Donnerstag, 5. September 2024

Evidenzbasiertes "Garbage in - Garbage out". Oder: Wie man die Adipositaskrise nicht lösen wird

Mein Gewicht heute früh nach drei aufeinanderfolgenden Fastentagen: 75,1 Kilogramm. Leider ist mein Mandelproblem zwar besser geworden, aber immer noch nicht ganz vorbei, also lege ich diese Zahl mal nicht auf die Goldwaage.

Es gibt aber auch erfreuliche Nachrichten: Gestern haben wir den Darlehensvertrag endlich unterzeichnen können. Einen Tag vor dem Notartermin heute nachmittag. Das war echt eine Punktlandung, und das sieben Wochen und einen Tag nach Start der Finanzierungsanfrage. Damit gelangen wir hoffentlich mit dem Hauskauf endlich mal in ruhigeres Fahrwasser. Einen Spannungsbogen wie in einem Roman brauche ich da echt nicht, ich ziehe gepflegte Langeweile allemal vor, jedenfalls bei Dingen, die einfach nur funktionieren sollen. Die Abwicklung ist eng genug getaktet, daß wir keinerlei weiteren Suspense brauchen können, das wird auch so anstrengend genug.

Die Beraterin hat sich im zweiten Anlauf des Darlehensvertrags immerhin erkennbar ins Zeug gelegt, das war ebenfalls eine erfreuliche Überraschung. Ohne ihren Einsatz wäre die Sache nicht mehr termingerecht in trockene Tücher gebracht worden, und das rechne ich ihr hoch an und habe ihr auch ausdrücklich dafür gedankt. Im ersten Anlauf hatte ich immer das Gefühl, ihr sei alles scheißegal. Aber womöglich war es ja auch so, daß sie intern zu wenig Rückhalt hatte und somit selbst in einer Zwickmühle war, wenn sie mit Details unserer Finanzierung nicht zurechtkam. Natürlich wär es unmöglich gewesen, uns gegenüber darüber auch nur andeutungsweise etwas verlauten zu lassen. Sie ist außerdem noch sehr jung, also vielleicht zählten wir wirklich zu ihren allerersten Beratungskunden. In dem Fall können wenige Monate hin oder her schon einen Riesenunterschied an erworbener Erfahrung bedeuten, und vielleicht ist das ein Teil der Erklärung, warum sie plötzlich auf uns so viel motivierter wirkte und tatsächlich auch hilfreicher war. 

Das eigentliche Problem war meiner Meinung nach ein strukturelles innerhalb der Bank, und zwar eines, das schon vor fünf Jahren bestanden hat. Damal bekam die Bank von mir nach abgeschlossener Finanzierung konstruktives Feedback, weil ich dachte, wir seien Opfer eines noch nicht rund laufenden neuen Prozesses geworden, denn der war gerade erst eingeführt worden, und die Bank sei aufgeschlossen für so was, weil sie sowieso noch ein Feintuning vornehmen wolle. Da aber in fünf Jahren alle damaligen Probleme noch vorhanden und sogar noch neue hinzugekommen sind, habe ich dieser Bank innerlich bereits gekündigt. Der tatsächliche Rückzug wird natürlich schrittweise erfolgen. Es besteht ja kein Grund für eine Panikaktion. Ich nehme an, der Wechsel unserer Hausbank wird bis Ende 2025 abgeschlossen sein.

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Cochrane hat im Bereich der sogenannten evidenzbasierten Medizin einen Ruf wie Donnerhall. In eigenen Worten

Cochrane ist ein internationales Forschungsnetzwerk, das seit über 30 Jahren systematische Übersichtsarbeiten („Cochrane Reviews“) produziert. Diese Übersichtsarbeiten fassen den aktuellen Wissensstand der Forschung zu Fragestellungen aus Medizin und Gesundheit zusammen und bewerten die Belastbarkeit der zugrundeliegenden Studienergebnisse. Damit bilden Cochrane Reviews eine zentrale Grundlage der evidenzbasierten Medizin.

Unter dem Link erfährt man Näheres über die Aufgaben und Arbeitsweise des Forschungsnetzwerks, das allgemein als Quelle besonders verläßlicher Informationen zu Gesundheitsfragen gilt. Deshalb müßte es sich eigentlich lohnen, zu erfahren, was der Cochrane Review zur Frage von Intervallfasten und dessen Einfluß auf Gesundheitsrisiken im Bereich Herz/Kreislauf enthält. Leider ist das aber nicht der Fall.

Im Wortlaut zur Herangehensweise: 

Wir fanden 26 relevante Studien; wir nutzten die Ergebnisse von 18 Studien für den Vergleich der verschiedenen Ernährungsweisen. ... Die Studien verglichen Intervallfasten mit dem normalen Essverhalten (in sieben Studien), Diäten mit Kalorienbeschränkung (acht Studien), sowie das normale Essverhalten und Diäten mit Kalorienbeschränkung (drei Studien). Die Studien dauerten von vier Wochen bis zu sechs Monaten. Die Ergebnisse wurden nach drei Monaten (kurzfristig), und zwischen drei und 12 Monaten (mittelfristig) berichtet. 

