Samstag, 19. Oktober 2024

Ärzte und Kleidermotten

Mein Gewicht heute früh nach Fastentag 3 von drei nicht zusammenhängenden Fastentagen diese Woche: 75,9 kg. Das bewegt sich endlich mal wieder von Solala nach Okay, jedenfalls hatte ich das nach einem einzelnen Fastentag zuletzt im Juni. Jetzt warte ich darauf, daß irgendwann auch mal wieder ein begeistertes "Super!" kommt. Da ich gerade erkältet bin, gehe ich außerdem davon aus, daß der Wert dennoch leicht überhöht ist.

Aber im Moment ist mein Gewicht sowieso nicht die Hauptsache. In zwei bis drei Wochen ziehen wir um, und das große Ereignis wirft seine Schatten voraus. Und natürlich - wie immer - kamen Störfaktoren dazu, die niemand vorhersehen konnte. Mein Mann befindet sich nämlich gerade im Krankenhaus, er wurde mit Verdacht auf Herzinfarkt eingeliefert - was sich glücklicherweise aber nicht bestätigt hat. Ebenso sind seine Herzkranzgefäße weitestgehend in Ordnung (eine Kleinigkeit zu meckern findet sich ja immer, wenn man richtig sucht). So unangenehm der Anlaß auch war, aber ich konnte ihm anmerken, was für eine Last von ihm gefallen ist, als er das erfahren hat. Herzkrankheiten liegen bei ihm in der Familie, und auch wenn er selten dazu etwas herausläßt, glaube ich schon, daß ihn das in den letzten paar Jahren, so ungefähr seit seinem 50. Geburtstag, ziemlich beschäftigt hat, weil mehrere damit in Verbindung stehende Todesfälle ungefähr in seinem jetzigen Alter zu beklagen waren. 

Einstweilen warten wir aber noch auf seine Entlassung, weil sein Blutdruck den Ärzten zu hoch war und auf Blutdrucksenker merkwürdig schwankend reagiert. Eigentlich hätten sie ihn heute entlassen wollen, nun wurde das aber auf Sonntag verschoben, weil man heute noch ein paar Untersuchungen vornehmen will.

Ursachen für den hohen Blutdruck wurden keine gefunden. Die Pumpe, wie gesagt, ist es nicht, ebenso scheiden Nieren, die diversen anderen inneren Organe und höchstwahrscheinlich auch eine chronische Lungenerkrankung aus; wobei er gerade eine akute Bronchitis hat, was es natürlich schwieriger macht, das zu beurteilen. Wahrscheinlich war es einfach die zugrundeliegende Krankheit, die seinen Blutdruck nach oben gejagt hat, von der wir aber immer noch nicht wissen, was es ist, und für die sich aus unerfindlichen Gründen in der Klinik auch niemand so recht zu interessieren scheint. Angefangen hatte vor zwei Wochen alles mit plötzlich auftretenden Brustschmerzen und darauf folgend einem unangenehmen Husten, verbunden mit Atemproblemen, und zwar zunächst ausschließlich nachts im Liegen. Die Symptome und deren Verlauf würden auf einen Pneumothorax passen, also ein Eindringen von Luft in den Pleuraspalt. Aber das hätte man eigentlich beim Röntgen der Lunge sehen sollen, und offenbar sah man es nicht. Es könnte natürlich bedeuten, daß es ein sehr kleiner Riß gewesen ist, der nicht erkannt wurde. Falls das so wäre, besteht aber immerhin eine gute Chance auf Selbstheilung. 

Das Pech meines Mannes war, daß, noch bevor er sich dazu entschließen konnte, zum Arzt zu gehen (weil er seinen früheren Hausarzt jahrelang nicht gesehen hat und nicht mehr aufsuchen will), eine stinknormale Virusinfektion hinzukam - dieselbe, die er dann an mich weitergereicht hat - und die kombinierten Symptome innerhalb eines einzigen Wochenendes so dramatisch wurden, daß ich in der Nacht auf Montag den Notarzt rufen mußte. 

So was möchte ich lieber nicht noch einmal erleben. Erstens, weil ich solche Dramen generell nicht mehr erleben will, zweitens, weil wir geschlagene drei Stunden auf den Notarzt warten mußten und dieser Notarzt, drittens, als er schließlich erschien, sich nach Meinung eines der später behandelnden Ärzte nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Er hätte bei dieser Symptombeschreibung erstens ein EKG machen müssen und meinen Mann zweitens zur Beobachtung in ein Krankenaus einweisen. Er beschränkte sich aber darauf, eine Cortisoninfusion zu geben. Viertens war dieser Notarzt eine so unangenehme Type - er mag Raucher nicht, und solche, die in einer Dachgeschoßwohnung leben, mit seinem BMI deutlich über 30 vermutlich noch viel weniger -, daß ich gerne auf diese Bekanntschaft verzichtet hätte, denn er ist ganz schön unverschämt geworden, und wenn man auf die Hilfe so einer Gestalt nun einmal angewiesen ist, kann man sich dagegen auch nicht ausreichend wehren. Ich nehme dieses Erlebnis als mahnende Erinnerung daran mit, daß man als Raucher tunlichst nie in medizinische Notlagen kommen sollte, denn es ist auch bei Ärzten mit besserer Kinderstube in diesem Fall besonders schlecht gewährleistet, eine sachgerechte Diagnose und Therapie zu bekommen, und die Machtposition eines Helfers, auf den man angewiesen und deshalb ihm gegenüber wehrlos ist, kitzelt aus manchen Charakteren ihre schlechteste Seite heraus. Einen von der Sorte hatten wir leider erwischt. Ich hoffe, daß sein unmögliches Benehmen einem Patienten in einer Notlage gegenüber sein Karma so verschlechtert, daß er in seinem nächsten Dutzend Leben als Kleidermotte wiedergeboren wird.

Im vorliegenden Fall war wohl der Hauptfehler, daß mein Mann zu lange gewartet hatte mit dem Arztbesuch, und der zweitwichtigste, daß ich am Sonntagnachmittag, als es anfing, ihm immer schlechter zu gehen, nicht darauf bestanden habe, in die Notfallambulanz zu gehen.

Immerhin, die Cortisoninfusion möbelte meinen Mann so auf, daß er Tags darauf ein bißchen wie die Verkörperung eines Menschen war, von dem man sagt, er sei wie "auf Steroiden" - was in diesem Fall auch zutraf. Das gab ihm ausreichend Schwung, sich um die Sache mit dem fehlenden Hausarzt zu kümmern, denn nun sah er endgültig ein, daß das eine Sache war, die er nicht einfach aussitzen konnte. Auf der positiven Seite hat mein Mann jetzt also endlich wieder einen Hausarzt, noch dazu einen, der etwas taugt, nämlich meinen. Ich hatte ihn schon wiederholt davon zu überzeugen versucht, aber immer auf Granit gebissen..Jetzt muß ich mir nur noch etwas ausdenken, wie ich ihn auch endlich mal wieder zu einem Zahnarzt bekomme. 

Bei meinem gestrigen Kontrolltermin bei meiner Kardiologin habe ich mich ebenfalls geärgert, weil ich das Gefühl hatte, daß sie zweifelhafte Gründe an den Haaren herbeizieht, um mich nicht aus ihren Klauen entlassen zu müssen. Der jetzige Termin hätte eigentlich der letzte sein sollen, und jetzt hat sie mir die Raucher-Arie und die Cholesterin-Arie vorgesungen und das Ende vom Lied war, daß sie mich in einem Jahr nun doch wieder sehen will. Dann soll ich meine Cholesterinwerte mitbringen und sie will mir Cholesterinsenker verschreiben - unglaublich, aber wahr, das sagte sie einfach mal so freihändig, ohne jemals Cholesterinwerte von mir gesehen zu haben. 

Da ich ja zum Herzecho bei ihr war, nutzte sie anschließend (ja, erst nachem sie mir ihren Entschluß verkündet hatte, mir demnächst Statine zu verschreiben) die Gelegenheit, sich auch meine Halsschlagader anzuschauen und versuchte mich mit den dabei erkennbaren Plaqueablagerungen zu schockieren, die angeblich beweisen, daß meine Cholesterinwerte zu hoch sein müssen. Ihr Pech, daß ich schon vorher wußte, daß ich diese Plaques habe, und außerdem weiß, wie häufig sie sind und daß eine Statingabe bei Gesunden in diesem Fall nicht empfohlen wird. 

Im Rahmen einer spanischen Studie beispielsweise wurden mehr als 4.000 Bankangestellte untersucht, die allesamt keine kardiovaskulären Vorerkrankungen aufwiesen. Bei fast jedem dritten der 40- bis 54-jährigen Probanden fand sich Plaque in der Halsschlagader, bei Männern häufiger als bei Frauen. Dieses Ergebnis wird von zahlreichen weiteren Studien bestätigt, die für ähnliche Altersgruppen zu Karotisplaque-Raten zwischen einem Viertel und einem Drittel kommen.

Gesunde brauchen keine präventive Behandlung
Patienten, die gesund sind und dennoch Plaque in der Halsschlagader aufweisen, können in der Regel auf eine Behandlung verzichten. Zumindest, solange die Plaque nicht „signifikant“ ist, wie die Europäische Kardiologengesellschaft (ESC) in ihrer Leitlinie formuliert. Laut aktueller Studienlage bringt weder die Behandlung mit Statinen noch die mit Azetylsalizylsäure (ASS) Gesunden mit Karotisplaque einen nennenswerten Vorteil. Statine sind zwar zur Prävention generell geeignet, bei geringem Risiko aber auch verzichtbar – und das Risiko kann bei ganzheitlicher Betrachtung trotz Karotisplaque durchaus niedrig sein.

