Dienstag, 3. November 2020

Auf Beweise warten oder einfach mal machen?

Mein Gewicht heute früh nach Fastentag 1 von 4: 98,6 Kilogramm. Ich sag's nicht gerne, aber ich bin gestern wie befürchtet mit über 100 Kilogramm in die Woche gestartet, nämlich 100,6 Kilogramm, und ich war außerdem ein bißchen enttäuscht, daß ich gestern "nur" 2 Kilogramm verloren habe; ich hatte aufgrund meiner Erfahrungswerte aus den letzten Monaten etwa ein halbes Kilogramm mehr erwartet. - Soviel also zur Verläßlichkeit von Erfahrungen. Zuverlässig zeigte sich diesmal die negative Erfahrung des Zunahmerisikos im Herbst, unzuverlässig die erwartete Höhe der Abnahme am ersten von mehreren Fastentagen. Es wäre nett, wenn ich auch mal wieder das Umgekehrte erleben dürfte.

Mal schauen, wie es bis zum Donnerstag weitergeht. Falls ich in den vier Tagen insgesamt zwischen 5,7 und 6 Kilogramm verlieren sollte, kann ich fürs Erste zufrieden sein, und in zwei Wochen sehen wir dann in der nächsten 4-Tage-Runde weiter. 

Aus aktuellem Anlaß liegt mir daran, mal wieder ausdrücklich zu erwähnen, daß das, was ich gerade mache, ein Experiment ist, ein Selbstversuch. Ich akzeptiere es, daß ich längere Zeit brauchen werde, bis ich mein Zielgewicht erreicht habe, weil mir nicht nur an der Abnahme als solcher liegt, sondern ich außerdem wissen will, ob Intervallfasten für sich alleine (also ohne Kalorienreduktion, Nahrungsmitteleinschränkungen, Sport oder sonstige Maßnahmen) ausreicht, um bis zum Normalgewichtsbereich abzunehmen. Bis jetzt habe ich keinen Anlaß, daran ernsthaft zu zweifeln, allerdings habe ich zu Beginn des Blogs den benötigten Zeitaufwand unterschätzt. Ebenso hatte ich auch nicht damit gerechnet, daß ich meinen Fastenrhythmus würde modifizieren müssen. 

Aber genau das ist ja auch der Grund, warum ich darüber blogge. Intervallfasten ist gerade in Mode, aber Moden kommen und gehen. Die Frage nach der Wirkung von Intervallfasten für hohe Gewichtsabnahmen und/oder über längere Zeiträume sprengt den Rahmen des bloßen Hypes, und wer weiß, wie viele das Intervallfasten schon enttäuscht aufgegeben haben, weil es eben auch nicht zu halten schien, was es versprochen hatte. Wer also diesen Beitrag liest in der Hoffnung, ein wirksames Modell zum Abnehmen für sich selbst zu finden, der sollte vor allem wissen, daß er - falls seine gewünschte Abnahme mehr als ca. 20 Kilogramm betragen soll - höchstwahrscheinlich über die ersten sechs bis zwölf Monate hinweg sehr erfolgreich sein wird, aber falls sein Zielgewicht dann noch nicht erreicht ist, vermutlich ebenfalls ab einem gewissen Punkt experimentieren muß.

Die von Diäten gewohnte Ursachenforschung ist dabei meiner Meinung nach sinnlos, weil die eigentliche Ursache ein hormonelles Geschehen ist. Was ich jetzt schon sicher sagen kann, ist, daß das Verfahren, durch Fastenintervalle die Insulinausschüttung gezielt zu drosseln, für sich alleine noch nicht ausreicht, um ein schleichendes Nachlassen der Wirkung zu verhindern. Was ich aber außerdem herausgefunden habe: Die Häufigkeit und Dauer der Fastenintervalle zu steigern, verbessert die Wirkung auch nicht dauerhaft. Seit dem Sommer fahre ich mit 10 Fastentagen von 28 besser als in der ersten Jahreshälfte mit 12 bis 14, nur habe ich die Intervalle jetzt anders und ungleichmäßiger verteilt. Vielleicht besteht das Problem ja darin, daß der Stoffwechsel so harmoniesüchtig ist und sich immer um Anpassung an regelmäßige Rhythmen der Energiezufuhr bemüht. Homöostase nennt das der Fachmann. Aber ich bin darauf gefaßt, daß ich noch andere Überraschungen erleben werde, und bereit, nach Wegen zu suchen, mit ihnen umzugehen.

