Mittwoch, 30. Juli 2025

Urlaubslust und Reiseunlust

Mein Gewicht heute früh zu Beginn von Tag 2  meines letzten viertägigen Fastenintervalls vor dem Urlaub: 74,2 Kilogramm. Die kommenden drei Wochen beschränke ich mich auf jeweils zwei Fastentage Weniger Fastentage traue ich mich nicht, weil es mir sehr unrecht wäre, sollte ich vor Beginn der nächsten Low-Carb-Phase doch wieder die 80 überschreiten, und ich hoffe, das passiert auf diese Weise nicht. Was mich freilich ein bißchen beunruhigt, ist, daß meine alljährliche Herbstzunahme letztes Jahr schon im September stattfand, und in dem Fall wäre ich auch dieses Jahr gegen die 80 möglicherweise mehr oder weniger machtlos. 

Der Stoffwechsel ist schon ein heimtückischer Geselle mit einem eher befremdlichen Sinn für Humor. Aber an mir wird er sich noch die Zähne ausbeißen. Denn sollte mir dieser Mist doch passieren, dann wenigstens zum endgültig letzten Mal. Zweimal sechs Wochen Low Carb wird eine stärkere Wirkung haben als einmal drei und einmal sechs Wochen. Aber natürlich peile ich es weiterhin an, meine nächste Low-Carb-Phase mit einem niedrigeren Gewicht zu beginnen als die vom letzten Jahr, und da lag ich bei exakt 79,9 (die 80 hatte ich davor nur punktuell überschritten).  

Vorgestern hatte ich meinen letzten Kontrolltermin in der Strahlenmedizin. Ein weiteres Stück Normalität wiedergewonnen, und am 10.10. wird die Entfernung des Ports ebenfalls einer sein. Eigentlich wollte ich ja noch einmal zum Kardiologen, aber ich habe entschieden, mir das zu schenken, weil ich einfach keine Lust auf diese Ärztin habe, die mir vor einem Jahr unbedingt Statine verschreiben wollte, obwohl sie meinen Cholesterinwert nicht einmal kannte. Diesen Teil der Normalität schaffe ich mir jetzt halt selbst, denn sie sagte ja selbst, eigentlich seien wir jetzt fertig, aber sie wolle mich in einem Jahr noch einmal sehen. Nur, ich lege keinen Wert darauf, sie zu sehen, und außerdem habe ich echt wichtigeres zu tun. 

Die letzte Woche und die erste Hälfte der aktuellen war echt mörderisch, ein Termin jagte den nächsten, und meine Kunden nahmen mich auch überdurchschnittlich in Anspruch. Aber jetzt ist die Therme aus der Küche unters Dach wegversetzt, der IT-Wechsel meiner blöden Bank überlebt und im dritten Anlauf funktioniert jetzt auch das Onlinebanking wieder und meine Steuerunterlagen befinden sich bei meiner neuen Steuerberaterin, von der ich einen ausgezeichneten Eindruck habe. Auch der vorletzte Wohnungsverkauf ist vollzogen, das Geld ist geflossen und bereits wieder ausgegeben. 

Damit ist unsere Zwischenfinanzierung also Geschichte. Unter dem Strich hat sie uns während des gesamten Finanzierungszeitraums von zehn Monaten nur zwischen 6000 und 7000 Euro Zinsen gekostet. Bei meinem Mieter habe ich noch einen Abschiedsbesuch gemacht, zusammen mit seinem neuen Vermieter, den ich außerdem davon überzeugt habe, daß er sich auf einem Zusatz zum Mietvertrag beschränkt, in dem lediglich er als neuer Vermieter und seine Kontaktdaten und Bankverbindung ergänzt sind. Ich glaube nämlich, mein Mieter hätte sich gegen einen komplett neuen Mietvertrag nicht zur Wehr gesetzt, deshalb wollte ich da vorbauen. Obwohl sein neuer Vermieter ein netter Kerl zu sein scheint, der jedenfalls keiner dieser Miethaie ist. Aber sicher ist sicher. 

Zum Abschied habe ich ihm zwei Zucchini aus meinem eigenen Garten und ein Schälchen Mirabellen aus dem Garten einer Nachbarin mitgebracht, weil ich weiß, daß er so etwas tatsächlich zu schätzen weiß. Zucchini um diese Jahreszeit verschenken ist ja oft auch ein Akt der Verzweiflung, und unsere Zucchinipflanzen sind ungeheuer fleißig. Wir haben nun schon wieder zwei im Kühlschrank. Das ist schon kurios, daß Gartenbesitzer manchmal geradezu zum Mittel der Nötigung greifen müssen, um Abnehmer für einen schnell verderblichen Segen zu finden, der in allen Nachbargärten auch zu finden ist, während in Wohngegenden ohne Nutzgärten die Leute irrsinnige Preise für Erdbeeren, Kirschen oder, ja, auch Mirabellen, zahlen müssen und die Ärmeren unter ihnen sich so etwas gar nicht leisten können. 

Aber jetzt bin ich wirklich SEHR urlaubsreif. Und ich freue mich darauf, mich drei Wochen lang nur mit Haus und Garten zu befassen und zwischendurch zusammen mit meinem Mann mit dem Fahrrad die Umgebung zu erkunden. Darauf freue ich mich sehr, und ich hätte gar kein Bedürfnis danach, stattdessen irgendwo anders nach Erholung zu suchen. 

Das bringt mich gleich zu einer Frage, die mich schon seit einigen Tagen beschäftigt. Zu den unterschätzten Gesundheitsgefahren gehören nämlich auch Urlaubsreisen.Wieviele Menschen wohl jedes Jahr sterben, weil sie eine solche Reise für unverzichtbar gehalten haben? Neben dem Risiko während der An- und Rückreise, egal ob im Auto, der Bahn oder im Flugzeug, sind Urlaubsaktivitäten ebenfalls riskant. Dazu kommt einem sicherlich spontan das Meer in den Sinn, das ja mit Leichtsinnigen kurzen Prozeß machen kann. Aber auch die Berge sind nicht ohne. Alleine in den italienischen Alpen sind innerhalb eines einzigen Monats laut diesem Bericht mindestens 83 Menschen ums Leben gekommen. "Die meisten Betroffenen seien Wanderer gewesen, gefolgt von Bergsteigern, Bikern, Fallschirmspringern sowie Menschen, die sich trotz gesundheitlicher Probleme in die Höhe wagten", steht in dem Bericht - wobei die letztere Gruppe natürlich in allen vorher aufgezählten mit enthalten sein muß, weshalb der Satz keinen richtigen Sinn ergibt. 

Heute kam die unglaublich traurige Nachricht, daß die ehemalige Top-Biathletin Laura Dahlmeier im Karakorum-Gebirge in Pakistan bei einer anspruchsvollen Bergbesteigung durch einen Steinschlag ums Leben gekommen ist, deshalb habe ich sogar überlegt, lieber nichts über meine Urlaubstheorien zu schreiben, gerade weil dieser tragische Todesfall das ja bestätigt. Ich schwöre übrigens, daß ich den Entwurf schon geschrieben hatte, bevor das Unglück zum Medienthema wurde. Aber ich möchte natürlich auf keinen Fall, daß jemand hier ein "Selber schuld" herauszulesen glaubt. Dahlmeier war nicht nur eine Weltklassebiathletin, sondern auch eine leidenschaftliche und sehr erfahrene Bergsteigerin. Wenn man irgendetwas Tröstliches in diesem Verlust für sie selbst und alle, die ihr nahestanden, suchen sollte, dann wäre es die Erkenntnis, daß sie tat, was sie tun wollte und woran sie Spaß hatte, als sie so plötzlich und viel zu früh mit 31 Jahren aus dem Leben gerissen wurde. 

Realistisch betrachtet, bedeutet nämlich jede nach eigenem Gusto ohne echtes Erfordernis gewählte Betätigung ein sogenanntes "vermeidbares Gesundheitsrisiko", ob nun kleiner oder größer, weil alles, was man tut, ein Risiko enthält und Betätigungen, zu denen einen nichts zwingt, natürlich vermieden werden könnten. Die Risikominimierer könnten in noch mehr Bereichen in Versuchung kommen, dieses oder jenes unter solchen Betätigungen kurzerhand zu verbieten, wenn diejenigen, die so etwas gerne tun, den Sinn und Nutzen ihres Tuns niemandem so recht erklären können, weil es dabei primär um ihr eigenes Wohlgefühl geht. Relativ nahe lägen da Extremsportarten, Bergsteigen oder auch Motorradfahren, das ja um einiges gefährlicher als Autofahren ist. Nur, damit würde wir auf direktem Weg in die Richtung einer m. E. wenig erstrebenswerten Gesellschaft steuern, in der alles für verboten erklärt wird, was nicht ausdrücklich als Pflicht gilt. Diese Pflichten sind auch mit Risiken verbunden, aber außerdem nicht selten auch mit einer mehr oder weniger ausgeprägten Unlust. In solchen Fällen will das aber niemand verbieten, und man wird bestraft, wenn man sich ihnen entzieht, sogar dann, wenn man dadurch seine Gesundheit besser schützen will. 

Ich wage mir nicht vorzustellen, was in diesem Land los wäre, wenn die Gesundheitspolitik dahinter käme, daß man den Leuten Urlaub verbieten oder via Nudging davon abhalten könnte, um ihr Risiko eines vorzeitigen Todes weiter zu senken. Die Leute von dem abhalten, was sie gerne tun möchten, weil es ihnen Spaß macht bzw. einen Genuß verschafft, das traut man sich bislang aber nur, wenn man dem betreffenden Verhalten über einen längeren Zeitraum hinweg einen schlechten Ruf verschafft hat, vom Rauchen über den Alkohol bis zum Genuß beim Essen. Aber für Urlaubsreisen kann das natürlich auch noch kommen. Der Massentourismus und seine Auswirkungen auf deren Zielorte werden dort ja immer unwilliger vermerkt, was ich im Grunde auch gut verstehen kann. Mir haben ja schon vergleichsweise kurze Massenveranstaltungen in meiner Stadt, einmal beispielsweise ein Kirchentag, schon völlig gereicht, um das nachempfinden zu können, wie sich monatelanger Ausnahmezustand etwa für die normalen Bewohner von Mallorca anfühlt. Ach ja, und hat da irgendwo jemand hinter den Kulissen gerade "Klimakatastrophe!" gesagt? 

Es scheint mir nicht unmöglich, ähnlich wie beim Fleischgenuß, Urlaub nach und nach zu etwas zu machen, für das die Leute, die es machen, anfangen, sich zu schämen oder in den Aggro-Modus geraten, wenn andere ihnen vermitteln, eigentlich müßten sie das. Im Prinzip ist das immer als Vorbereitungsmaßnahme für ein Verbot zu betrachten - so funktioniert das ja immer: Erst eine Sache gesellschaftlich ächten, dann ganz oder scheibchenweise verbieten. Klappt nicht immer und meistens nur in über lange Zeiträume verteilte Scheibchen, und gemessen daran kann es die davon Betroffenen überdurchschnittlich lange immer wieder aufs Neue erzürnen. Und am Ende wundern sich dann wieder alle, warum soviele Leute sich davon überzeugen lassen, daß der demokratische Rechtsstaat ihnen so viel aufbürdet, daß man es vielleicht ja doch mal mit was anderem versuchen müßte ...

Ausnahmsweise wäre ich davon aber mal nicht betroffen. Das ist eine so seltene Ausnahme bei mir, daß ich fast in Versuchung wäre, mir ein heraufziehendes Urlaubsverbot (mindestens für Fernreisen) zu wünschen, um das endlich auch mal als unbeteiligte Außenstehende zu erleben, wenn ich mir nicht so sicher wäre, daß ich am Ende von den gesellschaftlichen Folgen trotzdem in unangenehmer Weise mitbetroffen wäre. 

Das Konzept des Tourismus hat mir für mich persönlich schon lange keinen richtigen Sinn mehr ergeben. Ich bin mit meinem Kind seinerzeit in Urlaub gefahren - und habe mir dafür aus Geldmangel einiges einfallen lassen müssen, um das einmal im Jahr machen zu können -, weil ich nicht wollte, daß zu Schuljahresbeginn alle Kinder von ihrem Sommerurlaub erzählen und meines nicht. Mit dem bulgarischen Sonnenstrand habe ich sogar einen "Sonne, Sand und Meer"-Urlaub gefunden, der jeden Vergleich aushielt, uns beiden Spaß machte und beinahe weniger kostete, als einfach daheimzubleiben. Trotzdem, irgendwie fühlte ich mich als Tourist immer unbehaglich. Tourismus hat meinem Empfinden nach etwas Perverses an sich, es ist die Kommerzialisierung der Gastfreundschaft, und es pervertiert auch die Gastfreundschaft dort, wo sie noch in vor-touristischen Formen existiert. Unter anderem deshalb gilt das, was ich meine, nicht nur für Pauschalurlaube, sondern auch für Individualreisen, einschließlich des überglorfizierten Backpacking. Mich hat das immer irritiert, wenn in Lonely-Planet-Reiseführern ein Dörfchen irgendwo zum Beispiel in einem asiatischen Land als "noch unverdorben" angepriesen wurde. Weltweit die Rucksacktouristen auf ein solches vom Tourismus noch nicht verkorkstes Dörfchen aufmerksam zu machen, ist ja eine Art Einladung, hinzufahren und es schnellstmöglich auch zu verderben. 

Ich war letztlich ganz froh, als mein Sohn dann auf gemeinsamen Urlaub mit mir keinen Wert mehr legte und ich anfangen konnte, meine Erholungsweise selbst zu bestimmen. Zusammen mit meinem Mann war ich deshalb nur wenige Male "richtig" in Urlaub, das waren also keine Fernreisen, keine klassischen Badereisen oder so, und das Äußerste der Gefühle waren zwei Wochen am Stück, meistens haben wir uns aber von vornherein auf eine oder auf zehn Tage beschränkt, weil mir das einfach weniger unangenehm ist. Unsere letzte einwöchige Urlaubsreise war 2017, seitdem haben wir uns eigentlich immer auf Tagesausflüge oder allenfalls ein oder zwei Übernachtungen beschränkt - nur bei meiner Mutter waren wir manchmal etwas länger. Jetzt, mit unserem Umzug, habe diese De-facto-Urlaubsverweigerung, die nun weiß Gott nicht mehr neu ist, aber endlich mal in eine bewußte Entscheidung gegen Urlaubsreisen umgewandelt: Ich habe einfach keine Lust auf dieses Zeugs und möchte es lieber bleiben lassen. Glücklicherweise sieht mein Mann das ganz ähnlich, also gibt es da auch keine Konflikte. Und daß ich einige Risikofaktoren vermeide, die andere Leute an meiner Stelle von Herzen gerne eingehen würden, trifft sich in diesem Fall lediglich günstig mit dem, was ich tatsächlich aus anderen Gründen will. 

Was mich jetzt noch weiter und möglicherweise dauerhaft ein wenig irritiert, ist die Selbstverständlichkeit, mit der alle Welt erwartet, daß wir wegfahren, wenn wir Urlaub haben, und ich mit diesen Erwartungen irgendwie umgehen muß. Dieses Jahr habe ich auf entsprechende Fragen "Wo geht's denn hin?" immer geantwortet "In den Garten, Wurzeln ausgraben". Mittelfristig strebe ich es an, daß möglichst wenige diese Frage überhaupt stellen, weil sie wissen, daß wir deshalb keine Urlaubsreisen machen, weil wir keine Urlaubsreisen machen wollen. Aber natürlich ist mir klar, daß Fragen, die mich irritieren, etwas sind, das allen passiert, die irgendwie aus dem Rahmen fallen, und Urlaubsunlust fällt nun einmal wirklich aus dem Rahmen. So was muß ich aushalten, und ich fände unsere Gesellschaft außerdem besser, wenn andere Leute, die auf andere Weise aus dem Rahmen fallen - spontan fallen mir als erstes dazu Veganer ein - sich weniger darüber beschweren würden, daß sie dauernd anderen ihre eigenen Selbstverständlicheiten erklären müssen.  


 

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