Freitag, 12. September 2025

LC und Abnehmspritzen: Kleine Fortschritte in den zugehörigen Debatten

Mein Gewicht heute früh nach dem vierten von vier Fastentagen: 72,7 Kilogramm. Nur hundert Gramm weniger als letztes Mal, aber dafür warte ich heute - im Gegensatz zum letzten Mal - noch auf den Auszug meiner Darmflora in die Kanalisation. Alles im grünen Bereich also, wenn auch kein Grund, Purzelbäume zu schlagen. 

In den letzten Tagen gab es endlich mal wieder mehr über meine eigentlichen Themen zu berichten. Das ist auch deshalb gut so, weil es mich von den unerfreulichen und möglicherweise unheilverkündenden politischen Entwicklungen in Deutschland, an den östlichen EU-Außengrenzen, den USA und überhaupt der ganzen Welt ablenkt. Rußlands Gebaren gegenüber Polen erinnert mich gerade an den unheilsschwangeren Satz des Militärhistorikers Sönke Neitzel: Es ist möglich, daß der vergangene Sommer unser letzter im Frieden war. 

Die Welt ist im Moment wie dieser sprichwörtliche Autobahnunfall: Man sollte eigentlich nicht hinsehen, kann aber irgendwie nicht anders. 

Aber zur Sache, Schätzchen.  

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Hochverarbeitete Lebensmittel sollen angeblich gesund sein, weil sie zu Gewichtsabnahme und keiner Zunahme führen, wenn sie nur vegan und fettarm sind. So wird aktuell diese Studie bei Bluesky kommuniziert, und nur mit Glück wird auch das "fettarm" dabei auch miterwähnt. Schlußfolgerung: Dieses Zeug könne man unbesorgt essen und sogar zum Abnehmen einsetzen. Was nicht erwähnt wird: Die Studie lief über sage und schreibe 16 Wochen. Keine vier Monate also. In einem solchen Zeitraum nimmt man mit jeder Methode ab, wenn man sie nur einigermaßen konsequent durchzieht. Was danach geschieht, wird nicht weiterverfolgt, aber im Grunde weiß das ja jeder, der schon einmal abzunehmen versucht hat. 

Es ist manchmal echt zum Heulen. Wieso tun gestandene Wissenschaftler, Ärzte und Journalisten bei jeder dieser Kurzzeitstudien so, als hätten diese Ergebnisse irgendwelche praktische Relevanz? Eigentlich müßten sie wissen, daß solche Studien, auch wenn die Daten stimmen und methodisch alles korrekt war, nicht einen Hauch von Einfluß darauf haben können, wie das real existierende Problem einer Adipositasepidemie gelöst werden kann, weil die dafür entscheidenden Dinge erst zwischen Monat 6 und 15 nach Beginn einer Maßnahme geschehen - nämlich wenn der Stoffwechsel sich der Veränderung angepaßt hat und dann die geschaffenen Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage wieder zu beseitigen versucht, indem er einerseits seine eigene Nachfrage reduziert und andererseits das Bedürfnis nach Essen, also unsere Nachfrage, erhöht. Worauf man fast zwangsläufig wieder zunimmt. 

Kurz, es wird ein Vergleich nach dem Motto "Nachts ist es kälter als draußen" gezogen, da man einen kurzfristigen Erfolg anstelle eines etwaigen ausbleibenden kurzfristigen Schadens befriedigt zur Kenntnis nahm, obwohl kurzfristig von vornherein kein Schaden zu erwarten war. Die spannende Frage, auf die ich nicht antworten kann, lautet: Sind diese Leute zu vernagelt, um die in allen Studien, die zwei Jahre oder länger laufen, zu beobachtende Entwicklung beim Körpergewicht ab Monat 6 überhaupt mitbekommen zu haben, oder betreiben sie absichtlich und gegen besseres Wissen ein "So tun, als ob"?

Der Low-Carb-Mediziner Bret Scher - früher bei der Plattform "Diet Doctor", bevor dessen Gründer Andreas Eenfeldt vom Glauben an Low Carb abfiel und den Satiety Index erfand - hat ein interessantes Streitgespräch zwischen zwei Leuten moderiert, die an sich derselben Seite bei der Ernährungthematik angehören, also die Rolle der Kohlenhydrate für bedeutsamer als die der Kalorien halten, aber im Detail doch miteinander uneins sind: dem immens erfahrenen Wissenschaftsjournalisten Gary Taubes und dem hochkarätigen Wissenschaftler David Ludwig. Das Kernthema ist dabei auch die Rolle der hochverabeiteten Lebensmittel. Hochinteressant fand ich vor allem die Herangehensweisen der beiden und wie sie über ihre jeweils eigenen Bretter von dem Kopf sinnierten und welche Rolle Kritik von außen dabei hat, sie zu überwinden. Tatsächlich hätte ich aber mitstreiten können, da das Brett, das ich bestimmt ebenfalls vor dem Kopf habe, sich von ihren jeweiligen Brettern unterscheidet und ich ihnen deshalb die Maße ihrer jeweils eigenen Bretts präziser als sie selbst bezeichnen könnte.  

Könnte ich sonst immer wieder vom Glauben an die Menschheit abfallen, geben mir solche Debatten wieder ein kleines bißchen Hoffnung. Low Carb ist nicht die komplette Antwort, wie das viele LC-Fans glauben. Die fehlenden Teile im aktuellen LC-bezogenen Wissen, die unbedingt nötig sind, um Adipositas bei möglichst jedem möglichst vollständig und möglichst dauerhaft bekämpfen zu können, lassen sich ohne solche Gespräche nicht finden. Es ist wichtig, daß diese beiden den Anfang gemacht haben. Mögen sich noch weitere LC-Fachleute in dieses Gepräch einklinken und Konstruktives zur Wahrheitsfindung beitragen. 

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Ausnahmsweise mal ein Bericht aus dem Ärzteblatt mit der Bitte, die dort verlinkten Quellen bei Interesse selbst zu checken, weil es ziemlich viele sind und die meisten mir schon in etwa bekannt waren, weshalb ich darauf verzichtet habe, sie auch noch zu checken. Es geht nämlich in dem sehr langen Artikel mit der Inhaltsangabe mehrerer Vorträge bei einem Kardiologenkongreß u. a. um die ziemlich ausführliche Wiedergabe eines Vortrags  zu GLP1-Agonisten, den sogenannten Abnehmspritzen. Referent war Stefan D. Anker, Professor für Gewebehomöostase in Kardiologie und Stoffwechsel am Berlin-Brandenburger Centrum für Regenerative Therapien der Charité.

 „Warum senken wir durch all das die Mortalität nicht viel stärker?“, fragte Anker in Madrid. Denn diese sinke – etwa in einer Studie im New England Journal of Medicine (2024; DOI: 10.1056/NEJMoa2410027) mit Tirzepatid bei Herzinsuffizienzpatienten – letztlich nur mit einer Hazard Ratio (HR) von 1,25, so der Berliner Experte. 

Der ganze lange Bericht auch zu den anderen Vorträgen zum Thema lohnt sich zu lesen, aber der von Anker ist der interessanteste. Ich kann mich nämlich nicht erinnern, daß jemals von irgendwem diese wichtige Frage aufgeworfen wurde. Stattdessen lesen wir in einer Unzahl von Berichten über diese und jene Studie nur davon, daß Abnehmspritzen das Risiko auf diese oder jene mit Adipositas verknüpfte Krankheit verringeren könnten. Bedenken wegen der Langzeitfolgen kamen zwar hier und da auch auf, insbesondere wegen zwei problematischen Punkten: 

  1. Abnehmspritzen müßten eigentlich lebenslang genommen werden, um dauerhafte Abnahme zu erreichen, denn nach dem Absetzen erfolgt typischerweise eine ziemlich rapide Gewichtszunahme.
  2. Die Gewichtsabnahme enthält ungewöhnlich viel "fettfreie Masse", was auch hier - der nicht überzeugende  Teil des Vortrags - kurzerhand als "Muskeln" übersetzt wird. 

Nun, fettfreie Masse muß man aber bis zu einem gewissen Grad verlieren, wenn man stark abnimmt. Geschieht das nicht, wird man ein sicherer Kandidat für die plastische Chirurgie. Denn auch Haut und Bindegewebe zählen zur fettfreien Masse. 

Aber geschenkt. Wenn der Verlust an fettfreier Masse bei "klassischen" Gewichtsreduktionen 25 Prozent beträgt und dabei ja auch schon hängende Hautlappen zu erwarten sind, dann sind die bis zu 39 Prozent bei Semaglutid schon beunruhigend viel - falls nicht eine weitere Nebenwirkung darin bestehen sollte, daß die hängenden Hautlappen im Gegenteil weniger ausgeprägt als bei konventionellen Abnahmestrategien sein sollte - wovon ich aber noch nie gehört habe. Falls bei Abnehmspritzen aber andererseits auch nicht deutlich mehr Haut herunterhängt als bei anderen Abnahmevarianten (wovon ich auch noch nie etwas gehört habe), spricht das durchaus dafür, daß hier auch die Muskelmasse selbst betroffen ist. Bei einer Wiederzunahme beim Absetzen der Abnehmspritze wird etwaige dabei verlorene Muskelmasse aber nicht wieder durch neue Muskelmasse ersetzt, sondern durch Fettgewebe. Das Ergebnis nennt sich dann "sarkopenische Adipositas", von "Sarkopenie", ein Krankheitsbild, das sonst mit einem ausgezehrten Erscheinungsbild einhergeht, weshalb man es den von sarkopenischer Adipositas Betroffenen nicht ansehen kann. 