Das, was ich da erlebt habe, war also das ärztliche Äquivalent zu den berüchtigten Schockanrufen, genauso wie die COPD, die der Notarzt meinem Mann ebenso freihändig bescheinigt hat, obwohl der Krankheitsverlauf eindeutig keine chronische, sondern eine akute Erkrankung nahelegte, was neben einer Reihe anderer Indizien gegen COPD spricht, oder die Fettleber, mit der man Übergewichtige zu beängstigen sucht. Auch die Kniearthrose gehört in diese Rubrik. Wer als Orthopäde das Knie eines Mittfünfzigers röntgt, hat eine 50:50-Chance, auf die sogenannte beginnende Kniearthrose zu stoßen, und kann sich dann jede echte Auseinandersetzung mit dem sparen, was dem Patienten fehlt. Für den Patienten bedeutet das natürlich, daß die Therapie seiner Beschwerden unter Umständen gar nichts mit der zugrundeliegenden Ursache zu tun hat und dann vielleicht auch nicht die erhoffte Wirkung zeigt.

Was meinen Fall von den Vergleichbeispielen unterscheidet, ist, daß es sich hier nicht um eine bequeme Antwort auf ein Gesundheitsproblem handelte, mit der ein Patient zum Arzt gekommen ist, sondern die Ärztin das ohne jeden erkennbaren Grund aus eigenem Antrieb aufs Tapet brachte. Ich werte das also als einen Versuch, mein Selbstbild als gesunden Menschen zu beschädigen. Ich soll Todesangst entwickeln und durch sie bereit werden, ein Dauerpatient zu werden. In dieser kardiologischen Praxis staunen sie ja jedes Mal wieder darüber, daß ich in meinem Alter tatsächlich noch keinerlei Medikamente nehmen muß. Offenbar hat die Kardiologin den Ehrgeiz entwickelt, diesen ärztlich unbefriedigenden Zustand bei mir endlich zu ändern. Zur Strafe habe ich ihr, als sie zum Abschied meinte, meinen Krebs hätte ich ja immerhin ganz gut weggesteckt, mit einem Lachen gesagt, so ein bißchen Krebs haue mich doch nicht um. Das verschlug ihr die Sprache.

Also ohne mich. Ich habe nicht nur klar kommuniziert, daß ich unter keinen Umständen Cholesterinsenker nehmen will, die Dame hat mich außerdem zum letzten Mal gesehen. Wobei ich ernsthaft in Erwägung ziehe, den Termin in einem Jahr trotzdem, aber bei einem der anderen Ärzte in der Praxis zu vereinbaren, quasi für eine Zweitmeinung. An diese Ärztin bin ich nämlich nur geraten, weil meine erste Kardiologin - die, die mich zu meinem Verdruß im Bericht als "beginnend adipös" bezeichnete - in Elternzeit ging. Mittlerweile ist sie wieder da, aber ich verblieb leider bei ihrer Vertreterin. Die neue Kardiologin hat mich von Anfang genervt, nur kam es mir bis zum aktuellen Termin nicht so sehr darauf an, weil ich ja dachte, ich würde sowieso beim letzten Termin wieder bei meiner ursprünglichen Ärztin landen. Am liebsten hätte ich in einem Jahr dann meinen Termin bei ihr, alleine schon, weil ich ihr das mit dem "beginnend adipös" noch aufs Butterbrot schmieren möchte, und außerdem weiß, daß sie darüber herzlich lachen wird. Diese Ärztin hatte nämlich den nötigen Sinn für Unernst, der ihrer Nachfolgerin fehlte.

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Und hier die Kurznachrichten: 

Ein Cousin erzählte von seinem Vater, also meinem Onkel, der kurz vor seinem 93. Geburtstag steht, auf meine Frage hin, wie es ihm gehe, abgesehen von Schwierigkeiten, sich zu artikulieren, und schon länger bestehenden Problemen beim Gehen ginge es ihm gut, obwohl er in letzter Zeit beim Essen nur noch Fleisch und Fleischprodukte akzeptiere. Das ist schon bemerkenswert, denn von Low Carb oder gar Carnivore hat er bestimmt in seinem ganzen Leben noch nie etwas gehört, geschweige denn, daß er in so hohem Alter noch ein bewußter Anhänger davon geworden sein könnte. Diese Ernährung entspricht also einfach seinem subjektiven Bedürfnis, und zwar einem, das für ihn in dieser Form noch ziemlich neu ist. Es klingt mir selbst ein bißchen arg esoterisch, wenn ich es so formuliere, daß er damit wohl tue, was sein Körper ihm sagt, aber vielleicht ist es wirklich so, da ja in seinem hohen Alter vielleicht ein Rückgang an Muskelmasse ein höheres Bedürfnis nach Protein ausgelöst hat und dies seinen Appetit auf bestimmte, schon bislang gerne gegessene Lebensmittel erhöht hat. Da ja alte Menschen weniger essen als jüngere - siehe die berüchtigten Seniorenteller in Restaurants - wirkt dieses Nur-noch-Fleisch-Essen auf mich wie eine Priorisierung der Nährstoffe, die am dringendsten benötigt werden, durch den inneren Strippenzieher bei der Ernährung, den Stoffwechsel. 

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Das Ärzteblatt berichtete über eine Studie, die einen Anstieg von Diabetesfällen vom Typ 2 bei Kindern und Jugendlichen im Anschluß an Covid ermittelte. Ein interessantes Detail dabei fand ich, daß sich das Risiko für Diabetes bei den Kindern und Jugendlichen, die wegen Covid im Krankenhaus behandelt wurden, noch einmal deutlich höher lag als bei anderen. Das Ärzteblatt spekuliert, daß dies auf eine Behandlung mit Steroiden zurückzuführen sei (in der Studie selbst fand ich das Detail nicht, vielleicht habe ich es aber überlesen), und das ergäbe durchaus einen Sinn, weil so eine Behandlung ja die Glukosewerte im Blut nach oben treibt, was durchaus diabetesauslösend sein kann. Begründet wurde die Sache aber nicht, also weiß ich nicht, auf welche Weise die Steroide nach Meinung des Ärzteblatts Diabetes auslösen können.

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Wie wenig Twitter als Diskussionsplattform tauglich ist, zeigte sich an einer meiner mittlerweile seltenen Rückfragen auf einen Beitrag, der mich zum Beisteuern eines möglicherweise übersehenen Aspekts anregte. Ich bezog mich bei meiner Frage auf dies hier:

Die Frage ist zwar wirklich interessant, aber vor dieser Frage müßten erst mal ein paar andere beantwortet werden: 

- Wie definiert sich aus Bikmans Sicht ein "Status der Ketose"? 

- Muß dieser Status gemessen werden und wenn ja, auf welche Weise? 

Falls das nicht für nötig gehalten wird, sehe ich nämlich das Problem, daß die Ketonwerte, würden sie gemessen werden, auch bei exakt identischer Ernährung bei mehreren Anwendern nicht exakt gleich ausfallen würden. Einige von ihnen würden vermutlich auch nicht definierten Kriterien von Ketose entsprechen. Dafür sprechen die zehn bis 15 Prozent Patienten, bei denen ketogene Ernährung so schlecht bzw. gar nicht wirkt. Bis zum Beweis des Gegenteils kommt es mir eher unwahrscheinlich vor, daß das wirklich ganz oder überwiegend mit Anwendungsfehlern in der Ernährung wegerklärt werden kann, wie das die einschlägigen Gurus so gerne machen. Um das Gegenteil zu beweisen oder eben nicht, müßte man die Ketone im Blut aber erst einmal messen. Es würde mich freilich sehr überraschen, wenn es allzu viele Studien gäbe, in denen das überhaupt geschieht.

Deshalb meine Antwort auf Dr. Bikman, dessen Frage m. E. am Kern des Problems vorbeigeht und womöglich auch nur rhetorisch gemeint war, obwohl sie auf den ersten Blick nicht so aussieht. Falls dem so wäre, würde mich das aber ziemlich ärgern, weil mir solche Dinge viel zu wichtig für rhetorische Taschenspielertricks sind, die ja sowieso nur auf den Applaus derjenigen abzielen, die bereits überzeugt wurden. Wie man Ketose erreicht und wie sich deren Wirkung auf den Stoffwechsel von Individuum zu Individuum unterscheiden kann (und als nächsten Schritt, warum das so ist), das sind aber unheimlich wichtige Fragen, auf die man ernsthaft nach Antworten suchen sollte, wenn man wirklich das Interesse des Patienten an die erst Stelle setzt.

Wie auch immer, weder Bikman selbst noch irgendwer aus seinem Kometenschweif scheint meine Frage für relevant gehalten zu haben. Es ist schon ein bißchen frustrierend, imme wieder mit der Nase darauf gestoßen zu werden, daß die Außenseitergruppe, die die Dogmen der etablierten Medizin kritisiert, praktisch auf der Stelle damit anfängt, ihre eigene nicht mehr hinterfragbare Dogmatik zu konstruieren.

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Meine Bank hat ja endlich das Darlehen ausgezahlt, hört aber weiterhin nicht auf, mich zu irritieren. Ich bekam jetzt einen Brief mit der Auflistung mehrerer Dokumente, die ich bis Mitte Januar nachreichen solle, um meine Zahlungsfähigkeit nachzuweisen. Etwa den Kaufvertrag für die zweite Wohnung, die wir verkaufen wollen. Eigentlich ist mein Plan aber, bis Mitte Januar das - schon jetzt fast zu zwei Dritteln beglichene - Zwischenfinanzierungsdarlehen vollständig getilgt zu haben. Sollte das etwa als Nachweis unserer Solvenz nicht ausreichen?

Falls es gelingt, bis dahin schuldenfrei zu sein, bekommt meine Bank von mir also keines dieser Dokumente. Da wir sowieso die Bank wechseln, sehe ich keinen Grund, mich auf weitere sinnlose Beschäftigungstherapien zu ihrer Zufriedenstellung einzulassen.



Donnerstag, 10. Oktober 2024

Heisenberg revisited

Mein Gewicht heute früh am zweiten von zwei nicht zusammenhängenden Fastentagen diese Woche: 78,7 Kilogramm. Nur fürs Protokoll, denn das ist mal wieder so lala. 

