Freitag, 29. August 2025

Baut Archen - aber vergeßt nicht, auch die Badehose einzupacken!

Mein Gewicht heute früh nach dem vierten von vier aufeinanderfolgenden Fastentagen: 72,8 Kilogramm. Damit bin ich ungefähr da, wo ich hinwollte, und zu meiner heimlichen Erleichterung begann ich am Montag mit 78,4 Kilogramm. Damit sollte die Gefahr, daß die 80 noch irgendwann vor der LC-Phase überschritten wird, gebannt sein, und danach ist ja sowieso nicht mehr damit zu rechnen. Daß es aber ausgerechnet diese symbolträchtigsten Schwellen sind, deren dauerhaftes Überschreiten immer besonders lange dauert! Der Urlaub war der Zeitraum, bei dem ich mir besonders unsicher in diesem Punkt war. Jetzt liegt mein Gewicht also ungefähr 2 Kilo unterhalb dessen, was ich vor einem Jahr gewogen habe. Das ist ein guter Ausgangspunkt, um nun endlich wirklich bis zum Ende der beiden LC-Phasen Vollzug melden zu können, daß also mein Zielgewicht von 73,5 Kilogramm (vor dem Fasten und mindestens eine Woche nach dem Ende einer LC-Phase) erreicht ist.  

Daß es neun Jahre dauern würde, um an diesen Punkt zu kommen, hätte ich, als ich mit dem Blog begonnen habe, nicht erwartet. Aber erstens habe ich anfangs nicht erwartet, daß sich auch bei einem insulinbasierten Ansatz wie Fasten die Abnahme im Lauf der Zeit so massiv reduziert, und mußte deshalb herumprobieren und mein Vorgehen modifizieren. Zweitens ist natürlich auch der Leidensdruck umso geringer geworden, je näher dran am Zielgewicht ich war. Drittens hatte ich mit der Chemotherapie und dem Hauskauf/Umzug/den Wohnungsverkäufen zwischendurch vordringlichere Sorgen, auf die ich mich konzentrieren mußte. Aber jetzt ist es langsam genug, ich will bis nächsten März nun wirklich mal "Fertig!" sagen können. Optimistischerweise gehe ich also davon aus, daß ich in den kommenden Monaten so wenig andere Sorgen haben werde, daß ich dieses Ziel nunmehr in den Vordergrund rücken kann, das seit meiner Krebsdiagnose im Herbst 2022 ja immer nur irgendwie nebenher lief. 

Frühjahr/Sommer 2024 und 2025 haben mir außerdem gezeigt, daß ein Fastentag die Woche plus jede vierte Woche drei Fastentage nicht ausreicht, um das Gewicht in etwa zu halten bzw. über den Sommer die Zunahme auf maximal ein bis zwei Kilo zu beschränken, wie ich das gerne hätte. Also werde ich wohl im März mit dem Schema 2-2-2-3 beginnen. Ich denke außerdem darüber nach, dann an Fastentagen abends einen halben Liter Fleischbrühe zu trinken. Mancher erinnert sich vielleicht ja noch daran, daß ich Fleischbrühe schon einmal eingebaut hatte und zu meinem Erstaunen feststellte, daß dies das Fasten eher unangenehmer machte. Deshalb habe ich das nie wiederholt. Jetzt habe ich mir aber überlegt, daß Fleischbrühe direkt vor dem Schlafengehen möglicherweise diesen Effekt, daß mein Stoffwechsel meint, er müsse von mir unbedingt und ungeduldig "mehr!" verlangen, nicht haben wird bzw. ich im Schlaf halt nichts davon merke und es morgens wieder vorbei ist. Bei eintägigen Fastenintervallen spielt das an sich auch sowieso keine Rolle, aber halt bei den dreitägigen. 

Was ich mir davon verspreche, ist eine realistischere Gewichtseinschätzung nach Fastentagen, weil ich auf diese Weise weniger Wasser verliere. Das hat den Nebeneffekt, daß das Risiko von Muskelkrämpfen, das im Moment besteht und mich ein wenig nervt, auch wenn es beherrschbar ist, damit wahrscheinlich ganz erledigt wäre. Im Moment ist mir die unrealistische Zahl von heute aus psychohygienischen Gründen allerdings noch lieber gewesen, deshalb fange ich damit wohl erst an, wenn ich wirklich am Ziel angekommen bin.  

*** 

"Warum viele Menschen Gesundheitsinformationen meiden" behauptete das Ärzteblatt in der Überschrift zu seinem Bericht über eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung nunmehr zu wissen. 

Präziser gesagt ging es um die Frage, warum Vorsorge, Früherkennung oder Checkups bei möglichen schweren Krankheiten vermieden und Arztbesuche bei verdächtigen Symptomen verzögert werden. Als Informationsvermeidung definierten die Autoren dabei „jede Form von Verhalten, die darauf abzielt, die Beschaffung verfügbarer, aber potenziell unerwünschter Informationen zu verhindern oder zu verzögern“.

Immerhin ungefähr ein Drittel verhält sich so, speziell bei Krebs sind es 29 Prozent. Es ergab sich, daß es zwischen Männern und Frauen keine Unterschied gab, was immerhin bemerkenswert ist, da Frauen eigentlich ein anderes Verhalten in Gesundheitsfragen nachgesagt wird. Ebenso gab es keine ethnischen Unterschiede. Als sogenannte "Prädiktoren" wurden 16 andere Faktoren ermittelt, darunter die bedeutsamsten (dies direkt aus dem Studienvolltext, weil mir die Wiedergabe im Ärzteblatt mißverständlich schien):

  • information overload (r = 0.26) (im Ärzteblatt als "kognitive Überforderung" bezeichnet - halte ich aber für falsch, das suggeriert, daß es an den geistig armen Patienten liegt, wenn sie überfordert sind. Tatsächlich halte ich den Overload aber wg. persönlicher Erfahrungen für einen von außen erzeugten realen Overload. Präventionsstrategen ballern ihre Angstmachkampagnen ja immer nach dem Prinzip "Viel hilft viel"heraus) 
  • perceived stigma (r = 0.36), (Furcht vor Stigmatisierung)
  • self-efficacy (r = −0.28), (Selbstwirksamkeit - es hat sich mir aber nicht genau erschlossen, was damit gemeint ist)
  • and trust in the medical system (r = −0.25).Also fehlendes Vertrauen das medizinische System.

