könnte man auch dies zu ihrer Aufgabe machen. 

Ich bin jederzeit dafür, im Gesundheitswesen weitere Sparmöglichkeiten zu suchen, und der aus meiner Sicht wichtigste wäre natürlich die zu erwartende Einsparwirkung durch die längst überfällige unvoreingenommene Herangehensweise an eine Überprüfung der Wirkung von Fasten und ketogener Ernährung auf den Stoffwechsel als Grundlage für die Behandlung von Adipositas und die Vermeidung der daraus resultierenden Folgeerkrankungen, aber auch als möglicher Baustein in der Krebsbehandlung. Aber dazu habe ich schon alles geschrieben, was ich jetzt nochmal sagen könnte. Und da mir klar ist, daß damit in absehbarer Zeit nicht gerechnet werden kann, wäre meine Empfehlung bis dahin, bei den systembedingten Verschwendungen anzufangen. 

Dazu gehören würde neben beiden obigen Beispielen m. E. auch eine kritische Analyse der Verschwendungen, die sich durch die Gewinnorientierung von Krankenhäusern für die Krankenkassen ergeben. Denn natürlich erzeugen die finanziellen Zwänge in Kliniken auch einen Druck, möglichst teure Behandlungen vorzunehmen - hier gibt es nun doch Überschneidungen zu den Einlassungen von Streeck und Bartens, sieht man einmal davon ab, daß ich darauf bestehen würde, den Patienten und seinen Willen ins Zentrum zu stellen, und nicht das einzusparende Geld, das sich aber dennoch als Nebeneffekt daraus ergeben würde. 

Garantiert gibt es noch eine Unzahl an vergleichbaren Fehlsteuerungen. Also Dinge, für die das Geld der Krankenkassen ausgegeben wird, obwohl es dem Gesundheitssystem gar nichts nützt - und den Patienten genausowenig. Die Frage ist, warum diese Faktoren so unbeachtet bleiben. Die Milliardenverschwendung beim Maskendeal durch den damaligen Gesundheitsminister Spahn etwa scheint man ja bereitwillig hinnehmen zu wollen. Womöglich ja deshalb, weil bei allen Verschwendungen, deren Eliminierung für keinen Patienten Kürzungen erforderlich machen würden, immer irgendwer profitiert, der gerne weiter profitieren möchte. Auch an Spahns Masken-Milliardengrab ist das eigentlich Ärgerliche, daß er persönlichen Freunden und Bekannten Aufträge zugeschanzt zu haben scheint. Daß es bei einer dermaßen mit der heißen Nadel gestrickten Vorgehen, wie es bei einer akuten Bedrohung wie Corona nun einmal unvermeidbar war, auch zu Patzern mit erheblichen finanziellen Folgen kommen würde, damit war von Anfang an zu rechnen, und das würde ich Spahn noch nicht einmal übelnehmen. Aber wohin die Gelder flossen, darüber sollte er eigentlich schon Rede und Antwort stehen müssen. 

Vielleicht würde er es ja plausibel erklären können. Aber da man offenbar nicht einmal gewillt ist, diese Erklärungen einzuholen, interessiert es offenbar in der Bundesregierung niemanden. Auch den Sparfuchs Hendrik Streeck scheint es nicht zu interessieren. 

Natürlich könnte man aber auch an der Einnahmenseite des Gesundheitssystems das eine oder andere verbessern. Ich habe zum Beispiel noch nie eine nachvollziehbare Erklärung für die Beitragsbemessungsgrenze gehört. Aber auch in diesem Punkt scheint etwas anderes als das Anheben der Beitragsbemessungsgrenze bis auf weiteres nicht zu erwarten zu sein. 

Aber dieses Faß mache ich heute besser nicht auch noch auf. :-) 

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Friedrich Merz ist 70 geworden. Ist seine Amtsführung nicht der lebende Beweis dafür, daß das Renteneintrittsalter keinesfalls noch weiter in Richtung dieses Alters geschoben werden sollte? Genauso, wie die Katherina mit dem falschen e in der Mitte, Ex-EoN-Tochterunternehmen-Geschäftsführerin, für mich der Beweis dafür ist, daß Frauenquoten auch für'n Arsch sind. Wie man sieht, nichts ist so schlecht, daß es nicht für irgendwas gut wäre, und sei es als schlechtes Beispiel. 

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Die Discounter senken ja gerade die Preise für Butter und Milch bzw. Milchprodukte. Eine gute Nachricht für diejenigen, die diese Preise nur schwer bezahlen können; für mich ist es aber nur noch am Rande interessant, weil ich bei der Butter bleiben werde, die ich im Hofladen bekomme und die von einem regionalen Hersteller stammt, auch wenn der Preisabstand - der zeitweise recht niedrig war - nun doch wieder groß geworden ist. Auch Milch und Creme fraiche brauche ich nicht vom Discounter. Das einzige, was an den dortigen Milchprodukten für mich immer noch interessant ist, sind Mascarpone und der griechische Joghurt (den Joghurt des Hofladens mag ich nicht so, weil er mir zu fettarm ist), und die paar Cent hin oder her, um die es dabei geht, finde ich jetzt nicht gerade weltbewegend. 

Bei den aktuellen Butterpreisen würde man mit Pellkartoffeln mit Butter und Salz - als Kind habe ich das heiß geliebt - deutlich billiger wegkommen, als wenn man, wie ich das gerne mache, Kräuter-Creme-fraiche dazu ißt. Da auch die Kartoffelpreise dieses Jahr wieder in normalere Regionen gelangt sind, bekäme man das klassische "beste Armeleuteessen der Welt" jedenfalls bei Netto (bei anderen Discountern habe ich nicht nachgesehen, was sie für Kartoffeln verlangen) mittlerweile wirklich wieder für deutlich weniger als einen Euro für ein Kilo Pellkartoffeln inklusive Butter. Ich glaube aber, ich bleibe lieber doch bei den teureren Kartoffeln vom Hofladen und bei der dort erhältlichen Creme fraiche. Nur die Kräuter kosten mich nichts, sie sind aus meinem Garten. 


 

Freitag, 7. November 2025

Was Lottospieler mit Impfverweigerern verbindet

Mein Gewicht heute früh: 71,8 Kilogramm. 700 Gramm vom Allzeit-Tiefstgewicht entfernt - und 1,1 Kilogramm weniger als vor zwei Wochen, als ich so enttäuscht über mein Endgewicht war. Ich bin mit meinem Scherzkeks von Stoffwechsel, der mich gerne mal mit unverhersehbaren Gewichtsentwicklungen ärgert, also jetzt wieder versöhnt. Leider werde ich in zwei Wochen nach dem nächsten langen Fastenintervall trotzdem nicht mit einem neuen Tiefstgewicht rechnen können, denn ich muß mich dann auf drei Fastentage beschränken, weil ich am eigentlich vorgesehenen vierten Fastentag zu einer Beerdigung muß, und da möchte ich mich nicht ausschließen, wenn, wie zu erwarten, die Teilnehmer noch zu Speis und Trank eingeladen werden. Ich könnte mich sowieso nicht einfach heimbegeben, da ich auf meine Schwester als Chauffeur angewiesen bin, weil der Ort mit öffentlichen Verkehrsmittel zu kompliziert zu erreichen ist. Aber ich würde das auch nicht wollen, es käme mir respektlos vor.  

Mal sehen, vielleicht faste ich dafür am Freitag noch einen diesmal nicht verbundenen vierten Tag, aber das entscheide ich dann live. Das neue Tiefstgewicht, hoffe ich jedenfalls, wird dann in der ersten Dezemberwoche fällig, wenn ich im Anschluß an die LC-Phase noch ein weiteres langes Fastenintervall anhängen werde. Es sei denn natürlich, das Leben funkt mir auf irgendeine weitere unverhersehbare Weise dazwischen. 

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Vor ein paar Tagen las ich den Rant einer Me/CFS-Patientin über ihre desillusionierenden Erfahrungen mit Ärzten. Wie sie etwa gerade wegen ihrer hohen Kooperationsbereitschaft und ihrer vorauseilenden Bereitwilligkeit, mit einem Krankheitsbild, bei dem auch Ärzten vieles unklar sein mußte, so präzise wie möglich ihre Beschwerden zu beschreiben, bei ihnen wieder und wieder gegen die Wand lief und signalisiert bekam, wie lästig man das fand. Wie die Ärzte gänzlich uninteressiert daran waren, sich mit dem auseinanderzusetzen, das von ihren gewohnten Erfahrungen mit Patienten abwich. Bei einer Krankheit, die den Patienten ohnehin stark schwächt, ist das besonders frustrierend, und entsprechend frustriert war diese Patientin. Leider finde ich den Thread nicht mehr, sonst hätte ich ihn verlinkt. 

Aber tatsächlich ist das für viele ME/CFS-Patienten grauer Alltag, also findet man nahezu überall, wo Betroffene über diese Krankheit erzählen, Klagen über Desinteresse und unangemessene Therapievorstellungen der behandelnden Ärzte, vor allem dann, wenn sie die Erkrankung für psychosomatisch halten, was halt einfach nicht stimmt. Nicht wenige waren anfangs außerdem compliant und haben diese Verschlimmerung am eigenen Leibe durchgemacht. Sie wissen deshalb also etwas, das ihr Arzt auch wissen wollen müßte. Nur, es interessiert die meisten halt nicht. Das ist etwas, was sich Leute nicht vorstellen können, die es bislang noch nie erlebt haben, etwa, weil sie bislang nur Allerweltskrankheiten wie Grippe oder vielleicht mal einen Beinbruch zu beklagen hatten. Tatsächlich sind solche Erfahrungen nämlich gar nichts so Besonderes, es hat nur in diesem Fall überdurchschnittlich schlimme Auswirkungen. Ärzte haben bei allen Krankheitsbildern eher selten ein Interesse daran, von ihren Patienten etwas zu lernen, deshalb ist es immer ein glücklicher Umstand, wenn man mit einem Gesundheitsproblem vor dem Arzt steht, mit dem er bereits vertraut ist und für das er bewährte und erfolgversprechende Behandlungsstrategien hat. 

Im gesamten Bereich der sogenannten "lebensstilverursachten" Krankheiten bewegt sich die Medizin aber beispielsweise auf dem dünnen Eis einer wissenschaftlichen Grundlage, bei der die angeblich gesicherten Ursachen der Erkranung in Wirklichkeit unzureichend verstanden sind, mit der Folge, daß nicht nur wahrscheinliche oder mögliche Irrtümer auch die Therapien durchziehen, sondern auch immer wieder frühere ärztliche Empfehlungen für Patienten wieder zurückgenommen werden müssen. Eier sollte man etwa noch vor zwei Jahrzehnten bei hohem Cholesterinwert möglichst wenige verzehren. Heute rät einem das keiner mehr. Fleisch und tierisches Fett ist mittlerweile eher der Sündenbock. Ob das Nahrungscholesterin das Blutcholesterin aber überhaupt beeinflußt, wird in Fachkreisen seit längerem angezweifelt. Das Problem im Bereich dieser Art von Erkrankungen besteht darin, daß alle Empfehlungen zwar "wissenschaftlich begründet" sind, aber die Wissenschaft die genauen Abläufe und Mechanismen bei der Entstehung der Krankheit gar nicht nachvollziehen kann. Da werden dann aus Beobachtungsdaten, aus denen sich Risikofaktoren zu ergebenscheinen, oft gar zu weitgehende Schlußfolgerungen gezogen. 

Ziemlich sicher bin ich mir, daß es auf diesen gesamten Krankheitenkomplex einen großen Einfluß hätte, würde man die Frage, wie Übergewicht entsteht, wie es sich verhindern oder eine dauerhafte Abnahme bewerkstelligen läßt, noch einmal neu stellen, und zwar auf Basis der Grundannahmen der Intervallfasten- und Low-Carb-Vordenker. Es spielt dabei keine Rolle, ob sie in jedem Detail recht haben, wichtig wäre nur die zentrale Annahme, daß Kalorien entweder gar keine oder eine geringere und/oder andere Rolle spielen, als das bislang angenommen wird. Aus Übergewicht wird nämlich oft Adipositas, aus Adipositas Diabetes, es entstehen Herz- und Gefäßerkrankungen oder Krebs, und im Extremfall haben auch viele der Patienten auf der Organspender-Warteliste eine Vorgeschichte mit Diabetes, vor allem, wenn die Nieren versagen. 

