Donnerstag, 12. September 2024

Die Epidemien-Epidemie

Mein Gewicht heute früh im Anschluß an den ersten von zwei nicht zusammenhängenden Fastentagen in dieser Woche: 77,4 Kilogramm. Diese Woche faste ich Mittwoch und Freitag, nächste Woche dann wieder von Montag bis Mittwoch - wobei ich darüber nachdenke, nächste Woche den Donnerstag ebenfalls mit dazuzunehmen. Ich hätte nämlich gerne vor dem Umzug, bei dem ich noch nicht weiß, wie ich es mit dem Fasten arrangieren werde, und einigen Fragezeichen, wie weit ich den Beginn der Low-Carb-Wochen hinausschieben sollte, um mich erst mal an meine neue Umgebung unter Normalbedingungen gewöhnen zu können, einen etwas größeren Abstand von der 80. Entweder ich schaffe diesen Abstand nächste Woche oder gar nicht mehr, bevor wir umgezogen sind, und das spräche für einen vierten Fastentag. Ich bin mir aber noch unschlüssig und werde das wahrscheinlich erst unter dem Eindruck meines Körpergewichts am Donnerstag früh entscheiden. 

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Was ist das eigentlich: eine "Epidemie"? Wikipedia definiert die Sache so: 

Eine Epidemie (von altgriechisch ἐπί epí ‚auf, bei, dazu‘, und δῆμος dēmos ‚Volk‘), auch Seuche genannt, ist ein zeitlich und örtlich begrenztes vermehrtes Auftreten von Krankheitsfällen einheitlicher Ursache innerhalb einer menschlichen Population und entspricht damit einem großen Ausbruch einer Krankheit.
Wirft man dagegen einen Blick in die Definition des Robert-Koch-Instituts, erweist sich dieser Begriff als erstaunlich weit in alle möglichen Richtungen dehnbar.

          Epidemie (engl.: epidemic)

Erkrankungswelle, epidemisches Geschehen (veraltet: Seuchengeschehen); im Vergleich zur Ausgangssituation treten bestimmte Erkrankungsfälle mit einheitlicher Ursache vermehrt auf, der Prozess ist zeitlich und räumlich begrenzt. Der Begriff bezieht sich meist auf  Infektionskrankheiten, dies ist aber keine Bedingung. Eine besonders hohe Zahl an  Erkrankungen, eine besondere gesellschaftliche Bedeutung oder eine Gefährdung vieler Personen sind ebenfalls keine notwendigen Bedingungen, obwohl eine Epidemie im üblichen Sprachgebrauch meist mit diesen Merkmalen verknüpft wird

Eine Epidemie, hat man den Eindruck, ist das, was Epidemiologen so bezeichnet haben möchten, egal, wie nah oder fern es von der Definition entfernt ist, an der sich alle Nicht-Epidemiologen (einschließlich Journalisten) in ihrer Interpretation des Begriffs orientieren. Wenn sie es wollen, haben wir künftig jedes Frühjahr eine Zeckenbiß- und im eine Mückenstich-Epidemie. Und zu Weihnachten dann wohl eine Lebkuchen-Epidemie. 

Natürlich ist ihnen klar, wie normale Leute die von ihnen verwendeten Begriffe verstehen, und daß sie sich darunter etwas Dramatisches vorstellen. Sie verwenden sie trotzdem, um gerade durch diese Mißverständnisse bestimmte Emotionen auszulösen und auf diesem Umweg dann ein bestimmtes gewünschtes Verhalten. Das entstammt demselben Werkzeugkasten wie das Nudging, es soll die Leute manipulieren, weil es in Wissenschaftlerkreisen als salonfähig gilt, Menschen zu manipulieren, wenn es deren vermeintlichem Besten dient. Dieser Zeitgeist in der Wissenschaft, über den Denker wie Hannah Arendt bekümmert den Kopf geschüttelt hätten, hat eine Art Epidemien-Epidemie ausgelöst: eine Sucht, alles, was einem am Gebaren anderer Leute stört, in der Absicht, sie bestmöglich an jenem Gebaren zu hindern, in manipulativer und irreführender Weise als Epidemie zu bezeichnen. 