Heute und morgen fanden auf meinen Konten größere Geldbewegungen statt: Der Käufer meiner Wohnung hat den Kaufpreis bezahlt. Auf die Auszahlung der Zwischenfinanzierung unserer Bank warte ich dagegen immer noch. Ich hoffe, sie wird spätestens morgen im Banking angezeigt, damit wir die Schlüssel für das Haus morgen nachmittag auch wirklich bekommen werden. Am Montag muß ich dann zur Bank, um drei Viertel der Zwischenfinanzierung durch den Erlös des Wohnungsverkaufs wieder tilgen. Und dann geht es auch endlich los mit dem Organisieren der Renovierung und allem möglichen, damit wir auch den Umzug bald in Angriff nehmen können. 

Im Moment ist gewissermaßen die Ruhe vor dem Sturm, und so nutze ich das mal, um noch schnell einen Blogartikel absetzen zu können. Wann mir der nächste möglich sein wird, weiß ich im Moment nicht so genau.

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Ich las einen Ärzteblatt-Bericht über verfälschende Einflüsse beim Blutdruckmessen und war ziemlich geplättet, weil ich davon keine Ahnung gehabt hatte, daß man keinesfalls mit überkreuzten Beinen sitzen dürfe und ebenso eine falsche Armhaltung zu überhöhten Blutdruckwerten führen kann: Die Hand sollte weder herunterhängen noch auf dem Schoß liegen, sondern die Hand sollte beim Messen auf einem Tisch oder etwas Vergleichbarem in entsprechender Höhe liegen. 

Jetzt rätsle ich, wie eigentlich der regelmäßig ziemlich niedrige gemessene Blutdruck beim Kardiologen bei mir zustandekommt - einmal kam dabei sogar ein zu niedriger Blutdruck heraus, ein singuläres Ereignis in meinen 59 Lebensjahren -, denn gerade dort werden diese Vorgaben nie eingehalten. Aber gut, solche Dinge zu wissen. Wenn ich bei anderen Ärzten bin, werde ich künftig darauf achten, daß keine verfälschenden Faktoren durch meine Haltung einfließen. Man gerät ja immer mal wieder an Ärzte, die einen Wert von 130:90 bereits für bedenklich erklären wollen. Auch wenn ich diesen Wert schon aufweise, seit ich 16 bin, wäre es doch angenehm, mir sinnlose Debatten um praktisch nichts künftig leichter vom Hals halten zu können, indem ich einfach darauf bestehe, meinen Arm so zu lagern, daß die Werte nicht auch noch künstlich überhöht werden.

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Meine Brustkrebs-Diagnose ist vor wenigen Tagen zwei Jahre hergewesen, unglaublich, wie weit weg das für mich schon wieder ist. Aber das hat natürlich auch damit zu tun, daß mich das Hauskaufprojekt so beschäftigt. Ich verfolge das Thema natürlich weiterhin und las in den letzten Tagen wieder Interessantes darüber.

Eine Sache, die mir zum ersten Mal vor die Augen kam, waren die Kosten der Krebsbehandlung durch Ärzte und Kliniken in einem Land wie den USA: 2023 betrugen sie 99 Milliarden Dollar. Für 2024 werden Kosten von 180 Milliarden geschätzt. Diese Kosten verteilen sich auf eine Zahl von ungefähr 2 Millionen neue Krebsdiagnosen im selben Jahr plus eine von mir nicht ermittelte Zahl von bereits länger bestehenden Krebserkrankungen, die immer noch oder erneut wieder behandelt werden müssen. Angenommen, dies würde die Zahl der Krebsbehandlungen "alter" und "neuer" Krebsfälle verdoppeln, würde dies Behandlungskosten von ungefähr einer halben Million US-Dollar je Krebsbehandlung bedeuten. Welchen Teil der Kosten Krankenversicherungen bezahlen und wieviel die Patienten durchschnittlich selbst aufbringen müssen, habe ich nicht zu ermitteln versucht, und genausowenig, wieviele Kosten für "unorthodoxe" zusätzlich oder stattdessen eingesetzte Mittel, die natürlich immer privat bezahlt werden, dazu noch hinzugerechnet werden müßten. Aber spätestens seit Breaking Bad ist es wohl Allgemeinwissen, daß Krebsbehandlungen in den USA brave Familienväter vor die Wahl stellen können, nach ihrem Tod eine finanziell ruinierte Familie zurücklassen zu müssen oder kriminell zu werden. 

Ich habe übrigens meinen Plan jetzt wahrgemacht, mir alle sechs Staffeln von Breaking Bad noch einmal anzusehen, den ich ja schon vor zwei Jahren hatte, und bin inzwischen schon bei der letzten Staffel angekommen, werde also zum Umzugszeitpunkt damit wohl durch sein. Was diese Serie so faszinierend macht, ist die Doppelbödigkeit der Situation, eine vermutlich tödliche Diagnose zu bekommen und damit aus einem Leben auszubrechen, in dem man sich, offenbar ohne große Gegenwehr, in die Rolle eines netten harmlosen Losers hatte drängen lassen, und vor die oben erwähnte Wahl gestellt, in sich selbst auf einmal anz andere Charakterzüge und eine Menge kriminelle Energie vorzufinden und nutzen zu können. Walter White wird anfangs von seiner Familie gemocht, aber kaum respektiert. Heisenberg, so sein Deckname in der Drogenszene, respektiert sogar sein Drogenfahnder-Schwager Hank, und daß er Walter so lange nicht verdächtigt, Heisenberg zu sein oder zumindest irgendetwas mit ihm zu tun zu haben, obwohl jemand mit seinen Chemiekenntnissen eigentlich jedenfalls latent verdächtig sein müßte, hat natürlich auch damit zu tun, daß er ihn nicht respektiert.

Mir ging außerdem durch den Kopf, daß eine Gesellschaft, die einem als Folge einer Krebserkrankung nahezu zwangsläufig zumutet, nicht nur selbst vermutlich trotz Behandlung zu sterben, sondern nebenbei auch noch seine Familie - Partner, Kinder, Eltern, ggf. Geschwister - in den Ruin zu treiben, es im Grunde auch verdient hat, wenn man dann von einem Walter White zu einem Heisenberg mutiert. Eigentlich sollte Soziologen der Erfolg dieser Serie zu denken geben. Walter White ist nämlich von Beginn an kein wirklich sympathischer Charakter, aber wie weit man als Zuschauer mit ihm mitzugehen bereit ist - immer mal wieder zurückgestoßen, aber dann doch auch wieder angezogen -, hat etwas damit zu tun, daß nicht nur der Protagonist "auf die schiefe Bahn" und den Sog des "Wer A sagt, muß auch B sagen" geraten ist, sondern man selbst beim Zusehen auch. Das, was man White in der vierten Staffel zu verzeihen bereit ist, hätte man ihm in der erstens garantiert noch nicht verziehen. Aber sein "A" konnte man im Grunde ja verstehen, und der Rest des Alphabets ergibt sich daraus als logische Folge mit der Alternative, entweder noch schneller zu sterben oder den Schritt in die Kriminalität ganz umsonst gegangen zu sein.

Im Grunde fand ich keinen der Charaktere der Serie so richtig sympathisch, aber in ihren Widersprüchlichkeiten warn sie mit wenigen Abstrichen im Großen und Ganzen schon einigermaßen glaubwürdig. Vielleicht am schlechtesten weggekommen in dieser Hinsicht ist Whites körperbehinderter halbwüchsiger Sohn, Walter junior, dem irgendwie von den Autoren keine Persönlichkeit zugestanden worden ist, sondern immer nur als billiger Stichwortgeber und ahnungsloser unschuldiger Handlungsauslöser fungiert. Es gab von der Serie ja einen Spin-off um den Winkeladvokaten Saul Goodman, aber ich hätte einen um Walter junior interessanter gefunden.

Der überwältigende Erfolg dieser Serie hatte sicherlich auch damit zu tun, daß die finanzielle Toxizität von Krebserkrankungen in den USA dort sicherlich den meisten Leuten aus ihrer Familie oder dem Freundeskreis schon vertraut genug ist. Erstaunlich im Grunde, daß die Amerikaner diese Zumutung als normal akzeptiert zu haben scheinen. In der Serie kam noch ein weiterer Fall einer medizinischen Behandlung anderer Art vor - die Physiotherapie des Schwagers Hank -, bei der die Krankenversicherung die Kosten der Therapie nicht übernommen hätte, weshalb seine Chancen, jemals wieder seine Beine benutzen zu können, mit einer krankenversicherungsbezahlten Behandlung nahe null gewesen wären. Das führt dann zwar dazu, daß sich seine Frau entsetzt, aber sie stellt es nicht in Frage, daß ihre Wahl darin besteht, das nötige Geld entweder aufzutreiben oder das Schicksal ihres Mannes hinnehmen zu müssen. Sicherlich gibt es vergleichbare Konstellationen bei uns ebenfalls, aber in den USA scheint es tatsächlich als normal zu gelten, sich im Falle einer schwerwiegenden Erkrankung finanziell ruinieren zu müssen. So gesehen scheint es wohl einfach keinen großen Unterschied mehr zu machen, ob man nun 250.000 Dollar Schulden hat, die man seiner Familie hinterlassen muß, oder 500.000. Vielleicht ist das ja die Erklärung, warum von Widerstand gegen die ständige Verteuerung von Krebsmedikamenten so wenig bemerkbar ist: Sie macht im einzelnen Erkrankungsfall im Grunde keinen großen Unterschied mehr.

Um diese 180 Milliarden Dollar Therapiekosten für Krebs in eine Relation zu setzen: Die Staatseinnahmen der USA betragen 8 Billionen, also 8000 Milliarden Dollar. Die Gesamtkosten für Krebsbehandlungen lagen also 2023 bei etwas mehr als einem Prozent des gesamten US-Staatsbudgets, werden aber 2024 gemäß der verlinkten Prognose bereits zwei Prozent überschritten haben. Wohin die Reise bei den Therapiekosten für Krebsbehandlungen weiter geht, bestehen wenig Zweifel, da sie sich von einem Jahr zum nächsten ja schon beinahe verdoppelt haben.