Erwähnen könnte man außerdem, daß es sich bei dieser "Studie" um eine Auswertung von bereits längst publizierten anderen Studien handelte, von denen die älteste, wenn ich mich nicht irre, 1992 publiziert wurde. Es wurde also niemand neu befragt oder untersucht. 

Im Großen und Ganzen deckt sich dieses Ergebnis aber ganz gut mit dem, was ich höchst unwissenschaftlich ebenfalls vermutet hätte. Erwähnen könnte man zusätzlich auch noch, daß eine ganze Menge Leute von vornherein vermeiden, sich mit Krankheiten wie Krebs überhaupt zu befassen, wenn und solange es irgend möglich ist, erkennbar gut daran, daß man dauernd die albernsten Klischees zu hören bekommt, wenn das Thema doch mal zur Sprache kommt. Das spielt aber bis zu einem gewissen Grad auch bei "Stigma" mit rein, denn wer Krebs hat, der trägt ja eine Art Kainszeichen, weil die Vorstellung, daß man an einer Krebserkrankung selbst schuld sei, zwar nirgends so verbreitet wird, aber in den Köpfen der Leute kommt es halt doch genauso an. Außerdem halten eine Menge Leute Krebskranke für sichere Todeskandidaten, während in Wirklichkeit bei Krebs im nicht metastasierten Stadium häufig die weitere Lebenserwartung durchaus wieder in etwa in den Normalbereich gebracht werden kann. 

Tatsächlich wundert es mich sogar, daß das Mißtrauen in das medinizische System nicht noch viel höher ist.  Aber wer weiß, vielleicht würde es sich heute ja als der wichtigste Faktor herausstellen, wenn man sich mal mit den Patienten des Jahres 2025 befassen würde. 

Kurz, diese Arbeit ist ganz interessant, geht m. E. aber ein wenig am Thema vorbei, das man beackern müßte, wenn das Ziel darin besteht, daß mehr Leute Früherkennungsmaßnahmen in Anspruch nehmen oder sich generell schneller informieren, wenn sie den Verdacht haben, eine schwere Krankheit zu haben. Was komplett fehlt, ist die Überlastung durch Alltagspflichten. Ich habe Wochen gebraucht, um meinen Entschluß, meine erhöhte Infektanfälligkeit mal untersuchen zu lassen, in die Tat umzusetzen, und zwar nicht, weil ich mir Sorgen wegen des Ergebnisses gemacht hätte, sondern weil mein Hausarzt telefonisch so schlecht zu erreichen ist und ich deshalb, um einen Termin zu bekommen, erst mal hinfahren mußte. Um mir für solche Zeitfresser jederzeit Zeit nehmen zu können, muß ich wohl wirklich erst mal in Rente sein. 

***

Irritierenderweise beschäftigt mich gerade der Zustand dieses Landes mehr, als ich das eigentlich möchte, meine fatalistische Bystander-Rolle - die ich mir in meiner vergleichsweise hohen Sicherheit als Besitzerin eines abbezahlten Hauses, ausreichender Altersvorsorge sowie eines Gemüsegartens und nicht zuletzt eines wachsenden Netzwerks an Nachbarschaft, das mich vermutlich im äußersten Fall auch noch ein Stück weit mittragen würde, eher als viele andere leisten könnte - fällt mir aktuell ein bißchen schwer.  

Einer Sache bin ich mir inzwischen leider ziemlich sicher: Unsere aktuelle Bundesregierung war ein tieferer Griff ins Klo, als ich ohnehin erwartet hatte. Nie hätte ich es allerdings auch über mich gebracht, eine der Parteien der Vorgängerregierung zu wählen, die ja ebenfalls gar nicht überzeugend war. Aber daß ich keine der jetzigen Regierungsparteien gewählt habe, ist mir ebenso wie zuvor bei der Ampel eine gewisse Erleichterung. Im Moment ist Nichtwählen für mich die einzige denkbare Option, alle theoretisch wählbaren Parteien machen dieselben Grundfehler, die die Populismus-Misere miterzeugt haben. Daß es mit der jetzigen Regierung voraussichtlich noch schneller in den Abgrund gehen wird, ändert daran nicht so viel, daß es für mich ein Grund sein müßte, es zu bedauern, nicht mit meiner Stimme zu einer anderen Regierung beigetragen zu haben. Also übe ich mich in diesem Punkt doch wieder in Fatalismus, aber ich bemühe mich, das nach dem guten alten österreichischen Prinzip "Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst" zu tun. Oder, wie EAV einst sang: "Pack die Badehose ein, die Sintflut ist da!" Es hat ja keinen Sinn, sich psychisch von einer Sache runterziehen zu lassen, die man sowieso nicht ändern kann. 

Im Prinzip habe ich mich nämlich schon jetzt damit abgefunden, daß die nächste Bundesregierung eine mit AfD-Beteiligung sein wird. Neuerdings verfolge ich auf Wahlrecht.de die Ergebnisse der Sonntagsfragen, um zu sehen, ob die Entwicklung in die von mir vermutete Richtung geht oder ich vielleicht ja zum Glück doch Unrecht habe. Momentan ist die AfD an der CDU - je nach Umfrageinstitut - teils bereits vorbeigezogen, teils ist sie nahe dran. Und meiner Meinung nach ist das erst der Anfang. Wie kann man eigentlich so verblödet sein, diese Sozialstaat-Abholzungs-Debatten mit ihrer Aufhetzerei aller möglichen Bevölkerungsschichten gegeneinander einfach frei laufen zu lassen, anstatt wenigstens den Versuch zu machen, sie ein wenig zu steuern? Und zwar so, daß den Populisten nicht automatisch neue Wähler zugetrieben werden?