Die Mühe, solche Kurzzeit-Studien auszuwerten, hätte sich Cochrane genausogut sparen können. Spannend wird die Sache ja sowieso erst nach Ablauf von zwölf Monaten, auch was die Abnahmewirkung betrifft, bei der Cochrane dem Intervallfasten bescheinigt, ungefähr gleich wirksam wie andere Arten von Diäten zu sein. Das trifft für solche kurzen Zeiträume zweifellos zu, nur ist es nicht relevant, wenn man Wissenschaft nicht als Spielerei um ihrer selbst willen betreibt, sondern nach Herangehensweisen sucht, die Menschen wirklich gesünder machen können.

Die Abnahmewirkung kam in diesem Review sowieso nur am Rande vor. Aber da erfolgreiche Abnahmen - und zwar im Gegensatz zu Jojo-Abnahmen - auch einen positiven Einfluß auf Herzerkrankungen haben, liegt die Annahme nahe genug, daß auch zum eigentlich untersuchten Bereich dieser Review ein Fall von "Garbage in - Garbage out" war. Denn ob Intervallfasten mit derselben Häufigkeit wie andere Diäten zu bloßen Jojo-Abnahmen führt, wäre die eigentlich interessante Frage gewesen, die wurde aber gar nicht gestellt.

Apropos Garbage.

Es gab zur Gewichtsfrage einen Jubelbericht meiner speziellen Freunde vom Bundeszentrum für Ernährung: Juhu, der Zuckerkonsum von Kindern ist in den letzten Jahre gesunken. Und das ganz erheblich. Wie segensreich für die Gesundheit der Kinder! Hier die Grafik aus der im Bericht besprochenen Studie

figure 1

Warum zum Teufel ist dann aber parallel dazu der Anteil der Kinder mit Adipositas gestiegen? Und vor allem, warum wird das im Bericht nicht einmal erwähnt?

Wurde 2012 noch bei rund 22.400 Mädchen und Jungen im Alter bis 14 Jahre die Diagnose Adipositas gestellt, waren es im Jahr 2021 bereits 27.200 Betroffe­ne.
Und nein, die Corona-Lockdowns sind es nicht, jedenfalls nicht komplett, behauptet jedenfalls die verlinkte Quelle. Sie erklären nur einen Teil der Entwicklung. Ich fand leider die Quelle nicht bzw. in der angeblichen Quelle nicht die richtigen Textpassagen. Erwähnen sollte man außerdem, daß diese Alarmmeldung auch auf Kritik gestoßen ist.

Wäre Zucker der maßgebliche Faktor, hätte ein so deutlich sinkender Zuckerkonsum eigentlich die Zahl von übergewichtigen Kindern sinken lassen müssen, wenigstens zwischen 2010 und 2019, da Corona zugegebenermaßen ein Sondereffekt war. Am nächsten kommt einem Vergleich zwischen 2010 und 2019 die Auswertung der KiGGS-Studien von 2003 bis 2006 sowie 2014 bis 2017. So richtig überzeugend wird in ihm aber keine Wirkung des auch innerhalb dieses Zeitraums gesunkenen Zuckerkonsums angezeigt:

 

Wird nur Adipositas alleine betrachtet, sieht die Sache jedenfalls umso besser aus, je jünger die Kinder sind: 

 

Jetzt habe ich nur folgendes Problem: Gerade die jüngsten Altersgruppen unter den Kindern konsumieren laut der Zuckerkonsum-Studie in Wirklichkeit mehr Zucker als die älteren und Mädchen - bei denen die Adipositas-Entwicklung etwas besser aussieht - mehr Zucker als Jungen: 

Einen Sinn ergeben solche Ergebnisse nur, falls die Rolle des Zuckers überschätzt wird. Damit will ich nicht behaupten, daß Zucker gar keine Rolle spielt. Aber den Zuckerkonsum noch nachdrücklicher als bislang zu bekämpfen, wird die Adipositaskrise schwerlich lösen können. Mich irritiert das unheimlich, daß dieser Weniger-Zucker-Jubel von einer Institution, die praktische Hilfe in Ernährungsfragen zu bieten behauptet, so unreflektiert und ohne auch nur einen Versuch, eine tatsächliche gesundheitliche Wirkung zu ermitteln, erfolgt ist. Niemand interessiert sich in diesem Wissenschaftsbereich offenbar für Zusammenhänge und niemand stellt die Fragen, auf die es eigentlich ankommen würde, also sind auch Ratschläge aus dieser Quelle immer "Garbage in - Garbage out"-verdächtig. Ich kann nur dazu raten, alles, was von dort kommt, lieber noch einmal selbst zu überprüfen. 