Kein Wunder also, daß die Autoren des verlinkten Nature-Artikels nach steuernden Einflüssen der Regierung auf die Höhe der Preise für die besonders teuren neueren Therapien rufen. In Deutschland verteilen sich die Kosten zwar auf alle Versicherte, aber das Problem ist deswegen kein kleineres als in den Staaten, sondern kann bei steigender Zahl von Krebserkrankungen plus längerer Behandlungsdauer und damit mehr Therapiesessions im Lauf der Zeit die Krankenversicherung unfinanzierbar machen. Je neuer eine Therapie, desto kostspieliger wird sie angeboten, und Trastuzumab, das die Apotheken, die diese Infusionen herstellen, wegen überhöhter Preise in die Schlagzeilen brachte, ist ja längst nicht die neueste - und ebensowenig die teuerste - unter den Antikörpertherapien. 

Das Problem bei dieser Sache besteht wohl teilweise darin, daß man bei lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs Hemmungen hat, eine Behandlungsentscheidung ausgerechnet von ihren Kosten abhängig zu machen, und je teurer ein Mittel ist, desto größer die Hoffnung, daß es dann doch auch helfen werde. Dieser Faktor wirkt von Seiten aller Beteiligten auf die Therapieentscheidung ein: Der Patient verlangt zu Recht die bestmögliche Behandlung, egal, was sie kostet, der Arzt und die Krankenversicherung wollen den Eindruck unbedingt vermeiden, daß sie sie ihm nicht zu geben bereit sind, weil zu teuer, und die Pharmaindustrie weiß, daß sie nach ihrer echten Renditekalkulation die Wert auch noch ein gutes Stück nach oben frisieren kann, weil die Kosten für ihr Medikament bei Krebs in den Augen der Betroffenen keine Rolle spielt. Das ist wahrlich nicht besonders "nett", aber es entspricht der inneren Logik gewinnorientierter Betriebe. Alle haben aus ihrer Sicht vernünftige Gründe für das, was sie verlangen, sieht man einmal von dem Schönheitsfehler ab, daß die "Versagerquote" der Behandlung - je nach Art und Stadium der Krebserkrankung - gemessen an den immer höheren Kosten weiterhin nicht gerade überzeugend ausfällt. Die Frage ist, wie man damit umgeht, wenn ein Mittel zwar bessere Überlebensraten als die bis dahin verwendeten aufweist, aber trotzdem immer noch die Mehrheit der Patienten innerhalb weniger Jahre stirbt. Ob es machbar sein könnte, den Kaufpreis auf zehn Jahre aufzuteilen und jedes Jahr ein Zehntel zu bezahlen, falls der Patient zu diesem Jahrestag noch lebt? Das würde jedenfalls den Anreiz erhöhen, die bestmögliche Wirksamkeit ins Zentrum der wirtschaftlichen Überlegungen zu stellen, was heute nicht zwangsläufig deckungsgleich mit dem maximal erzielbaren Gewinn ist.

Nun ist mir im Prinzip schon klar, daß eine erst ziemlich neu entwickelte Therapie teuer ist, weil in der Preiskalkulation die Entwicklungskosten auch enthalten sind, die bei längerer und/oder massenhafter Anwendung dann immer weniger ins Gewicht fallen, denn in der Herstellung sind Medikamente, die routinemäßig produziert und dauerhaft in einem ungefähr planbaren Umfang weiter benötigt werden, sicherlich nicht besonders teuer. Trotzdem müßte man wohl mal darüber nachdenken, ob dieses Problem nicht anders gelöst werden müßte, als die Entwicklungskosten auf den Patienten abzuladen. Ich kenne mich ja im Patentrecht im medizinischen Bereich nicht aus, aber wäre es vielleicht möglich, die Pharmaindustrie gegen Ersatz der Entwicklungkosten zu verpflichten, ihre Preise auf Produktionskosten plus eine gewisse Gewinnspanne zu beschränken, wenn die Zahl der Verschreibungen an Patienten einen gewissen Grenzwert überschritten hat? 

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Eine andere neue Meldung betraf "Brain Fog" als Nebenwirkung von Chemotherapien (untersuchte wurde es speziell bei Brustkrebs). Es gibt anscheinend einen Zusammenhang mit chemotherapiebedingten Störungen im Magen-Darm-Trakt und einem in diesem Zusammenhang veränderten Mikrobiom und diesem Brain Fog Das finde ich auch deshalb interessant, weil bei mir zwar nicht die Chemo selbst, aber die Antikörpertherapie beeinflußt haben. Am eindeutigsten war das in der Phase, in der bei mir Trastuzumab und Pertuzumab kombiniert worden waren, das Magen-Darm-Gesamtkunstwerk hatte ich in einem Blogartikel näher beschrieben, es bestand aus zunächst Verstopfung, dann explosivem Durchfall sowie ständigem Aufstoßen. Was ich mal erwähnen sollte: Der Verstopfungs-Teil hat mich seit dem Ende der Therapie begleitet, allerdings in moderater Intensität, aber verbunden manchmal - vor allem, wenn ich einen Infekt hatte - auch mit einem sauren Geschmack im Mund, also wohl aufsteigende Magensäure, obwohl es nicht mit Sodbrennen verbunden war.

Das jedenfalls hat sich jetzt seit ein bis zwei Monaten erheblich reduziert, es ist eigentlich nur noch zu erahnen, weil ich so darauf achte. Falls es also vom Trastzumab gekommen sein sollte, hat es ein bißchen über ein halbes Jahr gedauert, bis mir mein Magen-Darm-Trakt diese Behandlung zu verzeihen begonnen hat. Aber mein Hirn und meine Konzentrationsfähigkeit waren mit Ausnahme der unangenehmsten zwei Tage eines Trastuzumab/Pertuzumab-Chemo-Zyklus trotzdem nie in Mitleidenschaft gezogen. Ich frage mich deshalb, ob Fasten und Keto vielleicht einen positiven Einfluß auf das Mikrobiom hatten.

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Onkologen schieben ja eine unheimlich Panik vor Gewichtsverlust ihrer Patienten und raten aus diesem Grund sowohl von Fasten als auch von ketogener Ernährung ab. Das letztere ist geradezu drollig, weil im Ernährungsbereich ja die kalorienunabhängige Gewichtsabnahme durch ketogene Ernährung abgestritten oder zumindest totgeschwiegen wird, während diese Wirkung unter Onkologen durchaus bekannt und ein Argument gegen Keto ist. Dabei hat die damit verbundene Gewichtsabnahme überhaupt nichts mit der gefürchteten Kachexie zu tun und hat keine gesundheitlich nachteilige Wirkung, insbesondere nicht bei Patienten, die schon zuvor unter Übergewicht gelitten hatten. 

Bei Krebs im Frühstadium ist Kachexie sowieso nicht zu befürchten, und alleine daß sich das auch unter Onkologen endlich mal in Risikoeinschätzungen niederschlägt, wäre ein guter Grund, endlich mal  ein Bewußtsein dafür zu schaffen, daß Krebs im metastasierten Stadium von dem in früheren Stadien zu unterscheiden ist. Im Gegenteil ist dann jedenfalls bei Brustkrebs eher eine Gewichtszunahme zu erwarten (ob das bei anderen Krebsarten auch so ist, weiß ich nicht, vermute es aber) - und die erhöht, wie nunmehr endlich mal ausdrücklich angesprochen wurde, das Risiko auch von erfolgreich behandelten Patientinnen, stattdessen Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes zu entwickeln und im ungünstigsten Fall daran zu sterben:

In fact, says Dr. Iyengar, “the leading cause of death among patients with early-stage breast cancer is not breast cancer itself, but rather cardiovascular disease.”

Was leider mal wieder erschütternd schlecht ausgefallen ist, sind die Empfehlungen, die gegeben werden, um eine höhere Gewichtszunahme während einer Brustkrebsbehandlung zu vermeiden: Pflanzenbasierte Kost. Kalorienzählen. Sport. *seufz* 

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Professor Seyfrieds Paradebeispiel für die therapeutische Wirkung von ketogener Ernährung bei Krebs, Pablo Kelly, ist tragischerweise Ende August verstorben, nachdem er einige Zeit zuvor noch sein zehnjähriges Überleben bei einer Glioblastom-Diagnose hatte feiern können. Kelly bekam seine Diagnose als Mittzwanziger und verweigerte die vollen zehn Jahre lang rigoros eine konventionelle Therapie mit Chemo und Bestrahlung. Es gelang ihm, alleine durch ketogene Ernährung - damals war er damit ein unglaublich mutiger Pionier -, seinen Gehirntumor, der zuvor für inoperabel erklärt worden war, so weit zum Schrumpfen zu bringen, daß er operativ entfernt werden konnte. Freilich war das nicht die letzte Operation, die sich als notwendig erweisen sollte. Im Frühsommer spendete ich ihm ein paar Euros, weil sein Tumor sich wieder mal vergrößerte und er eine weitere OP - die insgesamt vierte in zehn Jahren - benötigte. Leider starb er dann an Komplikationen, die nach dieser Operation auftraten, offenbar einer Gehirnblutung. Es war also noch nicht einmal der Krebs als solcher, dem er am Ende nicht mehr entrinnen konnte, sondern er wurde Opfer der Risiken eines chirurgischen Eingriffs, die natürlich, wenn es ums Gehirn geht, höher als bei einem Knöchelbruch liegen, aber im Grundsatz bei jeder Operation bestehen. 

Teilt man die Auffassung, daß jemand fortlebt, solange sich noch Menschen an ihn erinnern, wird Pablo Kelly bestimmt ewig leben, weil er in gewisser Weise der Patient Nummer 1 war, der auf eigene Faust Professor Seyfrieds These auf ihre praktische Anwendbarkeit testete und eines Tages, wenn es sich einmal durchgesetzt haben wird, Krebs als eine Stoffwechselerkrankung zu betrachten, die auf der Schädigung der Mitochondrien beruht, wohl in allen onkologischen Lehrbüchern Erwähnung finden wird. 