Ich nehme an, die Gewichtsabnahme ist ein positiver Nebeneffekt der eigentlichen Haupt-Wirkung des Fastens auf die hormonellen Gegebenheiten. Dazu las ich gerade eine interessante neue Studie, bei der zwar nicht die Wirkung von Intervallfasten, sondern von Low-Carb-Ernährung auf Diabetes- und Prädiabetes-Patienten untersucht wurde; bei Low Carb kann man allerdings davon ausgehen, daß es aus genau den gleichen Gründen Wirkung zeigt, aus denen auch Fasten wirkt, nämlich durch den positiven Einfluß auf die hormonellen Faktoren, die den Stoffwechsel steuern. 

Das Interessante an dieser Studie ist, daß sie die Erfahrungen eines Arztes mit seinen eigenen Patienten beschreibt, und zwar über einen ziemlich langen Zeitraum von sechs Jahren. Dr. David Unwin fing 2013 damit an, seinen Patienten mit Diabetes oder Prädiabetes eine Ernährungsumstellung auf Low Carb zu empfehlen. Es gelang ihm, etwa ein Viertel von ihnen (knapp zweihundert Personen) dazu zu motivieren, es mit Low Carb nicht nur auszuprobieren, sondern über diesen jahrelangen Zeitraum (mit Unterstützung durch mehrere Beratungstermine und einige Gruppensitzungen pro Jahr) bei der Stange zu bleiben.

Zu seinen Erkenntnissen zählt unter anderem, daß die Patienten mit der schlechtesten Ausgangssituation am stärksten von der Ernährungsumstellung profitierten, indem ihre Blutzucker-Langzeitwerte (der berüchtigte HbA1C-Wert) sich dramatisch verbesserten, und zwar auch bei den wenigen, deren Gewicht stabil blieb oder sogar stieg. Aber fast alle nahmen ab (er schrieb von sieben Patienten, bei denen es nicht klappte), durchschnittlich ca. acht Kilogramm. Aus medizinischer Sicht war die hormonelle Wirkung aber der weitaus wichtigere Teil: Fast 50 % der Diabetes-Patienten konnten alle ihre Medikamente absetzen und kein einziger der Prädiabetes-Patienten entwickelte Diabetes, stattdessen sank der HbA1C-Wert bei mehr als 90 Prozent von ihnen in den Normalbereich. 

Daß diese Patienten die Ernährungsumstellung alleine organisierten und vom Arzt und in den freiwilligen Gruppengesprächen lediglich wenige Male pro Jahr Ratschläge bekamen, verdient hervorgehoben zu werden. Low-Carb-Ernährung ist um einiges komplizierter umzusetzen als Intervallfasten, trotzdem scheint es in der Regel gut funktioniert zu haben, und ein Gegensteuern war nur nötig, wenn steigende HbA1-Werte plus Gewichtszunahme bei den durchschnittlich drei Arztbesuchen pro Jahr auf eine schleichende Zunahme der Kohlehydrate in der Ernährung hindeuteten - ein Faktor, der einfach zu erkennen war. Dr. Unwin setzte also voll und ganz auf die Eigenverantwortung seiner Patienten, und sie waren - anders, als das gerne behauptet wird - überwiegend also sehr wohl in der Lage, damit umzugehen. Ich nehme an, das hatte auch viel mit der "Belohnung" durch die erzielten Erfolge zu tun. Etwas, das funktioniert, fällt immer leichter als etwas, das eigentlich klappen sollte, dies aber nicht tut.