Dagegen sollte man auch endlich mal eine Therapie entwickeln. Am einfachsten wäre es, wenn jeder, der eine neue Epidemie ausruft, die nicht auf Ansteckung bei Infektionskrankheiten beruht, von der Öffentlichkeit schallend ausgelacht würde. Die Infektionskette bei der Epidemien-Epidemie beruht nämlich darauf, daß die Verbreiter solcher Meldungen meistens viel zu ernst genommen werden.

Daran mußte ich denken, als ich dies hier las:

„Die Vape-Epidemie wird wahrscheinlich zu einem signifikanten Anstieg erwachsener Raucher führen“, behauptet eine gewisse Rianne van der Kleij, unwidersprochen vom Interviewer im Ärzteblatt. Abgesehen davon, daß der Satz schon rein sprachlich kritikwürdig ist (wenn überhaupt, ginge es um den Anstieg der Zahl erwachsener Raucher, die klettern ja nicht irgendwo hinauf): Ich wüßte wirklich nicht, wie das zugehen sollte. Ich erkenne in den mir vorliegenden Zahlen beim besten Willen nichts, das "Epidemie" in Zusammenhang mit E-Zigaretten auch als dramatisierende Übertreibung rechtfertigen würde. 

Hier die Entwicklung der Zahl Jugendlicher ab 14, junger Erwachsener unter 25 und aller älteren Erwachsenen, die E-Zigaretten konsumieren laut Debra-Studie

 

Wir reden hier also von zuletzt 2,3 Prozent der Jugendlichen und 3,5 Prozent der Altersgruppe unter 25, Tendenz in etwa gleichbleibend. Das ist ein Bruchteil des Anteils der jeweils gleichen Altersgruppen, die normale Tabakwaren konsumieren:

Tatsächlich ist es aber die Zahl der jugendlichen Raucher, die in den letzten zwei Jahren auffällig höher geworden ist, und zwar im sichtbarem Gegensatz zu den gleichaltrigen Konsumenten von E-Zigaretten, bei denen der prozentuale Anteil von vor zehn Jahren weiterhin unterschritten, nicht etwa überschritten wird. Wer für die Zunahme der Zahl jugendlicher Raucher um immerhin 6,2 Prozentpunkte im gleichen Vergleichszeitraum allen Ernstes einen Anteil von zwischen 0,5 und 2,9 Prozent jugendlichen E-Zigarettenkonsumenten im Laufe der letzten acht Jahre verantwortlich zu machen versucht, der lügt uns offensichtlich einfach nur an, und zwar, weil er weiß, daß - außer exotischen Ausnahmen wie mir - sowieso niemand solche Behauptungen nachprüft, sondern sie ungeprüft für wahr hält und als vermeintliche Wahrheit weiterverbreitet.

Vermutlich glaubt diesen Quatsch in Wirklichkeit auch niemand, nicht einmal diese Frau de Kleij aus dem Artikel, der es vermutlich vor allem darum ging, ihren Namen in den einschlägigen Kreisen ins Gespräch zu bringen, was ganz bestimmt ihrer weiteren beruflichen Laufbahn auch förderlich sein wird. Denn Vaper zu bashen ist in diesen Kreisen genauso ein Karriere-Türöffner, wie es mit Rauchern genauso zu machen, und die Chancen stehen außerdem gut, damit den Gesetzgeber zu entsprechender Gesetzgebung motivieren zu können.