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Mein diesmal keinesfalls Low-Carb-tauglicher Resteverwertungstipp, wenn man zu viel Reis gekocht hat: Reispfannkuchen. Dazu braucht man neben dem übriggebliebenen Rest Reis je nach Menge ein bis drei Eier, zwei, drei Eßlöffel Mehl, Salz und Pfeffer, man kann auch geraspelten Käse oder gehackte Zwiebeln mit reingeben. Die Menge der Eier richtet sich nach der Konsistenz des Teigs, er sollte sich ungefähr so leicht zum Ausbacken in die Pfanne schöpfen lassen wie normaler Pfannkuchenteig. Ich habe kleine Pfannkuchen, also so wie die amerikanischen Pancakes, daraus gemacht, und die waren wirklich sehr gut und unheimlich sättigend. Mein Mann ist deshalb heute an meinem Fastentag mit den übriggebliebenen Reispfannkuchen noch gut versorgt.

Gestern habe ich kleingehackte Salsiccia mit Lauchzwiebeln und Tsatsiki dazu gemacht, aber ich hätte mir auch Kohlrabigemüse oder gebratene Karotten dazu vorstellen können, aber damit wäre ich mir für meine gestrige Stimmung gar zu vegetarisch und gesundköstlerisch vorgekommen - man möchte ja nicht versehentlich von Leuten für seine Ernährung gelobt werden, von denen man gar nicht gelobt werden will. Ach ja, eine süße Variante wäre natürlich auch möglich, und bekäme von diesen Leuten bestimmt kein Lob. Nur schade, daß mir so selten nach süßen Pfannkuchen zumute ist, egal mit welchen Inhaltsstoffen, ich mag's einfach lieber herzhaft. 




Montag, 7. Oktober 2024

Immobilien erben: Geschenkter Gaul oder Danaergeschenk?

Mein Gewicht heute früh: 78,2 Kilogramm. Das ist am Tag vor dem nächsten Fastentag nicht so richtig befriedigend, aber eine Marginale angesichts der Tatsache, daß ich heute die Auszahlung des Darlehensbetrags an den bisherigen Eigentümer unseres künftigen Zuhauses beauftragen konnte. Am Freitag bekommen wir die Schlüssel, und dann werden wir das Wochenende wohl mit einer ausgedehnten Inspektion unseres Häuschens verbringen.

Es hat sich außerdem eine unerwartete Sache aus unserem Hauskauf ergeben. Mein Mann und ich haben nämlich entschieden, jetzt "richtig" zu heiraten. Bislang waren wir nämlich nur eine sogenannte "nichteheliche Lebensgemeinschaft", die aber schon so lange besteht - nächstes Jahr werden es zwanzig Jahre -, daß es, finde ich jedenfalls, auf einen Trauschein hin oder her nicht ankommt, um ihn einfach als meinen Mann zu betrachten. Aber bei der Erbschaftssteuer kommt es auf den Trauschein hin oder her halt doch an, und so habe ich eine meiner allerältesten Grundsatzentscheidungen, nämlich die, daß ich niemals heiraten werde, doch über den Haufen geworfen. Als wir uns nämlich zu einem Erbschaftsvertrag beraten ließen, damit speziell bei unserem Haus, das jedem von uns zur Hälfte gehört, ungeachtet der gesetzlichen Erbfolge im Fall des Todes des einen der jeweils andere von uns die zweite Hälfte erben würde, stellte sich heraus, daß der Staat gieriger beim Miterben ist, als wir das erwartet hatten. Einen Freibetrag von 20.000 Euro bekommt der Erbe zugestanden, von allem, was diesen Betrag übersteigt, fließen sage und schreibe 30 Prozent an den Fiskus. 20.000 Euro Freibetrag ist bei einer Immobilie aber  lächerlich wenig, auch dann, wenn es nur um eine Hälfte von ihr geht. Stibt einer von uns, hat der andere für die dann geerbte Haushälfte ein knappes Drittel des Kaufpreises ins Staatssäckel abzugeben. 

Die Sache wird aber noch haarsträubender, wenn mein Sohn meinen Mann beerbt, sollte der von mir das halbe Haus geerbt haben. Mein Mann möchte nämlich nicht, daß die gesetzlichen Erben, mit denen er aus Abneigung keine persönliche Verbindung hat, von ihm etwas erben können, also wird er meinen Sohn als seinen Alleinerben einsetzen. In diesem Fall erbt mein Sohn ein ganzes Haus plus was auch immer mein Mann sonst hinterläßt. In diesem Fall kassiert der Fiskus nämlich von meinem Sohn noch einmal diese dreißig Prozent, nur diesmal vom ganzen Haus (minus den Freibetrag von 20.000 Euro). Am Ende hätte der Staat damit also ungefähr das halbe Haus einsacken können.

Damit das nicht geschieht, heiraten wir jetzt, denn wenn wir das tun, liegt speziell die Erbschaftssteuer für das Haus bei allen denkbaren Konstellationen immer exakt bei Null. (Der Rest der Erbschaft sei an dieser Stelle ausgeklammert.) Ich bin kein so fanatischer Prinzipienreiter, daß ich Mann und Kind für ein Prinzip, auch wenn ich es im Grundsatz weiterhin für richtig halte, dazu zwinge, sich im Falle meines Ablebens bis zur Halskrause zu verschulden. Schon mein Mann hätte nämlich vermutlich erhebliche Schwierigkeiten, im Fall meines Todes das Haus überhaupt weiter zu halten, so weit würde der Fiskus in diesem Fall die Hand aufhalten. Besonders wenn er schon im Rentenalter wäre, hätte er aller Wahrscheinlichkeit nach Schwierigkeiten, einen Kredit in erforderlicher Höhe zu bekommen. Aber auch wenn er ihn bekäme, wäre er vermutlich bis an sein Lebensende wieder hoch verschuldet. 

Das also sind unsere Gründe, warum wir uns nun doch ganz offiziell das Jawort geben wollen. Romantik geht irgendwie anders, oder? 

Von staatlicher Seite verbitte ich mir hiermit mit Nachdruck jeden Versuch, uns zu unserer Eheschließung zu beglückwünschen. Wir heiraten sozusagen unter vorgehaltener Waffe des Finanzamts. Aber wir machen das Beste draus, und wenn wir schon demnächst verheiratet sein werden, dann werden wir mal ausloten, ob und in welchen Bereichen wir damit auch andere steuerliche Privilegien genießen, auf die wir eigentlich immer verzichten wollten. Dafür, daß ich meine Grundsätze brechen muß, sollen die mir nämlich büßen, indem ich mir jetzt gnadenlos alles hole, was ich als Hälfte eines Ehepaars vom Staat mehr als als die Hälfte eines zusammenlebenden unverheirateten Paares beanspruchen kann. 

Es hätte im Prinzip auch andere Möglichkeiten gegeben, um meinem Mann das Haus auch im Falle meines Todes zu sichern. So etwa wäre es auch möglich gewesen, daß ich das Haus alleine kaufe und meinem Mann ein lebenslängliches Wohnrecht notariell eintragen lasse. Aber wir führen eine Partnerschaft auf Augenhöhe, und das liefe diesem Grundgedanken völlig zuwider. Wenn wir uns schon ein Haus kaufen, dann muß es zur Hälfte ihm und zur Hälfte mir gehören. Wir betrachten unsere Ehe deshalb als eine Notgemeinschaft zur gegenseitigen Rückendeckung in einer Umgebung, in der man nie wissen kann, wann sie einem auf einmal ohne Vorwarnung strukturell feindselig gegenüberstehen wird. Denn genau als das betrachte ich diese Erbschaftssteuersache, als einen feindseligen Akt.

Staatstragend hört sich auch irgendwie anders an, gell? Nicht, daß das speziell bei mir noch eine Rolle spielen würde, meine staatstragende Gesinnung bröckelt ja schon seit geraumer Zeit immer mehr ab. Ich hätte ja vermutet, das liegt irgendwie an mir, weil ich halt schon immer meinen eigenen Kopf hatte und im Lauf der Zeit eine verbiesterte alte Schachtel geworden sein könnte. Aber gesellschaftlich betrachtet, ist das Bröckeln bei anderen ja längst in eine Art Steinschlag übergegangen, und so steckt der Fehler wohl doch im System.

An diese Sache jedenfalls mußte ich denken, als ich vom Wahlversprechen der Union las, die Erbschaftssteuer auf Eigenheime zu senken.  

Dieses Wahlversprechen ist klassischer populistischer Bullshit, der mit unbegründeten Ängsten spielt. Das habe ich sofort gesehen, nachdem ich mich gerade erst so eingehend mit der Erbschaftssteuer auf Immobilien befaßt habe. Das selbst genutzte Familienheim ist nämlich so gut wie immer komplett erbschaftssteuerfrei, falls es auch von dem Erben selbst weitergenutzt wird. Als Erbe hat man also gar keinen Grund, zu befürchten, das Heim seiner Kindheit oder einer jahrzehntelangen ehelichen Gemeinschaft sei wegen der Erbschaftssteuer in Gefahr. Es sei denn natürlich, man hat selbst nichts Eiligeres damit vor, als es an den Meistbietenden zu verscherbeln. Ganz anders ist das aber bei unverheiratet zusammenlebenden Paaren. Auch dann, wenn sie zu gleichen Teilen ein Haus besitzen und dort jahrzehntelang zusammengelebt haben und der Überlebende eigentlich am liebsten den Rest seines Lebens in diesem Haus verbringen möchte: So etwas wie ein Familienheim gibt es bei ihnen aus steuerlicher Sicht gar nicht. Alles, was einen Freibetrag von 20.000 Euro übersteigt, wird in so einem Fall im Erbfall mit einem Steuersatz von 30 % besteuert, und das gilt eben auch für das halbe oder ganze Haus oder die halbe oder ganze Wohnung, die an den langjährigen Lebensgefährten eines Verstorbenen vererbt wurde. 