Für mich kristallisiert sich immer deutlicher heraus, daß die berühmten "nicht übertragbaren Krankheiten" zu einem beträchtlichen Teil Stoffwechselerkrankungen sind und durch Ernährungsmodifikationen geheilt oder wenigstens gelindert werden können. Und der Forschung zu diesem ganzen Kram, vom Übergewicht über Herzerkrankungen bis zu Demenz und Krebs, fehlt im Moment dieser Ausgangspunkt. 

Ein möglicher Ausgangspunkt wäre eine Antwort auf die Frage, ob sich Korrelationen des Anteils an hochverarbeiteten Lebensmitteln in einem Land (einer Bevölkerungsgruppe oder anderem) und dem Anteil an Adipositas in diesem Land nachweisen lassen. Dieser Gedanke kam mir, als ich die Zusammenfassung einer Präsentation sah (ich glaube, diese Präsentation hier (die freilich von 2023 ist), war gemeint oder ist jedenfalls eine frühere Version der in der Zusammenfassung gemeinten), in der folgende Textpassage vorkam: 

UPFs now provide near or more than half of the calories in diets in developed countries such as Canada (47%) the USA (60%) and the UK (57%), with lower but increasing proportions in middle-income countries such as Brazil (20%).
Das könnte nämlich eine Antwort auf die Frage sein, worin sich die USA von anderen Ländern unterscheiden, denen sie ja auch bei der Adipositas voraus sind. Für Deutschland wird übrigens ein UPF-Anteil von 50 % Prozent geschätzt. Die Schätzung stammt allerdings von der DGE und ist damit per se nicht so richtig vertrauenswürdig. Im weltweiten "Adipositas-Ranking" liegt Kanada geringfügig vor UK, aber ziemlich weit über Deutschland (USA: Platz 10, Kanada: Platz 50, UK: Platz 55, Deutschland: Platz 80). Sollten die DGE-Schätzung wie auch die in der Präsentation realistisch sein, spräche das gegen meine Vermutung. Ob sie realistisch sind, kann ich im Moment nicht einschätzen.

Den besten Platz eines europäischen Lands im Adipositsas-Ranking hat übrigens Frankreich mit Platz 143 (von insgesamt 200). Leider fand ich nicht heraus, welche Rolle UPFs dort mittlerweile spielen. Aber Frankreich hat zum Essen zweifellos aus Tradition eine genußorientierte Einstellung als etwa wir.

So weit war meine Überlegung gediehen, da stieß ich auf eine Studie, die der von mir angesprochenen Frage tatsächlich scon nachgegangen war. Problem dabei war allerdings eine Definition von UPF, die sich auf die falschen Faktoren konzentriert. Die Adipositasproblematik der heutigen Zeit läßt sich aber eher mit neuartigen Sorten Lebensmittel erklären als mit solchen, die seit Jahrhunderten üblich waren, ohne deshalb Adipositas-Epidemien ausgelöst zu haben. Das betrifft zum Beispiel Wurst - mit der Einschränkung, daß die Discounterware sich vermutlich in den Inhaltsstoffen von der Wurst unterscheidet, die man bei einem Metzger zu kaufen bekommt.

Ich glaube  nicht, daß das schwerwiegendste Problem mit UPFs, wie in der Präsentation langweiligerweise mal wieder vermutet, ihr hoher Anteil an Fett und Zucker ist, sondern daß es die Zusatzstoffe sind. Möglicherweise sind es tatsächlich die Emulgatoren. Das ließe sich herausfinden, indem man in einer Studie mal die Wirkung speziell von fett- und zuckerreduzierten UPFs unter die Lupe nimmt. Das wäre eine hübsche kleine Fleißaufgabe für jemanden wie Kevin Hall, der in der Präsentation ebenfalls als Zeuge zitiert wird, wenn seine aktuell geplante Studie mit dem Vergleich von Low Fat und Low Carb mal beendet ist und bei ihr das Ergebnis herauskommt, mit dem ich rechne.

Sollten tatsächlich Emulgatoren und/oder andere erst seit wenigen Jahren/Jahrzehnten übliche Zusatzstoffe das Problem sein, wären auch gering verarbeitete Milchprodukte in der UPF-Studie teilweise falsch einsortiert. Ich bin nämlich beinahe vom Stuhl gefallen, als ich sah, daß Schlagsahne Carragene enthält. Erst wollte ich deshalb von der haltbaren auf frische Schlagsahne wechseln, aber bei der frischen war es genauso ... Mein Mann meint jetzt, ich solle künftig selbst Schlagsahne machen, und, wenn ich schon dabei bin, vielleicht auch Butter. Immerhin haben wir künftig ja gute Bezugsquellen für Rohmilch, also mal sehen, ob ich das wirklich mal ausprobieren werde.

Vorläufig werde ich irgendwann in nächster Zeit erst einmal ausprobieren, selbst Fleischkäse zu machen. Dazu habe ich kürzlich ein Video gesehen, und es sah supereinfach aus.








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