Daß es den Medien natürlich nie kontrovers genug sein kann, ergibt sich aus der inneren Logik ihres Geschäftsmodells. Ich bin schon lange fest davon überzeugt, daß von Tagesschau bis Spiegel, Zeit und FAZ jedes Medium im Zweifelsfall eher einen Krieg oder Bürgerkrieg auslösen würde, als auf sensationelle Panik erzeugende Schlagzeilen zu verzichten. Selbstverständlich fallen bei jeder dieser Debatten wieder ein paar weitere Wähler vom demokratischen Wagen, da Panik, wie jedermann auch weiß, noch nie ein guter Ratgeber gewesen ist. Falls Friedrich Merz genau dieses Ziel verfolgen sollte, nämlich möglichst viele Wähler ins Lager der Populisten zu treiben, macht er gerade genau das Richtige mit seinen Ausfällen gegen Bürgergeld-Aufstocker mit Teilzeitjobs, von seinen Einlassungen gegen andere benachteiligte gesellschaftliche Gruppen gar nicht erst anzufangen. Und es gibt auch keinen erkennbaren Versuch, die Kakophonie von Kürzungsforderungen aus der Wirtschaft wieder einzufangen, ein bißchen zu steuern und in einen Rahmen einzubetten. Denn daß irgendwo gekürzt werden muß, ist ja sicher. Das wird den davon Betroffenen natürlich auch dann nicht gefallen. Aber wenn man den Sinn innerhalb eines grundsätzlich akzeptierten Rahmens erkennen kann, ist es noch eher zu verkraften. 

Dieser Rahmen fehlt allerdings. Der einzige Rahmen, den man erahnen kann, ist die Logik gewinnerzielender Unternehmen, und die paßt auf die Bürger einer Gesellschaft nicht, weil ihre Priorisierungen dazu nicht passen.  

Alleine Marcel Fratzschers "Rentner-Reichsarbeitsdienst"-Vorschlag - auch wenn er nicht den Hauch einer Aussicht hat, wirklich umgesetzt zu werden - wird der AfD meiner Meinung nach mindestens einen Prozentpunkt mehr Wähler verschaffen, und zwar vor allem in meiner Altersgruppe. Aber sollte er doch einmal umgesetzt werden, dann wünsche ich Herrn Fratzscher hiermit ausdrücklich eine Pflege, die aus Rentnerarbeitsdienstlern besteht, und zwar ohne jede zusätzliche Fachkraft, denn es liegt ja auf der Hand, daß ein solches Modell dazu führen würde, teure Fachkräfte einzusparen, egal wieviele und wie heilige Eide der Fratzscher schwört, daß dies nicht die Intention seinens Vorschlags gewesen sei. 

Meine Altersgruppe hat handfeste Gründe, sich von Fratzscher persönlich angegriffen, aber auch bedroht zu fühlen. Es ist ja schon ein Nachteil, länger als die heute Achtzigjährigen arbeiten zu müssen, um die reguläre Rente in Anspruch zu nehmen. Bei Frauen fällt das noch stärker ins Gewicht, denn bis zur Rentenreform der Schröderregierung 1999 lag ihr Ruhestandsalter bei 60 Jahren. Erst die Geburtsjahrgänge ab 1953 arbeiteten dann ebensolang wie Männer. Eingesehen haben die Rente mit 67 als Regelfall aber trotzdem alle, jedenfalls gab es keinen größeren Widerstand dagegen. Das zusätzliche Pflichtjahr wurde aber außerdem mit ziemlich unfairen und noch dazu inhaltlich völlig abwegigen Milchmädchenrechnungen begründeten persönlichen Vorwürfen gegen meine Generation garniert. Ignorant, selbstbezogen und naiv sollen wir gewesen sein und uns durch die Produktion von zu wenigen Kindern unserer Verantwortung verweigert haben. 

Das letzte ist so bescheuert, daß ich mich nicht mal darüber ärgern kann, sondern darüber staune, daß Fratzscher ja auch schon viel zu alt ist, um ihn als PISA-Opfer bemitleiden zu können. Hier fehlen alle Ansätze von Denken in Zusammenhängen.

Nicht einmal mit einer Geburtenrate wie in den sechziger Jahren hätte man nämlich ausgleichen können, daß seinerzeit viel weniger Rentner mitzuversorgen waren, erstens, weil die Lebenserwartung niedriger war, und zweitens, weil zwei Weltkriege die betreffenden Altersgruppen natürlich auch ausgedünnt hatten. Gleichzeitig würde eine dauerhaft so hohe Geburtenrate wie in den sechziger Jahren natürlich zu genauso massiver zusätzlicher Arbeitslosigkeit führen wie zu der Zeit, als wir damals ins Berufsleben eingetreten sind. Aber ebenso noch einmal zu der Zeit, als mein Sohn das tat und unsere Kinder - weniger als wir, aber immer noch mehr, als das Ausbildungssystem verlangte - in Ausbildung und Hochschule drängten. Hätten wir doppelt so viele Kinder gehabt, wäre das Elend Mitte der Nuller Jahre noch schlimmer geworden. Und hätten die ebenfalls so viele Kinder gehabt, wäre es bis heute dauerhaft bei dem Elend geblieben, weil dann der demographische Faktor den Arbeitsmarkt nicht zugunsten der Bewerber verändert hätte. 

Es ist also in Wirklichkeit gar nicht wahr, daß die Kinder unserer Kinder unseretwegen nichts als Nachteile zu erleiden haben. Die heutigen Berufseinsteiger, die Generation, der meine Enkel angehören würden, wenn ich nur welche hätte, hat es viel leichter als die Generation meines Sohnes, und ebenso wie meine Generation. Sie nimmt das halt als Selbstverständlichkeit. 

Neuerdings hat sich für meine Altersgruppe, die zuvor als "geburtenstarke Jahrgänge" bezeichnet worden war, die Bezeichnung "Boomer" eingebürgert. Eigentlich ist dieser Begriff ja wertneutral, obwohl er von den meisten, die ihn verwenden, nicht wertneutral verwendet wird. Ein genau umgekehrtes Beispiel liegt mit dem Wort Neger vor, für dessen Verwendung ich heute öffentlich gesteinigt werde, falls mein Blog den falschen Leuten zu Gesichte kommt. Das war einmal auch in der Verwendung wertneutral, es kommt in den seriösesten Veröffentlichungen wertneutral vor, und zwar bis in die neunziger Jahre hinein. Die Wortneuschöpfung Boomer dagegen könnte zwar neutral sein, wird aber in der Regel abfällig verwendet, und das umso begeisterter, je weiter die Verwender sich altersmäßig noch von uns entfernt fühlen. Das würde dieses Wort eigentlich zu einem guten Beispiel machen, wie man konstruktiver als die üblichen Kämpfer gegen böse Wörter mit Begriffen, die beleidigend gemeint sind, umgehen kann, wie das etwa der Schwulenbewegung auch geglückt ist, denn "schwul" war früher ja auch beleidigend gemeint. Ich fürchte allerdings, das wird nicht gelingen, wenn die damit Gemeinten weiterhin ständig kopfscheu gemacht werden und sie dies mit dem Wort "Boomer" untrennbar verknüpft erleben. 

