Sonntag, 8. November 2020

Des Sängers Fluch

Mein Gewicht heute morgen zwei Tage nach den vier Fastentagen: 97,8 Kilogramm. Direkt nach dem Fasten, am Freitag, landete ich exakt bei 95. Das ist im Rahmen des Erwarteten, und ich bin zufrieden damit. Diesmal fiel mir das Fasten besonders leicht, weil ich am Fastentag 1 irgendwas mit dem Magen gehabt haben muß und schon am ersten Tag null Verlangen nach Essen hatte, was eigentlich erst ab dem zweiten Fastentag zu erwarten war. Dafür bekam ich am Freitag, ca. eine Stunde, bevor ich meine erste Mahlzeit nach dem Fasten geplant hatte, auf einmal einen geradezu irrsinnigen Hunger. Genau deshalb habe ich diese Stunde aber noch ausgehalten. Wenn ich anfange, mich von meiner Hirn-Bauch-Verbindung auf so plumpe Weise manipulieren zu lassen, lernt sie vielleicht das Falsche daraus. 

Außer dem Salat, den ich vorgestern als erste Mahlzeit geplant hatte, gab es dann spontan aber zusätzlich noch Rührei mit Schinken, was mir erfreulich gut bekommen ist und außerdem dafür sorgte, daß ich gut gesättigt war und erst, als es Zeit zum Abendessen wurde, wieder Hunger bekam. Zur Strafe mußte ich aber gestern am hellen Morgen schnell noch auf den Wochenmarkt, um Eier zu kaufen, sonst hätte ich keinen Apfelkuchen backen können. Auch das Fladenbrot, das ich fürs Frühstück machen wollte, wird vor dem Backen mit Ei bestrichen. So viele Eier wie im letzten Jahr, seit ich meinen neuen Backofen habe, habe ich früher nie gekauft. Weil eine Schachtel mit zehn Eiern immer so schnell verbraucht ist, habe ich gleich zwei genommen, und das war auch nötig: Gestern abend gab es Rahmschnitzel und Spätzle, und in den Spätzleteig gehören ja auch ein paar Eier. Damit ist die erste Schachtel heute fast schon wieder leer. 

Ich gehe eigentlich samstags ungern einkaufen, und gestern sah ich wieder einmal, warum. Samstags ist es mir einfach zu voll, sowohl auf dem Markt wie auch im Discounter, den ich hinterher heimgesucht habe, als auch bei Primark, wo ich eine gefühlte Ewigkeit an der Kasse anstehen mußte. Dort habe mir einige weitere Exemplare der Leggings mitgenommen, die ich letzte Woche dort gekauft hatte. Ich hatte mich für Größe L entschieden, finde sie aber einen Tick zu groß. Ich wollte noch eine zweite in Größe L und zusätzlich zwei in Größe M, obwohl ich argwöhne, die sitzen vielleicht noch unangenehm stramm. Anprobiert habe ich sie noch nicht, aber das eilt ja auch nicht. 

Eigentlich bin ich kein großer Fan von Primark, meistens geh ich da hinein, wenn ich einen Zahnarzttermin habe und gerade irgendwas Einschlägiges brauche, denn im gleichen Gebäude wie die Zahnarztpraxis ist auch ein Primark. Die Leggings dort waren echt eine Entdeckung, das Material ist angenehm und sie sind außerdem ein wenig dicker als meine bisherigen Leggings und damit wintertauglicher.

Bei Primark habe ich mich außerdem dazu hinreißen lassen, ein Kleid in Größe 40 zu kaufen, noch dazu, ohne es vorher anzuprobieren. Daran ist das Abnehmen-Forum schuld; dort hatte ich Anfang des Jahres als mein Ziel für das Jahr "Weihnachten in Größe 40" angegeben. Das fiel mir ein, als ich das Kleid in der Hand hatte, und ich konnte es mir so gut als mein Weihnachtskleid vorstellen, daß ich es als Spontankauf mitnahm. Hineinpassen tu ich schon, wie ich daheim feststellte, aber ich sehe im Moment leider noch ziemlich verboten darin aus. Ich fürchte ja fast, bis Weihnachten wird sich daran auch noch nicht genügend ändern, daß es wirklich mein Weihnachtskleid werden kann. Vielleicht probiere ich es ja mit diesem körperformenden Body zum Drunterziehen, um den sich überdeutlich abzeichnenden Rettungsring unter Kontrolle zu halten. Ist das dann gemogelt? 

Wenn ja, egal; ich mache es trotzdem. ;-) 

Aber falls das nicht ausreicht, wird es eben doch zwei, drei Monate später, bis das Kleid an mir nach etwas aussieht. Mir zu kleine Kleidungsstücke kaufen und auf später warten, kann ich mir mittlerweile zum Glück leisten. Und dann gibt es eben doch Weihnachten in Kleidergröße 42, das ist ja auch nicht übel, wenn man von Größe 56 herkommt.