Wie Dr. Unwin schreibt, hat kein einziger neu von ihm diagnostizierter Diabetiker sich in den letzten sechs Jahren für eine Medikation als erstes Mittel entschieden, sondern alle versuchten es anfangs immer mit Low Carb. Nur vier Patienten scheiterten damit und mußten deshalb schließlich doch mit Medikamenten behandelt werden. Da nur knapp über ein Viertel aller seiner Diabetespatienten mit Low-Carb-Ernährung behandelt wird, bedeutet das im Umkehrschluß wohl, daß sich die bereits medikamentös behandelten Diabetiker sehr viel schwerer mit dem neuen Konzept taten.

Spannend fand ich außerdem, daß Dr. Unwin aber auch zwei Fälle erwähnt, in denen es zwar zu einer Abnahme kam, aber nicht zu verbesserten HbA1C-Werten. In beiden Fällen wurde nach möglichen Ursachen gesucht und es wurde jeweils eine zuvor nicht erkannte schwerwiegende Erkrankung entdeckt. 

Die Art, wie Dr. Unwin auf seine bis heute unorthodoxe Behandlungsmethode gekommen ist, verdient eine eigene Würdigung:

My wife Jen and I were on a run in 2012 when we first got the idea of Hope for T2D (type 2 diabetes). I had been inspired by a patient who had put her diabetes into drug free remission by cutting sugar and starchy carbs. I wanted to see if what that patient had done could be replicated, but the practice was overstretched and understaffed. Jen, a clinical psychologist, thought that hope for a better future would be a better motivator than fear and suggested we try a hope based approach, including group consultations.

Inspiriert vom unerwarteten Erfolg einer Patientin - also eine ganz "unwissenschaftliche" Herangehensweise, die vermutlich wenige Ärzte aufgegriffen hätten. Das erinnerte mich wiederum daran, was Nassim Taleb in seiner charakteristischen provokanten Art über die Mund-Nasen-Masken in Zusammenhang mit Corona sagte:

“There is no evidence that masks work”, I kept hearing repeated to me by the usual idiots calling themselves “evidence based” scientists. The point is that there is no evidence that locking the door tonight will prevent me from being burglarized. But everything that may block transmission could help. Unlike school, real life is not about certainties. When in doubt, use what protection you can.

Bei den Masken fiel mir das Zögern der Experten von Anfang an als merkwürdig auf, denn tatsächlich gab es auch für Nichtwissenschaftler überzeugend wirkende nachweisbare tatsächliche Wirkungen der Maskenpflicht, wo immer sie eingeführt wurde, von diversen asiatischen Ländern über Tschechien, das im März der Vorreiter einer Maskenpflicht in Europa war, bis hin zur deutschen Stadt Jena, die Anfang April als erste Stadt in Deutschland eine solche Pflicht einführte: Überall fand sich im zeitlichen Zusammenhang ein Rückgang der Neuinfektionen. Ja, ob die Masken die Ursache sind, läßt sich nicht beweisen, denn alle, die Masken einführten, führten auch irgenwelche anderen Maßnahmen ein. Aber je häufiger die Einführung von Masken mit einem Rückgang der Infektionen einhergeht, desto höher die Wahrscheinlichkeit, daß sie wenigstens für einen Teil der Wirkung verantwortlich sind. Und das, obwohl sämtlich Bedenken der Bedenkenträger - etwa ein falsches Sicherheitsgefühl der Maskenträger - ja auch schon mit einkalkuliert werden muß. Ab einem bestimmten Punkt braucht es da einfach keinen wissenschaftlichen Beweis mehr. Es ist der Erfolg, der der Maßnahme recht gibt.

Die Leute auf der Straße reagierten in diesem Punkt viel abgeklärter als Dr. Wieler vom RKI und der Großteil der weiteren Fachleute und handelten spontan nach dem Prinzip, zu dem Taleb rät: Spätestens mit Beginn des ersten Lockdowns nahm die Zahl der Maskenträger auf der Straße exponentiell zu. Da Masken knapp waren, nähten sie sie einfach selbst. Überall im Web fanden sich Nähanleitungen für Stoffmasken, lange bevor die Fachwelt und die Politik dann auch schließlich umschwenkten und mehr oder weniger übergangslos aus dem Abraten vom Maskentragen von jetzt auf gleich eine Maskenpflicht wurde.