Das Thema Rauchen wird in der Gesundheitspolitik wohl deshalb so gerne aufgegriffen, weil Maßnahmen gegen das Rauchen, die Raucher und die Tabakindustrie "low hanging fruits" sind: Man kann sich sicher sein, mit nahezu allem, was man dazu an Maßnahmen ins Gespräch bringt, bei einer Bevölkerungsmehrheit Zustimmung zu erlangen, und vermittelt gleichzeitig den Eindruck, energischer Aktivitäten zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung. Wenn niemals eine meßbare gesundheitliche Verbesserung als Folge der Maßnahme auftreten wird, ist das dabei unerheblich, weil das sowieso niemand nachprüft. Daß die Menschen umso gesünder werden, je häufiger und heftiger man auf die Raucher einprügelt, das ziehen auch die meisten der Raucher nicht in Zweifel. Auch in diesem Punkt halte ich mich für eine eher exotische Ausnahme, obwohl ich finde, ich habe ganz gute Argumente dafür, daß der Kipp-Punkt, ab dem zusätzliche Maßnahmen zum Bekämpfen des Rauchens unter dem Strich mehr (totgeschwiegene) unerwünschte Nebenwirkungen als statistisch zu erwartende und laut in allen Medien begackerte gesundheitliche Vorteile mit sich brachte, bereits vor geraumer Zeit überschritten worden ist.

In den letzten zwei bis drei Wochen fiel mir auf, daß Rauchen und zugehörige Regulierungsforderungen insgesamt mal wieder ziemlich häufig gerade in den Radionachrichten kommen, in denen ja immer nur eine handverlesene Auswahl an Meldungen kommt, weshalb es schon bemerkenswert ist, daß dieses Thema neuerdings zwei- bis dreimal die Woche vorkam, so, als wäre auf der Welt in letzter Zeit gar nichts Wichtigeres passiert. Die Wichtigkeit der berichteten Ereignisse scheint aber in der Redaktion der Radionachrichten nur nachrangig eine Rolle zu spielen. Sogar der Plan des britischen Premierministers, in den Außenbereichen der Gastronomie nun das Rauchen auch noch zu verbieten (was nur dann einen Sinn ergeben würde, wenn man annimmt, ihm gehe das Pubsterben auf der Insel bislang noch nicht weit genug), war auf einmal eine Radionachricht wert. In denselben Kontext gehört auch diese angebliche Vape-Epidemie, die es in Wirklichkeit offensichtlich gar nicht gibt. 

Die spannende Frage an dieser Sache wäre es deshalb aus meiner Sicht, wer eigentlich entschieden hat, das Thema wieder prominenter durch die Medien zu jagen, und was er damit bezweckt - denn bevor ich daran glaube, daß es hier darum geht, Menschen gesünder zu machen, ziehe ich eher in Betracht, wieder an den Weihnachtsmann zu glauben. Soll gesundheitspolitisch vielleicht von irgendetwas anderem abgelenkt werden? Etwa dem Totalversagen aller gesundheitspolitischen Akteure in Sachen "Adipositas-Epidemie"? Auch wenn die Langzeitwirkungen von E-Zigaretten natürlich erst klar sind, wenn einmal entsprechend viel Zeit vergangen ist, es also verwegen wäre, sie für gänzlich risikolos zu erklären: Erstes fehlt E-Zigaretten von vornherein der Faktor, der bei konventionellen Zigaretten den größten Teil der Gesundheitsrisiken auslöst, nämlich der Rauch mit seinem enthaltenen Feinstaub, von dem nicht einmal ich bezweifeln würde, daß das regelmäßige aktive Inhalieren die Lunge in einer Weise strapaziert, die kank machen kann. (Professor Seyfrieds Krebstheorie erklärt die Gründe dafür sogar noch besser.) Und zweitens kennt bei den Abnehmspritzen wie bei den E-Zigaretten ja auch niemand die Langzeitfolgen, ohne daß aber irgendwer sich deswegen Sorgen zu machen scheint. Da sollte die Frage erlaubt sein, warum das dann für E-Zigaretten nicht gelten soll, denn deren  Wirksamkeit als unterstützendes Mittel für Leute, die mit dem Rauchen aufhören wollen, ist ja ebenso nachweisbar wie die weitgehende Wirkungslosigkeit aller anderen dafür angebotenen Mittel.

Disclaimer: Aus E-Zigaretten mache ich mir nichts und verwende sie deshalb auch nicht. Ich erkenne bloß gesundheitspolitischen Bullshit, wenn er mir auf so plumpe Art untergejubelt werden soll. Die nächste Folgefrage daraus müßte wohl lauten: Warum erkennt das Ärzteblatt ihn nicht ebenfalls?



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