Der US-Wahlkrimi ist beendet, und unter dem Strich ist Joe Bidens Vorsprung vor Donald Trump mit vier Millionen Wählern groß genug, um das Fazit zu ziehen, daß das Gefühl, es werde ein knappes Rennen, eine Art optische Täuschung gewesen ist. Das war eigentlich gar kein Zittersieg, zittern mußte man vor allem deshalb, weil die Wähler von Joe Biden - auch, weil sie Corona ernster nahmen als die Wähler Donald Trumps - überproportional Briefwähler waren. Da in vielen Bundesstaaten die Wählerstimmen in den Wahllokalen zuerst gezählt wurden, mußte sich natürlich bei den ersten Zwischenergebnissen ein schiefes Bild bieten. 

Trotzdem bleibt festzuhalten, daß Donald Trump immerhin die Stimmen von 70 Millionen US-Bürgern erhalten hat, was - wie er in einem Tweet ausnahmsweise einmal zutreffend verkündete -, die höchste Anzahl war, die ein amtierender US-Präsident, der zur Wiederwahl anstand, jemals bekommen habe. Was er nicht erwähnte: Die 74 Millionen Stimmen des Herausforderers Joe Biden waren ebenfalls die höchste Anzahl für den Herausforderer eines amtierenden Präsidenten. Die Wahlbeteiligung war also diesmal extrem hoch. Ich habe mal nachgesehen, weil das nirgends erwähnt wurde: Geschätzt lag sie bei 66 bis 67 Prozent. Für US-Verhältnisse ist das viel Eine so hohe Wahlbeteiligung gab es seit dem Jahr 1900 nicht mehr, und die damalige sowie die noch höheren Wahlbeteiligungen während des 19. Jahrhunderts sind letzten Endes kaum vergleichbar.

Bis zu dem Tag der Amtseinführung Joe Bidens warte ich noch und danach noch exakt einen Monat, dann werde ich Donald Trump bei Twitter entfolgen, und zwar ohne das geringste Bedauern. Ich habe gerade die Zahl seiner Follower überprüft: 88,5 Millionen. Am Tag, an dem ich aufhöre, ihm zu folgen, werde ich nachsehen, wieviele davon noch übrig sind. Ich glaube zwar nicht, daß ich dann das Prinzip "Der letzte macht die Tür zu" anzuwenden Gelegenheit bekommen werde, aber es würde mich überraschen, falls es dann immer noch eine zweistellige Millionenzahl sein sollte. Trumps Tweets sind nun wirklich nicht vernügungssteuerpflichtig. Ich selbst werde ihnen keine Träne nachweinen. Aber weil es mich interessiert, wieviele Follower er als der Loser, der er nun ist, weiter behalten wird, ertrage ich sie noch ein Weilchen länger. 

Daß Donald Trump die Zeit bis zur Amtsübernahme Bidens noch für irgendwelche ernsthaften Schweinereien nutzen wird, daran glaube ich nicht mehr, seit ich seine Reaktionen auf Twitter verfolgen konnte, als sich seine Aussichten im Lauf der Stimmenauszählung immer weiter verschlechterten, denn das wirkte auf einmal bei allem Zorn ziemlich schwächlich. Es war, als wäre er angepiekst worden und schrumpfe nun langsam. Gleichzeitig konnte man auch gut beobachten, daß gewissermaßen die Ratten gerade das sinkende Schiff des US-Präsidenten verlassen und sich auf einmal alle möglichen Leute, die nie einen Pieps gegen ihn gesagt hatte, nun auf einmal zu Kritikern entwickeln. Ich glaube, so viel Widerspruch von republikanischen Parteifreunden wie in diesen beiden Tagen hat Trump die ganzen vorherigen vier Jahre nicht erlebt (mit Ausnahme von John McCain, der aber mittlerweile verstorben ist). Daß US-Sender massenhaft die Übertragung einer seiner Pressekonferenzen beendeten, wie das in der Nacht nach der Wahl geschehen ist, als er behauptete, in Wirklichkeit sei er der Sieger und man versuche, ihm den Sieg zu "stehlen", hat man zuvor auch nicht erlebt. Und daß man das zuvor nie erlebt hat, war auch ein Teil des Problems.

Es ist ja eine Ironie der Geschichte, daß Donald Trump für die linksliberalen Medien, gerade weil er ihnen so feindselig gegenüberstand, eine Art Gottesgeschenk gewesen ist. Die New York Times etwa gewann nach seiner Wahl 2016 so viele Neuabonnenten unter den verstörten Clinton-Wählern, daß sie fürs Erste saniert war. Ich glaube auch, den Politikteil der Zeitung mit Inhalten zu füllen, war noch nie so einfach wie in den letzten vier Jahren, irgendeines unter den zehn bis zwanzig Tweets des Präsidenten taugte ja jeden Tag für einen Aufreger. 