Angesichts der vielbeklagten Kostenexplosion im Gesundheitswesen, die gerade auf die Zunahme solcher Krankheiten zurückzuführen ist, ist es schwer zu begreifen, warum alle so angestrengt in die andere Richtung schauen, anstatt sich der Thematik einmal gründlicher anzunehmen. 

Wie wenig Bereitschaft bei Ärzten besteht, das auch nur in Erwägung zu ziehen, habe ich ja selbst erlebt. Ich erinnere mich noch gut an die Reaktion meines Hausarztes, als ich ihm das Buch von Dr. Fung geschenkt habe. Er hat kein Geheimnis daraus gemacht, daß er es ungelesen an Oxfam verschenken würde, und so sah ich mich auf einmal durch seine Brille: eine bekloppte Verschwörungstheoretikerin. Nun gut, dachte ich, es war einen Versuch wert gewesen, auch wenn mich das hinausgeworfene Geld ärgerte. Damals wog ich noch ungefähr105 Kilogramm. Daß ich durch seine Brille auch keine Person war, die, Stand damals, mehr als 40 Kilogramm abgenommen hatte, sondern nur eine mit mehr als hundert Kilo Lebendgewicht, bei der man mit der Diagnose Fettleber eine Wette mit guten Erfolgsaussichten einging (die er allerdings in meinem Fall verloren hätte), ist mir erst viel später aufgegangen, sonst hätte ich mir den Versuch, ihn für meine bereits erfolgte und noch weiter geplante Gewichtsabnahme zu interessieren, von vornherein gespart. 

Daß ich ihn trotzdem so lange geschätzt habe, lag daran, daß ich von einem Arzt von vornherein nicht erwartet hatte, zum Thema Körpergewicht kompetent zu sein, und ihn dafür auch gar nicht brauchte. Das, wofür ich ihn brauchte, bekam ich bei ihm ja. Ich dachte immer, er werde es ja schon mitkriegen, wie ich meinem Zielgewicht näher komme, und falls ihn auch das nicht ins Grübeln brächte, sei es seine vertane Chance, etwas herauszufinden, das für ihn eigentlich nicht ganz unwichtig zu wissen wäre. Dann kam meine Krebsdiagnose, und jetzt kann ich mir jedes Gespräch über meine Gewichtsentwicklung mit ihm schenken, obwohl sie mittlerweile im Vergleich zu unserem ersten Kontakt minus 30 Kilogramm beträgt und er kaum auf den Gedanken käme, mir eine Fettleber anzudichten. Aber es ist ja sonnenklar, daß er meine seitherige Abnahme ganz einfach auf die Krebserkankung zurückführen würde. 

Das nehme ich ihm noch nicht mal übel. Kaum ein Mediziner würde das anders sehen. Gewichtsabnahme gehört nun einmal zu den Symptomen, die auf eine fortgeschrittene Krebserkrankung im metastasierten Stadium hindeuten - und daß a) meine Krebserkrankung nicht dieses Stadium betraf sowie b) die Gewichtsabnahme aktiv herbeigeführt wurde und sich immer verlangsamte und einmal sogar fast ganz zum Stillstand kam, wenn ich das nicht mit der nötigen Intensität machte, könnte sich zwar jeder Arzt an sich logisch erschließen. Aber inzwischen habe ich so viele blödsinnige Argumente gegen Fasten oder Low Carb bei Krebs gelesen, in denen die angesehensten Experten, etwa die berüchtigte Frau Professorin Hübner, den Unterschied zwischen der spontanen und der - im Falle von Fasten/LC bei Krebs als Nebeneffekt - aktiv herbeigeführten Gewichtsabnahme erkennbar nicht verstanden hatten, sondern im Ernst glaubten, es wäre ausreichend, alleine die Bewegungen des Zeigers der Personenwaage zu kennen, um sie als unheilvoll beurteilen zu können, daß ich es meinem Doc angesichts meiner früheren Erfahrungen mit ihm genausowenig zutraue. 

Vielleicht würde ich diesen Arzt trotzdem immer noch schätzen, wenn er nicht nach meiner Krebsdiagnose immer merkwürdiger geworden wäre. Demnächst will ich mich gegen Corona impfen lassen, und vielleicht sollte ich versuchen, das zum Anlaß zu nehmen, mir hier am Ort einen neuen Hausarzt zu suchen - hoffentlich finde ich aber überhaupt einen, der noch neue Patienten aufnimmt. Von diesem Arzt, das ist mir klar, darf ich aber auch nicht zu viel erwarten. Vermutlich ist es wohl so, daß jüngere Ärzte eher neugierig sind und sich dazu verlocken lassen, eine Abweichung von der erwarteten Regel näher unter die Lupe zu nehmen. Dafür haben aber ältere Ärzte ihre Erfahrung (mit den typischeren Beschwerden ihrer Patienten), und das ist auch nicht zu verachten, wenn man auch neben dem Untypischen zwischendurch auch typischere Krankheiten entwickelt, was ja fast jedem zuweilen passiert. 

Bei einem Leiden wie ME/CFS dürfte die Erfahrung eher Nebensache sein, die brauchen jemanden, der bereit ist, Neuland zu betreten. Diesen Luxus kann ich mir eher leisten, jedenfalls beim Hausarzt. Sollte ich jemals wieder einen Onkologen benötigen - was ich freilich nicht hoffe -, dann stehe ich aber vor einem Problem. Mein aktueller Doc stellte mir, anders als sein Vorgänger, wenigstens nicht aktiv das Bein, was das Fasten betrifft, und seiner langjährigen Erfahrung mit der Behandlung von Brustkrebs konnte ich auch vertrauen. Dafür, daß er von Seyfried vermutlich noch nie etwas gehört hat, kann er nichts, da die Wissenschaft mauert und so was bis in die Arztpraxen gar nicht vordringen kann. Aber Interesse an meinen Vorstellungen zeigte er auch nicht, und ich habe dann auch nicht insistiert, weil ich mir ohne weiteres zutraute, das, was aus meiner Sicht zu tun war, ohne seine Hilfe zu bewerkstelligen. Aber bei einem etwaigen nächsten Mal hätte ich eigentlich lieber einen Arzt, der etwas mehr Interesse für meine Herangehensweise aufbringt und mich im Idealfall sogar aktiv dabei unterstützt und mich berät, wie man das, was ich für richtig halte, trotz der Behandlungsrichtlinien wenigsten teilweise umsetzen kann. Der Haken bei der Sache besteht darin, daß ich nicht wüßte, wo ich ihn herzaubern sollte. 

Krebs ist außerdem eine Fließbandkrankheit, und ich hatte ständig das Gefühl, alles, womit man den geordneten Ablauf sabotiere - von Rückfragen aufwärts - schade anderen Patienten, die ja genauso dringend behandelt werden möchten. Mit so etwas kann ich in einer Abhängigkeitssituation, wie sie, wenn sich Arzt und Patient gegenüberstehen, nur schlecht umgehen, und ich weiche dem, wie in anderen Lebenssituationen, einfach aus, wann immer mir das möglich ist. Ich habe nämlich auch erhebliche Zweifel, daß ich von einem Arzt, durch dessen Brille ich eine Querulantin bin, mit einer besseren Behandlung rechnen kann. Worüber ich mich auch deshalb immer ärgere, das sind die wohlfeilen Empfehlungen, sich als Patient gefälligst auf die Hinterfüße zu stellen, alles zu hinterfragen und sich notfalls gegen seinen Arzt durchzusetzen. So etwas ist erstens alleine schon wegen des Machtgefälles gegenüber dem Fachmann lächerlich und meist zum Scheitern verurteilt, vor allem dann, wenn man keine richtigen Alternativen hat, zu denen man ggf. wechseln könnte. Aber wie bei ME/CFS finde ich es ein Unding, in einer Situation, in der man sowieso schon auf halber Kraft läuft, auch noch Freistilringkämpfe mit dem Arzt durchzuführen, der einen behandeln soll. Und das als Laie gegenüber einem Experten mit Fachwissen. Daß es nötig und manchmal kaum vermeidbar ist, wenn einem sein Leben lieb ist, mag sein, aber es ist eine Zumutung, jedenfalls dann, wenn es nur deshalb nötig wird, weil der Arzt uninteressiert an dem ist, was ihn eigentlich interessieren sollte, nämlich die Heilung exakt des Patienten, der gerade vor ihm steht. 

Ich bin nur zweimal mit einem Arzt in einen Nahkampf gegangen. Der eine war mein Hausarzt, als er meine Gewichtsabnahme auf die konventionelle Art wegerklären wollte und mit dem ich mich am Ende friedlich trennte, worauf jeder seine vorherige Meinung beibehielt, ohne daß unsere gegenseitige Wertschätzung einen Schaden erlitt. Der zweite war mein erster Gynäkologe/Onkologe, der mit dem Fasten ersichtlich keine eigene Erfahrung hatte, sondern nur angelesenes Wissen (obwohl zusätzlich auch noch Ernährungsmediziner), der mir mit meiner jahrelangen Erfahrung Dinge weismachen wollte, die im Widerspruch zu dieser Erfahrung standen. In diesem Fall wäre es wichtig gewesen, daß er verstanden hätte, daß meine praktische Erfahrung für ihn auch wichtig zu wissen gewesen wäre. Aber da war nichts zu wollen. Es endete damit, daß wir uns zum Schluß gegenseitig angeschrien haben und er daraufhin, obwohl zunächst weiter mein behandelnder Arzt, nie mehr mit mir gesprochen hat. Worauf ich bekanntlich den Onkologen gewechselt habe. 

Wenn ich ohne ausreichendes eigenes Wissen vor einem Arzt mit Fachwissen stehe, ist die Sache aber auch für mich sehr viel schwieriger, sollte das, was er empfiehlt, bei mir ungute Bauchgefühle oder Fragezeichen, was die Plausibilität betrifft, auslösen, die ich meinem Empfinden nach aber nicht gut genug begründen kann. Recherche alleine hilft selten weiter, denn im Web findet man eine Bestätigung für alles und dessen Gegenteil. Im Zweifelsfall entscheide ich mich dafür, bin aber - sofern möglich - auf dem Sprung, die Sache wieder abzubrechen, wenn meine Bedenken sich durch die Behandlung verstärken. Bei einer Krebstherapie ist das natürlich nur mit erheblichen Einschränkungen möglich. Deshalb bin ich froh, daß ich mich von der Autorität des Experten nicht habe einschüchtern lassen, und daß das, was ich tun wollte, in Eigenregie auch problemlos möglich war. Rückblickend würde ich nur weniges anders machen, obwohl ich meine Entscheidung ja mehr oder weniger zwischen Tür und Angel treffen mußte, so etwa hätte ich mich beim Fasten nicht nur auf die Tage vor und nach der Chemo beschränkt, sondern zwischendurch die gewohnten Fastentage eingebaut. Das ist auch schon der größte Posten, der Rest sind Kleinigkeiten. Alles in allem war es gut, wie ich es gemacht habe, und jedenfalls war es in Kombination mit der Chemo gut genug, um am Ende eine pathologische Komplettremission zu erreichen. 

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Ein Lotto-Plakat brachte mich mal wieder auf die Frage, warum so viele Leute sich mehr von Coronaimpfungen fürchten als vor der Infektion, und zwar wegen der Gewinnwahrscheinlichkeiten. 1 zu 139 Mio. beträgt die Wahrscheinlichkeit, daß man den Sechser mit Superzahl angekreuzt hat. Bei der Glücksspirale liegt die Chance auf den Haupttreffer bei 1 zu 10 Millionen. Eigentlich läge es da doch nahe, sich die Spieleinsätze von vornherein zu sparen, wie ich das übrigens schon immer gemacht habe, aber Studien zufolge beteiligt sich mindestens ein Drittel der Bevölkerung mehr oder weniger regelmäßig an solchen Lotterien mit eigentlich viel zu geringen Gewinnaussichten. 