Ich nehme an, es wird meine Generation sein, die uns nach der nächsten Bundestagswahl eine Regierung mit AfD-Beteiligung verschaffen wird. Und nein, darauf freue ich mich gar nicht.  

So sah die Altersverteilung der AfD-Wähler bei der diesjährigen Bundestagswahl aus:  

Das ist übrigens ganz interessant, denn diese Altersverteilung - bei freilich sehr viel geringerem Wähleranteil der AfD - ist seit 2013 in etwa gleich geblieben - obwohl die Befragten von 2013 seitdem überwiegend in eine höhere Altersgruppe gerutscht sind: 

 

Den höchsten Zuwachs gab es mit stolzen 20 Prozentpunkten bei denen, die 2013 der Altersgruppe 25-34 angehört hatten, was mich nicht im geringsten wundert, denn das ist natürlich die Generation, die zu Agenda-2010-Zeiten, ab 2005, in Ausbildung, Studium und/oder Berufsleben eingestiegen ist. Ich habe damals live bei meinem Sohn miterlebt, was das bedeutete, und schon damals dachte ich, daß beträchtliche Teile dieser Generation so traumatisiert würden, daß sich das eines Tages noch rächen werde. "Eines Tages" ist jetzt vielleicht gekommen. 

Ich betätige mich nunmehr ein weiteres Mal als Prophet und behaupte: Der nächste Anstieg der AfD-Wähler wird in den Altersgruppen über 50 am höchsten ausfallen. Die Altersgruppe 45-59 wird bei der nächsten Bundestagswahl deutlich die meisten AfD-Wähler enthalten, gefolgt von der Altersgruppe 60 bis 69. Jedenfalls dann, wenn nicht damit aufgehört wird, denen, die weniger als zehn Jahre bis zum Renteneintritt haben, zu vermitteln, man werde ihre wirtschaftliche Verwertung so lange weiterbetreiben, bis sie zu krank dafür geworden sind, ohne jede Chance, noch einige gesunde Jahre mit eigenen Inhalten zu füllen. 

Es spielt dabei außerdem keine Rolle, ob das Fratzscher-Szenario wirklich zu befürchten wäre oder nicht. Das Kopfkino, das dabei ausgelöst wird, ist für sich alleine ausreichend, um die Gewißheit, am Ende sei doch ein demokratischer Rechtsstaat eine unverzichtbare Grundlage für das eigene Wohl, auch dann, wenn man mal nicht mit ihm zufrieden ist, in dieser Generation nachhaltig zu erschüttern. Es ist ja blühender Blödsinn, zu behaupten, uns wäre es viel besser gegangen, als wir so alt waren wie heutige Zwanzigjährige. Wir hatten bloß andere Probleme, die sie heute nicht haben (siehe oben), die uns aber nicht weniger belastet haben.  

Diejenigen unter den sogenannten Boomern, die einen nachvollziehbaren Grund haben, sich sowieso benachteiligt zu fühlen, werden vermutlich besonders häufig vom Glauben an einen Staat abfallen, der sie gleichzeitig noch beschuldigt, dumm und faul zu sein. Das sind vor allem Frauen, denn die weibliche Hälfte meiner Generation ist vielfach - und damals auch politisch gewollt - nach der Familiengründung für lange Zeit und oft genug auch dauerhaft aus ihren beruflichen Bezügen herausgefallen. Das gilt nicht nur für die, die in der Minijobfalle steckengeblieben sind, sondern auch für diejenigen, deren berufliche Laufbahn im niedriger bezahlten Bereich herumdümpelte, weil sie keine andere Wahl hatten, als nach Ablauf des damals so genannten Erziehungsurlaubs zu kündigen, weil es vielen unmöglich war, eine Kinderbetreuung zu finden. 

Es gilt aber auch für alle, die in meiner Altersgruppe nach 2004 ihren Job verloren haben und sich beruflich neu orientieren mußten. Das führte nämlich zu oft viele Jahre langen Niedriglohnphasen, teils in Teilzeit, die sich selbstverständlich in einer geringeren Rente niederschlagen werden. Vor allem dann, wenn man das Vorher-Einkommen lange oder überhaupt nicht mehr wieder erreichte. Mein Mann gehört zu denen, die nach beschissenen 90erjahren mit Niedriglohn im Osten eine noch üblere Hälfte der 2000er erlebte, was man bis heute an seinen Rentenansprüchen ablesen kann. Trotzdem gehört er auch zu denen, die unter dem Strich noch Glück gehabt haben. Nicht nur, weil er eine vermögende Frau hat, sondern auch, weil die fast zwanzig Jahre in seinem jetzigen Arbeitsverhältnis dazu geführt haben, daß sein Einkommen jetzt ganz ordentlich und ungefähr auf Augenhöhe mit meinem ist. Aber daß er sich in jungen Jahren durch die Nachtschichtjahre beim Wachdienst für immer seinen Schlaf-Wach-Rhythmus versaut hat, und das für einen aberwitzig niedrigen Stundenlohn, daran ändert das halt auch nichts. 

Damit genug von diesem Thema, obwohl ich noch stundenlang weitermachen könnte. Jedenfalls, die Bundesregierung verhält sich extrem ungeschickt, und das Personal macht mir nicht den Eindruck, als wäre es intellektuell imstande, zu erfassen, was sie damit anrichtet. Es wird also wohl Zeit, Archen zu bauen - und dabei nicht vergessen, auch die Badehose einzupacken. ;-)  

 ***

So, und jetzt wirds hochphilosophisch, fast schon theologisch. Ich las nämlich kürzlich über Blaise Pascal (1623–1662), einem französischen Mathematiker, Physiker und Philosophen, daß nach seinem Tod in seinem Gehrock eine eingenähte Notiz gefunden wurde, auf der stand: "Feuer. Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Philosophen und Gelehrten. Gewißheit, Gewißheit, Gewißheit, Empfinden: Freude, Friede. Der Gott Jesu Christi." Diese Notiz soll er unter dem Eindruck eines intensiven religiösen Erlebnisses geschrieben und so bedeutsam gefunden haben, daß er sie immer bei sich tragen wollte. 