Damit unverheiratete Partner ihr Heim, das ihnen zur Hälfte selbst gehört, sicher behalten können, müssen sie sowieso von vornherein ausdrücklich als Erbe der anderen Hälfte eingesetzt werden. Denn stirbt der andere Partner, ohne dies veranlaßt zu haben, erben im Fall seines Todes seine gesetzlichen Erben die andere Hälfte, und dann können sie ihm bei allem reinreden, für ihre Hälfte Miete verlangen oder ihn schlimmstenfalls rausekeln, um ihr Erbe versilbern zu können. Dasselbe gilt übrigens auch für die Alternative mit dem lebenslänglichen Wohnrecht. Ich habe mal einen Fall erlebt, in dem machten die Kinder einer Verstorbenen dem überlebenden Partner, einem sanftmütigen und schon ziemlich gebrechlichen älteren Herrn, dem der Tod seiner Lebensgefährtin sowieso schon den Boden unter den Füßen weggezogen hatte, das Leben so zur Hölle, daß er schließlich freiwillig auszog, obwohl seine verstorbene Lebensgefährtin, der die Wohnung gehört hatte, so clever gewesen war, das mit dem lebenslänglichen Wohnrecht für ihn notariell festzulegen. Was sie nicht bedacht hatte, war, daß ihre (längst erwachsenen) Kinder als Erben der Immobilie natürlich - anders, als wenn sie ihm die Wohnung vererbt hätte - deren Eigentümer waren und unter allerhand Vorwänden ein Zutrittsrecht einfordern konnten. 

Die Kinder in diesem Fall haben die Wohnung natürlich unverzüglich verkauft, sobald sie nicht mehr bewohnt war. Im Gegensatz zu dem vertriebenen alten Mann hingen von ihrer Seite an dieser Immobilie überhaupt keine Emotionen. 

Aber sogar dann, wenn man den gesetzlichen Erben von vornherein den Zugriff auf das gemeinsame Haus verweigert, wird auch aus einer zuvor schuldenfreien Immobilie wieder eine, die den überlebenden Partner mit hohen Schulden belastet,  nämlich gegenüber dem Finanzamt. Und die Erbschaftssteuer ist für ihn dann auch auf der Stelle fällig. Für alle anderen Arten von geerbten Immobilien außer dem erbschaftssteuerfreien Familienheim haben Ehepartner oder Kinder 500.000 bzw. 400.000 Euro Freibetrag. Noch vor zehn Jahren hätte das bei vermieteten Immobilien in den meisten Fällen komplette Steuerfreiheit bedeutet, aber der Wertanstieg von Immobilien hat dazu geführt, daß nun weitaus häufiger auch bei Ehepartnern und Kindern die Freibeträge überschritten werden. Weil aber natürlich niemand will, daß die Erben vermieteter Wohnungen gezwungen sind, ihre Mieter meistbietend zu verscherbeln, damit die Erbschaftssteuer bezahlt werden kann, haben sie die Möglichkeit, bis zu zehn Jahre Stundung der Erbschaftssteuer in Anspruch zu nehmen. Das zählt allerdings nicht zu den Wohltaten für Immobilienbesitzer, sondern soll nur die Mieter schützen. Für den überlebenden Partner eines unverheirateten Paares, der sein langjähriges Familienheim oder den nicht ihm selbst gehörenden Teil desselben erbt, gibt es nämlich nicht einmal diese Möglichkeit. Sollten ihm die Mittel fehlen, um die entstandene Steuerschuld zu begleichen, muß er sein Familienheim eben verkaufen. Mit Sentimentalitäten hält der Fiskus sich ihm gegenüber nicht weiter auf.

In Zeiten, in denen das Sozialrecht einen unverheirateten Partner zum Begleichen des Lebensunterhalts des anderen zwingend verpflichtet, wenn sie Tisch und Bett teilen, finde ich diese Erbrechtsregelung weder logisch noch angemessen, und gerecht schon gar nicht, sondern anachronistisch und herzlos. Sie ist und bleibt aber bis auf weiteres eines: Fakt. Und sicherlich wird auch die CDU nicht im Traum daran denken, an ihr etwas zu ändern. Also haben wir uns für den Trauschein entschieden. Welches staatliche Interesse an unserer Eheschließung bestehen soll, ist freilich kaum nachzuvollziehen. Die Ehe ist im Grunde ja ebenfalls ein Anachronismus (und weil ich dieser Überzeugung bin, wollte ich auch nie heiraten). Für den Staat besteht ein nachvollziehbares Interesse an der Ehe allenfalls in ihrer Funktion als Konstellation, um Kinder gut aufwachsen zu lassen, und auch dafür finde ich selbst sie eigentlich verzichtbar. dabei kann ich mich auf die Erfahrung berufen, daß ich heilfroh sein konnte, mich vom Vater meines Sohnes unkompliziert trennen zu können, weil wir nicht verheiratet waren. Festhalten möchte ich außerdem an dieser Stelle noch, daß das Alleinerziehen nach der Trennung zwar kein Zuckerschlecken, aber doch sehr viel weniger anstrengend war als das gemeinsame mit dem Vater. Ein Kind braucht nicht unbedingt verheiratete Eltern, um eine schöne Kindheit und gedeihliche Rahmenbedingungen zu haben. Umgekehrt schützt der Staat im Gegenteil zuweilen auch Ehen, die so dysfunktional sind, daß sie die darin aufwachsenden Kinder zu emotionalen Krüppeln machen.

Warum die Ehe einmal als notwendige Voraussetzung für eine gute Elternschaft galt, finde ich einleuchtend, warum sie heute immer noch dafür gilt, kann ich aber nicht nachvollziehen. Seit neunzig Prozent der einstigen Alltagsarbeiten einer Familie - die oft geschlechtsspezifisch aufgeteilt waren - an immer ausgefeiltere technische Geräte sowie an schlecht bezahlte Dienstleister ausgelagert werden, um die Qualifikationen beider Elternteile maximal wirtschaftlich verwertbar zu machen, gibt es dafür letztlich überhaupt keinen Grund mehr. Als ich meine Familiengeschichte erforschte, stieß ich in alten Kirchenbüchern immer wieder auf die Konstellation, daß ein Witwer und eine Witwe mittleren Alters am selben Tag heirateten, an dem sie auch Sohn und Tochter miteinander verheiratet hatten. Typischerweise waren das Bauernfamilien, und die Alten lebten und wirtschafteten dann auf dem einen Hof und die Kinder auf dem anderen. Dabei ging es wohl selten um Liebe, aber viel um wirtschaftliche Notwendigkeiten. Ein Bauernhof war halt ohne einen Bauer UND eine Bäuerin kaum zu bewirtschaften. Beide hatten eine Autorität, die dem gerade erwachsenwerdenden Sohn oder Tochter gegenüber Gesinde, Lieferanten und Abnehmern fehlten, solange sie nicht Herr und Herrin auf ihrem eigenen Besitz waren - und die Besitzübergabe war mit der Eheschließung dann normalerweise auch verbunden. Diese doppelte Eheschließung führte also dazu, daß beide Höfe wieder von einem Ehepaar mit klar definierten innerfamiliären Verantwortungsbereichen angemessen bewirtschaftet werden konnten. Deshalb haben früher viele verwitwete Bauern und Bäuerinnen auch sofort nach Ablauf des Trauerjahrs wieder geheiratet.

Die Ehe hat meines Erachtens längst ihre frühere Funktion verloren, die von einem Elternteil alleine kaum zu stemmenden Erfordernisse des Großziehens von Kindern auf zwei erwachsene Schultern zu verteilen, da man nahezu alle Zeit und Mühe kostenden Erfordernisse auch outsourcen kann. Eine funktionierende Kinderbetreuung vorausgesetzt, ist es einem Elternteil heute eigentlich gut möglich, Kinder alleine zu erziehen. (Uneigentlich ist es natürlich wahr, daß man auf die damit verbundenen Organisationsaufgaben selten so richtig gut vorbereitet ist, aber da wächst man meiner persönlichen Erfahrung nach schnell rein, und es wird ja mit zunehmendem Alter der Kinder dann auch weniger zeitaufwendig. Auf das Geheimnis, daß man sich ein gutes "Netzwerk auf Gegenseitigkeit" mit anderen Alleinerziehenden schaffen sollte, muß man auch selbst kommen.)

Die von vornherein als kinderlose Ehe geplante Ehe ist meiner Meinung nach aber nichts, was eines staatlichen Schutzes bedarf. Das war auch der wichtigste Grund, warum ich für die sogenannte "Ehe für alle" nur ein gelangweiltes Schulterzucken übrig hatte, bei der es nur selten auch um eigene oder adoptierte Kinder geht. Einzig und alleine der erbrechtliche Aspekt leuchtet mir im Rahmen des aktuell gültigen Erbrechts dabei ein - wobei ich es aber viel sinnvoller gefunden hätte, umgekehrt das Erbrecht den bestehenden gesellschaftlichen Realitäten anzupassen und dabei auch die Fälle mitzuberücksichtigen, die nach der Schaffung der "Ehe für alle" erbrechtlich nach wie vor benachteiligt werden. Die "Ehe für alle" ist sowieso eine Mogelpackung. Es ist weiterhin nicht möglich, mehrere Ehepartner zu haben, auch Geschwister dürfen einander weiterhin nicht heiraten, obwohl bei de facto bestehenden Lebensgemeinschaften in solcher Konstellation das Erbrechtsproblem ebenfalls besteht und überlebende Partner im Erbfall in derselben Weise benachteiligen wie einen Lebensgefährten. Meine Einwände gegen die "Ehe für alle" hatten ihre eigentliche Wurzel in meinen Einwänden gegen die Ehe überhaupt unter den aktuell bestehenden Rahmenbedingungen. Sie mag für ein Paar, da sich das Jawort gibt, eine hohe symbolische Bedeutung haben. Aber das Fundament einer funktionieren gesellschaftlichen Struktur ist sie schon lange nicht mehr.

Wenn gesellschaftliche Entwicklungen sich in gesetzgeberischen Maßnahmen niederschlagen, verläuft das aber immer in Teilbereichen unlogisch, und über so was lamentiere ich normalerweise nicht, sondern suche und finde meistens auch Möglichkeiten, mich so gut wie möglich vor von mir nicht akzeptierten Benachteiligungen zu schützen, wie ich das im vorliegenden Fall ja auch mache. Was mich im Moment aber ernsthaft erzürnt, ist, daß die CDU gerade ausgerechnet die von der Erbschaftssteuer Privilegierten aus populistischen Gründen für benachteiligt erklärt. Schade, daß ich sie sowieso nicht gewählt hätte, sonst wäre das ein guter Grund, ihr meine Wählerstimme zu entziehen. - Das ist dieses Pippi-Langstrumpf-Problem mit den Schulferien, die man natürlich nur dann haben kann, wenn man auch eine Schule besucht.

Auf der anderen Seite stehen Leute wie der ehemalige Wirtschaftsweise Bofinger, der, im selben Bericht zitiert, wiederum Immobilienbesitz generell zur Grundlage von Verteilungsungerechtigkeit erklärte.  „Die, die nichts erben, haben hier einen riesigen Nachteil gegenüber Mittelschichtskindern, die von der Oma ein Häuschen überlassen bekommen.“ Mit einem durchschnittlichen Einkommen könne der daraus entstehende Wohlstandsunterschied nicht aufgeholt werden. So der als tendenziell eher "links" bekannte Wirtschaftsexperte, der immer für eine kontroverse Meinung gut ist.

Mir kommen solche Behauptungen aber vor allem ziemlich unterkomplex vor. Erstens bewohnt die Oma eines Mittelschichtkinds, das gerade im Alter zwischen 20 und 30 ist (für einen Mittdreißiger fände ich die Bezeichnung "Kind" bereits dezplaziert), normalerweise ihr Häuschen noch selber, weil unter Achtzigjährige heute überwiegend noch fit sind und in diesem Punkt manchmal locker auch ihre eigenen Enkel noch in die Tasche stecken können, zweitens rümpfen Mittelschichtskinder typischerweise über Omas bescheidenes Häuschen und dessen Ausstattung eher die Nase, falls die Oma - oder meinetwegen die Uroma, bei der das wahrscheinlicher wäre - ins Pflegeheim muß und deshalb froh wäre, ihr geliebtes Familienheim dann wenigstens in der Hand des Enkels zu wissen. Denn die Oma gehörte in der Regel noch nicht der Mittelschicht an, sondern bewohnte ein Häuschen, das in den meisten solchen Fällen eine Arbeiterfamilie gebaut hatte - und zwar verbunden mit so vielen Verzichtleistungen, daß sich die Enkel so etwas selbst nie im Leben antun würden. Als Angehörige der zwischen beiden liegenden Generationen habe ich das noch miterlebt. In meiner Kindheit dachte ich immer, wir wären irgendwie arm, weil so viele für andere selbstverständliche Vergnügungen bei uns nicht üblich waren. Und das, obwohl unser Häuschen abbezahlt war, als ich ungefähr fünf war. Aber dann kam der Einbau einer Zentralheizung und es folgten weitere Ausbau- und sonstige Verbesserungsmaßnahmen, unter anderem eine Wärmedämmung mit den heute berüchtigten asbesthaltigen Eternitplatten, denen ich aber immerhin zugutehalten muß, daß sie ihren Zweck bis heute ausgezeichnet erfüllen. Es war halt zunächst ein sehr einfaches Haus, und schon der Bau war mit viel Eigenleistung verbunden, anders wäre das gar nicht finanzierbar gewesen. Manche der Häuser aus jener Zeit, die heute verkauft werden, sind nie über das erste Stadium unseres Familienheims hinausgelangt. Meine Eltern und meine Großeltern, die es gemeinsam bewohnten, waren da ein bißchen ehrgeiziger. Trotzdem entspricht dieses Haus nicht den Wohnwünschen der Generation, der mein Sohn angehört. Als vor ungefähr acht Jahren die Eigentümerin des Nachbarhauses starb, hat tatsächlich ein Enkel das Haus übernommen, aber zuvor wurde es erst einmal für einen Haufen Geld saniert, es war danach nicht mehr wiederzuerkennen und im Grunde ein neues Haus.

Daß die Mittelschichtkinder typischerweise in akademischen Berufen tätig sind, bedeutet bei einem großen Teil, daß ihre Qualifikationen nicht in jedem Ort gleichermaßen gefragt genug für einen Job sind. Oft fehlt deshalb auch eine realistische Möglichkeit, in Omas Häuschen einzuziehen, das gilt auch in Zeiten von Homeoffice. Vererbte Immobilien werden von der nächsten oder übernächsten Generation also eher verkauft als selbst genutzt - es sei denn, es handelt sich dabei tatsächlich um das weiterhin besonders geliebte Familienheim, das man wegen dieses Gefühlswerts keinesfalls herzugeben bereit ist. Oder es liegt nahe genug am bisherigen Lebensmittelpunkt.

Richtig ist aber andererseits, und das erwähnt Bofinger merkwürdigerweise gar nicht, daß Oma und Opa mit ihren Verzichtleistungen, um sich ein Häuschen bauen zu können, später erheblich weniger fürs Wohnen ausgeben mußten als Altersgenossen, die ihr Geld lieber in Urlaubsreisen an die Adria und überhaupt in den bescheidenen Luxus der Wirtschaftswunderjahre investiert hatten, als sich fürs eigene Haus so abzurackern. Deshalb hat die Oma mit dem eigenen Häuschen in der Regel auch mehr Geld auf der hohen Kante als eine andere Oma mit vergleichbarer Erwerbsbiographie, die immer zur Miete gewohnt hat. Eine Finanzspritze von Oma, damit man sich eine schicke Wohnung in einem angesagten Wohnviertel der Stadt, in der man lebt, kaufen kann, ist für die meisten Mittelschichtkinder viel interessanter als ihr Häuschen - jedenfalls zu deren Lebzeiten, solange es nicht meistbietend verscherbelt werden kann. Insofern haben die Enkel von immobilienbesitzenden Großeltern tatsächlich einen Vorteil.

Bofinger ist aber im Irrtum, wenn er ihnen dies als ungerechtfertigten Vorteil gegenüber anderen ankreidet, weil es hier nicht nur um das Individuum, sondern um eine familiäre Geschlechterfolge geht, die man über mehrere Generationen hinweg betrachten muß, wenn man über Gerechtigkeitsfragen urteilen will, und dann stellt man fest, daß die übersimplifizierte Gerechtigkeitsgleichung Bofingers nicht aufgeht. Maßgeblich waren hier Grundsatzentscheidungen der Großelterngeneration, entweder den Traum vom eigenen Häuschen durch Verzicht auf andere Annehmlichkeiten zu verwirklichen, oder eben diese Annehmlichkeit zu genießen. Beides war legitim, aber natürlich hat beides Folgen, die mindestens zwei Generationen lang auch die Optionen ihrer Nachkommen bei der Vermögensbildung beeinflussen. Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive ist daran überhaupt nichts ungerecht. Wahlmöglichkeit sind eines der wichtigsten Kriterien der Menschenwürde, und man kann sich auch gegen Wohneigentum entscheiden, egal, welche Gründe man dafür hat. Vorwürfe der Nachkommen könnten allenfalls an ihre vielleicht zu lebenslustigen Altvorderen gerichtet werden. Meistens ist es aber doch so, daß die Lebenslust auch einen Wert darstellt, den sie haben weitergeben können und der das Leben der Nachkommen auch positiv beeinflussen sollte, nur eben auf andere Weise.

Spätestens in der dritten oder vierten Generation ebnet sich die Vermögenssache sowieso wieder ein, falls eine der Generationen dazwischen sich dazu entschließen kann, auf dieselbe Weise wie ihre Großeltern an die Immobilienfrage heranzugehen. Denn aus persönlicher Erfahrung kann ich bestätigen, daß es genau auf diese Weise, mit der es die Oma zu ihrem Häuschen gebracht hat, nämlich einer gewissen Verzichtbereitschaft, bei den meisten von denen, die behaupten, sie könnten sich Immobilienkauf sowieso nicht leisten, immer noch funktionieren würde. Wenn aber andere Dinge im Leben wichtiger sind, dann ist das jedermanns gutes Recht, aber es ist kaum die ungerechte Gesellschaft, die für die fehlende eigene Immobilie verantwortlich gemacht werden kann. Es ist auch nicht ungerecht, daß diese Entscheidung von Gleichaltrigen, die eine Oma mit Häuschen haben, vielleicht nicht getroffen werden muß, denn der erforderliche Verzicht wurde ja bei ihnen zwei Generationen vorher geleistet. Meistens stimmt aber noch nicht einmal das, weil eine Oma mit Häuschen davor auch nicht schützt, solange sie in diesem Häuschen selbst wohnt.

So oder so, die darauffolgende Generation kann das ja alles mit ihren persönlichen vielleicht völlig anderen Priorisierungen ja auch wieder alles auf den Kopf stellen. Falls es eine folgende Generation überhaupt geben wird. Denn noch nie war die Wahrscheinlichkeitt so hoch wie heute, daß eine Familie deshalb erlischt, weil die letzte Generation ihrer Angehörigen kein Interesse daran hatte, die Generationenfolge fortzusetzen.