Ich nehme an, dieser irrationale Faktor, der die Leute entgegen aller Wahrscheinlichkeiten dazu bringt, Lotto zu spielen, steht auch in Zusammenhang mit der irrationalen Angst vor möglichen negativen Folgen einer Coronaimpfung. Vielleicht hat es damit zu tun, daß der Einzelfall immer stärker beeindruckt als die Statistik. Und das Bild des strahlenden Millionengewinners ist stärker als eine Wahrscheinlichkeitsangabe in Ziffern, ebenso wie das Bild des leidenden oder verstorbenen Impfungsopfers stärker wirkt als die große Zahl derer, die keinerlei Probleme hatten. 

Denn natürlich gibt es beides auch. Trotz niedriger Gewinnwahrscheinlichkeiten gibt es Dutzende von Millionengewinnen pro Jahr beim Lotto. Und sicherlich gibt es auch Dutzende von Impfschädigungen, erkannte und unerkannte. Vielleicht hätte ich inzwischen einen Millionengewinn gemacht, würde ich jede Woche Lotto spielen - obwohl die meisten Lotterieabstinenten keinen gemacht hätten. Und vielleicht hätte der Impfverweigerer tatsächlich einen Schaden davongetragen, obwohl das den meisten anderen nicht passiert wäre. 

Statistik ist halt nicht alles. Jeder hat bei so einer Entscheidung nur ein Interesse an seinem persönlichen Einzelfall. Ich finde den Gedanken wirklich interessant, die Faktoren, die dazu führen, daß jemand regelmäßig Lotto spielt, mal mit denen von Impfverweigerern zu vergleichen. Und/oder andersherum. Bei mir jedenfalls liegt es zweifelsfrei daran, daß ich angesichts der Gewinnwahrscheinlichkeiten keine Zweifel daran habe, daß ich bei Lotto fast mit Sicherheit nur Geld verlieren würde, weshalb ich mir diese unnötige Ausgabe gespart habe und auf den vielleicht durch einen glücklichen Zufall doch möglichen Lottogewinn verzichte. Und genau dasselbe hat mich zur Coronaimpfung motiviert: Ich sehe, daß das Risiko durch die Impfung zwar vorhanden ist, aber so viel geringer als die Risiken einer Infektion, daß mir Impfverweigerung aus Angst vor möglichen Folgen genauso lächerlich vorkommt wie, wegen der Hoffnung auf einen Millionengewinn Lotto zu spielen.  

Trotzdem verhält sich aber eine starke Minderheit von einem Drittel der Bevölkerung genau andersherum. Wüßte man mehr über das, was sie von Leuten wie mir unterscheidet, könnte man vielleicht auch einiges über Impfverweigerer herausfinden. 

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Erst kürzlich schrieb ich eine ziemlich kurze Girlande über vegane Fleisch- und Wurstersatzprodukte, die ja nach dem Willen der EU nicht mehr Schnitzel oder Wurst genannt werden dürfen, was ich für symbolpolitischen Quatsch ohne nennenswerte Wirkung gehalten habe, weder positiv noch negativ. Ich fand die Aufregung darüber übertrieben. Das Unternehmen Rügenwalder Mühle sah die Sache sehr viel weniger entspannt und hat aus seiner Sicht damit natürlich auch recht. Neben den Kosten der Umbenennung und Neugestaltung der Verpackungen kann man nie so genau wissen, wie die Kunden reagieren, wenn ein etabliertes Produkt auf einmal einen anderen Namen bekommt. 

Was ich zuvor aber gar nicht mitgekommen hatte, ist, daß Rügenwalder schon seit 2022 solche Probleme hatte, daß das uralte Familienunternehmen letztes Jahr verkauft wurde. Dabei  waren aber anscheinend nicht die veganen Ersatzprodukte für Wurst das Problem - tatsächlich scheint der Marktanteil von Rügenwalder in diesem Segment immer noch weiter zu wachsen -, sondern mehr das angestammte Sortiment. Ehrlich gesagt, das wundert mich nicht weiter. Nicht, daß ich dabei irgendeine Rolle spielen würde, weil ich ja schon seit Jahren sowieso keine Wurst mehr im Discounter kaufe. Aber ich warte auf den Tag, an dem mein Göttergatte, wenn er mal einkauft, beim Auspacken daheim bemerkt, daß er versehentlich nicht die Teewurst oder Mettwurst, sondern ein veganes Produkt von Rügenwalder in den Einkaufwagen gelegt hat, weil das Design halt doch sehr ähnlich ist und schnell verwechselt wird, vor allem, wenn man es beim Einkaufen eilig hat. Nicht, daß ich der Meinung wäre, davon ginge die Welt unter. Das Zeug kann man ja trotzdem essen, und vermutlich würde ich es auch essen, wenn es erst einmal im Haus ist - es sei denn, es schmeckt mir wirklich überhaupt nicht. Aber ich bin mir ziemlich sicher, daß mein Mann sich darüber maßlos aufregen würde. Und das nächste Mal würde er vorsichtshalber dann gleich die jeweilige Discounter-Eigenmarke wählen, bei der ihm das nicht passieren kann. Das geht sicherlich auch manchen anderen Leuten so, und das kommt natürlich zu den Preiserhöhungen hinzu, die einen Switch zur Discounter-Eigenmarke nahelegen.

Parallel dazu ist es aber auch richtig, daß der Gesamtkonsum von Fleisch und Wurst sinkt, und das war wohl auch der eigentliche Grund dafür, daß Rügenwalder, wo man vor etwa zehn Jahren damit begonnen hat, auch vegane Wurstersatzprodukte zu produzieren, eine Art Wette auf die künftige Entwicklung eingegangen ist, indem man den geschäftlichen Fokus auf das vegane Sortiment legte, weil man annahm, dies sei zukunftsträchtiger für das Unternehmen. Offenbar war man sich sicher, daß Genosse Trend nicht mehr in die Gegenrichtung drehen wird. Das hatte sicherlich auch einen Einfluß auf den Absatz der angestammten Wurstprodukte. Bestimmt kauften danach manche Leute auch aus Ärger über Rügenwalders Fokussierung auf Wurstersatz gar keine Produkte des Unternehmens mehr. Daß der originale Schinkenspicker, den ich früher auch gerne gekauft hatte, nur noch in einer fleischlosen Variante angeboten wurde, kam noch hinzu. (Inzwischen scheint man bei diesem Produkt aber wieder zurückgerudert zu sein. Das ist an mir allerdings vorbeigegangen.) Nun kann man sich darüber streiten, ob es nicht ein bißchen kindisch ist, aus Protest gegen die Veganstrategie eines Wurstfabrikanten die nichtveganen Produkte dieses Unternehmen auch zu boykottieren - denn das führt ja allenfalls dazu, daß das vegane Sortiment einen noch größeren Teil der Produktion von Rügenwalder einnimmt. Aber es kann schon sein, daß vor allem das Unternehmen unterschätzt hat, wie beleidigt ihre angestammten Kunden auf den Strategiewechsel reagieren würden. 

Geschmacklich, das kann ich bestätigen, weil mein Mann sie ja manchmal kauft, sind Rügenwalder-Leber-, Tee- und Mettwürste so gut wie immer. Allerdings trifft das auf die Eigenmarken beim Discounter auch zu. Und wenn ich einen Favoriten unter dieser Art von Produkten bezeichnen müßte, dann wäre das immer noch die Kalbsleberwurst aus dem Verkaufsautomaten eines bestimmten Hofladens, die ich immer mitnehme, wenn es mich zu welcher Tageszeit auch immer dorthin verschlägt. Keine Ahnung, was das Geheimnis dieses Metzgers ist, aber seit ich diese Kalbsleberwurst kenne, finde ich bei jeder anderen, daß ihr irgendeine Kleinigkeit fehlt, von der ich aber nicht weiß, was es ist. 

Die Dauerhaftigkeit des Vegan-Trends hätte man bei Rügenwalder aber mit Blick auf die USA etwas vorsichtiger einschätzen können, denn dort war die Party bereits vorbei, noch bevor Donald Trump sie stören konnte. Und der Trump-Backlash hat es natürlich nicht besser gemacht. Vor allem Beyond Meat scheint es mittlerweile richtig schlecht zu gehen.

 

Mit ein paar Jahren Verzögerung im Vergleich zu den Amis scheinen vegane Ersatzprodukte nun auch bei uns wohl an die gläserne Decke gestoßen zu sein, ab der der Absatz dann wieder rückläufig wird. Skurrilerweise wird das gerade auch von einem kleinen Backlash begleitet - nicht nur durch die Umbenennungszwänge für veganen Fleisch- und Wurst-Ersatz, sondern auch durch eine tendenziell weniger fleischfeindliche Bundespolitik. Das Ende des Hypes liegt aber vermutlich hauptsächlich daran, daß der Vegan-Hype mittlerweile in den Medien viel weniger Raum einnimmt und dadurch auch weniger gepusht wird. Nicht, weil die Medien ihn neuerdings doof fänden, sondern weil man halt eine Menge andere Dinge zu berichten hat, die wichtiger erscheinen. Das macht aus Sicht von Rügenwalder aber natürlich auch den Zeitpunkt, zu dem sie ihre Produkte umbenennen müssen, besonders ungünstig.  

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Stichwort Ersatzprodukte, hier: Low-Carb-Varianten verbotener KH-haltiger Lieblingsgerichte:  

Mein Mandel-Mozzarella-Teig ist heute in zwei Bereichen zum Einsatz gekommen: einmal habe ich versucht, Brötchen zu backen und dann noch Pizza. Die Brötchen waren mir freilich ein bißchen zu bröselig, Grund war, glaube ich, daß der Mozzarellaanteil etwas zu niedrig ausgefallen ist. Aber die Pizza wird ja auch von ihrem Belag zusammengehalten, da fällt das weniger ins Gewicht. Sie ist geschmacklich wie auch von der Konsistenz her recht nahe am Original. Das mit der Konsistenz ist deshalb erwähnenswert, weil manche Low-Carbler sich bei Brot und Brötchen an der fehlenden Knusprigkeit der Kruste stören. Mozzarella im Teig erzeugt tatsächlich einen gewissen Crunsh, der LC-Pizza sonst fehlt. Ach ja, ein bißchen muß man die Pizza abkühlen lassen, damit der Mozzarella im Teig wieder hart wird. Wenn sie heiß ist, ist der Boden zu weich. 

Natürlich schmeckt der Boden trotzdem nicht wie das Original. Vielleicht mache ich deshalb morgen doch keine Pizza, sondern einen Flammkuchen. Warum? Weil mein Mann keine Ersatzprodukte mag. Pizza essen wir außerhalb LC gelegentlich, aber Flammkuchen fast nie. Bei Flammkuchen ist die LC-Variante für ihn also kein gefühltes Ersatzprodukt, sondern etwas eigenes. 


 

 

 


Montag, 3. November 2025

Das Narrenschiff-Orakel. Oder: Wie man Vertrauenskrisen messen kann.

Mein Gewicht heute früh zum Start des zweiten viertägigen Fastenintervalls während der Low-Carb-Phase: 76,1 Kilogramm. 1,1 Kilogramm weniger als vor zwei Wochen zum ersten langen Fastenintervall, das gefällt mir schon wesentlich besser. Für ein neues Tiefstgewicht am Freitag - zur Erinnerung: das bisherige liegt bei 71,1 Kilogramm und war im April 2024 - wird es zwar nur mit sehr viel Glück reichen, da ich während Low Carb beim Fasten weniger Wasser verliere und nach vier Tagen ziemlich selten mehr als 5 Kilogramm weniger habe. Aber Freitag in zwei Wochen sollte es dann eigentlich klappen, und ich nehme an, ich werde in zwei Wochen auch mit einem neuen "Vorher-Tiefstgewicht" starten können (bisheriges: 75,4 kg). Zeit wird's ja langsam mal wieder, auch wenn ich mir die zunehmende Lässigkeit mit meinem jetzigen Gewicht im Grunde leisten kann. 