Ich glaube, ich weiß, was für eine Art Erlebnis das war, denn ich habe vor etlichen Jahren etwas erlebt, bei dem ich immer dachte: Wer an Gott glaubt, für den wäre das eine Gotteserfahrung gewesen, die seinen Glauben auf ein ganz anderes Niveau gehoben hätte. Dabei ist gar nicht so leicht zu beschreiben, was das für ein Erlebnis war, eigentlich ist nämlich gar nicht viel passiert und es dauerte nur Sekunden. Es war während eines ganz normalen Arbeitstags am Schreibtisch, als ich nach einem Telefonat aus dem Fenster sah und auf einmal dieses Gefühl hatte, auf eine kaum zu beschreibende Art fundamental richtig zu sein - die richtige Person am richtige Ort und in der richtigen Zeit, aber so ausgedrückt klingt es zu banal. Es war umfassender, als hätte gerade Gott, die Welt, das Schicksal oder was auch immer mir als Ganzem in allen meinen Facetten ein nachdrückliches "Ja" zugerufen. Es war ein Gefühl, getragen oder gehalten zu sein.  

Das hat noch lange in mir nachgehallt, aber irgendwann habe ich es aufgegeben, es jemandem beschreiben zu wollen, weil es unmöglich ist, jemandem zu vermitteln, wie das war - und vor allem: was es nicht war. Es hat beispielsweise nichts mit einem "Flow"-Zustand zu tun, den kenne ich auch, der passiert mir häufig, vor allem, so kurios das klingt, beim Fensterputzen. Mit dem, was ich gerade tue, eins sein, das erlebe ich öfter, auch wenn ich mich nicht bemühe, es aktiv herbeizuführen. Dies hier erlebte ich nur einmal und es was etwas anderes. 

Ich glaube jedenfalls der Beschreibung und seiner Reaktion nach, so etwas wie mir ist Blaise Pascal auch passiert. 

Was genau dieses Erlebnis ausgelöst hat, das herauszufinden war mir aber nie wichtig. Es fühlte sich gut an und tut das immer noch, wenn ich daran denke. Warum sollte das nicht genügen? Ob das jetzt aus mir kam oder von außer mir, das muß ich doch nicht unbedingt wissen. Zur Gottesfrage habe ich nämlich folgende pragmatische Lösung gefunden: Sollte es einen Gott geben und dieser Gott findet es wichtig, daß ich weiß, daß es ihn gibt, dann wird er schon Mittel und Wege finden, mir seine Existenz unmißverständlich kundzutun. Bislang ist das nicht geschehen - auch mein Erlebnis kann ganz andere Ursachen haben -, also mache ich mir um die Sache keinen Kopf, weil es die Mühe nicht lohnt, an Fragen herumzuknobeln, die auf dem Verstandesweg sowieso nicht beantwortbar sind, weil Gott nun einmal weder beweis- noch widerlegbar ist. Ich komme mit der Arbeitshypothese, daß es ihn nicht gibt, gut genug durchs Leben, aber er müßte mich auch nicht möglichst theatralisch von einem Blitz erschlagen lassen, um mich vom Gegenteil zu überzeugen. 

Aber wenn Gott es wirklich ernst damit meint, mich überzeugen zu wollen, dann kommt er in der äußeren Gestalt von Morgan Freeman. Seit ich den - eigentlich sonst gar nicht so guten - Film "Bruce Allmächtig" gesehen habe, finde ich nämlich, Gott SOLLTE, falls es ihn gibt, aussehen wie Morgan Freeman in diesem Film.  



Donnerstag, 14. August 2025

Die schwerbehinderte Baumschubserin

Mein Gewicht heute früh zu Beginn des zweiten von zwei nicht zusammenhängenden Fastentagen diese Woche: 77,2 Kilogramm. Das ist absolut in Ordnung in der zweiten Urlaubswoche. Sollte ich am Ende der dritten immer noch unter 78 Kilo sein, wäre ich mehr als zufrieden, aber ich ahne schon, daß ich dann wieder einen Tick darüber liegen werde. 

Meine Gewichtsschwankungen - sowohl vom Morgen bis zum Abend wie auch über Nacht bis zum nächsten Morgen, unabhängig davon, ob ich gerade faste oder nicht - sind, rückblickend betrachtet, schon seit der Chemo viel schwerer vorherzusagen als davor. Das hat in den letzten Monaten sicherlich auch etwas damit zu tun, daß ich seit dem Frühjahr mit einer erhöhten Infektionsanfälligkeit zu tun habe, die mich, weil ich meinem Empfinden nach deutlich zu viele Tage mit Problemen und dafür viel zu wenig normale hatte, genügend beunruhigt hatte, um vor ca. einem Monat nach fast zwei Jahren mal wieder meinen Hausarzt aufzusuchen. Ein Blutbild ergab nichts Ungewöhnliches, nur das Vitamin D war zu niedrig - also nehme ich jetzt wieder Vitamin D. Tatsächlich wurde es danach zu meiner Überraschung praktisch auf der Stelle besser, aber das kann auch wetterbedingt gewesen sein, denn das war ja die Phase mit der großen Hitze. Als es kälter wurde, war es prompt sofort wieder schlechter, allerdings bilde ich mir ein: Es ist seitdem immer noch besser als vor dem Start mit dem Vitamin D, und das ist wohl ein guter Grund, um dabei zu bleiben. Da das Wetter jetzt wieder heiß ist, ist es mit dem Infektionsproblem auch jetzt wieder besser geworden, aber eben nicht so gut, wie es eigentlich sein sollte. Und ich weiß immer noch nicht so genau, ob ich dagegen etwas Sinnvolles tun kann oder nicht, und wenn ja, was das sein könnte. 

Immerhin, gestern hatte ich nach mehreren Jahren endlich mal wieder einen Termin beim Augenarzt vereinbart, und ich habe es im Wartezimmer auf dem Platz direkt neben der mobilien Klimaanlage keine zehn Minuten lang ausgehalten, sondern mußte mich wegsetzen, weil ich andernfalls heute bei der Hitze womöglich mit Rotznase, Husten und Schädelweh im Bett hätte verbringen müssen. Im Frühjahr wäre mir das vermutlich auch nach nur wenigen Minuten in der eiskalten Zugluft passiert, aber heute war zum Glück alles normal bei mir. Vielleicht war es einfach nur Glück. Aber vielleicht habe ich das tatsächlich dem Vitamin D zu verdanken. 

Die beiden Termine bei meinem Hausarzt ließen mich insgesamt ziemlich unzufrieden zurück. Irgendwie ist er ziemlich komisch geworden, seit ich Krebs hatte. Davor hatte ich bei jedem Termin immer das Gefühl, einen Draht zu ihm zu haben, er hörte zu, nahm sich Zeit und ging auf das ein, was ich sagte. Seit der Krebsdiagnose habe ich aber den Eindruck, daß er mir nur noch Standards zu sagen hat, die er allen sagt, die mit Krebs zu tun haben oder hatten. Das irritiert mich. 

Gut, ich sehe es ja ein: Um ein persönlicheres Verhältnis zu erwarten, müßte ich wohl auch öfter zu ihm gehen. Vielleicht war es aus diesem Grund ein Fehler, die ganzen Überweisungssachen nicht von ihm machen zu lassen und, wenn ich sowieso schon dort bin, auch noch das eine oder andere ärztliche Gespräch mit ihm zu führen. Aber das mit den Überweisungen lief ja alles über den gynäkologischen Onkologen, wo auch die wöchentlichen Blutabnahmen erfolgten. Und das fand ich eigentlich auch wirklich gut, weil es mir zusätzliche Wege und, ja, auch lange Wartezeiten erspart hat. Eine Krebsbehandlung ist ja im Grunde ein Fulltime-Job, und für mich war es ein zweiter Fulltime-Job, den ich neben meinem eigentlichen absolviert habe. Hätte ich das noch mit regelmäßigen Hausarztterminen kombiniert, wäre mir wohl kaum viel anderes übriggeblieben, als doch auf eine Krankschreibung zurückzugreifen, weil gerade diese Hausarzt-Termine mit so langen Wartezeiten verbunden sind und halt jedes Mal eine Extra-Anfahrt und -Rückfahrt bedeutet hätten, während ich durch die Organisation durch die Praxis meines Gynäkologen alles, was sonst noch nötig war, im gleichen Gebäude hatte bzw. in der Klinik auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Das hat mir eine Menge zusätzlichen Streß erspart. Streß zu vermeiden predigen einem in so einer Situation ja auch alle, aber parallel dazu wird das Krebs-Fließband eben nicht auf das Wohlbefinden des Patienten hin optimiert, sondern auf seine möglichst rationelle Abarbeitung durch den jeweiligen Spezialisten, der ihn gerade in die Finger bekommen soll. Da war es schon hilfreich, das Prozedere auch für mich so rationell wie möglich zu gestalten. Alleine schon die Wartezeiten bei den meisten Terminen ... mir waren sie ja eigentlich nur ein bißchen lästig, aber es soll ja auch Patienten geben, die unter der Chemo viel mehr als ich zu leiden haben, und für die ist das natürlich eine zusätzliche Tortur. 

Aber meine seltenen Termine bei ihm alleine können der Grund nicht sein, daß mein Hausarzt plötzlich nur noch in Textbausteinen mit mir spricht. Schon bei meinem allerersten Besuch, damals, als ich Gallenkoliken hatte, lief bei ihm alles sehr viel persönlicher ab als die letzten drei Male, daß ich bei ihm war. Entweder, er selbst hat sich in den letzten Jahre sehr verändert, oder es liegt daran, daß die Umstände ihn dazu gebracht haben, so merkwürdig floskelhaft und nichtssagend zu werden. 

Zum Beispiel wegen dieser hohen Infektanfälligkeit, wegen der ich bei ihm war. Als ich wissen wollte, was ich außer dem Vitamin D noch machen könne, sprach er von Spaziergängen und Sport. Das, was daran sinnvoll wäre (oder jedenfalls keinen Schaden anrichten könnte) - Bewegung, körperliche Anstrengung, frische Luft und Sonne - habe ich aber alles durch die Gartenarbeit sowieso, also sehe ich keinen Grund, warum ich das nach dem Prinzip "Viel hilft viel" noch zusätzlich machen sollte, und ehrlich gesagt, ich wüßte auch gar nicht, wann ich das in meinem Tagesablauf unterbringen sollte. Das gilt gerade jetzt im Urlaub, denn den habe ich ganz notwendigen Arbeiten im Garten gewidmet. Ich bin nämlich dabei, den vielen wild gewachsenen jungen Bäumen - vor allem Ahorne und Eschen - buchstäblich radikal zu Leibe zu rücken, ich grabe sie nämlich samt den Wurzeln aus. Unser Vorgänger hat nur die Triebe immer wieder gekappt, aber das ermutigt sie nur dazu, ständig neu auszutreiben. Wenn ich sie weghaben will, muß ich das Übel also an der Wurzel packen. Übrigens hat das für mich einen unbestreitbaren Spaßfaktor - ich habe einiges an destruktiver Energie. ;-) 

Als ich meine Gartenarbeiten erwähnte, hätte ich ja gerne noch kurz beschrieben, was ich da mache, und die Frage angehängt, ob es Gründe gibt, zusätzlich trotzdem Spaziergänge und Fitnesstudio zu empfehlen, aber er wechselte dann einfach das Thema. Vor meiner Krebsdiagnose hätte ich damit rechnen können, daß er sich nach unserem Häuschen und unserem Garten erkundigt, was ich damit vorhabe und was ich dort gerade so treibe. Aber jetzt schien es ihn einfach nicht zu interessieren, obwohl es ja durchaus relevant gewesen wäre und Anknüpfungspunkte für andere Vorschläge an mich geboten hätte. 