Damit haben die Medien allerdings ungewollt zu Trumps anhaltendem Erfolg unter seiner Anhängerschaft mit beigetragen. Aus den USA stammt nicht von ungefähr die Redensart There is no such thing as bad publicity. Für meinen Geschmack wurde die ganzen letzten vier Jahre lang viel zu viel über Trumps Tweets geschrieben. Unverständlich war mir das vor allem dann, wenn sie haltlose Behauptungen enthielten. Seit wann ist es denn nötig, offenkundigen Unsinn von der Qualität eines "Der Mond besteht aus Käse" wiederzugeben und allenfalls dazu zu ergänzen, Beweise dafür, daß der Mond wirklich aus Käse besteht, habe Trump nicht vorgelegt? 

Ich hoffe, damit wird es ein Ende haben, sobald er das Weiße Haus verlassen hat. Dann kann man anfangen, ihn in die verdiente Vergessenheit versinken zu lassen. Ich kann es gar nicht erwarten, diesen Menschen so gründlich wie möglich zu vergessen. Was ich mir von den US-, aber auch von unseren eigenen Medien wünsche, ist, daß sie sich von diesem Tag an gegenüber Donald Trump an Ludwig Uhlands Ballade "Des Sängers Fluch" orientieren: 

Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch;
Versunken und vergessen! das ist des Sängers Fluch!

Ich habe keine Ahnung, ob Joe Biden der Richtige für dieses Amt ist, aber er macht einen netten, normalen Eindruck, der eines anständigen Menschen, der guten Willen mitbringt, das Richtige zu tun, und er ersetzt einen Präsidenten, der nichts davon ist und nichts davon hat, und wie das keine Verbesserung sein sollte, kann ich mir nicht vorstellen. Irgendwo las ich, Biden sei die Antithese zu Trump. Es war nur eine Überschrift und ich las den zugehörigen Text nicht, deshalb weiß ich nicht, wie das der Autor gemeint hat. Mir fiel dazu aber jedenfalls ein, daß sowohl Trump als auch Biden dem Feindbild der "Woke"-Generation entsprechen: alte weiße Männer. Auch dieses Feindbild verdient es, zurechtgerückt zu werden. Ich glaube, niemand hätte Verständnis dafür, wenn behauptet würde, Biden sei als "alter weißer Mann" Trump gleichzusetzen, und es käme nicht darauf an, welcher von beiden Präsident wurde. In einer Gesellschaft, die so polarisiert ist, ist eine solche Erkenntnis bestimmt heilsam. Ob sie erfolgen wird, muß man abwarten. Daß Biden Kamala Harris als Vizepräsidentin ausgewählt hat, erhöht die Chancen darauf.

Bidens Präsidentschaft wird in jedem Fall sehr viel besser als die erste Amtszeit von Donald Trump gewesen ist und seine zweite Amtszeit gewesen wäre. Gut möglich ist aber außerdem, daß Joe Biden nach der Erfahrung der letzten vier Jahre ein viel besserer Präsident wird, als er oder irgendein anderer demokratischer Bewerber es ohne dieses an Absurditäten so reiche vierjährige Intermezzo gewesen wäre. Wie jeder andere auch hat der künftige US-Präsident die Chance gehabt, daraus seine Lehren zu ziehen. Ich wünsche ihm ein gutes Händchen, sowohl bei Personal- wie auch bei Sachentscheidungen, und das nötige Quentchen Glück dazu.

Freuen wir uns also darauf, uns bald wieder über "normale" Politik ärgern und uns darüber die Köpfe heißreden zu können. Ich stelle mir das nach diesen vier Jahren, in denen man so oft gar nicht mehr wußte, was man sagen sollte, sehr erholsam vor. Merkwürdigerweise habe ich erst, als aus Amiland der weiße Rauch endlich aufgestiegen war, wirklich begriffen, was für eine Zentnerlast mit Trumps Abwahl von mir genommen war, weil ich mich auf einmal richtig federleicht fühlte. Es ist wohl ein Selbstschutzmechanismus der Psyche, um eine Belastung, solange sie anhält, aushalten zu können, daß man erst hinterher merkt, wie schwer sie gewesen ist. Wie muß es dann aber erst einem Amerikaner gehen? 

An dieser Stelle also meine herzlichen Glückwünsche nun auch noch an die Wähler Joe Bidens, denen es jetzt bestimmt ähnlich geht. 

Ehrlich gemeinte Glückwünsche aber auch an die Wähler Donald Trumps. Ich hoffe und wünsche ihnen, daß es Joe Biden gelingt, ihnen das Gefühl zu vermitteln, daheim, willkommen und anerkannt zu sein, und daß ihre Wut im Lauf der nächsten vier Jahre langsam schwindet. Mit Trump hätten sie keine Chance darauf gehabt, sondern ihre Wut wäre immer nur weiter angefacht worden. Auch sie haben es aber verdient, irgendwann einmal einfach ein zufriedenes Leben zu führen, wie wir alle das letztlich ja vor allem wollen.

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