Ich rede ja dauernd von sechs Wochen Low Carb, aber mittlerweile ist mir aufgegangen, daß es dieses Jahr sieben sind, weil ich den Start ja aus organisatorischen Gründen um eine Woche vorverlegt habe. Außerdem wird der letzte Low-Carb-Tag am 30.11. dann sofort von einem viertägigen Fastenintervall gefolgt, nach dem ich dann immer einen Low-Carb-Übergangstag habe. In Wirklichkeit werden es also knappe acht Wochen. Das ist aber auch ganz gut so, denn im März möchte ich als Abschluß der zweiten LC-Phase ab Mitte Januar verdammt nochmal mein Zielgewicht erreicht haben (immerhin sind es am 20. März 2026 schon neun Jahre, seit ich mit dem Fasten angefangen habe), also sollte die Normalernährungsphase dazwischen auch nicht zu lang ausfallen. 

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Wer hier hört auch die SWR1-Hitparade, die nach einer Hörerabstimmung einmal im Jahr im Oktober eine ganze Woche lang im Radio (und online in einem Livestream auch mit bewegten Bildern) ungefähr 1000 Titel wiedergibt? Ich erinnere mich noch gut an die erste Ausgabe in den späten Achtzigern, damals noch beim SDR 3, unter dem Titel "Top 1000x" mit Stefan Siller und Thomas Schmidt. Die war damals ein Ereignis, das alle bewegte. Ich habe irgendwo noch einige Musikcassetten, die mir eine Kollegin überspielte, die einen großen Teil davon aufgenommen hatte. Die letzten Titel liefen dann auch im Südwest-Fernsehen, und die habe ich auch noch auf Videocassette. 

Seit die Hitparade jährlich kommt, ist sie eher eine Routineveranstaltung geworden, in der Abstimmungsseilschaften etwa die konkurrierenden Landeshymnen der Badener und der Schwaben möglichst hoch zu pushen versuchen. Und natürlich gibt es wenig Spannung um den Titel, der ganz vorne landen wird, denn das ist entweder Stairway to Heaven von Led Zeppelin oder Bohemian Rhapsody von Queen. Ich höre das eigentlich nur, weil es eine nette Abwechslung ist, alle Stilrichtungen, Sprachen und Arten von Interpreten wie Kraut und Rüben durcheinander präsentiert zu bekommen. Die Musik im Radio neigt sonst ja doch ein wenig dazu, sich zu viel zu wiederholen. 

Was mir dieses Jahr aufgefallen ist, das ist, wie sehr politische Statements bei der Titelwahl, aber auch für mich selbst als Hörer an Bedeutung gewonnen haben. Bei "Kristallnaach" von BAP (Textübersetzung auf Hochdeutsch) lief es mir eiskalt das Kreuz runter. Wie aktuell das auf einmal geworden ist! Dabei fanden sich damals, als das Lied neu war und bei meiner damals noch jungen Generation einen Nerv trafen, offenbar die üblichen intellektuellen erhobenen Zeigefinger, die behaupteten, die fehlenden klaren Bezüge zur heute nicht mehr Kristallnacht, sondern Pogromnacht genannten "Reichskristallnacht" von 1938 seien relativierend und verharmlosend. Die Mahner mögen sich das Lied im Kontext des Jahres 2025 bitte noch einmal anhören. 

Übrigens habe ich es sehr bedauert, als der Begriff Kristallnacht irgendwann (neunziger Jahre?) plötzlich pfuibäh wurde und man gefälligst Pogromnacht oder Novemberpogrome sagen sollte. Kein Mensch hat ein klares Bild davon, was ein Pogrom ist, und dazu kommt, daß mindestens die Hälfte der Leute nicht imstande ist, das Wort richtig zu schreiben und daraus eine Progromnacht macht. Ich fand jedenfalls den Kontrast zwischen dem vordergründig so harmlosen Wort Kristallnacht, zu dem man spontan ja nichts Schlimmes assoziiert, und der Erkenntnis, was sich dahinter verbirgt, sehr eindrucksvoll. 

Ein Antikriegslied von Reinhard Mey, "Nein, meine Söhne geb ich nicht", stand auf Platz 12. Ich habe nachgesehen: Letztes Jahr war es schon auf Platz 13. Aber 2018, das ich für einen Stichprobencheck verglichen habe, kam es gerade mal auf Platz 175. Damals kam "Kristallnaach" auf Platz 250, geklettert ist es 2025 vergleichsweise weniger Plätze auf Platz 119. Vielleicht hat das den Grund, daß jüngere Leute mit dem Wort nichts mehr anfangen können, seit sie in der Schule nur noch lernen, daß das Ereignis "Novemberpogrome" heißt? 

Übrigens fand ich gerade dieses äußerst populäre "Nein, meine Söhne geb ich nicht" immer ein bißchen irritierend. Es handelt sich ja darum, daß der Vater Reinhard Mey seine Söhne dem Kriegsdienst verweigert. Nur, was legitimiert ihn eigentlich dazu, dies über die Köpfe der Söhne hinweg zu tun? 1986, als Mey das Lied schrieb, war sein älterer Sohn zehn Jahre alt und der zweite im Kindergartenalter und niemand hätte von ihnen einen Kriegsdienst verlangt. Aber zur Zeit ihrer etwaigen Musterung wären sie schon volljährig gewesen und hätten alles Recht der Welt gehabt, solche Entscheidungen selbst zu treffen - und was, wenn sie die Sache anders als ihr Vater gesehen hätten? Ich will Mey aber zugute halten, daß ihn die Vorstellung, seine Kinder könnten einmal in den Krieg ziehen müssen, damals wohl emotional zu sehr überwältigt hat. Mein Sohn kam ein Jahr nach diesem Lied zur Welt, und ich erinnere mich noch, daß es im Lauf seiner Kindheit ab und zu Nachrichten gab, bei denen ich bei der Vorstellung, mein Sohn könnte davon betroffen sein, emotional regelrecht in die Knie gegangen bin. Immerhin geht aus dem Liedtext js auch hervor, daß Mey es als seine Aufgabe als Vater betrachtete, seine Kinder so zu erziehen, daß auch ihnen, wenn sie einmal gemustert würden, die Vorstellung, zur Bundeswehr zu gehen, völlig unvorstellbar wäre. Vielleicht sollte ich da also nicht gar so erbsenzählerisch sein und ihm zugute halten, daß man in einem Songtext keine ellenlangen Fußnoten mit Präzisierungen unterbringen kann. 

Die Plazierung knapp vor den Top 10 speziell dieses Lieds zeigt jedenfalls, wie sehr die aktuellen Debatten um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht die Gemüter bewegen. Aktuelle politische Bezüge haben eine Reihe von auffällig besser als vor einigen Jahren plazierten Songs, etwa Konstantin Weckers "Sage Nein" (Platz 45; 2018: Platz 292) oder Hannes Waders "Es ist an der Zeit" (Platz 59; 2018: Platz 152). Den Vogel abgeschossen hat aber mit Platz 4 noch einmal Reinhard Mey, und zwar mit dem Song "Das Narrenschiff" (2018: Platz 65). Das haben auch die Moderatoren so sehr als politische Botschaft der abstimmenden Hörer gesehen, daß es eine längere einführende Vorrede gab, die ebenfalls ziemlich politisch ausfiel. Ich lege hiermit den Lesern ans Herz, das verlinkte Video anzusehen, denn auch die Bewegtbild/Text-Kombination des Lieds hat in Verbindung mit der heutigen politischen Situation Gänsehaut-Potential. Man kann es gar nicht fassen, daß Reinhard Mey das schon 1998 geschrieben hat und dabei die damalige Kohl-Regierung vor dem geistigen Auge hatte. Es klingt, als wäre es der Regierung Merz auf den Leib geschrieben worden. 

Eigentlich waren mir Reinhard Meys direkt politische Lieder immer auf eine zu platte Art feindselig gegenüber nicht etwa dem politischen System, sondern den Personen, die darin tätig waren. Das Urteil gegen die in der Politik tätigen Personen war in "Das Narrenschiff" meiner Meinung nach um kein Haar schärfer oder verächtlicher als in "Was kann schöner sein auf Erden, als Politiker zu werden" aus dem Jahr 1974 und, eher nebenbei vorkommend, in einer Reihe anderer Lieder aus seiner gesamten Liedermacherkarriere, und die begann immerhin schon in den sechziger Jahren. Ich habe mir das immer damit erklärt, daß er ja zur Zeit der Studentenbewegung der sechziger Jahre studierte, noch dazu in Berlin, und irgendwie nie auf den Gedanken kam, die damaligen Denkschemata im Rückblick zu hinterfragen. Denn von heute aus betrachtet, wirken auch Bundespolitiker der siebziger oder achtziger und sogar der neunziger Jahre geradezu integer. Was auch immer damals an Gemauschel ablief - und natürlich lief da Gemauschel ab -, verglichen mit der Dreistigkeit der Generation Schröder war das ja nur Kinderkram. 

Ich wüßte, ehrlich gesagt, gerne, was Reinhard Mey angesichts der Personalien im heutigen politischen System rückblickend über sein Urteil über die seinerzeitigen der sechziger bis neunziger Jahre denkt und falls er es immer noch richtig findet, welche Worte er im Vergleich dazu eigentlich für die heutige Politikerriege fände, da ich eigentlich nicht sehe, wie er das harte Urteil über die früheren noch toppen kann - was er meiner Meinung nach aber müßte, falls er wie die Hörer seines Songs der Meinung ist, daß wir mit der aktuellen Regierung noch tiefer als jemals zuvor ins Klo gegriffen haben. 

Das fanden die Hörer übrigens auch schon bei der vorherigen Regierung, 2024 kam der Song nämlich auf Platz 5. Den eigentlichen Sprung hat "Das Narrenschiff" aber im Corona-Jahr 2020 gemacht: von Platz 53 im Vorjahr auf Platz 12, und man braucht wohl keinen gelernten Psychoanalytiker, um zu wissen, was die Hörer damit zum Ausdruck bringen wollten. Danach kletterte es aber auch ohne Lockdowns und Impfdiskussionen Jahr um Jahr immer noch ein oder zwei weitere Plätze nach oben. Nun könnte man das vielleicht ja damit erklären, daß das den wachsenden Anteil der AfD-Wähler in der Bevölkerung widerspiegelt. Ich riskiere aber folgende Prognose: Sollte die Regierung Merz in den nächsten drei Jahren dermaßen bei der Aufgabe versagen, die "Köpfe und Herzen" der deutschen Bevölkerung zu gewinnen, daß im Oktober 2028 "Das Narrenschiff" "Bohemian Rhapsody" und "Stairway to Heaven" überholt und Platz 1 der Hitparade belegt, dann steht uns im Februar 2029 wohl endgültig eine AfD-Regierung ins Haus. Und die wird anschließend das Lied dann verbieten. 

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Es ist jetzt ungefähr vier Wochen her, daß an unserem Feigenbaum die Früchte zu reifen begonnen haben, und wie im letzten Jahr ist das Angenehme daran, daß ich immer noch ein- oder zweimal die Woche rausgehen und weitere Feigen pflücken kann, meistens zehn bis 15 Stück, eine nette Portion, um sie in einem Kuchen oder einem Nachtisch zu verarbeiten, auch wenn die "große" Ernte schon vor drei Wochen gewesen ist, in der ich zwei Schüsseln voll hatte. Eine schenkte ich den Nachbarn und bekam als Dankeschön ein Glas Quitten/Pfirsich-Marmelade. 

Eigentlich dachte ich, Feigen wären bei Low Carb pfuipfui, aber in Wirklichkeit haben frische Feigen mit 19 Gramm Glukose je 100 Gramm gar nicht so viel mehr Kohlenhydrate wie die empfohlenen Kiwis. Getrocknete Feigen haben natürlich einen sehr viel höheren Zuckeranteil. Gestern früh habe ich die seit letzten Sonntag gereiften Feigen geerntet und einen Nachtisch daraus gemacht: Mascarpone-Creme mit einem Rest Schlagsahne (weil ich eine angebrochene Sahne vor dem Fasten verbrauchen mußte) sowie zwei Löffeln Kakao und Xylit/Erythrit/Stevia-Mischung, dazu die kleingeschnittenen Feigen, und das paßte wirklich hervorragend zusammen. Nächstes Wochenende werde ich wohl eine Cremetorte mit dieser Schokocreme mit Feigen machen, falls der Feigenbaum bis dahin noch ein paar der verbleibenden Früchte reifen läßt. Da es diese Woche sonnig werden soll, wird das hoffentlich auch klappen. Unreife Feigen sind immer noch mehr als genug auf dem Baum, und letztes Jahr war es erst Ende November aus mit dem Ernten. 

Der Feigenbaum ist ziemlich ausladend, aber zum Glück nicht sonderlich hoch. Ich komme ohne Leiter auch an die obersten Früchte ran, wenn ich den zugehörigen Ast zu fassen kriege und ihn herunterbiegen kann. Freilich, wenn es - wie gestern - in der Nacht zuvor geregnet hatte, bekommt man auf diese Weise eine ziemlich kalte Dusche verpaßt.

Drei Wochen Low Carb habe ich jetzt schon hinter mir, und wieder haben wir eigentlich immer richtig gut gegessen. Die Pogatschen-Wunderwaffe aus gemahlenen Mandeln und Käse hatte ich bislang nur einmal, aber dafür gefüllt mit unserem letzten eigenen Mangold sowie Pinienkernen und Feta, und das schmeckte unheimlich gut. Dazu gab es Tsatsiki, und wir haben zwei Tage daran gegessen, obwohl ich sie relativ klein gemacht hatte, weil ich das Problem ja schon kenne, daß die Mandel-Mozzarella-Mischung viel sättigender ist, als man es den Dingern beim bloßen Ansehen zutraut.

Mein Mann ist ja skeptisch, aber ich will jetzt auch einmal eine Pizza aus diesem Mandel/Mozzarella-Teig machen und dabei den Teig dünnstmöglich machen. Was Pizza betrifft, fand ich bislang die Version mit einem Boden aus verflochtenen Baconstreifen, übergossen mit verquirlten Eiern mit geraspeltem Käse und vor dem Belegen vorgebacken, am besten. Eigentlich wollte ich in dieser LC-Phase aber auch mal ein Rezept mit einem Boden aus Thunfisch ausprobieren, das Rezept sah vielversprechend aus. Jetzt überlege ich, ob ich nicht nächsten Samstag einfach alle drei Varianten parallel machen soll. Dann werden wir ja sehen, ob eine dabei ist, die uns so viel besser als die anderen schmeckt, daß wir künftig bei ihr bleiben möchten. 

Langsam frage ich mich beunruhigt, ob ich es wahrhaftig auch diesmal wieder nicht schaffen werde, endlich einmal einen Low-Carb-Käsekuchen zu backen. Das will ich schon seit einer Ewigkeit, aber bislang drängelten sich immer irgendwelche anderen Rezepte vor, und so kam es bislang nie dazu. Nächste Woche werde ich aber wohl erst einmal anfangen müssen mit den Lebkuchen. Ich habe nämlich versprochen, welche zu einem Adventskaffee am ersten Advent beizusteuern, und die will ich nicht zu knapp vorher machen müssen, weil ich ja erst einmal probieren muß und Lebkuchen gerne ein paar Tage Zeit haben möchten, bevor man sie ißt. 

Die Zeit vergeht außerdem gerade irrsinnig schnell. Erstaunlich, immerhin war November immer mein Horrormonat und schien gar kein Ende nehmen zu wollen. Aber irgendwie hat sich das seit meinem Umzug - der übermorgen exakt ein Jahr her ist - verändert. Das liegt an dem Ausblick im Wohnzimmer, wenn ich morgens Kaffee trinke. Auf der einen Fensterseite haben wir einen schönen Blick auf eine bewaldete Anhöhe, und wenn die Sonne scheint, sind die Herbstfarben eine wahre Pracht - und der Anblick verändert sich jeden Tag. Sogar bei trübem Wetter ist der Anblick aber eindrucksvoll, weil dann meistens der vom Fluß aufsteigende Nebel ganz unheimlich um die Bäume wabert und man manchmal dabei zusehen kann, wie er sich aufzulösen beginnt. 

Wir haben das letztes Jahr im Mai, als wir das Haus zum ersten Mal gesehen haben, schon ganz richtig erkannt: Dieses Haus wollte genau von uns bewohnt werden. 

 

Freitag, 24. Oktober 2025

Antifaschistische Gartengestaltung: Der Bambus muß (fast) ganz weg, die Kletterrosen stutzt man nur

Mein Gewicht heute früh: 72,9 Kilogramm. Davon bin ich wirklich enttäuscht, ich hatte mit um die 72 gerechnet. In vier Fastentagen habe ich aber nur 4,3 kg verloren, das ist auch in Low-Carb-Phasen deutlich unter Durchschnitt. Aber so isses halt, mein Stoffwechsel hat sich mal wieder als Scherzkeks erwiesen. 

Ich habe tatsächlich keine Ahnung, warum es diesmal so lief. Wenn jetzt das Gewicht sich netterweise dazu bequemen sollte, weniger als 4 kg wieder raufzugehen bis zum nächsten langen Fastenintervall, sei es meinem Stoffwechsel aber alles wieder verziehen - neues langes Fastenintervall, neues Glück. 

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Wenig los an der Ernährungsfront, sieht man einmal davon ab, daß Dr. David Ludwig auf Twitter in einem Thread eine neue Studie auseinandergenommen hat, in der hochverarbeitete Lebensmittel am besten beim Abnehmen funktioniert hatten.  Der Volltext war mir leider nicht zugänglich, also kann ich keinen eigenen Senf dazugeben. 

Bei Krebs gibt es dagegen eine interessante neue Studie, deren Volltext ich kurz überflogen habe: Anscheinend war die Überlebensdauer von Krebspatienten im metastasierten Stadium besser, die sich einer Immuntherapie unterzogen, wenn sie eine mRNA-Impfung gegen Corona bekommen hatten. Offenbar mobilisiert diese Impfung das Immunsystem, das Trastumab und Konsorten zwar höflich auf die Anwesenheit des Feinds hinweisen, aber keinen direkten Einfluß auf den Enthusiasmus nehmen, mit dem das Immunsystem dann wirklich tätig wird. Es muß also von selbst motiviert sein, den Feind auch wirklich zu eliminieren. Wenn es, aus welchen Gründen auch immer, nicht ausreichend motiviert ist, sind Immuntherapien auch nicht wirkungsvoll genug, um gegen Krebs zu wirken. 

Im Primärstadium läßt es sich in der Mehrzahl der Fälle - ausweislich der PCR-Quote - gut genug motivieren, um bei bestimmten Krebsarten, vor allem dem HER-positiven Brustkrebs, dem Krebs sogar ganz den Garaus zu machen. Aber auch da klappt das nicht immer, und die wichtigste Frage ist vermutlich, wie man dann das Immunsystem dazu bringt, aus den Puschen zu kommen und seinen Job ordentlich zu erledigen. Dabei ist letztlich aber jeder auf Vermutungen und Spekulationen angewiesen, und die Kakophonie einander widersprechender Ratschläge verschlimmert die Verwirrung eher noch weiter. Viele Brustkrebspatientinnen versuchen es mit dem einen oder anderen der propagierten Mittel, vom Sporttreiben über Yoga bis zu Vitamintabletten oder Zuckerverzicht. Ob es einen Beitrag dazu geleistet hat, wenn man das Traumziel der pathologischen Komplettremission wirklich erreicht hat, darüber kann man dann natürlich immer nur spekulieren. Denn dieselbe Maßnahme kann bei anderen auch nicht zu diesem Ziel geführt haben. 

Ein bißchen tappt man also immer im Dunkeln, trotzdem ist es m. E. empfehlenswert, sich ein Mittel herauszusuchen und es anzuwenden, das einem brauchbar vorkommt - jedenfalls dann, wenn es keine ernstzunehmenden Hinweise darauf gibt, daß es schädlich sein kann. Selbst etwas tun wollen, ist immer ein Zeichen, daß man noch genügend Energie hat, sich nicht einfach passiv den Experten anzuvertrauen - und das ist schon für sich genommen ein Faktor, der die Wirkung der Therapie verbessern kann. 

Daß die mRNA-Corona-Impfungen bei metastasiertem Krebs eine Lebensverlängerung bewirkt haben, ist eine besonders gute Nachricht, weil dieses Krebsstadium das am schwierigsten zu behandelnde ist. Aber nichts spricht dagegen, eine Wirkung auch für Krebserkrankungen im früheren Stadium anzunehmen. Das bedeutet, daß der Einsatz dieser Corona-Impfungen bei einer Krebsdiagnose ein routinemäßiger Therapiebestandteil werden könnte - denn schließlich spricht nichts gegen die Impfung, auch dann nicht, wenn keine Immuntherapie geplant ist, und Krebspatienten wird ja sowieso empfohlen, sich gegen Corona wie auch gegen Grippe impfen zu lassen, weil während der Chemo das Immunsystem nicht so richtig auf der Höhe ist. 

Das also könnte man aus einer unverbindlichen Empfehlung in einen routinemäßigen Therapiebaustein umwandeln, der halt dann unterbleibt, wenn jemand ausdrücklich Impfungen ablehnt. In ein paar Jahren würde sich aus den Auswertungen ergeben, ob und wenn ja bei welchen Krebsarten und in Verbindung mit welchen Therapien die Wirkung der eigentlichen Krebsbehandlung sich dadurch verbessert hat. 

Das ist also eine richtig gute Nachricht, sie bietet eine sehr einfache und kostengünstige Möglichkeit, Krebsbehandlungen wirksamer zu machen und gerade bei Primärtumoren die PCR-Rate weiter zu erhöhen und damit eine vollständige Heilung eines größeren Teils der Patienten zu ermöglichen. Das ersehnte Wundermittel, das weit fortgeschrittenen Krebs wirklich heilt, ist das freilich (noch) nicht. Weniger als die Hälfte der Patienten im Stadium 4 überlebte den Untersuchungszeitraum von 40 Monaten. Mit Immuntherapie alleine waren es aber noch deutlich weniger - es wäre also, routinemäßig eingesetzt, auch für metastasierten Krebs eine klare Verbesserung zu allem, was im Moment eingesetzt wird. 

Also wird wohl die Coronaimpfung sehr wahrscheinlich ein neues Einsatzgebiet in der Krebstherapie finden und das ist etwas, worüber sich jeder freuen kann, der den Wunsch und Willen hat, seine Krebsdiagnose möglichst lange zu überleben und idealerweise wieder ganz krebsfrei zu werden. Wenn man jetzt auch noch dahinterkäme, daß es ebenso einen Sinn hat, den Krebszellen gleichzeitig dazu auch mit therapeutischer Ketose zu Leibe zu rücken, könnte das vielleicht zusammengenommen der Gamechanger sein.  

Eigentlich sollte ich über diese Nachricht auch weniger überrascht sein, als ich es zugegebenermaßen bin. Biontech hatte ja, bevor das Unternehmen mit der Corona-Impfung groß rauskam, an Impfungen gegen Krebs geforscht und bei der Impfstoffentwicklung auch auf den Vorarbeiten im Bereich Krebs aufbauen können. 

Was mich auf Bluesky fürchterlich irritiert, ist, daß zwar die Berichte über diese Studie recht viel verlinkt werden. Aber die meisten freuen sich dem Anschein nach vor allem darüber, daß die Coronaleugner, die ja nicht müde wurden, vor den Risiken der mRNA-Impfung zu warnen, noch falscher lagen, als man gedacht hatte. Als gewesene Krebspatientin hätte ich es höflicher gefunden, hätte man sich an dem Wohlergehen von unsereins etwas interessierter gezeigt als daran, sich an seinen Lieblingsfeinden abzuarbeiten.

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Die Wellen um das EU-Verbot, vegane Ersatzprodukte "Wurst" oder "Schnitzel" zu nennen, sind ja längst abgeflaut, aber ich wollte dazu auch noch eine kurze Bemerkung machen: 

In einer Welt, in der Keto-Jünger ihre diesbezüglichen Ersatzprodukte Spätzle oder Kartoffelsalat nennen dürfen (was ich für eine Art Blasphemie halte - egal, wie gut sie schmecken), darf es selbstverständlich auch Veggie-Wurst und Veggie-Schnitzel geben. Wieso muß die EU eine Regelung über solchen Pipifax treffen? Haben die nichts Richtiges zu tun? 

Fast noch verstörender fand ich das anschließende tagelange Aufheulen der Vegetarier, Veganer und ihrer Sympathisanten, die anscheinend auch keine schlimmeren Probleme zu haben scheinen, obwohl gerade rings um sie herum die Demokratie zusammenzubrechen droht. Als ob es eine Rolle spielen würde, wie das Produkt heißt, solange es weiterhin erhältlich ist. 

Ich hab gar nichts gegen vegane Fleisch- und Wurst-Ersatzprodukte. Ich will sie bloß nicht essen. Genausowenig wie Keto-Spätzle oder -Kartoffelsalat. Low-Carb-Essen muß für mich "aus eigenem Recht" schmecken, nicht weil es dem Original einigermaßen ähnlich sieht und geschmacklich mit allerlei Tricks soweit angeglichen werden kann, daß man imstande ist, sich einzureden, es schmecke wirklich gleich - was immer ein Selbstbetrug ist. Dasselbe gilt aber natürlich auch für vegetarisches oder veganes Essen: Es muß aus eigenem Recht schmecken. Etwa der Klassiker Spinat und Spiegeleier. Oder Börek mit Spinat. Wer ein Schnitzel essen will, der ist kein echter Veganer, würde ich sagen. 

Aber wie gesagt, das ist Pipifax. Offenbar geht es uns immer noch zu gut, wenn wir uns mit solcher Ausdauer mit solchem bedeutungslosen Kleinkram befassen können. 

Wobei unser aller Bundeskanzler ja gerade dabei zu sein scheint, das zu ändern. In ein paar Jahren werden wir uns wohl wirklich mit so viel mehr richtigen Problemen als heute befassen müssen, daß dies mit dem Vortäuschen politischer Problemlösungen, wo sie gar nicht benötigt werden oder nachrangig sind, nicht mehr vertuscht werden kann. Daß dies jetzt immer noch geschieht, obwohl wir uns schon jetzt über einen Mangel an echten Problemen kaum beklagen könnten, ist Staatsversagen, und noch mehr deshalb, weil es so viele neue Probleme schafft bzw. bestehende verschlimmert, statt sie zu verbessern. 

Man kann ja eigentlich nur dankbar sein, daß die nicht schon 2022 dran gewesen sind. Da wären wir im Winter vermutlich in kalten Wohnungen gesessen. Diese verpeilte Katherina Reiche hätte das, was Habeck und seine Leute gemanagt haben, nie im Leben zuwege gebracht. Daß die von E.ON die Geschäftsführung einer Tochtergesellschaft bekommen hat, kann ich mir eigentlich nicht aufgrund irgendwelcher Leistungen ihrerseits vorstellen, sondern weil sie schon seinerzeit so viele politische Verbindungen in den Konzern mitbrachte. Neulich erst ist mir übrigens aufgegangen, warum mir Frau Reiche spontan so unsympathisch erschienen ist: Sie erinnert mich an Schneewittchens Stiefmutter, die böse Königin. Einen Spiegel, der ihr unangenehme Wahrheiten zu Gehör bringt, etwa daß ihre Gaskraftwerks-Pläne voraussichtlich an der EU scheitern werden, hat sie offenbar aber nicht. 

Freilich, die Öffentlichkeit™ ist auch nicht viel besser. Seit Tagen tobt diese Stadtbild-Debatte, in der jeder sein Bein wieder und wieder an denselbem Baum hebt. Und meistens geht die - berechtigte - Kritik an Friedrich Merz am Kern des Problems vorbei. Dasselbe gilt natürlich auch für die Zustimmung, und die gibt es, behauptet das ZDF, sogar von einer Mehrheit der Bevölkerung. 

 

Merkwürdig daran ist freilich dies hier: 

 

Wie soll das denn zusammenpassen?

Es zeigt sich, daß das ZDF uns mit der ersten Grafik schlicht angelogen hat. Die Fragestellung dazu lautete:  

  

Diese Frage zu bejahen, bedeutet aber etwas ganz anderes, als Friedrich Merz' Stadtbild-Äußerung zuzustimmen. Danke an dieser Stelle an den Volksverpetzer, der die Quellen auf seiner Website verlinkte, so daß ich nicht selbst danach suchen mußte.  

Dieser Text - einer der besten, die ich bislang zum Thema sah -, zeigt, warum das fast zwangsläufig passieren muß. 

Wenn eine Erzählung falsch ist, dann lautet die sinnvolle Frage nicht: Welche Elemente sind wahr? Die sinnvolle Frage lautet dann: Welche andere Erzählung bildet die Wirklichkeit besser ab?

So schreibt das der Journalist Jonas Schaible in einem Blogbeitrag, und das fand ich einen interessanten Denkanstoß über das, was bei uns in der Kommunikation dauernd so fürchterlich schiefläuft. Der blinde Fleck bei Schaible besteht darin, daß er nicht erwähnt, wieviele unwahre Elemente auch die Erzählungen der Gegenseite enthalten und daß man deshalb erst mal definieren müßte, wie man aus welchen Gründen die Wahrheiten und Unwahrheiten gewichtet - und ob bzw. wann und welchen Unterschied es macht, wo diese Unwahrheiten Irrtümer und wo sie Lügen sind. 

Meistens sind Erzählungen nämlich genau wie das obige Umfrageergebnis des ZDF eine Mischung aus allen dreien: Wahrheit, Lüge und Irrtum. Sie sind alle so miteinander verfilzt wie Bambus, Efeu und Kletterrosen sowie wilder Wein es in meinem rückwärtigen Garten waren, nachdem der Vorbesitzer sich sieben Jahre lang nicht darum gekümmert hatte. Was wir mit diesem unentwirrbaren Gestrüpp gemacht haben, ist eine ganz passende Analogie zu dem, was unsere Regierung meiner Meinung nach auch mit der Entwicklung des Rechtspopulismus in den letzten Jahren machen sollte. 

Wir haben uns nämlich nicht damit begnügt, einfach nur alles zu stutzen. Manches mußten wir buchstäblich radikal beseitigen, will heißen: die Wurzeln ausgraben. Das galt vor allem für den Bambus, denn der bildet auch aus einem übersehenen Stück Wurzel von fünf Zentimentern im Boden doch wieder einen neuen Trieb, der dann, wenn man nicht aufpaßt, wieder anfängt, sich unterirdisch überall auszubreiten. Also habe ich den ganzen Gartenbereich umgepflügt und so viel von den Wurzeln beseitigt, wie ich finden konnte. Neue Triebe, die natürlich trotzdem da und dort wieder aus dem Boden kamen, wurden ebenfalls bis zu ihrer Wurzel ausgegraben und mit ihr zusammen beseitigt. 

Freilich, an manchen Stellen ging das nicht. Unsere Haselsträucher und den Holunder wollen wir nämlich behalten, und um den Bambus wirklich radikalstmöglich zu beseitigen, hätte ich seine Wurzeln auch unter die Wurzeln dieser Sträucher verfolgen und ausmerzen müssen, auf die Gefahr hin, dabei die Sträucher zu schädigen. Also habe ich mich an diesen Stellen für eine andere Strategie entschieden: Alles, was dort rauskommt, wird nur bis zu dem Punkt eliminiert, wo es sich zwischen den Wurzeln einer erwünschten Pflanze versteckt. Das bedeutet, ich muß das halt so lange kontrollieren, bis aus dieser Richtung keine neuen Triebe mehr nachwachsen. Möglicherweise kommen wir an diesen Punkt auch nie. Aber das macht nichts. Es ist ein vertretbarer Aufwand, sich um diese verbliebenen Bambusreste zu kümmern. 

Im Prinzip habe ich auch beim Efeu und dem wilden Wein so viel wie möglich von den Wurzeln beseitigt, aber erstens ging das erheblich einfacher und zweitens bergen steckengebliebene Wurzelteile weniger Risiken. Tatsächlich habe ich den Efeu an drei Stellen erst einmal sogar stehenlassen, an zwei abgestorbenen Bäumen - dort kommt er erst weg, wenn wir die Bäume beseitigen - und im Bereich des Gartentors. Es kann sogar sein, daß wir diesen dritten Teil ganz behalten, aber das ist noch nicht spruchreif und entscheidet sich erst, wenn wir den Gartenzaun auf dieser Seite erneuern. Den Efeu müssen wir halt mehrere Male im Jahr stutzen, sonst wuchert er uns innen wie außen innerhalb von wenigen Monaten wieder alles zu. 

Die Kletterrosen waren genauso expansiv wie der Efeu und stachen dazu noch ziemlich fies, als wir sie stutzten. Mein Mann war ab einem bestimmten Punkt so sauer darüber, daß er sie ziemlich rabiat zurückgeschnitten hat und nur Stümpfe zurückgeblieben sind. Und sieh an, sie nahmen das nicht nur nicht übel, sondern trieben im Frühjahr aus wie verrückt und wir hatten das ganze Jahr die tollsten Rosenblüten in allen Teilen des Gartens und in allen möglichen Farben. Sie stutzten wir nur dann, wenn sie es mit dem Wachsen und Wuchern übertrieben haben, was ein Teil unserer Rosen natürlich wirklich tat. Ganz ehrlich: Den optimalen Umgang mit den Rosen habe ich noch nicht gefunden. Aber jedenfalls bleiben sie. Alle. 

Die Analogie läßt sich noch weiterdenken. Denn tatsächlich habe ich im Moment genausowenig ein Bild vor Augen, wie der Garten als Ganzes einmal aussehen soll, wie die Bundesregierung eine Vorstellung von einer angestrebten Gesellschaft in Deutschland zu haben scheint. Trotzdem ist es aber möglich, auf Basis der Frage, was man keinesfalls haben will - nämlich große Teile des Gartens überwucherndes Gestrüpp -, sofort wirksame Maßnahmen zu treffen, um dies zu verhindern.  Genau so wie in unserem Garten stelle ich mir auch das erwünschte Ergebnis im Kampf gegen den Faschismus vor. Nicht alles muß sofort und mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden, und von 100-%-Zielen sollte man sich bei so einer Aufgabe schnellstmöglich wieder verabschieden, falls man diesen Gedanken anfangs verfolgt hatte. Man macht zwangsläufig Fehler und erlebt unerwartete Wirkungen und Nebenwirkungen seiner Handlungen. Unser Quittenbaum beispielsweise ist vermutlich auch deshalb umgekippt, weil ich um ihn herum den gesamten Efeu beseitigt hatte und seine Wurzeln vermutlich mit denen des Efeus vielfach verflochten waren. Als die Wurzeln abstarben, war natürlich auch die Standfestigkeit des Quittenbaums beeinträchtigt. Das bedeutet freilich nicht, daß es falsch war, den Efeu zu beseitigen. Es bedeutet, daß ich eine unerwünschte Nebenwirkung nicht vorhergesehen und präventiv darauf reagiert habe. Das wird uns bestimmt auch noch öfter passieren. So was ist normal. 

Mein Mann und ich haben außerdem, wie sich im Lauf der Zeit herauskristallisierte, zwei sehr verschiedene Vorstellungen im Garten gehabt und auch bis heute nicht so richtig in Einklang bringen können. Zeitweise haben wir deshalb möglichst getrennt voneinander im Garten gearbeitet. Absprachen trafen wir dann, wenn entweder der andere mit gebraucht wurde oder unsere Bilder im Kopf miteinander kollidierten und wir uns auf eines einigen oder eine Kompromißlösung finden mußten. Für mich war immer die Beseitigung dessen, was weg mußte, Priorität Nummer 1, und das war der rote Faden in meinen letzten zwölf Gartenmonaten. Mein Mann priorisierte einen möglichst vielfältigen sofortigen Gemüseanbau, der mich von der schieren Menge an Sorten heillos überforderte. Ich hätte eine wesentlich kleinere Auswahl in einem bestimmten Teil des Gartens sehr viel lieber gehabt, aber er kümmerte sich dann eben alleine um alles, was er säte und steckte, auch um die zugehörigen Vorarbeiten. Das führte zwar dazu, daß ich an einigen Stellen nicht tätig werden konnte, was mir nicht gefiel, aber es gab ja genügend andere Baustellen, mit denen ich mich befassen konnte. 