So ähnlich sehe ich das auch mit Diabetes und unorthodoxen Behandlungsmethoden: Es ist doch letztlich scheißegal, WARUM sie funktionieren, WENN sie funktionieren. Als Patient würde ich es mir verbitten, von meinem Arzt sofort nach der Diagnose eine konventionelle Diabetesbehandlung mit Medikamenten angeboten zu bekommen. Falls Low Carb oder Fasten mir doch nicht helfen sollte, laufen mir die Medikamente doch nicht weg. Ich kann beim besten Willen keinen Schaden erkennen, den es anrichten können sollte, wenn man sich dafür entscheidet, erst einmal zwei, drei Monate lang Low Carb oder auch Intervallfasten auszuprobieren und dann zu prüfen, welche Wirkung es auf die Blutwerte hatte. 

Was ist dann aber besser, Low Carb oder Intervallfasten? Diese Frage ist letztlich falsch gestellt. Low Carb ist Intervallfasten für Leute, die es nicht aushalten, eine Mahlzeit auszulassen, und Intervallfasten ist Low Carb für Leute, die - wie ich - nicht auf Kohlehydrate verzichten möchten. Irgendwo las ich mal, der Effekt von Intervallfasten sei höher als der von Low Carb, was auch einen Sinn ergeben würde (Low Carb vs. gar kein Carb!), aber letztlich kommt es wohl vor allem darauf an, was von beidem sich besser mit den eigenen Lebensgewohnheiten vereinbaren läßt. Und wenn jemand sich beides überhaupt nicht vorstellen kann, aber dafür, komplett auf Zucker zu verzichten, sollte auch das schon eine Wirkung haben, die möglicherweise für sich alleine genommen ausreicht. Sogar der bloße Verzicht auf Zwischenmahlzeiten sollte schon einen gewissen Effekt haben.

Entscheidend ist aber, daß man einen Riesendusel benötigt, um einen Arzt zu haben, der einem eines von beidem - egal, welches davon - empfiehlt. Low Carb oder Intervallfasten als Mittel gegen Diabetes, statt zum Abnehmen, das muß sich erst noch durchsetzen. Mein Beinahe-Stiefvater (also der Freund meiner Mutter) ist langjähriger Diabetiker und hat Intervallfasten in Eigenregie gegen den Willen seines Arztes und sehr, sehr vorsichtig mit etwas zu kurzen Fastenintervallen von 14 Stunden ausprobiert - vielleicht war das zu vorsichtig, denn bei ihm blieb die Wirkung aus. Aber natürlich fehlte da auch das Interesse und die aktive Beteiligung seines Arztes. Das Problem besteht bei bereits bestehendem Diabetes ja auch darin, daß viele der Medikamente, vor allem zugeführtes Insulin, die Wirkung wieder aushebeln. Wie man an Dr. Unwin und ebenso an Dr. Fung sieht, gelingt es in vielen Fällen trotzdem. Wenn jemand aber eine neue Diagnose bekommt und noch gar keine Medikamente nimmt, ist die Situation natürlich noch viel günstiger. Wenn ich der zugehörige Patient wäre, würde ich meinen Arzt wohl vor vollendete Tatsachen stellen und ihm sagen: Ich werde das soundso machen. Ob ihm das paßt oder nicht. Auf diese Weise sichert man sich von seiner Seite eine engmaschigere Kontrolle. 

Und bei der Diagnose Prädiabetes kann ich jedem empfehlen, auf alle anderslautenden ärztlichen Empfehlungen zu pfeifen und einfach mal zu machen. Denn wahrscheinlich wird es funktionieren und falls es doch nicht funktionieren sollte, hat man mit Sicherheit noch keinen Schaden damit angerichtet. Prädiabetes ist ja noch keine behandlungsbedürftige Krankheit (obwohl die Pharmaindustrie das gerne anderes hätte), sondern ein Warnsignal. 

Einfach mal machen, das ist meine klare Empfehlung, wenn das Risiko, das man damit eingeht, gering oder gar nicht vorhanden ist. Das gilt natürlich auch für die Masken - oder für die Luftbefeuchtung bei trockener Heizungsluft.




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen