Mein Gewicht heute früh nach dem vierten von vier Fastentagen: 72,6 Kilogramm. 100 Gramm weniger als vor zwei Wochen, damit kann ich wohl zufrieden sein, denn ich bin gerade heftiger als seit langer Zeit vergrippt. Ich glaube, zum ersten Mal seit meinem Umzug habe ich die volle Packung bekommen mit laufender Nase, Husten, Matschbirne und Fieber. Ich habe schon zwei Tage im Bett verbracht. Dem Fasten hat es natürlich nichts geschadet, daß auf diese Weise keinerlei Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme aufkommen kann, aber eigentlich hätte ich da eher erwartet, daß ich oberhalb des Gewichts von vor zwei Wochen bleiben werde. Aber das sind halt die Mysterien des Stoffwechsels. Ärgerlicher ist es, daß ich den Besuch bei meiner Mutter deshalb absagen mußte. Aber diesen fiesen Virus will ich lieber an niemanden weitergeben, und da ich es heute morgen gerade mal vom Bett zur Kaffeemaschine und dann zum Tisch geschafft habe und danach schon erschöpft war, sehe ich auch nicht, wie ich in dieser Verfassung die Bus- und Bahnfahrt bewältigen würde.
Auf eine andere Art bin ich heimlich trotzdem erleichtert, daheim bleiben zu können, denn die letzten beiden Wochenenden war ich unterwegs und unter der Woche war arbeitstechnisch volles Programm, und in einem entsprechend verwahrlosenden Zustand sieht das Haus gerade aus. Ich hoffe darauf, daß ich am Wochenende nicht mehr das Gefühl habe, mich unbeholfen und wie in Zeitlupe zu bewegen, und vielleicht wieder so weit auf dem Posten bin, daß ich die eine oder andere Baustelle beseitigen kann. Ich fange sogar schon an, davon zu träumen. Letzte Nacht bin ich im Traum durch ein Haus mit unwahrscheinlich vielen Zimmern (und merkwürdigerweise zwei Küchen) geirrt, alle schrecklich verwahrlost, und habe vergeblich nach meiner Wahlbenachrichtigung gesucht. Da hat mein Unterbewußtsein ja einiges reingepackt, in diesen Traum. Denn zur Wahl gehen werde ich ja nur dann, wenn es erforderlich wird, eine AfD-geführte Regierung zu verhindern. Es sei denn, ein Wunder geschieht und es poppt doch noch eine Partei auf, die über wählbares Führungspersonal verfügt.
Daß ich mich kräfte- und konzentrationsmäßig nicht wirklich auf der Höhe fühle, hat den Podcast besonders interessant gemacht, den ich gerade gehört habe, denn bei ihm geht es nicht nur um ein Thema, das mich sehr stark interessiert, nämlich eine philosophische Herangehensweise an Nichtwissen und Ignoranz (dem letzteren müßte als Teilmenge das von mir so bezeichnete "Militante Nichtwissenwollen" mindestens mit angehören, ganz deckungsgleich scheint es mir aber nicht), sondern auch Long Covid, dessen Betroffene eine Menge unter allen Varianten des Nichtwissens zu leiden haben. Das betrifft sowohl Freunde und Bekannte über Behörden und Krankenversicherungen bis zu Ärzten in Kliniken und belastet zusätzlich in einer bereits sowieso höchst belastenden Situation. Die letzteren beiden Gruppen können außerdem eine Menge zusätzlichen Schaden anrichten, und tun das anscheinend auch bis heute ziemlich häufig, etwa, indem sie die Symptome als ein psychisch verursachtes Leiden zu behandeln versuchen oder das tun, was bei anderen Arten von Schwäche- und Erschöpfungszuständen ja wirklich helfen kann, nämlich eine allmählich steigende physische Belastung etwa in einer Reha.
Wenn ich etwa nachher rausgehe, um mir im Hofladen Eier zu holen, dann ist das etwas, das ich gestern noch vermieden hätte, weil der Weg mir unvorstellbar weit vorgekommen wäre (abgesehen davon, daß es außerdem noch regnete). Heute kann ich bei besserem, aber noch längst nicht gutem Allgemeinbefinden testen, ob es mir nach einer Viertelstunde im Freien bei etwas Bewegung anschließend besser oder schlechter geht, weil ich vermute, das letztere ist der Fall. Wenn das klappt, kann man das immer weiter steigern, bis man wieder auf seinem normalen Leistungslevel ist. So kennen wir das ja fast alle aus eigener Erfahrung, und falls wir es nicht aus eigenem Antrieb tun, wird der Arzt uns dazu ermutigen. Das Problem ist, bei Long Covid funktioniert das nicht, sondern bewirkt häufig sogar das Gegenteil, also eine im schlimmsten Fall dauerhafte Verschlechterung. Warum das so ist, darüber wird noch viel herumspekuliert, aber es ist natürlich ein Kunstfehler des Arztes, wenn er die Tatsache, daß es so ist, einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen bereit ist. Und das scheint auch im Jahr 5 nach unserer ersten Begegnung mit Corona bei einer solchen Erkrankung immer noch relativ verbreitet zu sein.
Die extremste Ausprägung von Long Covid ist ME/CFS. Diese Krankheit gab es schon vor Corona, allerdings war sie mir damals als "Chronic Fatigue Syndrom" oder "Chronisches Erschöpfungssyndrom" ein - zugegebenermaßen eher vager - Begriff. Ich glaube, es ist gut, daß die Bezeichnung geändert wurde, denn was Erschöpfung ist, hat ja jeder schon erlebt und es erschwert die Einsicht, daß ME/CFS sich von dem, was man selbst beurteilen kann, erheblich unterscheidet - weshalb auch die gut gemeinten Mittel, die man selbst spontan empfehlen würde, etwa ein längerer Erholungsurlaub, dagegen genausowenig helfen wie die ebenfalls nicht seltene Mahnung, sich doch zusammenzureißen. Was auch immer* da im Körper bewirkt, daß die Grenze, bis zu der man sich körperlich und geistig, bestimmt auch seelisch, ohne gesundheitliche Folgen belasten kann, niedriger, manchmal auch viel niedriger, als bei anderen Menschen liegt, es ist etwas anderes als das, was unsere "normalen" Erschöpfungen auslöst, und ME/CFS mit den dabei hilfreichen Mitteln zu Leibe zu rücken, hat sich zu häufig als schädlich erwiesen, um das irgendeinem Arzt oder einer sonstigen Fachperson ernsthaft empfehlen zu können. Die Frage ist, warum bei so vielen nicht anzukommen scheint, daß das, was sie für richtig halten, ihren Patienten in Wirklichkeit schadet.
* Zum Wasauchimmer: ME/CFS gilt der WHO als neurologische Erkrankung. Neuerdings wird auch diskutiert, ob es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt. Aber vielleicht findet man ja am Ende doch noch eine völlig andere Erklärung.
Daß die Einsicht, mit dem üblichen Programm keine wirksame Hilfe zu bringen, sondern der Patient unnötigerweise weiteren Schaden riskiert, führt natürlich auch zu allerhand neuen Konfrontationen, wenn der Patient das weiß und nicht bereit ist, sich dem auszusetzen, und schon das erhöht auch die gesundheitliche Belastung.
Wieviele der aktuell 650.000 mit ME/CFS Diagnostizierten im Bürgergeld sind, läßt sich nicht ermitteln; sicherlich können viele ihren Alltag, wenn auch mühsamer als vorher, noch halbwegs bewältigen. Es wird auch einen recht hohen Anteil geben, wo ein Partner oder eventuell Eltern helfen und sie deshalb entweder auf Leistungen gar keinen Anspruch haben oder lieber auf sie verzichten, oder wo der Erkrankte schon im Ruhestand ist. Eine Studie gibt jedenfalls Grund zur Annahme, daß etwa 60 % der Betroffenen vollständig arbeitsunfähig sind und damit in jedem Fall von irgendwoher Geld für das Allernötigste brauchen. Bei wievielen das dauerhaft der Fall sein wird, läßt sich nicht sagen. Aber die Wahrscheinlichkeit ist hoch, daß sowohl auf diejenigen mit Hoffnung auf vollständige oder teilweise Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit wie auch auf diejenigen, bei denen darauf in absehbarer Zeit keine realistische Aussicht besteht, der Druck erhöht werden wird, da ja unser aller Bundeskanzler so fest davon überzeugt ist, im Bürgergeld fände sich noch einiges an Einsparpotentialen. Das wird auch den Druck auf die "Fallmanager" (gräßliches Wort) erhöhen, ihre Schäflein gefälligst wieder in Lohn und Brot zu bringen, und den werden sie halt an die weitergeben, von denen sie selbst vermuten, daß sie weniger dazu tun, sich selbst zu ernähren, als sei es eigentlich könnten.
Der Grund dafür ist eben dieses Unwissen oder diese Ignoranz und leider wohl auch oft "Militantes Nichtwissenwollen".
Da kommt man sich als in anderen Bereichen, Stichworte etwa Adipositas und Krebs als Stoffwechselerkrankung, ebenfalls aus ärztlicher Richtung ständig mit militantem Nichtwissenwollen Konfrontierter wahrhaftig immer noch vergleichsweise gut davongekommen vor, obwohl die Folgen ja auch nicht ohne sind. Der einzige Vorzug, den ME/CFS- gegenüber Krebspatienten für sich in Anspruch nehmen, ist, daß immerhin die Wissenschaft, von der wir uns fast vollständig im Stich gelassen fühlen müssen, in ihrem Fall halbwegs normal zu ticken und ernsthaft nach wirksamen Behandlungen zu suchen scheint. Und so bleibt mir wohl nur, ihnen von Herzen zu wünschen, daß ein Durchbruch bei der auslösenden Mechanismen und bei der Behandlung möglichst bald kommen möge.
Was ich an dem Podcast ein wenig schade fand, ist, daß er mich am Ende ohne eine Idee zurückließ, wie man diesem Phänomen des militanten Nichtwissenwollens - meiner Meinung nach die schlimmste Ausprägung der Ignoranz - zu Leibe rücken könnte. Denn wäre das nicht wichtig zur Lösung ungeheuer vieler weiterer Probleme, bei denen sich die Fachleute ja ebenfalls oft nicht daran hindern lassen, wie der Mann bei Watzlawick seinen anderswo verlorenen Schlüssel unter der Straßenlaterne zu suchen, weil man dort besser sehen kann?
Mehr Information kann sicherlich etwas helfen, aber nicht die ganze Lösung sein. Dafür lassen zu viele - auch Fachleute - Informationen, die nicht in ihr Weltbild passen, einfach wirkungslos an sich herunterlaufen. Das fiel mir in Forumsdiskussionen - und neuerdings auch auf Bluesky - immer wieder auf. Ich bin ja ein alter Diskussionsforums-Hase und ganz versiert darin, ein Thema auch mal gegen den Strich des Diskussionsverlaufs zu bürsten, und zwar meistens mit einem kleinen "Autsch" für beide "Meinungslager". Ich habe eine gewisse Routine darin gewonnen und baue eher selten echte Schwachstellen ein (und wenn das doch mal passiert, ist es ein guter Lerneffekt). Einerseits amüsiert es mich, aber andererseits sehe ich das auch als ein Symptom für das militante Nichtwissenwollen, wenn dann - in Diskussionsforen unzählige Male erlebt - nach einem Post von mir auf einmal Totenstille herrscht und niemand antwortet. Wenn man keine überzeugenden Einwände hat, aber einfach ums Verrecken nicht überzeugt werden möchte, dann beschweigt man die Sache lieber.
In den Kommentarbereichen der Medien, etwa Spiegel und Zeit, passierte es dann meistens, daß mit ein, zwei Tagen Verzögerung, in denen in dem Thread nur die Grillen zirpten, jemand eine der Antworten vor meiner eigenen aufgriff und beantwortete, und dann setzte schlagartig - und vielleicht sogar ein bißchen erleichtert - die Diskussion wieder ein, und alle taten, als würde das, was ich schrieb, gar nicht existieren. Bluesky funktioniert natürlich ein bißchen anders, da würde ich das gar nicht mitkriegen, weil der Aufwand, das zu verfolgen, viel zu hoch wäre. Aber ich glaube, da versanden Threads auch viel schneller, und so kann man lästige Beiträge, die man ums Verrecken nicht wissen möchte, einfacher wieder verdrängen.
Der Casus knackus ist wohl eine Antwort auf die Frage: Wie öffnet man klemmende Weltbilder?
Die einzige von mir bislang erprobte Idee, die halbwegs funktioniert, ist ein wenig aufwendig. Wenn man nämlich mit ein und derselben Person in den sozialen Medien und so weiter über eine Reihe von Themen spricht, gibt es immer ein paar, bei denen man sich einig ist. Das wiederum scheint es zu erleichtern, sich auch bei Themen, wo das nicht der Fall ist, auf ein ernsthafteres Gespräch einzulassen - obwohl das auch nicht immer klappt. Es könnte außerdem bedeuten, daß Agitatoren und Lobbyisten immer nur die eigene Seite überzeugen, aber niemals die andere, sofern sie sich auf ein einziges Thema beschränken und bei dem immer in dieselbe Kerbe hauen. Wäre das der Fall, dann würde das bedeuten, daß ihre Aktivitäten sich auch als unter dem Strich kontraproduktiv erweisen können, weil die Wirkung auf Andersdenkende genau das Gegenteil von dem ist, was sie eigentlich erreichen wollen sollten. Die bleiben nämlich fast immer bei ihrer anderen Meinung, ärgern sich aber jedesmal auf Neue, wenn jemand sie dazu nötigen will, sie zu ändern.
Das ist jetzt kein Trost, aber der Arzt, der sich einbildet, sein ME/CFS-Patient täte besser daran seinen Ratschlägen zu folgen, die jener Patient aber als kontraproduktiv erkannt hat und sich ihnen mit den besten Gründen der Welt verweigert, ärgert sich über ihn natürlich auch und aus ganz ähnlichen Gründen. Obwohl er in Wirklichkeit im Unrecht ist.
Vielleicht wäre es ja hilfreich, zu wissen, auf welche Weise es Patienten gelungen ist, ihren Arzt davon zu überzeugen, daß er falsch lag. Ein paar gibt es ja bestimmt, die das geschafft haben. In dem "Wie" könnte man möglicherweise auch ein Mittel finden, das auch in anderen Meinungsverschiedenheiten Wirkung zeigt.
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