Unter dem Strich war es ein Gewinn, daß wir zwei verschiedene Strategien hatten. Wir haben immer noch kein Bild davon, wie unser Garten in fünf Jahren aussehen soll. Aber wir haben nun ein besseres Bild, was jetzt im Herbst, wenn das Laub runter ist, noch weg soll und was stattdessen nächstes Jahr in den Garten rein soll. 


Unser Garten im Monat vor unserem Einzug: Kein Waldweg, sondern der überwachsene Weg zwischen Terrasse und Gartenhaus - und zwar nachdem der Vorgänger dort bereits etwas gelichtet hatte. 

Auf diese Weise könnte auch eine Koalition funktionieren, die zwei sehr unterschiedliche Weltbilder miteinander in Einklang bringen muß. Gelegentlich krachte es bei uns auch, aber am Ende können wir beide dem jeweils anderen zugestehen, in dem selbstgewählten Gebiet den größeren Teil gut hingekriegt zu haben. Was daran wichtig ist: Keiner von uns beiden wäre wohl alleine zurechtgekommen. Die destruktiven Rodungsarbeiten am Unerwünschten und die konstruktiven Aufbauarbeiten beim Erwünschten waren beide im Grundsatz notwendig, und dazu müssen wir beide auch nicht in jedem Detail genau richtig vorgegangen sein. 

Aber noch einmal zurück zu den Erzählungen.  

Gehen wir davon aus, daß es von vornherein keine Erzählung geben kann, die die reine, absolute und nicht mehr hinterfragbare Wahrheit wiedergibt. Dann wäre die sinnvolle Frage nicht: Wieviel Prozent der Erzählung sind wahr? Es wäre auch nicht sinnvoll, die mit der höheren Prozentzahl dann als wahr zu übernehmen. Die wichtigste Frage lautet: Welche Ergänzungen bräuchte die Erzählung, um so nahe an der Wahrheit zu sein, wie es für eine Urteilsbildung erforderlich ist? In Wirklichkeit wäre es wohl nötig, beide konkurrierenden Erzählungen einander gegenüberzustellen und an beiden so lange die Ergänzungen hinzuzufügen, die sie der Wirklichkeit annähern, bis sie zwar nicht identisch, aber einander ähnlicher geworden sind. Dann kann man herausdestillieren, warum Person 1 die eine und Person 2 die andere Erzählung einleuchtender findet, welche Interessen oder Erfahrungen dahinterstecken und wo beide Standpunkte imstande sind, durch Kompromisse zufriedengestellt zu werden. 

Das würde beiden Standpunkten den nötigen Respekt zollen, anstatt, so wie jetzt, immer nur eine auch nur teilweise richtige, wenn auch vielleicht weniger fehlerhafte Erzählung als die angeblich einzige Wahrheit und die andere nur als Lüge darzustellen, obwohl ich jedenfalls auch in ihr wahre Elemente finde. Die falsche Erzählung enthält meiner Erfahrung nach tatsächlich fast immer einen wahren Kern. Der besteht in dem, was in der weniger falschen Erzählung unter den Tisch gefallen ist, weil er nicht zu den damit verbundenen Zielen paßte. Richtig ist, daß das meiste an den Erzählungen, die sich um diesen wahren Schnipsel herum bilden, dann aus Irrtümern und Lügen besteht, manchmal sogar richtig haarsträubenden. 

Niemand kann aber von einer Erzählung überzeugt werden, die einer tatsächlich gemachten persönlichen Erfahrung widerspricht, und wo der wahre Kern in der Lügengeschichte die persönliche Erfahrung bestätigt, hat die Gegenerzählung auch dann verloren, wenn sie flächendeckend durch alle Medien als angebliche reine Wahrheit etwas verbreitet, das implizit behauptet: Was du erlebt hast, kannst du gar nicht erlebt haben. So etwas nicht zu akzeptieren und dabei außerdem ziemlich sauer zu werden, ist nicht rechtsextrem. Es ist normal. Ich mache das ebenfalls so. Unnormal wäre es, einer Theorie mehr zu glauben als der persönlichen Erfahrung. Wo die Sache vertrackter wird, ist, wenn nach dieser berechtigten Reaktion diejenigen, die einem im Gegensatz zum Mainstream zugestimmt haben, auf einmal auch in anderen Bereichen zu der Autoriät werden, der man alles glaubt. Mir ist erst während Corona zum ersten Mal klargeworden, wie weit das gerade unter Leuten verbreitet ist, die sich dann widersinnigerweise als Selbstdenker bezeichnen. 

Was speziell Friedrich Merz vorzuwerfen ist, das ist, daß seine Erzählung zwei Dinge benennt, ein Problem - das Stadtbild - und die vermeintliche Lösung - Abschiebungen illegaler Einwanderer -, obwohl er selbst gut genug wissen müßte, daß diese Abschiebungen am Stadtbild kaum etwas verändern können, denn hier geht es überwiegend um Leute, die sich legal im Land aufhalten. In der Verknüpfung beider Teile gibt es aber keinen wahren Kern, deshalb ist es müßig, für sie nach einem zu suchen. Daß solche rhetorischen Tricks trotzdem funktionieren, liegt zum einen eben an diesem wahren Kern, der in beiden Hälften der falschen Verknüpfung enthalten ist, obwohl diese zwei Hälften in der vorliegenden Verknüpfung eine ganze Unwahrheit ohne wahren Kern bilden. 

Daß es diesen wahren Kern ohne die Verknüpfung gibt, liegt vor allem daran, daß die Erzählung der anderen Seite es mit der Wahrheit halt auch nicht so ganz genau nimmt. Im vorliegenden Fall sind es die Widersprüche zwischen selbst erfahrener und beobachteter Realität (ja, auch im Stadtbild) und kitschiger Multikulti-Rhetorik à la "Kein Mensch ist illegal", der Gleichsetzung von Flucht von politischer Verfolgung und Flucht vor der Perspektivlosigkeit im Herkunftsland und dergleichen sowie außerdem die schnelle Bereitschaft, jedes Hinterfragen der dabei unweigerlich auftauchenden Widersprüchlichkeiten sofort als Rassismus zu brandmarken. Über den letzteren Punkt habe ich schon in den Neunzigern in meinem Freundeskreis hingebungsvoll gestritten. Fürs Protokoll die Fehler in den beiden zitierten Beispielen: Die Einreise fast aller Menschen in fast alle Länder kann illegal sein, und zwar dann, wenn sie nicht nach deren Gesetzen legal ist. Natürlich ist das auch in Deutschland so. Daß ungeachtet dessen die Existenz jedes Menschen selbstverständlich nicht illegal sein kann, ist zwar richtig, ändert daran aber nichts. Und: Das Asylrecht ist nicht dafür gedacht, dem persönlichen Streben nach Glück durch Wechsel in ein anderes Land dienlich zu sein. Den Begriff "Flucht" für beides zu verwenden und dabei eine juristische Verpflichtung des Einwanderungslands zu suggerieren, ist auf genau dieselbe Weise falsch wie diese Stadtbild-Sache. Daran ändert es auch nichts, daß andere Zuwanderungsmöglichkeiten möglich und nötig sind, um auch diese Art von Zuwanderung zu ermöglichen. Diese Widersprüchlichkeiten werden auch von Leuten empfunden, denen das intellektuelle und rhetorische Rüstzeug fehlt, um zu begreifen und zu benennen, an welcher Stelle der Fehler in ihnen steckt. Und es wird sie kaum überzeugen, wenn sie dafür beschimpft werden.  

Ich bin ja im Moment recht beeindruckt davon, wieviel Energie Michel Friedman in die undankbare Aufgabe steckt, davor zu warnen, daß wir in zehn Jahren vielleicht keine Demokratie mehr sein werden, als eine Art einsamer Rufer in der Wüste. Natürlich hat er damit recht. Das Problem ist, das was wir jetzt haben, bedarf einer Generalsanierung. Genau wie unser Garten das vor einem Jahr gebraucht hat. Und wie in unserem Garten werden wir damit ein lange bestehende Dauerbaustelle haben und eine kluge Priorisierung ist erforderlich. Was aus meiner Sicht vordringlich ist, ist als erstes eine Beseitigung des ständigen "gewinnmaximierenden" Optimierens der jeweils eigenen Kommunikationsstrategie, weil das nie ohne die eine oder andere vermeintlich vertretbare Unwahrheit möglich ist. Und da das bestehende Parteienspekturm strukturell unfähig scheint, so etwas umzusetzen, wird nur eine neue Partei - oder eine politische Bewegung, die keine Partei ist, aber Regierungsaufgaben übernehmen könnte - so etwas umsetzen können. Dazu müßte sie das freilich erst mal wollen. Und niemand will eine Sache, die gar nicht in der öffentlichen Debatte ist. 

Solange niemand bereit ist, dieses Erfordernis zur Kenntnis zu nehmen, werden aber alle Rettungsversuche vergeblich sein, denn daß wir mit der derzeitigen Methode auf einen Abgrund zusteuern, ist mir schon seit fast zwanzig Jahren klar, und nie kam irgendwer auf den Gedanken, an ihr etwas zu ändern. Eine neue Regierung, die in etwa dem entspricht, was wir vor der Regierung Merz hatten - und das scheinen ja alle, von Friedman aufwärts, sich gerade als Lösung vorzustellen -, wird das Problem nicht lösen, sondern allenfalls die Fallgeschwindigkeit verringern und uns ein paar zusätzliche immer wackeligere Jahre schenken. Denn tatsächlich hat die Erosion der Glaubwürdigkeit schon lange vorher eingesetzt, spätestens zur Zeit der Bankenkrise, aber wahrscheinlich setzte auch das nur auf der Erfahrung mit der unsäglichen Agenda 2010 auf, die ein nicht zu unterschätzender Teil der Bevölkerung direkt gemacht hat oder im Nahbereich mit ansehen mußte. 

Für eine von vornherein verlorene Sache opfere ich weder Zeit noch Energie. Nicht einmal dann, wenn ich mit dazu beitragen könnte, daß die Geschwindigkeit, mit der wir auf den Abgrund zurasen, sich etwas verringert. Mit mir kann man erst dann rechnen, wenn es ernsthaft versucht wird, die Richtung zu ändern. 

 

Dienstag, 21. Oktober 2025

Kaloriendefizite und der Stoffwechsel: Herman Pontzer, haben Sie das gelesen?

Mein Gewicht heute früh zu Beginn des viertägigen Fastenintervalls: 77,2 Kilogramm. Zwei Kilo weniger als zum Start der Low-Carb-Phase, das dürfte erst mal vor allem Wasser gewesen sein. Auf mein Gewicht am Freitag bin ich schon gespannt. Schaffe ich es trotz LC auf eine Abnahme von mehr als 5 Kilogramm, und wenn ja, werde ich über oder unter den 72 kg liegen? Das hatte ich seit dem Mai nicht mehr. 

Irgendwo - ich glaube, das Abnehm-Forum, wo ich nach längerer Zeit mal wieder einen Blick reingeworfen hatte - las ich vor einiger Zeit einen Austausch über die Carb-Menge, die andere für erforderlich halten, und da war die Rede von zwanzig oder dreißig Gramm. Also, die Glykogenspeicher leeren sich schon bei den von mir angestrebten hundert Gramm, das sieht man an meiner Gewichtsentwicklung. Dabei begann ich letzten Montag mit Verspätung erst am Abend mit LC, weil vom Wochenende noch ein Rest Quitten-Tiramisu übrig war, den wir nicht wegschmeißen wollten und deshalb nachmittags zum Kaffee aufgegessen haben. 

Wir haben in der letzten Woche gut und sehr abwechslungsreich gegessen: Am Montag gab es die obligatorische Big-Mac-Rolle, mit der wir eigentlich immer anfangen, weil wir die so gut finden. Dienstags habe ich gefastet und mein Mann den ebenfalls obligatorischen Rest vom Montag gegessen. Am Mittwoch gab es panierte Zucchinischeiben mit Kartoffelbrei (der zur Hälfte aus Kohlrabi bestand). Nach dem Fasten am Donnerstag machte ich dann am Freitag  gefüllte Paprika, bei denen ich die letzten Tomaten aus dem Garten für die Soße mitverwendet habe. Ich habe eine riesige Menge gemacht und zwei Portionen eingefroren. Samstags gab es einen Thunfischauflauf mit den letzten beiden frischen Zucchini aus dem Garten, und am Sonntag Putengeschnetzeltes im asiatischen Stil mit Blumenkohlreis und einer Erdnußsoße.