Daß die Kalkulation, bei der vorausgesetzt wird, daß über x Generationen hinweg alle die Schaffung und Mehrung von Immobilien- und sonstigem Vermögen für ihre oberste Priorität halten, eine Milchmädchenrechnung ist, auch wenn sie von einem studierten Volkswirt kommt (oder vielleicht auch gerade deswegen). „Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt“, soll Bismarck gesagt haben, und das ist zwar ziemlich überspitzt, aber bis heute oft immer noch ganz treffend. Wohlstand als gewohnter Normalfall von Geburt an weckt nun einmal andere Erwartungshaltung, als sich diesen Wohlstand aus eigener Kraft erst einmal schaffen zu müssen. Wovon der eiserne Kanzler aber noch nichts ahnen konnte, das ist die zusätzlich zum Tragen kommende Wirkung der heutigen Verhütungsmittel sowie der gesellschaftlichen Akzeptanz von Kinderlosigkeit, die dazu führen, daß ein weitaus größerer Teil der Erwachsenen als bei Bismarck dauerhaft kinderlos bleibt. In solchen Fällen endet auch der spektakulärste finanzielle Höhenflug einer Familie mit einem Rückfluß eines großen Teils des geschaffenen Vermögens an den Staat via Erbschaftssteuer und damit an die Allgemeinheit. Weil aber gleichzeitig die Kinderzahl bei der Mehrheit, die weiterhin Kinder bekommt, ebenfalls zurückgegangen ist, verteilen sich die Erbschaften in Familien aber auch an immer weniger Personen. Wir sind zum Beispiel drei Geschwister, aber mein Sohn ist der einzige Abkömmling der Enkelgeneration. Wären meine Geschwister nicht verheiratet, würde also das Vermögen von drei Personen aus Generation Nr. 2 an ihn fließen, und da käme schon ordentlich was zusammen. (Aber was er von mir einmal erben wird, sollte ihm eigentlich auch schon reichen.)

Nur, daß er vermutlich lange auf den Erbfall warten muß, denn die Leute werden heute ja immer älter, und ich habe, überstandener Krebs hin oder her, auch nicht die Absicht, in Bälde zu versterben. Der typische gesetzliche Erbe von heute ist bereits in der Nähe des Ruhestandsalters oder sogar schon darüber hinaus, also hat es für ihn nicht viel Sinn, solange er noch ein aufstrebendes Mittelschichtskind ist, auf Omas Häuschen zu warten. Sein Vorteil besteht nur darin, daß er seine Oma anpumpen kann, aber erstens muß er da schon selbst die Initiative ergreifen, anstatt sich, wie Bofinger das suggeriert, einfach ins gemachte Nest setzen zu können, und zweitens soll es ja auch Mamas oder Omas geben, von den Papas und Opas gar nicht anzufangen, die ihren Abkömmlingen nicht so gerne etwas von ihrem Geld abgeben. Drittens kann es auch sein, daß die Kinder vielleicht nicht gerne um Geld bitten möchten. Mein Sohn und ich gehören beide in die dritte Kategorie. Wenn meine Mutter mir Geld gegeben hat, dann entweder aus eigenem Antrieb oder in einem Fall sogar, weil Dritte ihr das vorschlugen. Ich selbst habe sie überhaupt noch nie um Geld gebeten. Mein Sohn tickt ähnlich. 

Daß eine Durchschnittsfamilie nur 1,3 Kinder hat, hat natürlich auch Einfluß auf das Erbschaftssteueraufkommen und ist vermutlich ein wichtigerer Grund als die üblicherweise genannten für dessen stetigen Anstieg. Wenn von Oma ein Häuschen im Wert von 500.000 Euro vererbt wird (also ein ziemlich bescheidenes und in meinem Einzugsgebiet mutmaßlich stark sanierungsbedürftiges Häuschen), dann zahlt ein einzelner Enkel als Erbe elf Prozent Erbschaftssteuer auf die 300.000 Euro, die der Wert seinen Freibetrag übersteigt, das sind dann 33.000 Euro. Bei zwei Enkeln hätte jeder nur noch 7 % von 50.000 Euro, also jeweils 3.500 Euro aufzubringen. Drei Enkel kämen steuerfrei weg. Allerdings steigt mit jedem miterbenden Enkel die Gefahr einer wüsten Erbstreitigkeit, vor allem, falls mehrere von ihnen wirklich im Haus einziehen wollen würden, da würde ich vielleicht das Finanzamt sogar noch vorziehen.

Mein Sohn nähert sich ja langsam der vierzig, und bislang ist er kinderlos. Das finde ich schade, aber ich muß der Tatsache ins Auge sehen, daß es sein kann, daß er dauerhaft kinderlos bleiben wird und spätestens für ihn dann kein Erbe erster Ordnung mehr existieren wird. Das von mir geerbte Geld wird dann sowieso zu einem beträchtlichen Teil wieder in Form von Erbschaftssteuer an den Staat zurückfließen, und das ist ein guter Grund, mich nicht lange mit dem Aufhäufen möglichst hoher Geldberge aufzuhalten, sondern mein Geld zu eigenen Lebzeiten so auszugeben, wie es mir Spaß macht. Das Kind bekommt dann halt, was danach noch übrig ist. Vermutlich erst irgendwann, wenn es selbst schon in Rente ist. 

Je mehr ich über die Sache nachdenke, desto deutlicher sehe ich, daß man eine vernünftige Reform des Erbrechts nur zustande bringen würde, indem man sich zuvor erst einmal mit der Frage befaßt, wo und wie die zu vererbenden Vermögenswerte sinnvoller als im Moment eingesetzt würden, wenn dem nicht so hohe Hürden gegenüberstünden. Die Fälle, in denen es weder direkte Nachkommen noch einen Ehepartner gibt, dürften in den nächsten Jahrzehnten noch zunehmen, und auch das durchschnittliche Alter der Erblasser wird wohl weiter ansteigen. Gleichzeitig ist die Wohnfrage aber in der Phase der Familiengründung eine von viel höherer Bedeutung als bei einem Erben im dafür typischen Alter, und daß eine Erbschaft in dieser Phase anfällt, wird immer unwahrscheinlicher. Es wäre deshalb nachdenkenswert, Schenkungen etwas mehr als Erbschaften zu begünstigen, vor allem, wenn sie an jüngere Familienmitglieder fließen, die gerade vor ihrer Familiengründung stehen.

Es wäre vielleicht auch generell gescheiter, Schenkungen auch unter weitläufigeren Verwandten oder - je nach den genauen Umständen - auch anderen Personen nicht steuerlich so sehr zu überfrachten, daß kein Onkel auf die Idee käme, auch seinem Lieblingsneffen eine Schenkung oberhalb des Freibetrags von 20.000 Euro zu machen - es sei denn, der hat bereits so viel Geld, daß er sich eine große Schenkung überhaupt leisten kann. Gerade bei Immobilien ist der Faktor der Erbschaftssteuer nämlich in dieser Konstellation ein kaum zu überwindendes Hindernis. Denn das von Oma geerbte Häuschen würde auch im Fall einer Schenkung an den Neffen mit so hohen Schenkungssteuern belegt wie das Häuschen, das der nicht verheiratete Lebensgefährte nach dem Tod seiner Partnerin erbt. Da bliebe dem netten Onkel wohl auch nichts anderes übrig, als seinen Neffen zuvor erst noch zu heiraten. Die "Ehe für alle" macht es ja möglich. ;-)

Mir scheint, der Casus knacksus liegt im angedachten Fall vor allem im Begriff "Familienheim". Dieser Begriff müßte erbschaftssteuerrechtlich anders definiert werden, und dabei müßte unbedingt eine Rolle spielen, ob und wie lange der Erbe vor dem Erbfall bereits in diesem Familienheim gelebt hat. Ebenfalls eine Rolle spielen könnte es auch, ob er es künftig selbst bewohnen wird, wie das bei direkten Nachkommen als Erben ja auch ist. 

Was außerdem die Freibeträge für geerbte Immobilien betrifft, sie gelten seit 2009 und sind in den Erbenklassen 2 und 3 mittlerweile ein schlechter Witz. Eine kleine Wohnung, die ich damals, 2009, erworben habe, konnte ich zehn Jahre später für ungefähr den dreifachen Preis verkaufen. - Gut, das war ein ziemlich extremes Beispiel, weil ich sehr vorteilhaft sowohl gekauft als auch verkauft hatte. Aber in jedem Fall liegen die Preise für Wohneigentum bei mir in der Stadt heute in der Regel deutlich mehr als doppelt so hoch wie damals. Ich meine, speziell für Immobilien müßten die Freibeträge deshalb in allen Erbenklassen auch in irgendeiner Form an die Marktentwicklung gekoppelt werden. Die 20.000 Freibetrag von 2009 für Erben der Klasse 3 hätten im Falle meines Objekts immerhin fast ein Drittel des Kaufpreises ausgemacht, aber 2019 nur noch ein knappes Neuntel. Auf diese Weise kann es sich doch außer Ehepartnern und Kindern kein Mensch mehr leisten, eine Immobilie zu erben, ob nun eine, die man selbst beziehen könnte, oder eine Kapitalanlage-Immobilie.Wenn der Gesetzgeber die Mieter von vererbten Wohnungen schützen will, sollte er darüber echt mal nachdenken.

Wobei ich es mieterschutzrechtlich außerdem noch für angebracht halten würde, beim Verkauf geerbter Immobilien wenigstens ab einer gewissen Mietdauer ein Vorkaufsrecht des Mieters zwingend vorzuschreiben und außerdem für solche Fälle die Eigenbedarfsregelung  mit drastisch längeren Kündigungsschutzfristen zu versehen. Das müßte dann aber auch wertmindernd bei der Marktpreisermittlung zu Buche schlagen und damit die Steuerlast des Erben verringern.

Ich will jetzt nicht behaupten, daß ich in meinem Brainstorming zur Erbschaftssteuerfrage, zu dem der Tagesschau-Bericht mich inspiriert hat, bereits die ultimative Lösung gefunden habe. Was ich aber gefunden habe, sind Problematiken, die bei Erbschaftssteuer-Debatten nie oder jedenfalls so selten angesprochen werden, daß ich mich nicht erinnern kann, sie jemals irgendwo angesprochen zu sehen. Ich nehme schon an, ich bin ein gutes Stück näher dran an einer echten Lösung als alle diese sich aufplusternden Politiker. Schade nur, daß nicht zu erwarten ist, daß in der Erbschaftssteuerfrage jemals der Wunsch nach einer gesellschaftlich erwünschten Wirkung ein höheres Gewicht erlangt als der Wunsch nach billigen Wählerfangmethoden.