Der einzige Zusammenhang, in dem sein Interesse auf einmal doch wieder auflebte, war, als ich nach einem weiteren obligatorischen Rat - nämlich gefälligst nicht mehr zu rauchen - erwähnte, daß wir in unserem Garten Tabak anbauen. Eigentlich nehme ich es keinem Arzt übel, wenn er mit dieser Kiste mit dem Rauchenaufhören daherkommt, denn das müssen die einem ja sagen. Was mich so irritierte, war, daß er anscheinend ernsthaft angenommen hatte, ich hätte als Reaktion auf meine Krebsdiagnose umgehend mit dem Rauchen aufgehört, und deshalb gar nicht auf die Idee gekommen war, mich einfach zu fragen, ob ich dies denn getan hätte. So ergab es sich, daß er nebenbei davon sprach, ich hätte ja mit dem Rauchen aufgehört, und ich daraufhin anfing zu lachen und ihm sagte, nein, das hätte ich keineswegs. Und darauf sah er mich erst an, als wäre ich ein Kalb mit zwei Köpfen und gab seinem ehrlichen Entsetzen deutlichen Ausdruck - worauf ich wiederum mit meinen Tabakpflanzen konterte. Und auf einmal zeigte er dann wieder ebenso ehrliche Neugier und wollte alle möglichen Einzelheiten dazu wissen. 

Irgendwie ist er also schon seltsam geworden, mein Hausarzt. Und ich glaube wirklich, das hat etwas mit dem Krebs zu tun bzw. mit dem, was er selbst über Krebs denkt und glaubt, und über das, was seiner Meinung nach eine normale Reaktion ist, wenn man eine solche Diagnose bekommen hat. Da steckt womöglich die Annahme mit drin, daß jemand, der sich gesundheitlich auf diese oder jene Art riskant verhält, dies tut, weil er die Risiken nicht wahrhaben will. Ist das der Fall, wäre es natürlich naheliegender, nach der Diagnose sein Risikoverhalten zu ändern - auch wenn das Kind da bereits in den Brunnen gefallen ist. Und tatsächlich machen das ja auch viele, wobei das meistens eher qua Bauchgefühl passiert und dann nicht zwangsläufig an der richtigen Stellschraube gedreht wird. Aber mit dem Rauchenaufhören liegt man als Patient natürlich immer richtig, jedenfalls wenn es darum geht, verbale Streicheleinheiten von den Behandelnden zu bekommen. 

Nun ja. Einstweilen gehe ich davon aus, daß diese Infektanfälligkeit kein Grund ist, mir echte Sorgen zu machen, sondern eher ein Lästigkeitsfaktor. Mir fiel auf, daß ich immer dann, wenn ich eine Verstopfungsphase habe, auch mit diesem Mist fast immer rechnen muß. Auch wenn ich den Zusammenhang nicht so recht verstehe, falls da wirklich einer bestehen sollte, könnte das bedeuten, daß beides immer noch eine Spätfolge der Immuntherapie ist, und das wiederum läßt mich hoffen, daß es früher oder später wieder nachlassen und irgendwann ganz aufhören wird, ebenso wie die nächtlichen Schwellungen der operierten Brust, die ja auch nach anderthalb Jahren aufgehört hatten. Die Verdauungssache jedenfalls bringe ich schon mit den monoklonalen Antikörpern in Verbindung. Vor allem Pertuzumab hatte mir ja eindrucksvolle Verstopfungen (gefolgt immer von genauso eindrucksvollem Durchfall) verschafft - weitaus schlimmer, als das jetzt immer wieder auftritt, das ist auch eher lästig als schmerzhaft. Trastuzumab bekam ich aber noch bis Ende Januar 2024, also ist es schon möglich, daß das immer noch eine ungute Nachwirkung auf meine Verdauung hat. Und womöglich ja noch auf manches andere. Also versuche ich die Sache jetzt nach dem Motto "Abwarten und Vitamin D nehmen" erst mal auszusitzen. 

Ärgerlich finde ich es halt, daß ich immer, wenn eindeutige Diagnosen nicht möglich sind, so völlig auf mich selbst zurückgeworfen bin, weil sich die Medizinmänner und -frauen dann unweigerlich hinter irgendwelche Allerwelts-Sprechblasen zurückziehen. Damit hatte ich bei diesem Arzt, den ich ja bislang als Arzt meines Vertrauens betrachtet hatte, nicht gerechnet, aber jetzt muß ich es halt zur Kenntnis nehmen, daß es so ist. 

Warum ich vermute, daß das irgendwas mit meiner Krebsdiagnose zu tun hat, daß das Doktorle sich so seltsam verhält: Ganz am Ende meines Termins, fast schon zwischen Tür und Angel, sagte er etwas, das mich so überraschte, daß ich gar nicht wußte, wie ich darauf reagieren sollte: Er sagte nämlich, und zwar ganz nebenbei und auf eine Weise, als wäre das eine Selbstverständlichkeit, ich solle (oder sagte er sogar, ich "müsse"?) eine Schwerbehinderung geltend machen. Auf meine erstaunte Rückfrage meinte er, bei Krebs ging das eigentlich immer, auch nach dem langen Zeitraum seit dem Ende der Behandlung, und dann würde ich mit 63 abschlagsfrei Rente beantragen können. Ich gebe zu, dieses letzte Argument brachte mich dann genügend ins Schleudern, um mir die Sache ernsthaft durch den Kopf gehen zu lassen. Aber ich habe es verworfen, obwohl abschlagsfreie Rente mit 63 für mich schon reizvoll klingt. Ich käme mir nämlich wie ein Betrüger vor, denn in Wirklichkeit ist meine Arbeitsfähigkeit ja keineswegs beeinträchtigt. Im Moment verbringe ich meinen Urlaub buchstäblich damit, Bäume auszureißen! Mein Mann meinte schon, ich hätte meinen Beruf verfehlt und sollte auf Baumschubserin umschulen. Es wäre da doch lächerlich, sich da als Schwerbehinderte ausgeben zu wollen, und mir reicht es, daß ich selbst das Gefühl hätte, mich lächerlich zu machen, auch wenn ich vielleicht ja doch damit so einfach durchkommen könnte, wie das mein Hausarzt zu glauben schien. 