So kann man es schon aushalten, ein Weilchen auf Spätzle zu verzichten. ;-)

Am Wochenende habe ich außerdem ein Probebacken für eine kleinere Version der Torte gemacht, die ich meiner Mutter zum Geburtstag machen will, ein Prachtstück mit einer Feigen/Quitten-Kompott-Mischung, bedeckt von einer mit gerösteten Mandelblättern bestreuten Schicht aus Schlagsahne. Anstelle des Biskuitbodens habe ich mich für die Mandel/Mozzarella-Wunderwaffe als Boden entschieden, obwohl der eher Mürbteig vergleichbar ist. Das Experiment fiel zufriedenstellend aus, und so kann Mamas 89. Geburtstag nächste Woche also kommen. Ursprünglich wollte ich nur das eingefrorene Quitten-Fruchtfleisch nehmen, die Idee mit den Feigen kam mir, weil so viele Feigen gleichzeitig reif geworden sind und unbedingt vom Baum runter mußten. Das Probebacken war nötig, weil ich mir unsicher war, ob das Quitten-Feigen-Püree mit dem Birken-Gelierzucker wirklich fest genug für eine Torte wird oder womöglich beim Anschneiden davonläuft, aber das tat es glücklicherweise nicht. Die Kombination hat sich als wirklich gut erwiesen, falls also bis zum Wochenende wieder Feigen vom Baum runtermüssen, werde ich sie auch für die Geburtstagstorte verwenden.  

So ganz orthodox Low Carb sind Feigen natürlich nicht, aber wenn man Obst im Garten hat, finde ich es einleuchtend, in diesem Punkt fünfe gerade sein zu lassen, und das Limit von 100 Gramm Carbs pro Tag habe ich letzte Woche ja auch kaum nennenswert getoppt, das sehe ich an meiner Gewichtsentwicklung der letzten Woche, auch wenn ich diesmal darauf verzichtet habe, mitzurechnen.  

Am Geburtstag meiner Mutter unterbreche ich Low Carb für zwei Tage, und eine zweite Unterbrechung erfolgt anläßlich einer Veranstaltung, zu der ich im November angemeldet bin, bei der ich schon jetzt weiß, daß das Abendessen mir ein paar zusätzliche Kohlenhydrate verschaffen wird. 

***

Über Herman Pontzers Erkenntnisse zur Wirkung von mehr Bewegung auf die Selbstregulierung des Stoffwechsels - hin zu einem neuen Gleichgewicht zwischen Energieaufnahme und -verbrauch - schrieb ich an anderer Stelle bereits. Irritiert hatte mich an Pontzer aber, daß er nicht von selbst darauf gekommen ist, daß die andere Seite der klassischen Abnehm-Formel "Weniger essen, mehr bewegen" dann vielleicht ebenfalls ein Gegensteuern des Stoffwechsels auslösen könnte. Wenn ich nicht etwas verpaßt habe, ist ihm diese Erleuchtung auch bis heute nicht gekommen. 

Immerhin haben andere sich endlich einmal mit möglichen negativen Wirkungen der Kalorienreduktion befaßt. Von ihren Erkenntnissen war mir leider nur der Abstract zugänglich, aber die Auflistung läßt genau das vermuten, was ich schon seit Pontzers Buch annehme. Von den zu erwartenden Nebenwirkungen, die dort aufgezählt werden, kennen viele Abnehmer einige auch aus eigener Erfahrung. Das gilt natürlich primär für das verstärkte Hungergefühl. Darüber hinaus: 

  • Die Wundheilung verzögert sich
  • Die Körpertemperatur verringert sich
  • Verstärktes Kälteempfinden

Die weniger offensichtlichen Wirkungen:  

  • Die Knochendichte verringerte sich in Tierversuchen. 
  • Die meisten Organe verkleinern sich, einschließlich des Gehirns 
  • Die ungünstige Wirkung auf das Immunsystem wird als unklar bezeichnet - beim Sport hingegen ist dies bei Leistungssportlern allgemein bekannt, deshalb läge die Annahme recht nahe, daß ein länger andauerndes Kaloriendefizit ebenfalls eine solche Wirkung hat. 
  • Das sexuelle Interesse läßt nach, bei Tieren führt Kalorienrestriktion zu einer Verschlechterung der Reproduktionsfähigkeit. (Ein Effekt, der sich bei ihnen mit Normalisierung der Ernährung ins Gegenteil umkehrt.)

Die Autoren vermuten dasselbe, was ich aus Pontzers Erkenntnissen auch für ein Kaloriendefizit abgeleitet hätte: Der Stoffwechsel priorisiert die Verwendung der verfügbaren Energie nach Überlebenserfordernissen und verringert die Versorgung von minderwichtigen Aufgabenbereichen. Wenn man nach einem evolutionsbiologischen Sinn sucht, dann liegt der Gedanke nahe, daß dies das unmittelbare Überleben bei Nahrungsmittelknappheit sichern soll, aus einer solchen Sicht ist das von uns heute für so wichtig gehaltene Immunsystem aus dieser Sicht nachrangig. Und während einer Hungersnot keinen Nachwuchs zu erzeugen, leuchtet so gesehen ebenfalls ein. 

Liest man den Abstract, könnte man meinen, dies gelte vom Beginn einer Diät an. Sehr wahrscheinlich ergäbe sich aber aus dem Volltext, daß die Autoren hier ein länger andauerndes Kaloriendefizit gemeint haben, aber diese Annahme von mir unter dem Vorbehalt, daß ich den Volltext nicht kenne. 

Die Indizien, daß der Stoffwechsel sich an ein Defizit zwischen Energiezufuhr und -bedarf ungeachtet der Art, wie das Defizit entsteht, anpaßt, indem er minderwichtige Funktionen mit weniger Energie versorgt, mehren sich jedenfalls.  

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Ich bin gerade ein bißchen dünnhäutig, was die einfältige Selbstgefälligkeit der "Follow the Science"-Fraktion betrifft. Es gibt da einen Cartoon, den solche Leute mögen: 

 

Allerdings verwenden sie lieber die Version für die ganz Begriffsstutzigen: 

 Comic.
Eine riesige Menschenmenge.
Sie ist überschrieben mit Scientists.
Davor ein einzelner Typ.
Er sagt zur Menschenmenge gewandt
"Yes, you all are wrong"
Untertitelt ist der Typ mit
A Man who saw a YouTube Video

Also, ich bin zwar kein Mann, sondern eine Frau, und ich habe auch nicht ein YouTube-Video gesehen, sondern die Sache mit den Kalorien im Selbstversuch über einen Zeitraum von mehr als sieben Jahren in der Praxis erprobt. Aber freilich, wenn ich es müßte, würde ich auch vor eine solchen Zahl von Wissenschaftlern, die behaupten, daß man abnimmt, indem man ein Kaloriendefizit erzeugt, die abgebildete Antwort geben müssen. Ich respektiere Wissenschaftler nicht, die sich an Grundannahmen klammern, die in der Praxis in mehr als 90 Prozent der Fälle dasselbe Scheitern verusachen, ohne sich dazu bemüßigt fühlen, sich mal zu fragen, ob man die Sache nicht irgendwie falsch angeht, wenn man gerne eine Adipositas-Epidemie zum Stillstand bringen möchte.  

Welche Fehlsteuerungen im System dazu führen können, daß Wissenschaftler ständig die falschen Fragen zu beantworten versuchen, habe ich einmal bei Bluesky in abstrakterer Form ohne das obige Beispiel zusammenzufassen versucht und den Eindruck gewonnen, das wird unter jüngeren Wissenschaftlern durchaus für eine realistische Sorge um die Qualität wissenschaftlicher Ergebnisse gehalten. 

Was Leute, die solche Karikaturen posten, außerdem in ihrer Selbstgefälligkeit nie auf dem Schirm haben, ist, was für eine gruselige Vorstellung die dargestellte Situation ist, einem solchen Mob gegenüberzustehen und ihm in einer vermeintlichen Selbstverständlichkeit zu widersprechen. Es gibt bestimmt nicht viele Leute, denen es Spaß machen würde, sich in ihr wiederzufinden. Es ist aber natürlich viel einfacher, sich in seiner Phantasie als Teil des Mobs zu sehen. Wobei mir das sogar noch weniger gefallen würde. Terry Pratchetts Äußerung, daß der IQ einer Gruppe von Menschen dem des Dümmsten unter ihnen entspreche, geteilt durch die Anzahl der Personen, entspricht auch meinem Eindruck. Von solchen Menschenmassen halte ich mich aus Sorge um mein Denkvermögen also lieber fern. 

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Ich wurde neulich gebeten, mich an einer Petition zu beteiligen, in der es darum geht, die sogenannte "Aktivrente" auch auf Selbständige auszuweiten. Bis jetzt habe ich mich dazu nicht durchringen können. Diese Aktivrente finde ich schon als solche eine Kateridee, und mir krümmt sich die Tastatur, wenn ich nun, nur damit ich ggf. selbst davon auch Gebrauch machen und neben meiner Rente Geld verdienen könnte, diesen Blödsinn noch prinzipiell bejahen soll. Jetzt ringe ich mit mir, ob ich es tun sollte, weil ja doch eine Menge kleine Selbständige so lange weiterarbeiten müßten wie sie es gesundheitlich noch können, wenn sie diese Teilzeit-Rente nicht bekommen können. 

Ich bezweifele für mich selbst aber, daß ich, wenn ich meine Rente mal durch habe, noch viel Zeit haben werde, um Geld zu verdienen. Himmel, ich habe einen Garten und, wie es aussieht, demnächst ein Ehrenamt und viele interessante Sachen, für die mir im Moment noch die Zeit fehlt. Ich sollte sie wirklich machen, bevor ich gesundheitlich eingeschränkt bin. Und auch wenn ich den Ehrgeiz habe, so alt zu werden wie meine Mutter - die mittlerweile, derweil sie sich ab nächsten Dienstag der 90 annähert, entschieden hat, sie wolle doch gerne hundert Jahre alt werden - weiß ich ja doch nicht, wie lange ich physisch in der Lage bin, alles zu machen, was ich machen will. Wenn ich das noch richtig im Kopf habe, hat meine Mutter kurz nach der 80 aufgehört, Fahrrad zu fahren, weil sie das mit dem Gleichgewicht halten nicht mehr richtig hingekriegt hat. 

Also, falls ich das unterschreibe, dann definitiv nicht im eigenen kleinen Eigeninteresse.  

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Mein Port ist ja raus, und eigentlich hätte ich heute meinen Hausarzt anrufen wollen, um einen Termin für das Ziehen der Fäden auszumachen. Jetzt ist mir gestern nach dem Duschen aber passiert, daß ich auf einmal das eine Ende mit dem Knoten in der Hand hatte, der sich irgendwie gelöst hatte. Und als ich dann danach tastete, ob und wo noch Fäden vorhanden sind, bekam ich das "loser Faden"-Sydrom, das einen manchmal ganze Pullover aufribbeln läßt ... also, ich fand einen Nylonfaden (ohne Knoten) und zog vorsichtig daran, er wurde immer länger und länger und auf einmal war er ganz raus. Jetzt kann ich keine weiteren Fadenreste mehr ertasten oder im Spiegel sehen. Eigentlich kann ich mir dann wohl den Arztbesuch sparen, denn was sollte er jetzt noch groß machen? Falls doch noch ein Fadenrest irgendwo unter der Haut sein sollte, kann er ja auch nichts machen. 

Mein Mann hat sich darüber die Haare gerauft. Einen Tag, bevor das passierte, hatte ich nämlich laut darüber nachgedacht, ob ich die Fäden vielleicht selbst ziehen sollte, und er hatte mir eindringlich davon abgeraten. Ich hatte das auch gar nicht so ernst gemeint, das war nur der Frust über die verlorene Zeit durch den Arztbesuch - so was kostet mich ja jedes Mal einen halben Arbeitstag.