Es geht aber nicht nur um die Muskeln, die wir spontan vor Augen haben, sondern auch um den Herzmuskel, das ist wohl ein wichtiger Grund dafür, warum ausgerechnet Kardiologen sich für dieses Thema interessieren. Daneben scheint auch die Knochendichte sich zu verringern. Darauf wurde in einem der anderen Vorträge hingewiesen.  Laut einem weiteren  Vortrag gibt es bereits Bemühungen der Pharmaindustrie, Medikamente zu entwickeln, die diese Nebenwirkungen verhindern bzw. verringern sollen. Nun ja. Das sind natürlich zusätzliche Möglichkeiten, Abnehmenden noch mehr Geld abnehmen zu können, also kein Wunder, daß das versucht wird. Ob man etwas Überzeugendes findet, bleibt abzuwarten. 

Stefan Anker ist meines Wissens der Erste, der bei einer öffentlichen Veranstaltung von Fachleuten darauf hinweist, daß die Wirkung auf die weitere Lebenserwartung nach einer starken Abnahme mit Abnehmspritzen eigentlich viel höher ausfallen müßte, als es tatsächlich der Fall ist, und nach den Gründen dafür fragt. Das finde ich wichtig, denn es ist die Voraussetzung dafür, daß eine wissenschaftliche Debatte über diese Frage einsetzt. Seine Lösungsvorschläge klingen für mich freilich ziemlich lahm: proteinreiche Ernährung und Sport. Es kann natürlich sein, daß das wirklich etwas bringt - mal sehen, was die Wissenschaft™ dazu irgendwann an Studien publiziert -, der Pferdefuß besteht darin, daß die sogenannten "Compliance" kaum besser sein wird als bei Gewichtsreduktionen anderer Art, die mit Sport verknüpft werden. Aber immerhin, ein Anfang ist es doch.

Die Begeisterung für Abnehmspritzen wird das freilich kaum reduzieren, da die gesundheitlichen Gründe für Gewichtsreduktion zwar immer genannt werden, aber insgeheim vermutlich meistens eher eine Nebenrolle spielen. 

Derweil meldet UNICEF daß, weltweit gesehen, inzwischen mehr Kinder adipös als untergewichtig seien, die einzige Weltregion, in der das noch nicht so ist, ist Afrika südlich der Sahara. Im Moment ist das noch keine gute Nachricht, aber vielleicht gibt es Hoffnung, daß das letztere dort weniger wird, ohne daß das erstere geschieht. Indizien dafür habe ich zwar keine, aber ich war schon immer der Meinung, Afrikas große Zeit werde noch kommen, und Afrika ist gerade ein Kontinent voller ungeahnter Chancen. 

In den letzten Jahren kam es dort zum Durchbruch für den Einsatz von Solaranlagen, was es möglich machen könnte, einen Umweg über die umweltschädliche Art der Industrialisierung anderer Teile der Welt weitgehend zu vermeiden. Aber Afrika hat auch die Riesenchance, Ernährungsfehler der westlichen Welt zu vermeiden, die in den inzwischen stark industrialisierten Teilen Asiens wie China oder Indien dazu geführt haben, daß sie zu viele und offenbar die falschen Ernährungsgewohnheiten vom Westen übernommen haben. Ich drücke ganz fest die Daumen, daß diese Chance auch genutzt wird. Vielleicht muß der Westen dann eines Tages anfangen, von Afrika zu lernen. Ich bin kein Freund dieser korintenkackerischen angeblich antirassistischen Sprachspielereien und befürchtet, daß mich die einschlägigen Aktivisten deshalb allesamt für einen bösen Rassisten halten würden, aber daß der schwarze Kontinent den früheren Kolonialmächten und Sklavenhaltern eines Tages auf diese Weise auch mal gönnerhaft gegenübertreten könnte, wäre für Afrika mal ein Stück ausgleichende Gerechtigkeit, und das fände natürlich meinen Beifall. 

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Unsere neue Steuerberaterin hat sich als Glücksgriff herausgestellt. Sie hat nicht nur alle kritischen Klippen in unserer ersten gemeinsamen Steuererklärung souverän gemeistert und uns alleine für 2024 wahrscheinlich Tausende von Euro erspart (im allergünstigsten Fall einen fünfstelligen Betrag, aber das hängt davon ab, wie das Finanzamt die gefundene Lösung bewertet), sondern verlangt dafür nicht einmal halb so viel Honorar wie mein früherer Steuerberater. Man sollte das echt nicht glauben, immerhin haben Steuerberater ja eine Gebührenordnung. Die individuellen Spielräume scheinen groß zu sein, und mein alter Steuerberater muß sie ziemlich kreativ genutzt haben. 

Von ihm hatte ich mich 2019 getrennt, weil die Höhe seiner Rechnung meiner Meinung nach seine Dienste schlicht nicht mehr rechtfertigte, weil ich ziemlich viel an Absetzbarem übersehen konnte bei der Steuererklärung und dabei Geld verlieren, ohne daß ich dabei unter dem Strich finanziell schlechter dastand als wenn ich ihn bezahlten mußte. Der Hauskauf, Wohnungsverkauf, teure Renovierungen vom Haus und einer meiner vermieteten Wohnung und die Eheschließung haben das aber für das Jahr 2024 geändert. Ich war mir bei einer ganzen Reihe von Punkten unsicher und fand dann heraus, daß ich an einem dieser fraglichen Punkte sogar einer beträchtlichen Kostenfalle gegenüberstand, von der ich nicht einschätzen konnte, ob man aus ihr irgendwie wieder herauskommt.

Also brauchte ich unbedingt jemanden, der sich in diesem Regelungsgestrüpp zurechtfindet. Dabei hatte ich mich bereits damit abgefunden, daß in dem besonders kritischen Fall allenfalls die Folgen abgemildert werden könnten. 

Nun, die Steuerberaterin fand zu meiner angenehmen Überraschung doch einen echten Ausweg aus dieser Falle. Ob das Finanzamt mit ihm ganz oder nur teilweise einverstanden ist, wird man sehen. Aber auch im Fall, daß es gar nicht einverstanden ist, der zwar unwahrscheinlich, aber möglich ist, werden wir wohl bei ihr bleiben. Hier stimmt erstens das Kosten-Nutzen-Verhältnis wieder. Außerdem ist es halt doch immer sicherer im Umgang mit dem Finanzamt, einen Profi dazwischengeschaltet zu haben. Das gilt noch mehr, weil ich es jetzt mit einem neuen Finanzamt zu tun habe, von dem ich noch nicht weiß, wie es tickt. Das Sahnehäubchen ist, daß sie - anders als mein früherer Steuerberater - nicht eine frühere Finanzamtsmitarbeiterin ist, sondern zusätzlich noch Fachanwältin für Steuerrecht. Daß das ein ganz anderes Mindset bewirkt, merkt man bei jedem Wort, wenn man mit ihr spricht und das mit den Erfahrungen mit ihrem Vorgänger vergleicht, und es wird auch ihre Kommunikation mit dem Finanzamt anders machen. 

Daneben hat unsere Steuerberaterin uns geraten, unser bisherigen informelles und unbezahltes Arrangement, daß mein Mann sich um Hardware, Software und meine Website kümmert, in einen Minijob umzuwandeln. Das würde gegenüber jetzt eine ganz beträchtliche Steuerersparnis für mich mit sich bringen, und der Arbeitslohn bliebe dabei in der Familie. Ich hätte das vielleicht noch eine Nacht überschlafen und vorher noch eine Onlinerecherche zu dieser Frage gemacht, aber mein Mann war sofort Feuer und Flamme, also haben wir das sofort beschlossen. Auch die Anmeldung mit dem gesamten bürokratischen Prozedere wird von der Steuerberaterin übernommen. Das ist fast schon luxuriös. 

Tatsächlich habe ich zum Glück nach einmal Drüberschlafen über die bereits entschiedene Sache kein Bauchgrimmen bekommen, obwohl ich nichts machen würde, das aus meiner Sicht anrüchig ist. Auch wenn der Minijob-Höchstsatz hoch ist, gemessen an dem tatsächlichen Zeitaufwand, den mein Mann bislang in etwa zu leisten hatte (da haben wir ja Erfahrungswerte), kommt es natürlich auch darauf an, welchen Stundenlohn man zugrunde legt, und Tätigkeiten dieser Art werden ja, wenn man einen externen Profi beauftragt, nicht unbedingt auf Mindestlohnbasis erledigt, sondern da werden mittlerweile Stundenhonorare von 100 Euro brutto und mehr fällig. Was noch dazukommt, ist, daß mein Mann außerdem wirklich seit fast zwanzig Jahren alles, was bei meinem Computer anfällt, auf unbezahlter Basis gemacht hat. Da er kein Gewerbe mehr angemeldet hatte, verstand sich von selbst, daß er keine Rechnungen mehr schreiben konnte. Auf einen Minijob wären wir aber gar nicht gekommen, nicht zuletzt auch deshalb, weil ich einen grundsätzlicheren Aber gegen Minijobs habe, wie gelegentlich auch schon in Blogartikeln angesprochen (z. B. hier). Ich halte sie für falsch und abschaffungswürdig. Aber andererseits hatte ich auch einen grundsätzlichen Aber gegen die Ehe (hier bin ich auf meine Gründe dafür näher eingegangen), und daß wir nun doch verheiratet sind, ist dem deutschen Erbrecht zu verdanken. Ich hatte mir geschworen, daß ich als meine persönliche Rache am Fiskus JEDEN steuerlichen Vorteil mitnehmen werde, der sich aufgrund meiner Eheschließung auf legalem Weg auftun würde, und dieser Minijob ist so ein Vorteil. Wenn man so will, hat das deutsche Erbrecht mich also korrumpiert. 

Ich habe meinen Mann bereits darauf hingewiesen, daß er manche nicht akut sofort nötigen Arbeiten jetzt nicht mehr endlos vor sich herschieben kann, wenn er nun dafür von mir bezahlt wird. ;-)

Mein Mann war das übrigens früher einmal wirklich, ein selbständiger externer Profi für genau solche Tätigkeiten, auch wenn er inzwischen die Branche gewechselt hat und in einem Anstellungsverhältnis ist. So haben wir uns nämlich vor zwanzig Jahren kennengelernt. Ich habe damals meine geschäftliche Website bei ihm in Auftrag gegeben (dies natürlich noch gegen ein angemessenes Honorar) und wir trafen uns an seinem Wohnort, um dieses Projekt zu besprechen, nachdem ich die gute Idee gehabt hatte, dort außerdem noch ein paar Urlaubstage zu verbringen, weil ich diese Region noch nie gesehen hatte. Es sind tatsächlich heute fast auf den Tag genau zwanzig Jahre, daß wir uns zum ersten Mal persönlich begegnet sind, und es hat damals praktisch auf der Stelle zwischen uns gefunkt, obwohl wir wie zwei heimlich verliebte Dreizehnjährige mehrere Wochen benötigt haben, um uns das gegenseitig einzugestehen. Daß wir nach zwanzig Jahren immer noch zusammen und sogar verheiratet sein und in einem abbezahlten eigenen Haus leben würden, hätten wir uns 2005 wohl kaum vorstellen können. 

Ich habe meinem Mann, weil er so unzufrieden mit unserem Hausarzt ist, vorgeschlagen, es angesichts der positiven Erfahrung mit einer hiesigen Steuerberaterin doch auch einmal mit den hiesigen Ärzten zu probieren. Vielleicht hätten wir damit ja genausoviel Glück. 

 

 

 

Dienstag, 9. September 2025

Frau Petrell und die apokalyptischen Visionen von übermorgen

Mein Gewicht heute früh nach dem ersten Tag des viertägigen langen Fastenintervalls: 75,8 Kilogramm. Gestern startete ich mit 77,9. Ein Pfund weniger als vor zwei Wochen, und das, nachdem ich mich vorgestern abend - was mir selten passiert - richtiggehend überfressen hatte. 

Schuld waren Reste, die sonst verdorben wären: der halbe Kilo-Eimer Joghurt, die Zwetschgen, die Birnen und der letzte Apfel von meinem Baum, den ich eigentlich noch ein paar Tage hätte fertigreifen lassen, aber es stellte sich vorgestern früh heraus, daß die Wespen ihn schon süß genug fanden, und so mußte ich ihn notfallmäßig ernten. Schuld war außerdem die Menge an Zucchinis im Kühlschrank und der Umstand, daß wir am Samstag so spät frühstückten, daß es bei dieser einen Mahlzeit geblieben ist, weshalb es die gefüllten Zucchini am Sonntag gab. Ach ja, und daß ich unbedingt Rosmarinkartoffeln aus dem Backofen dazu essen wollte. Und das bereue ich auch nicht, denn die Kartoffeln, die ich im Hofladen bekommen habe, waren mit dem erstmals frisch geernteten Rosmarin sagenhaft gut. Alles zusammen führte aber dazu, daß ich nach dem Abendessen einen viel zu üppigen Nachtisch hatte, der sich ohne das bevorstehende Fasten sicherlich auf zwei Tage verteilt hätte, und danach zum ersten Mal seit langer Zeit unangenehm übersatt war. 

Gemessen daran bin ich fast ein bißchen überrascht, daß ich doch deutlich unter dem Gewicht vor dem letzten langen Fastenintervall lag. Was natürlich nicht heißt, daß ich mich darüber beschweren würde. Gestern waren es übrigens noch genau fünf Wochen bis zur nächsten Low-Carb-Phase, und da ich sie am liebsten mit einem Gewicht beginnen würde, das weniger als vier Kilo über dem Zielgewicht liegt, habe ich entschieden, diese und übernächste Woche jeweils vier Tage zu fasten und bezüglich der Gewichtsentwicklung das Beste zu hoffen. In der Woche vor dem Start von LC beschränke ich mich aber auf drei Tage Fasten, denn da wird mir am Freitag der Port entfernt, und ich bin gar nicht scharf darauf, dabei von Wadenkrämpfen überrascht zu werden, wie das ja bei vier Tagen Fasten nie völlig auszuschließen ist. 

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Ich habe heute einen längeren Text (scheint ein Vortrag gewesen zu sein) von Gary Taubes zumindest überflogen. Der Wissenschaftsjournalist Taubes zählte zu den Pionieren, was die Rolle des Zuckers bzw. der Kohlenhydrate in der Ernährung betrifft; hier referiert er aber über hochverarbeitete Lebensmittel. Was mir gut gefällt, ist, daß er trotz seiner unüberlesbaren Skepsis, was die Rolle von Nicht-Zucker-Faktoren betrifft, durchaus auch ein paar Fakten erwähnt, die in im Kontext seiner Grundannahmen keinen so richtigen Sinn ergeben, und seine Ahnungslosigkeit zu den Gründen auch zugibt.

Trotzdem habe ich aber auch etwas zu meckern. 

 The concept of refined (aka processed) carbohydrates as being uniquely harmful dates back to the 19th Century. As sugar and white flour spread around the world with the industrial revolution, as I’ve discussed in my books, so apparently did what observers took to calling diseases of civilization—most notably, hypertension, obesity, diabetes mellitus, and coronary heart disease, clustering together both in populations and in patients. 

Gehen wir mal davon aus, daß Taubes hier richtig liegt, dann bleibt dennoch festzuhalten, daß industriell verarbeitetes Weißmehl und Zucker im Lauf des 19. Jahrhunderts NICHT zu einer Adipositasepidemie geführt haben. Zwar gab es Menschen mit Adipositas, aber die hatte es in früheren Zeiten auch schon gegeben. Und zwar waren das fast durchweg Menschen ab dem mittleren Alter. Zahlen kenne ich keine, aber ich bin mir ziemlich sicher, daß ihr Bevölkerungsanteil im 19. Jahrhundert auch nicht auffällig höher lag als im 18. 

Ob irgendwer schon einmal wissenschaftlich zu erforschen versucht hat, ob sich das auf bestimmte gesellschaftliche Schichten (mit bestimmten Ernährungsgewohnheiten) beschränkt hat oder alle betraf, diese Frage muß ich leider offen lassen. Ich tippe aber darauf, daß die Quellenlage leider bei allem unterhalb des besonders wohlhabenden Bürgertums eher spärlich ist. Trotzdem ahne ich, daß sie - außer in Zeiten bzw. an Orten mit ausgeprägter Unterernährung - nicht an Klassenschranken halt machte. Dazu fallen mir die einmal privat gesehenen Fotos einer Familie von einem Südtiroler Bergbauernhof ein, auf denen ich mitverfolgen konnte, wie aus schlanken Mädchen stattliche fünfzigjährige Matronen mit ausgeprägter "Kittelschürzenfigur" wurden. Und das an einem Ort, zu dem zu jener Zeit noch nicht einmal eine mit Autos befahrbare Straße führte, weshalb alle Wege zu Fuß zurückgelegt wurden und selbstverständlich auch Ernten noch ohne Maschinenpark erfolgten. Ich riskiere die Behauptung, daß industriell gemahlenes Weißmehl und Zucker dort die Ernährung nicht dominiert haben können. Trotzdem wurden vor allem von den Frauen viele in einem Alter übergewichtig, in dem die Menopause vermutet werden kann. 

Übergewicht in mittleren Jahren ist also ein uraltes Problem, und ich sehe deshalb den Zusammenhang mit feinem Weißmehl und Zucker nicht, wenn beides erst ab dem 19. Jahrhundert immer mehr Menschen in immer größeren Mengen verfügbar war. Aber auch die Entwicklung der Adipositas bei Kindern und Jugendlichen sowie jungen Erwachsenen spricht m. E. nicht für die Rolle von Mehl und Zucker, die Taubes ihnen zuschreibt. Denn diese Entwicklung erfolgte dafür zu spät, das hätte spätestens in meiner Kindheit schon zu einem Problem werden müssen, denn gerade wir Boomer haben in unserer Kindheit bestimmt mehr Süßes als spätere Kinder konsumiert, da zu jener Zeit der "schlechte Esser" von unseren Eltern viel mehr gefürchtet war als übergewichtige Kinder. Es gab schlicht noch kaum Problembewußtsein. Bei Kindern setzte Adipositas als immer häufigeres Problem aber erst ein, als Eltern immer mehr darauf achteten, daß ihre Kinder möglichst nicht dick werden sollten. 

Der Unterschied zwischen 1970 und 2010 ist  nicht, daß heute mehr Zucker konsumiert wird (in vielen Familien ist die Ernährung ja sogar bewußt zuckerarm), sondern daß die Verarbeitungsintensität der Lebensmittel so zugenommen hat. Das gilt auch für Brot und sonstige Backwaren, die abgepackt oder als vorgefertigte Teiglinge aufgebacken verkauft werden und auf die der Stoffwechsel zudem - mindestens bei manchen Leuten - anders als auf handwerklich gebackene Varianten reagiert. Der Unterschied ist mindestens in diesem Fall nicht das Mehl, sondern es sind die die Zusatzstoffe. Wobei Taubes möglicherweise gar nicht klar ist, wie anders so ein Brot auch sein kann. Spricht er von Brot, dann meint er natürlich die Art von Brot, die in den USA üblich ist. Dort gibt es aber anscheinend kaum mehr handwerklich gefertigtes Brot. 

Richtig mag allerdings sein, daß das durchschnittliche Körpergewicht jedenfalls der US-Amerikaner bereits ab dem 19. Jahrhundert zunahm, und ich meine, irgendwo hätte ich dazu auch schon einmal eine Grafik gesehen, bei der es um die Durchschnittsgewichte von wehrpflichtigen jungen Männern ging. Das könnte daran liegen, daß es im Laufe dieses Jahrhunderts weniger Unterernährte gab. Wenn ich so darüber nachdenke: Eigentlich müßte das dann doch bedeuten, daß es in den wohlhabenderen Schichten auch mehr Übergewicht gab, wenn es auch sehr weit entfernt von unserem heutigen Problem war. Eines von beidem muß man offenbar in Kauf nehmen, entweder die Tendenz zu Unterernährung in bestimmten Gesellschaftsschichten, wenn die erzeugte Nahrungsmittelmenge nicht ausreicht, oder die Tendenz zu Übergewicht bei den über 40- bis 50jährigen, wenn diese Menge ausreicht. 

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Mich beschäftigt außerdem gerade folgende (freundliche) Mahnung an meine generationelle Verantwortung, die ich auf Bluesky bekommen habe: 

 

Meine Beiträge vorher, auf die damit geantwortet wurde, kann man dort nachlesen. Meine Antwort lautete wie folgt: 

 

Und das war natürlich eine verkürzte Aussage, wie das die Zeichenbegrenzung halt immer bewirkt, aber im Kern ist es tatsächlich das, was ich wirklich für richtig halte, und das gilt unabhängig davon, was genau hier gemeint war, denn das habe ich nicht gefragt. Mich wundert das, daß jemand sich als Angegriffener mit solcher Selbstverständlichkeit die Anliegen der Angreifer zu eigen macht. Das ist so ein typisches "Gewaltbeziehungsverhalten", sich beim Angreifer anbiedern zu wollen, auf das ich nicht einmal gekommen bin, als ich mit einem meiner Partner tatsächlich mal einen von der richtig üblen Sorte erwischt hatte, der handgreiflich wurde. (Stattdessen ging ich zum Angriff über, tobte wie eine Geisteskranke, und wer von uns beiden am Ende tot liegengeblieben wäre, hätten nicht die Nachbarn die Polizei gerufen, darüber kann man nur spekulieren.) Also, solche Statements berühren mich schon ein bißchen unangenehm, weil ich so etwas weder sagen noch denken würde und es einfach spontan so falsch finde, daß ich nicht einmal darüber nachdenken will. 

Gleichzeitig habe ich das Gefühl, daß auch dieses implizite Schuldbekenntnis - stellvertretend für die ganze Generation, ob ihr das paßt oder nicht -, das hinter einer solchen Selbstverpflichtung erkennbar ist, davon zeugt, wie leicht es ist, uns als Gesellschaft in diverse Interessengruppen auseinanderzudividieren. Wie man als Angegriffener darauf reagiert, kann unterschiedlich sein, und Schuldgefühle und entsprechende Demutsgesten sind eine der möglichen Reaktionen. Problem dabei ist, daß das keine Erleichterung verschafft, weil die Radikaleren der Angreifer das eher als Einladung zu weiteren Angriffen verstehen, während die nicht Radikalen, die die Worte noch wohlwollend aufgenommen hatten, für einen keinen Finger rühren würden. - Erfahrungswerte! 

Ich bin ja mittlerweile eine alte Schachtel, aber ich erinnere mich noch gut, wie es sich anfühlte, jung zu sein, was ich damals wollte, welche voreiligen Schlüsse ich zog und an welchen Stellen ich rückblickend ganz froh sein kann, daß mir manches nicht durch vorauseilende Hilfeleistung zu einfach gemacht wurde. Die Probleme waren zeitbedingt teils andere als bei heutigen um die Zwanzigjährigen, aber sie waren deshalb nicht weniger schwerwiegend. Heute fürchten sich viele von ihnen vor dem Klimakollaps, bei uns war es der Atomkrieg und das explodierende Atomkraftwerk und das Waldsterben. Wer so tut, als wären das keine stichhaltigen Gründe für bei manchen meiner Altersgenossen überwältigende Existenzängste, der lügt oder gibt sich, freundlicher formuliert, einer Selbsttäuschung hin. Ach ja, und die Zukunftsängste finanzieller Art hatten wir natürlich ebenfalls, wenn auch aus anderen Gründen. Denn die Millennials haben es im Vergleich zu uns wesentlich einfacher, einen beruflichen Einstieg zu finden. 

Da bei uns der von vielen heraufbeschworene Weltuntergang ausgeblieben ist und außerdem meine Generation zum großen Teil doch nicht brotlos geblieben ist, nehme ich an, auch für die Millennials wird es so schlimm nicht kommen, wie es viele von ihnen gerade glauben. Wie es aussieht, werden wir bis auf weiteres sowieso akutere Probleme haben als das Klima oder die Aussichten für die Rente in vierzig Jahren, da uns unter anderem ja gerade Demokratie und Rechtsstaat zu zerbröseln drohen. Wer das Klima schützen will, täte gut daran, sich um das letztere Problem vorrangig zu kümmern, da der Fortbestand unserer staatlichen Verhältnisse die Voraussetzung dafür ist, um das erstere Ziel auch erreichen zu können. 

Es gibt da aber etwas, das mich ein bißchen verwundert: Die Millennials sind ja, grob gesagt, schon die Kinder der Kinder meiner Generation. Wieso plärren die jetzt eigentlich ausgerechnet uns an und nicht ihre eigenen Eltern, wie das - sicherlich schon seit den Neandertalern - früher immer gewesen ist? Man denke nur daran, wie hart die Achtundsechziger mit ihren Eltern ins Gericht gegangen sind. Unsere Kindergeneration hatte an uns aber erstaunlich wenig auszusetzen, aber an ihren Großeltern auch nicht. Das fällt mir jetzt erst so richtig auf. Aus irgendeinem Grund hat der gute alte Generationenkonflikt offenbar eine Generation übersprungen. Schon merkwürdig. Ich frage mich, wie es den Millennials einmal ergehen wird, wenn sie älter werden. Ob es dann wieder deren Kinder sind, die ihnen zum Vorwurf machen, daß sie die bis dahin neu aufgetauchten Probleme nicht schon frühzeitig gelöst haben, anstatt sich mit veganer Ernährung, Gendern und Klima die Zeit zu vertreiben? Oder lassen die dann auch den Enkeln den Vortritt? 

Was für neue Probleme werden die der Enkel unserer Enkel wohl sein? Ich kann nur raten, aber vermutlich werden sie in einem engen Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Veränderungen stehen, die sich durch eine alternde und daneben auch schrumpfende Bevölkerung ergeben. Ich las heute einen Artikel zu der Frage, wie man Frauen dazu bringen könnte, wieder mehr Kinder in die Welt zu setzen, den ich sehr unausgegoren fand. Vor der Lösung des Problems, falls man es für ein Problem hält, wäre erst mal die Einsicht nötig, daß alle Industriegesellschaften Familien mit Kindern schwerwiegende Nachteile verschaffen. Auch wenn man versucht, diese Nachteile auszugleichen, etwa durch Kindergeld oder durch Gestaltungen der Arbeitswelt, die es Müttern nicht von vornherein unmöglich machen, einer Berufstätigkeit nachzugehen, ändert das nichts daran, daß Kinderlose allemal besser dran zu sein scheinen, weil sie mittlerweile die Norm sind und den Standard setzen, was Konsum, Alltags- und Freizeitgewohnheiten betrifft. Zum neoliberalen Weltbild gehört außerdem das Streben nach Unabhängigkeit, und mit Kindern ist man in tiefgreifender Weise abhängig. Solange die individuelle wirtschaftliche Unabhängigkeit ein so hoher Wert ist, daß man für sie soziale Beziehungen durch bezahlte Dienstleistungen ersetzt, wird sich daran wohl nichts ändern. 

Pflegebedürftige Kinderlose könnten der Gegenstand apokalyptischer Visionen sein, denn der Großteil der Pflege wird ja momentan innerhalb der Familien geleistet, und dabei spielen die Kinder eine bedeutende Rolle. 

Von den Ende der vierziger/Anfang der fünfziger Jahren Geborenen - als sie erwachsen wurden, gab es die Pille schon - waren nur 14 Prozent dauerhaft kinderlos geblieben. Die Mitte der Siebziger Geborenen, die 2022, als das erhoben wurde, auch schon aus dem gebärfähigen Alter raus waren, waren zu 21 Prozent auf Dauer kinderlos. Wie es bei den noch Jüngeren weitergehen wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls, die Generation, über deren Renteneintritt gerade diskutiert wird, hat noch um die zwanzig Jahre, bis sie massenhaft ins betreute Wohnen drängt und Pflegeplätze blockiert, und das vermutlich tendenziell auch länger als unsere untugendhafter lebenden Vorgänger. Welche Auswirkungen das haben wird, kann ich schwer einschätzen. Irgendwo las ich neulich, im Osten gäbe es immer weniger Kinder, so daß mittlerweile Kitas schließen müßten. Das wird natürlich dazu führen, daß Erzieherinnen ihren Wohnsitz dorthin verlagern, wo man sie weiterhin braucht, und das könnte in einen Teufelskreis führen, daß auch werdende Eltern ihren Lebensmittelpunkt dort suchen, wo ihre Kinder auch betreut werden können. Das könnte beträchtliche Ungleichgewichte in der Altersverteilung bestimmter Regionen haben, aber vielleicht gerade dort, wo Kinder fehlen, wenigstens zu einer altengerechten Infrastruktur führen, die weitere Zuzüge dieser Altersgruppe verlockender machen würde. 

Ein weiterer Punkt, in dem ich annehme, daß er in spätestens dreißig Jahren relevant wird und das lange bleiben wird: Leerstehender Wohnraum. In 30 Jahren sind die 1965 Geborenen 90. Nur ein Bruchteil von ihnen ist dann noch am Leben und ein noch geringerer lebt noch in der eigenen Wohnung. Je eifriger man im Moment zusätzlichen Wohnraum schafft - daß er jetzt wirklich benötigt wird, zweifle ich nicht an -, desto stärker wird das zu Buche schlagen. Beginnend natürlich wie immer in den abgehängteren Regionen. 

Was wirklich passieren wird, kann ich natürlich nicht sagen. Wahrscheinlich werden die apokalyptischen Visionen von übermorgen irgendetwas betreffen, das im Moment noch gar niemand ahnt. Sicher bin ich mir nur, daß auch in zwanzig, dreißig und fünfzig Jahren aus irgendeinem Grund die nahende Apokalypse heraufbeschworen wird, und daß diese Apokalypse nichts mit der heute gefürchteten zu tun haben wird. 

Am Ende wird es mir in zwanzig Jahren wohl gehen wie Frau Petrell, als die Menschen in Vimmerby wegen des versehentlich unkontrolliert zur Explosion gebrachten Feuerwerks glaubten, der Halleysche Komet und damit das Ende der Welt sei gekommen: Ich werde mir beim Anblick der brüllenden Schlagzeilen (oder was immer man dann haben wird), einfach nur sagen: "An Kometen glaube ich nicht mehr. Das ist sicher bloß Michel, der wieder in Fahrt ist." 

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Ich frage mich, was aus dem Hund geworden sein mag, den wir am Samstagnachmittag beobachtet haben. Er fiel mir beim verspäteten Frühstück auf der Terrasse auf. Von meinem Platz aus sieht man ein Nachbargebäude, das an ein unbebautes Grundstück angrenzt. Früher stand dort wohl eine Scheune, die zu diesem Haus gehörte, aber die wurde lange vor unsererm Einzug abgerissen. Dort jedenfalls fiel mir ein Tier auf, das sich in der Hausecke zu schaffen machte und sich schließlich dort im Schatten niederließ, und erst wußte ich nicht, was das für ein Tier sein sollte. Für eine Katze war es zu groß, aber irgendwie fand ich es auch für einen Hund etwas merkwürdig. Aber was hätte es denn sonst sein sollen? Also holte ich das Fernglas und stellte fest, daß es wirklich ein Hund war. Er war schwarz mit weißer Zeichnung am Hals und am Bauch, ziemlich groß - meiner Schätzung nach etwa die Größe unseres Nachbarhunds, der mit mir auf Augenhöhe ist, wenn er mich begrüßt, indem er an mir hochspringt - und trug ein Halsband. Ich sah ihn von hinten, aber manchmal drehte er den Kopf weit genug, daß man die Hundeschnauze erkennen konnte. Merkwürdig fand ich seine Ohren. Sie hingen schlaff nach unten und vermittelten von hinten eher den Eindruck, das Tier wäre vielleicht schwarzes Schäfchen. Inzwischen ist mir klar, daß ich daran eigentlich schon hätte merken können, daß mit dem Hund etwas nicht stimmt. Aber ich habe nie einen Hund gehabt. Die Hundekörpersprache ist für mich eine Fremdsprache. 

Erst dachte ich mir aber nicht viel, denn in der Nachbarschaft wimmelt es nur von Hunden, irgendwo, dachte ich, wird er schon hingehören. Eigenartig fand ich es nur, daß er durstig wirkte, aber keine Anstalten machte, dort hinzugehen, wo er seiner Erfahrung nach Wasser herbekommen würde. Ich spielte mit dem Gedanken, ihm selbst Wasser rüberzubringen, aber weil ich kein "Hundemensch" bin und man bei fremden Hunden ja nie sagen kann, ob sie womöglich aggressiv auf einen Fremden reagieren werden, ließ ich es doch bleiben. Unruhig wurde ich aber, als der Hund drei Stunden später, als ich mich kurz auf der Terrasse zu meinem Mann setzte, der dort gerade Pause von seinem Projekt in der Werkstatt machte, immer noch an derselben Stelle lag. 

Diese Stelle lag nun in der  prallen Sonne, und er hatte doch vorher schon Anzeichen für Durst gezeigt. Was tat er nur so lange ganz alleine dort? Auch mein Mann runzelte die Stirn. Aber noch bevor wir uns einig werden konnten, was wir nun tun wollten, kam ein hundebesitzender Nachbar am Zaun vorbei. Genau die Person, die wir brauchten, dachte ich, sprach ihn an und zeigte ihm den merkwürdigen Besucher auf dem Nachbargrundstück. Der Nachbar erkannte den Hund jedenfalls nicht, ging aber gleich zu ihm hin - ich hatte ihm nun wirklich einen Napf mit Wasser in die Hand gedrückt -, aber er näherte sich wohl zu forsch an. Denn der Hund ließ ihn nicht ganz herankommen, sondern stand auf und lief davon. Genauer gesagt, er humpelte davon, denn einen Fuß hatte er hochgezogen. Erst jetzt sah ich außerdem, daß er zwar etwa so groß war, wie ich geschätzt hatte, aber sehr schmal, und ich fragte mich plötzlich, ob er vielleicht gar nicht zierlich, sondern schlicht abgemagert war. Aber was von beidem zutraf, kann ich rückblickend auch nicht sicher sagen. 

Der Hund humpelte jedenfalls zur Straße - trotz allem viel zu schnell, um ihm folgen zu können, ohne immer weiter zurückzufallen - und weil just in diesem Moment ein anderer Nachbar uns ansprach, waren wir für einige Momente abgelenkt und danach war er schon ein gutes Stück die Straße weitergelaufen und verschwand gerade in einer Seitenstraße. Vielleicht hätte ich hinterherlaufen sollen. Aber es war ja offensichtlich, daß der Hund vor uns Angst hatte, und so, dachte ich, würde er auch dann, wenn ich ihn einholen könnte, nur noch weiter weglaufen. Also ließ ich es bleiben. Aber nachträglich ärgere ich mich darüber. Wenigstens hätte ich mich vergewissern sollen, ob er vielleicht in dieser Straße sein Zuhause hatte bzw. ob er sich noch dort befand.  

Hätte, wäre, wenn und aber ... So isses jetzt halt. Aber ein schlechtes Gewissen habe ich doch. Ich wüßte gerne, ob der Hund jetzt daheim ist - oder wenigstens irgendwo, wo er es gut hat. Was mag ihm nur passiert sein? War er ausgerissen oder ausgesetzt worden, oder hatte er nur etwas ausgefressen und traute sich vor schlechtem Gewissen nicht heim? Es war jedenfalls herzzerreißend, wie er vor uns davonhumpelte, statt wenigstens ein bißchen von dem Wasser zu trinken, nachdem er mehrere Stunden lang nichts weiter von der Welt gewollt hatte, als in Frieden in dieser vermeintlich einsamen Ecke zu liegen, wo ich ihn durch das Sonnenblumenfeld an meinem Zaun beobachtet hatte.  

Der arme traurige Hund. Das nächste Mal frage ich niemanden, auch meinen Mann nicht, sondern mache einfach das, was mir spontan richtig vorkommt. 

Mittwoch, 3. September 2025

Zauberer Zwackelmann und der Sozialstaat

Mein Gewicht heute früh nach dem ersten von zwei nicht zusammenhängenden Fastentagen diese Woche: 74,6 Kilogramm. Damit bin ich in etwa in dem Gewichtsbereich, in dem ich seit Ende der letzten LC-Phase Ende Februar gewesen bin, und also weiterhin auf dem angepeilten Kurs. Am liebsten würde ich die LC-Phase in ca. sechs Wochen mit einem Gewicht unter 77 Kilo starten können, aber das hängt neben dem Faktor Glück/Pech auch davon ab, ob meine Herbstzunahme schon vor Beginn einsetzt. Eigentlich hatte ich einen Start am Montag, 20.10., geplant, aber nach einem nachdenklichen Blick in den Kalender habe ich entschieden, das um eine Woche vorzuverlegen, um in einer Frühschichtwoche meines Mannes anfangen zu können. 

Na, das sind, glaube ich, echte Luxusprobleme. Ein Zitat eines Experten aus einem neuen TAZ-Interview: "Adipositas ist eine chronische, fortschreitende Erkrankung, die nicht geheilt werden kann." Und schwupp, schon ist auch Matthias Blüher in meinem Expertentest durchgefallen. Im März 2017 lag mein BMI bei 51. BMI 30 hatte ich zuletzt im März 2023, und heute bin ich bei 27, und wenn ich mein Gewichtsziel erreicht habe, liege ich bei BMI 25,x, also immer noch nicht im Normalgewichtsbereich - und das ist mir auch ganz recht so. Wenn ich schon mit meinem Gewichtsziel 73,5 Kilogramm selbst einer Art von Zahlenfetischismus huldige, dann ist es doch immerhin ein selbst ausgedachter, nicht der, den uns andere einzureden versuchen. 

Noch wichtiger: Innerhalb von acht Jahren habe ich keinen Jojo im eigentlichen Sinne erlebt. Die höchste Wiederzunahme war im Dezember 2022/Januar 2023 während der Chemo, nachdem ich meine Low-Carb-Phase beendet hatte und nur eingeschränkt fastete, und auch das waren nicht einmal fünf Kilogramm plus gewesen, die nach vier Wochen Trastuzmab/Pertuzumab plus normales Fasten plus Low Carb wieder weg waren. 

Chronisch und fortschreitend, my ass. Wer rettet die Dicken vor dieser Art von Experten, die auf ganz unterschiedliche Weise ständig alles nur noch schlimmer machen? Dabei glaube ich noch nicht mal, daß speziell der Herr Blüher es irgendwie böse meint. 

Auf Bluesky bekommt man alle Facetten dieses "Hilfe, ich bin zu dick"-Trauerspiels mit, von Schlanken, die trotzdem um jedes Pfund hin oder her verbissen kämpfen, bis zu Leuten mit BMI jenseits von gut und böse, die längst aufgegeben haben und kein Wort zur Figurfrage mehr hören wollen, schon gar nicht irgendwelche Ratschläge. So was respektiere ich, trotzdem denke ich darüber nach, vorsichtshalber eine solche Protagonistin stummzuschalten, nur damit ich nicht in Versuchung geführt werde. Immerhin bin ich sicher, daß das, was bei mir funktioniert hat, vielleicht nicht bei jedem, aber doch bei vielen ebenfalls funktionieren würde. Und so bin ich irgendwie in die Situation gekommen, daß ich mich weiter aus dem Fenster gelehnt habe, als es diese Person aushalten konnte, und habe es erst gemerkt, als das Kind schon in den Brunnen gefallen war. 

Wenn ich eines nicht wirklich sein will, dann einer dieser Missionare einer bestimmten Abnehmmethode. Ich will nur beschreiben, was passiert, wenn ich dies oder jenes tue, damit andere Leute - falls sie wollen - ausprobieren können, was bei ihnen passiert, wenn sie dasselbe tun. 

Freilich, die wenigsten, die Fasten oder Low Carb ausprobiert haben, haben tatsächlich dasselbe oder auch nur etwas ähnliches wie ich getan. Vermutlich hatte ich ziemlich viel Glück, daß ich zuvor schon jahrelang herumexperimentiert habe, aber ohne dabei den Versuch zu machen, ein Kaloriendefizit zu erzeugen. Ich nehme an, Fasten ist viel schwieriger, wenn man einen Stoffwechsel hat, der darum ringt, die Nährstoffe zu bekommen, die ihm ständig vorenthalten werden. Das können Mikronährstoffe sein, aber sehr wahrscheinlich auch Fett. Es wäre nicht allzu verwunderlich, wenn das den Einstieg ins Fasten massiv erschweren würde, und es könnte erklären, warum es mir so unverschämt leicht gefallen ist. 

Es ist bestimmt nicht unmöglich, es trotzdem zu versuchen. Aber ich kann auch jeden verstehen, der sich jahrelang mit unterschiedlichsten Methoden vergeblich bemüht hat, wenn er irgendwann einfach nicht mehr kann und nicht mehr will, keine Tips mehr sehen kann und auch keine Methoden mehr wissen will. 

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Kürzlich erwähnte ich, daß ich Vollmilch nicht trinken kann, ohne fiese Blähungen zu bekommen, aber Rohmilch schon, und sinnierte ein wenig darüber, was die Gründe dafür sein könnten. Jetzt stieß ich auf einen Bericht zu einer Studie, die jedenfalls bestätigte, daß Rohmilch bei Kindern immerhin so viele Erkrankungsrisiken senkt, daß man nun herauszufinden versucht, wie dieser Vorteil der pasteurisierten Vollmilch erhalten bleibt. Dies nur für die möglicherweise ja auch existierenden Leser, die denken, ich hätte mir da irgendwas eingeredet. Rohmilch verliert beim Pasteurisieren offenbar wirklich irgendwas Wichtiges. Für unverzichtbar muß man sie trotzdem nicht halten. Und ich würde sie außerdem auch dann unabgekocht trinken wollen, wenn es nicht der Fall wäre. Sie schmeckt nun einmal besser als Vollmilch. Leute, die vor den - tatsächlich möglichen, aber sehr seltenen - Infektionen durch etwaige enthaltene Bakterien Angst haben, dürfen das gerne anders halten. Ich lache sie dafür nicht aus, obwohl es mich befremdet, daß dieselben Leute auch so gerne gegen diejenigen herumätzen, die sich vor Impfschäden fürchten. Impfschäden sind ja ebenfalls tatsächlich möglich, wenn auch sehr selten. 

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Können wir uns unseren Sozialstaat nicht mehr leisten? Der Bundeskanzler behauptet das. Und die SPD widerspricht nur ganz leise, obwohl sie das eigentlich nach ihrem behaupteten Selbstverständnis sehr lautstark tun müßte. Aber die entwurzelte und desorientierte, in der Wählergunst allmählich auf dem Weg zu einer einstelligen Prozentzahl befindliche, aber dennoch weiterhin sehr gerne an Regierungen beteiligte Nach-Schröder-SPD tut das natürlich schon lange nicht mehr. Ihre Ampel-Maßnahmen im sozialen Bereich, die unter dem Strich 90 Prozent der Agenda 2010 zurücknahmen, sollten ihren beleidigte Wähler zurückverschaffen, nicht einen als sachpolitischen Fehler begriffenen Fehler korrigieren. Tatsächlich hat die SPD bis heute nicht verstanden, was sie falsch gemacht hat, und das wiederum ist es auch, was sie so überflüssig gemacht hat - und was außerdem dazu führt, daß die CDU sie nun doch wieder auf den verlassenen Agenda-Pfad zurückführen wird. 

Eine SPD, die für ihre Stammwähler wieder wählbar wäre, müßte es verstanden haben, was ihr zentraler Fehler bei der Agenda 2010 war und warum das, was sie in der Ampel tat, nicht ausreichte, um sie ihr zurückzuverschaffen. So bleiben ihnen einige Gewohnheitswähler, etwa meine Mutter, aber die werden aus Altersgründen immer weniger, und ein gewisser Anteil an taktischen Wählern. Die SPD hat durch die Agenda 2010 ihre Seele verloren, und geblieben ist ihr weltanschauliche Beliebigkeit, die sich tendenziell viertellinksmitteoben verortet. Niemand braucht eine SPD, wie sie jetzt ist. 

Niemand braucht freilich auch eine CDU, die einem Polit-Untoten wie Friedrich Merz, den Frau Merkel seinerzeit mit der linken Hand ausmanövrieren konnte, als ihrem Heilsbringer zugejubelt hat. Das war fast so gaga wie die Republikaner, die eine Figur wie diesen Trump zu ihrem Präsidentschaftskandidaten machten. Halten wir also fest: Nicht nur die Wähler verhalten sich irrational, die Parteien ebenfalls. Die CDU sucht ihr Heil in einer wandelnden Kommunikationskatastrophe, die SPD verzichtet darauf, ihren einzigen Politiker mit Popstar-Qualitäten Boris Pistorius zum Spitzenkandidaten zu machen, um lieber mit dem hölzernen Olaf Scholz unterzugehen, die Grünen haben Annalena Baerbock das Amt verschafft, in dem Robert Habeck hätte populär und ein Kanzlerkandidat mit echten Erfolgschancen werden können, und ihn mit den undankbarsten aller denkbaren Aufgaben verheizt, weshalb es kein Wunder ist, daß er die Politik ganz verlassen hat. Und von der FDP, die einem selbstverliebten Christian Lindner bis in die Selbstzerstörung folgte, fange ich gar nicht erst an, da sie voraussichtlich keine zweite Wiederaufstehung schaffen wird, und so kommt es auf sie ja nicht mehr an. Glücklicherweise, denn ihr hoffentlich dauerhaftes Ausscheiden aus dem Bundestag ist, freundlich formuliert, kein allzugroßer Verlust. 

Vor ein paar Tagen ging durch die Medien, welche Kosten diversen Regierungsmitgliedern im Bereich Styling entstanden sind. Bei unserem Bundeskanzler sollen es seit seiner Wahl 12.000 Euro gewesen sein. Man fragt sich, wofür eigentlich, denn zu einem gutaussehenden Mann könnte ihn auch der dreifache Betrag nicht machen, also fände ich kostengünstiges Räuberzivil à la Markus Söder für jemanden wie Merz ebenfalls völlig ausreichend. Wenn man dem Söder eines zugutehalten kann, dann, daß er kein Problem damit hat, wie der Strauchdieb herumzulaufen, den er auch sonst als der Räuber Hotzenplotz in der Politik ziemlich überzeugend verkörpert. Der Merz gäbe, glaube ich, neben ihm auch einen halbwegs überzeugenden Zauberer Petrosilius Zwackelmann ab, während es zum Don Corleone kaum reichen würde. 

Und wer ist dann eigentlich Wachtmeister Dimpfelmoser? Vermutlich Lars Klingbeil. Was mich betrifft: Ich wähle in diesem Setting die Rolle der Witwe Schlotterbeck. *g* 

 

Aber ich schweife ab. Zurück zum Sozialstaat. 

Ich bin, Überraschung, genau wie unser Bundeskanzler der Meinung, daß wir unsere sozialen Sicherungssysteme umbauen und dabei die Gesamtausgaben reduzieren können und reduzieren müssen. Dabei sind die staatlichen Zuschüsse an die Rentenversicherung mit beinahe 200 Milliarden Euro - also 200.000 Millionen - der weitaus größte Teil. Und weil nun allmählich der Übergang der geburtenstarken Jahrgänge (aka "Boomer") in den Ruhestand erfolgt, wird das sicherlich noch zwanzig Jahre lang ständig mehr werden, bevor die Kurve langsam wieder abflacht. 

Schon Norbert Blüms "Die Renten sind sicher" hat doch in Wirklichkeit kein Mensch geglaubt. Das Gescheiteste wäre damals der Umstieg auf eine steuerfinanzierte Grundrente gewesen (mit einer entsprechend langen Übergangsphase), aber das hat sich natürlich keiner getraut. Bis vor ca. zwanzig Jahren wäre das wirklich sinnvoll gewesen, um die rententechnischen Folgen des der modernen Verhütung zu verdankenden Geburtenrückgangs abzufedern. Mittlerweile würde es aber die unmittelbar anstehenden Probleme sowieso nicht mehr lösen, denn ein Umstieg, der ja Jahrzehnte Übergangszeit benötigt, hat so kurz, bevor die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand eintreten, kaum noch eine dämpfende Wirkung auf die für etliche Jahre immer höher werdenden Kosten für die Rente. Der Höhepunkt wird wahrscheinlich erst in ca. zwanzig Jahren erreicht sein, bevor sie langsam wieder abflauen. 

Es gäbe aber einige andere Stellschrauben, an denen man drehen kann. Die vielversprechendste bestünde darin, alle Erwerbseinkommen einschließlich denen von Selbständigen und Beamten, aber auch von Minijobbern, uneingeschränkt rentenversicherungspflichtig zu machen, und zwar ohne Beitragsbemessungsgrenze. Der Sinn der letzteren hat sich mir ohnehin noch nie erschlossen. Dies würde eine deutliche Verringerung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung ermöglichen und sie im Idealfall sogar auf die diversen Sonderfälle beschränken können, bei denen dem Rentenanspruch keine oder keine ausreichenden Beitragszahlungen gegenüberstehen. Die machen gerade mal etwa ein Drittel des Gesamtzuschusses aus. 

Ob es möglich und immer noch sinnvoll ist, dies mit einem Umstieg auf eine Grundrente zu verknüpfen und dadurch sogar die RV-Beiträge senken zu können, müßten die Leute ausrechnen, die sich damit auskennen. Bei einem Umstieg auf eine Grundrente für alle (in Höhe der Rentenansprüche bei das ganze Erwerbsleben langem Bezug des Mindestlohns in Vollzeit) würden die Renten für diejenigen sich nicht verändern, die aktuell diese Rente bekämen. Bei denen, die weniger bekommen und momentan eine Aufstockung auf die Grundsicherung beanspruchen müssen, bietet es sogar eine Verbesserung, weil der Anspruch automatisch entsteht und nicht eigens beantragt und belegt werden muß, wovor viele sich ja scheuen. Wer heute höhere Ansprüche erwirbt, hat künftig geringere zu erwarten, aber dafür immerhin mehr flüssige Mittel, um anderweitig Vorkehrungen zu treffen.

Der Teufel steckt natürlich in den Details, das betrifft vor allem die jahrzehntelange Übergangsphase, denn erworbene Rentenansprüche bestehen nun einmal. Die geburtenstarken Jahrgänge, aka "Boomer", sind aber schon so nahe an der Rente dran, daß ihre Renten von einer solchen Änderung kaum noch nach betroffen sind. Andererseits darf man auch nicht übersehen, daß in den Jahrzehnten zwischen 1980 und 2000, in denen ein großer Teil dieser Ansprüche erworben wurde, im Vergleich zu heute viel niedrigere Löhne gezahlt wurden, was natürlich die Höhe der erworbenen Ansprüche vergleichsweise niedriger macht, als sie heute ins Berufsleben Eintretende erwarten dürfen. 

Ein weiterer möglicher Baustein wäre eine rundererneuerten Förderung des Erwerbs von Wohneigentum, da ja eines der wenigen vernünftigen Ziele des Bundeskanzlers jedenfalls gemäß seinen Lippenbekenntnissen darin besteht, daß Normalverdiener sich Wohneigentum leisten können sollen. Das Hohngelächter darüber habe ich nicht verstanden, da Merz ja noch nicht mal behauptete, sie könnten sich zu den jetzigen Bedingungen Wohneigentum leisten, sondern dies erst herbeizuführen für sinnvoll erklärt hat. Als Ziel ist es gar nicht falsch, gerade zur Vermeidung von Altersarmut. Was ich allerdings wichtig fände: Der Anreiz sollte - anders als bei den Förderungen früherer Jahrzehnte - weniger auf den Neubau von Einfamilienhäusern abzielen, sondern es am vorteilhaftesten machen, Gebrauchtimmobilien zu erwerben, und zusätzliche Anreize zum Sanieren von sanierungsbedürftigen Objekten bieten. Vorstellen könnte ich mir dabei auch einen Tausch von Rentenansprüchen, die die Grundrente übersteigen, gegen finanzielle Hilfen beim Immobilienerwerb. 

Ich kenne keine bessere Altersvorsorge, als sich möglichst frühzeitig aus Mietverhältnissen zu verabschieden. Bei den aktuellen Mieten bedeutet Wohneigentum, innerhalb der nächsten zehn Jahre je nach vorheriger Wohnungsgröße zwischen 100.000 und 200.000 Euro NICHT an einen Vermieter bezahlen zu müssen. Dieser gesparte Betrag kann in die Finanzierung mit einfließen, und dieses Geld steht einem für keine andere Art der Kapitalanlage als für selbstgenutztes Wohneigentum zur Verfügung. Es wäre deshalb nützlich, die altbackenen jetzt bestehenden Formen der Förderung von Wohneigentum mal gründlich abzustauben und in etwas Schickes, auch für jüngere Beschäftigte sexy Wirkendes zu verwandeln und vor allem dafür zu sorgen, daß die falsche Vorstellung so vieler, sich Wohneigentum sowieso nicht leisten zu können, in eine zu verändern, in der klar ist, daß ein Wohneigentumswerb empfehlenswerterweise ein paar Jahre Vorlauf braucht, aber durchaus zu stemmen ist. 

Natürlich stehen den Mehreinnahmen bzw. Minderausgaben in die Sozialkassen an manchen Stellen auch Mehrausgaben gegenüber. Beamte etwa sind in ihrer aktiven Zeit billiger als Angestellte im öffentlichen Dienst, erst die Ruhegehälter machen sie unter dem Strich teurer. Das heißt, bei einem Umstieg hätte man anfangs Mehrkosten und würde erst nach und nach von den wegfallenden Pensionen profitieren können. Es hat bestimmt noch eine Reihe weiterer Bereiche, in denen den Einsparungen Mehrkosten gegenübergestellt werden müssen, aber unter dem Strich sollte eine Ausweitung der Rentenversicherungspflicht auf alle Erwerbseinkommen die Schieflage der Rente beseitigen können. Entsprechendes gilt natürlich auch für eine analoge Ausweitung der Krankenversicherungspflicht, wobei man hier außerdem analog zur Handhabung bei Brillen und Zahnbehandlungen durchaus noch einige Bereiche, die nicht der medizinischen Grundversorgung zuzurechnen sind, teilweise aus der Versicherung ausklammern sollte, denn niemanden ist ja daran gelegen, die privaten Versicherungen in die Pleite zu treiben, die bislang vom Versichern der Beamten und Selbständigen leben und somit eine Menge Kunden verlieren würden - ihr müssen schon einige Geschäftsfelder für Zusatzversicherungen dauerhaft überlassen bleiben, und die sollen sich für sie natürlich auch rechnen. 

Die Kosten der Krankenversicherungen ließen sich meiner Meinung nach außerdem auch ziemlich leicht senken - auf welche Weise, das zählt ja zu den roten Fäden in meinem Blog -, wenn wir nicht in Endlosschleifen an falschen Vorstellungen sowohl über die Prävention als auch die Behandlung von stoffwechselbedingten Erkrankungen feststecken würden, aus denen momentan kein Entkommen ist, weil die Wissenschaft™ bei diesen Krankheiten über ein Erkenntnisniveau verfügt, das in etwa dem der Pestärzte über Infektionskrankheiten entspricht, aber so tut, als hätte sie die Weisheit mit der Suppenkelle in sich reingeschlürft. Aber das walze ich hier nicht noch einmal näher aus, darüber habe ich ja oft genug alle möglichen Teilbereiche im Blog zum Thema gemacht. Eine Menge Fehlsteuerungen auf Kosten der Krankenversicherungen ergibt sich außerdem daraus, daß Arztpraxen und vor allem Kliniken nach Gewinnlogik wirtschaften müssen. Solchermaßen optimierte Versorgung bedeutet nicht, daß der Gewinn sich in Einsparungen der Krankenkassen niederschlägt, die haben davon eher Mehrkosten, und das meist, ohne daß die Patienten einen gesundheitlichen Vorteil davon haben.  

Aber eines ist sicher: Das Bürgergeld ist nicht der Faktor, der unseren Sozialstaat zusammenbrechen läßt. Es ist dafür der Faktor, bei dem Verschlechterungen den größten Kollateralschaden erzeugen würden. Die aktuelle Hetzkampagne der Bundesregierung weckt dabei außerdem ungute Erinnerungen an die Zeiten der Regierung Schröder. Friedrich Merz muß aufpassen, sonst geht es ihm noch wie dem Zauberer Zwackelmann aus dem Kinderbuch. Oder wenigstens wie dem Hotzenplotz, der als Gimpel in einem Vogekäfig landet. 

Wenn man beim Bürgergeld aber unbedingt etwas einsparen möchte, dann sehe ich vor allem zwei Bereiche:

  • "Maßnahmen", die völlig sinnbefreit sind, nicht mehr anzuordnen. 
  • Übernahme einer Prüfung der Miethöhe auf überhöhte bzw. Wuchermiete durch das Amt nach Vorlage des unterzeichneten Mietvertrags und ggf. dessen Beschreiten des Rechtswegs zur Korrektur des rechtswidrigen Vertrags 

Trotzdem habe ich auch ein Problem mit den Lebenslügen derjenigen, die sich zum Schutz der Armen formiert haben. Beispielsweise ist es eine Kommunikations-Vollkatastrophe, wenn gutmeinende Gutverdiener aus der Großstadt ihre eigenen Konsumgewohnheiten zum Maßstab machen und den Eindruck zu erwecken versuchen, Bürgergeld müsse auch für dies ausreichen. Das kann eigentlich nur nach hinten losgehen, denn eine ganze Menge Erwerbstätige, die einen bescheideneren Lebensstil pflegen und dies für sich selbst auch für ausreichend halten, fragen sich bei solchen Debattenbeiträgen völlig zu Recht, warum sie eigentlich einen gehobeneren Lebensstil als ihren eigenen für Bürgergeldempfänger unterstützen sollten. Das belegte Körnerbrötchen in Bioqualität aus dem schicken Lifestyle-Café, das sich Hartz-IV-Empfänger nicht leisten konnten (was ein weltfremder Journalist in einem Tränendrüsen-Artikel zu skandalisieren versuchte), ist für mich schon vor zwanzig Jahren zum Symbol für Aktivismus geworden, der gesellschaftlich ebenso spaltend wirkt wie die unfairen Faulenzerdebatten.  

Das sind im Groben meine Ideen zur Zukunft des Sozialstaats, und es ist mir nicht entgangen, daß die meisten meiner Ideen weder von links noch von rechts in der Debatte enthalten sind, die ich außerdem erscheckend seicht finde. Es hat keinen Sinn, jede Einzelfrage einzeln durchzustreiten, wenn sie innerhalb eines Gesamtrahmens keinen Sinn ergäbe oder nur wenig Bedeutung hat. Nötig wäre vielmehr eine breite öffentliche Diskussion über den Rahmen. Ein grundlegender sozialstaatlicher Umbau muß auf dem Konsensweg geschehen, das heißt, alle (oder jedenfalls eine SEHR deutliche Mehrheit) müssen mit dem Gesamtkonstrukt im Grundsatz einverstanden sein und seine Umsetzung akzeptieren, auch wenn man im Detail nicht alles gelungen findet oder sich in einem Teilbereich gegenüber anderen, relativ gesehen, benachteiligt fühlt, weil man mehr als sie belastet wird. Um einen Konsens zu erreichen, müssen alle Seiten über einen ganz bestimmten Schatten springen: Ihre eigenen Lebenslügen, diejenigen, die sie ehrlich selbst glauben, und diejenigen, die sie als "an den Rändern begradigte" Wahrheiten wissentlich verbreiten, obwohl sie wissen, daß es nicht die ganze Wahrheit ist. Denn es ist nun einmal nicht wahr, daß "mehr Geld für Zweck x" immer zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse für die davon Begünstigten führt. Ebensowenig ist es aber wahr, daß "Wir bezahlen zu viel für x, und daran sind [Lieblingssündenbock einfügen] schuld" allzu häufig zutrifft. Was vor der eigentlichen Arbeit an einem Umbau der Sozialsysteme aber zwingend erforderlich wäre, um überhaupt eine vernünftige Debatte zu ermöglichen: 

  • Zu vermitteln, daß es unmöglich ist, ein System zu schaffen, das jeder Einzelsituation im Vergleich zu anderen Einzelsituationen hundertprozentige Gerechtigkeit verschafft. Wie auch immer die Lösung für den Gesamtrahmen ausfällt, unser künftiges Sozialsystem sollte so einfach sein, wie es ohne wirklich grobe Ungerechtigkeiten möglich ist - erstens, weil das den Verwaltungaufwand deutlich verringert, und zweitens, weil es die Zahl der möglichen Schlupflöcher reduziert. Grobe Ungerechtigkeiten bestehen nicht, wenn der Nachteil durch den niedrigeren Verwaltungsaufwand für den Benachteiligten ausgeglichen wird, auch wenn jemand anders davon einen noch etwas größeren Vorteil hat. Das Ungerechteste überhaupt sind zu kleinteilige Gerechtigkeitsfitzelausbesserungen an den Sozialsystemen, die immer kleineren Gruppen immer kleinere Nachteile beseitigen sollen und unweigerlich neue Schieflagen für andere Gruppen schaffen. 
  • Was außerdem kommuniziert und akzeptiert werden muß: Es ist unmöglich, die Zahl Schlupflöcher auf null zu bringen, genausowenig wie die Zahl derjenigen, die versuchen, Schlupflöcher legal zu nutzen oder das Sozialsystem zu betrügen. Aufgedeckter Betrug oder das Skandalisieren von legalem, aber fragwürdigem Ausnutzen des Systems bedeutet keineswegs per se, daß das System Mist ist und ein neues entwickelt werden müßte. Es nervt mich ohne Ende, wie häufig diese Schlußfolgerung bei einer Skandalisierung suggeriert wird. In Wirklichkeit ist so etwas mit keinem System der Welt ganz zu vermeiden. Daß Betrug dennoch geahndet werden muß, versteht sich von selbst. 
  • Da es unmöglich ist, alle Betrugsfälle aufzudecken, sollte man seine Ressourcen zur Verfolgung von Betrugsversuchen in jedem betroffenen Bereich vor allem auf die Fälle konzentrieren, bei denen es um große Beträge geht. Die Markierung ist wichtig, denn ich habe nie verstanden, warum die unbestritten höheren Beträge bei Steuerbetrug bedeuten sollten, daß man Betrug beim Bezug von Sozialleistungen nicht verfolgt. Nur sollte man auch im letzteren Fall eben die für Überprüfung vorhandenen Mittel auf das fokussieren, was viel kostet und auch das, was besonders dreist ist und möglichst wenig Nachahmer finden soll. 
  • Perfektion sollte u.a. deshalb nicht angestrebt werden, weil Veränderungen der Rahmenbedingungen zwangsläufig im Laufe der Zeit weitere Änderungen erforderlich machen werden. Dieser 100%-Wahn ist aber auch absolut kontraproduktiv. Eine Aufgabe, die 100 % Umsetzung benötigt, ist eine von vornherein unerfüllbare Aufgabe, weil es diese 100 % immer nur als fiktiven Wert gibt, der in der Realität nie erreicht wird. Wer etwas anderes behauptet oder suggeriert, ist ein Lügner. 80 % Erfüllung sind der anzustrebende Wert. Ist mehr als dies erforderlich, damit die Welt nicht untergeht, dann wird sie untergehen. Finden Sie sich damit ab. 
  • Über Entbürokratisierung wird viel gesprochen und geschrieben, aber man hat nicht das Gefühl, daß sonderlich viel dabei geschieht. Vieles davon hat mindestens Überschneidungen mit dem Sozialstaat, also ist es auch für den Rahmen relevant. Das gilt zum Beispiel für Straftaten im Bagatellbereich. 

Beispiel für das, was ich mit dem letzten Punkt meine:  

Es gibt Bagatellstraftaten, die man durch einfache Veränderungen drastisch reduzieren könnte, beispielsweise Schwarzfahren. Ich wäre für eine Abschaffung des Deutschlandtickets, wenn es durch ein Regioticket ersetzt wird, das man automatisch für seine Region (Landkreis, evtl. auch Bundesland oder Radius von 50 km um den Wohnort ...) "kostenlos" bekommt. Natürlich ist es in Wirklichkeit aber nicht kostenlos: Es müßte über eine Anhebung der Grundsteuer finanziert werden, die ja jeder bezahlt, da Vermieter sie ihren Mietern als Nebenkosten berechnen, und wäre ähnlich wie die Fernsehgebühr obligatorisch, auch wenn man öffentliche Verkehrsmittel gar nicht nutzen möchte. Die Gebühr entsteht aber für das Angebot, sie zu nutzen, ob man es annimmt oder nicht, ist jedermanns Privatsache. Genau wie die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze wäre die höhere Anzahl derjenigen, die das Ticket finanzieren, der Schlüsselfaktor, um den Preis niedriger als das jetzige Deutschlandticket zu halten. 

Für Bürgergeld- und Grundsicherungsempfänger wäre das dann aber wirklich kostenlos, weil ihre Mietnebenkosten ja übernommen werden und dies auch für diesen Teilbereich gelten sollte. 

Ich bin mir sicher, daß eine solche Änderung erstens die Zahl der Schwarzfahrer drastisch reduzieren würde, zweitens den Bewegungsspielraum derjenigen, die sich das Deutschlandticket nicht leisten können bzw. für die seine Kosten in keinem Verhältnis zu den benötigten Fahrten stehen, immens vergrößern würde und drittens den Kontrollaufwand in den Öffis sehr vereinfachen würden. Ausreichend wäre anstelle einer Fahrkarte dann ggf. auch der Nachweis über die Wohnadresse, etwa auf dem Personalausweis, als Beleg dafür, daß man die Berechtigung zu dieser Fahrt hat. Die Regelung würde gleich an mehreren unterschiedlichen Stellen viel Aufwand und Kosten sparen, und das könnte sogar den Bereich Bürgergeld mitbetreffen, weil der Gewinn an Mobilität natürlich auch die Erwerbschancen von Bürgergeldbeziehern verbessern würde. 

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Für ein Pflichtjahr à la Fratscher stünde ich persönlich übrigens unter gar keinen Umständen zur Verfügung. Eher würde ich doch noch von dem Schwerbehinderten-Vorschlag meines Hausarztes Gebrauch machen. Seit nunmehr 44 Jahren ist immer alles mögliche andere wichtiger gewesen als meine eigenen Interessen, darunter vor allem die Erwerbsarbeit. Bis ich das Regelalter der Rente erreicht habe, wären es 51, und in fünf Jahren sind es immerhin auch schon 49 Arbeitsjahre gewesen. 

Wenn ich ein Ehrenamt übernehme, dann nur, wenn es meinen persönlichen Interessen entspricht. Und keinesfalls als Beitrag für die Gesellschaft™.Es sieht aber tatsächlich so aus, als wäre mir ein Ehrenamt zugelaufen, weil ich mich für den Ort, an dem ich jetzt lebe, tatsächlich interessiere, und einem passenden Verein beigetreten bin. Aktuell organisiere ich am Ort für den Verein einen Flohmarkttag mit Hofflohmärkten, wie ich sie aus der Stadt kenne, und was ich ebenfalls angeregt habe, ist eine Obst- und Gemüse-Verschenkbörse über den Verein, und zwar von privat an privat. Es geht auch hier Obst teils am Baum kaputt, weil die Besitzer aus Alters- oder Krankheitsgründen gar nicht ernten können oder sie nicht die ganze Ernte verbrauchen bzw. verarbeiten können, weil die Zucchinipflanzen gar zu fleißig produzieren, während andere Leute ohne eigenen Garten sich Obst und Gemüse in solcher Qualität gar nicht leisten könnten. Das wird also ein Versuch, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen. 

Es soll eine Verschenkbörse werden, weil ein Verkauf durch den Verein rechtlich gar nicht zulässig wäre. Verschenken darf man aber, was man will, und so finden sicherlich ein paar Leute mit und ohne Garten auch in anderer Weise zusammen, die vielleicht sonst gar nicht miteinander in Kontakt gekommen wären. Wenn etwa jemand gegen die halbe Ernte einen Apfelbaum aberntet, bekommt er sicherlich am Erntetag auch Kaffee und Kuchen angeboten. Vielleicht ergibt sich ja daraus auch weiterer freundschaftlicher Kontakt, der dazu führt, daß man sich gegenseitig auch in anderer Weise aushilft, wie ich das an meiner Nachbarschaft so sehr schätzen gelernt habe. Inzwischen ist mir übrigens klar, daß wir da auch am Ort Riesenglück hatten. Der alte Ortskern tickt in dieser Hinsicht einfach noch ganz anders als die neueren Wohngebiete an den Rändern. 

Was mir besonders gefällt: Das hat etwas Subversives, denn immer, wenn sich die Leute gegenseitig helfen, kann die Wirtschaft™ mit ihren kostenpflichten Angeboten nichts verdienen, aber trotzdem - oder gerade deshalb - geht es den Leuten dann besser.