Daß ich eigentlich wirklich ganz gerne mit 63 in Rente gehen würde, hatte ich bei meinem Hausarzt gar nicht erwähnt. Wie kam der aber dann darauf, mir so etwas vorzuschlagen? Es wirkte auf mich sogar nicht einmal wie ein Vorschlag, sondern wie eine Anweisung, und er hat davor nicht einmal gefragt, ob ich mir das wünsche oder wenigstens vorstellen könne. Als ich erwähnte, daß ich fit sei, und in einem Nebensatz erwähnte, daß ich darüber ja froh sein könne, denn manchen meiner Mitpatientinnen gehe es wirklich auch ein bis zwei Jahre nach der Behandlung immer noch schlecht, verstieg er sich dann aber wieder in die Unterstellung, die würden sowieso alle übertreiben. Was zum Henker soll das jetzt wieder heißen? Ist jeder, der an Chemo- oder Bestrahlungsfolgen leidet, in seinen Augen ein Simulant?  

Es waren noch ein paar andere Bemerkungen, die mich ärgerten, vor allem solche, die meinen Mann betrafen, der ja auch bei ihm in Behandlung ist. Ich kenne sämtliche Arztbriefe aus der Klinik, deshalb ärgert es mich, daß er mir darüber - ebenfalls ganz beiläufig - regelrechte Schauermärchen erzählt hat, von denen ich weiß, daß sie dramatisierend überspitzte reine Spekulationen sind. Aber das paßte eigentlich noch eher in mein Bild, das ich vorher schon von ihm hatte. Ich weiß noch, als er mir eine Fettleber anhängen wollte. Es war nicht sein Verdienst, daß ich darüber nur gelacht habe. Angstmachen klappt nicht, wenn jemand weiß, daß der Augenschein trügt. Der Arzt sah natürlich eine Patientin, die ersichtlich über 100 Kilo wog, und da war eine Fettleber wohl in seinen Augen eine ziemlich sichere Wette. Wenn ich in den Spiegel sah, erblickte ich aber jemanden, der ersichtlich mehr als 40 Kilo abgenommen hatte, und ich wußte auch, daß ich noch mehr abnehmen würde. Es wäre eine abwegige Vorstellung gewesen, daß ausgerechnet in meiner Leber kein Fett abgebaut worden wäre. Ich sah auch keinen Anlaß, mich darüber mit jemandem herumzustreiten, der offenbar meine Abnahmegeschichte für unwahr oder jedenfalls übertrieben hielt. 

Zum Glück bin ich nicht so leicht zu beeindrucken. Vielleicht wäre es aber doch mal Zeit, den Hausarzt zu wechseln. Was nämlich außerdem für einen neuen Hausarzt spräche, ist, daß mich jeder Hausarztbesuch - Hin- und Rückweg, Arztgespräch und eine fast immer SEHR lange Wartezeit - gleich mal einen halben Tag kostet. Was dagegen spricht, ist, daß meine Irritation nicht so schlimm ist, daß ich sie bei einem Arztbesuch pro Jahr - oder auch alle zwei Jahre - nicht verkraften könnte. Ich mach das nicht gerne, den Arzt wechseln. Was bei einem neuen Arzt auf mich zukäme, weiß ich ja nicht. Früher oder später wird das aber sowieso auf mich zukommen. Irgendwie kommt er mir erschreckend gealtert vor.  Kann sein, daß es gar nicht mehr so lange dauert, bis er in den Ruhestand geht. Vielleicht wäre es ja doch besser, mich beizeiten um einen anderen Arzt zu kümmern?

***

Neben dem Baumschubsen tut sich im Garten natürlich noch anderes.  

Ich habe inzwischen etliche Zucchini in geraspelter Form eingefroren - in den Low-Carb-Phasen brauchen wir ja recht viel davon, also lag es nahe, die derzeitigen Überschüsse so zu nutzen. Die Tomaten werden jetzt auch nach und nach reif, und die esse ich zwar nicht - von rohen Tomaten wird mir übel -, aber mein Mann ist von ihnen ganz hingerissen. Falls es ihm zu viel wird, werde ich wohl zum erste Mal ausprobieren, wie man Tomatensoße aus rohen Tomaten macht. Gurken haben wir immer mal wieder eine vereinzelte. Die Mirabellenzeit ist vorbei, und die Apfel- und Feigensaison steht noch bevor, aber dafür sind jetzt die Holunderbeeren reif, und ich habe schon zweimal welche gepflückt, in Rotwein gekocht und mit der flotten Lotte passiert. Schmeckt sehr gut mit Eis oder Joghurt und ein bißchen anderem Obst, etwa eine Beerenmischung, Sauerkirschen oder eine Portion von dem Apfelkompott aus der letztjährigen Ernte. 

Diesmal wird die Apfelernte im Vergleich zu der vom letzten Herbst leider ziemlich überschaubar, aber ich bin optimistisch, daß wir wenigstens ein paar Äpfel haben werden. Dafür sind die Quitten nicht nur zahlreich, sondern auch riesig, und der Feigenbaum ist übervoll mit Feigen, die aber noch ein bißchen größer werden sollten.  

Neuerdings haben wir auch ein kleines Sonnenblumenfeld, aber das haben wir nicht selbst entschieden, sondern die Meisen, die die Sonnenblumenkerne am Futterhäuschen verstreut haben, just zu der Zeit, als ich aus diesem Gartenteil gerade einige riesige, verflochtene Wurzelstrünke herausoperiert und anschließend alles gut umgegraben hatte. Eine weitere überraschende Errungenschaft sind einige Kartoffelpflanzen direkt neben der Terrasse. Ein, zwei Meter weiter stand anfangs unser Kompost, aber den hat mein Mann an eine andere Stelle versetzt, weil ich dagegen protestierte, eine Terrasse mit Blick auf den Kompost zu haben. Vermutlich waren ein paar alte Schrumpelkartoffeln enthalten und sind irgendwie beim Versetzen des Komposts liegengeblieben. Jetzt bin ich natürlich sehr gespannt, ob wir wirklich Kartoffeln ernten können werden. 

Das Rotschwanzpärchen, das auf der anderen Seite des Hauses sein Nest gehabt haben muß, hat seine Familienphase offenbar beendet, und seit etwa einer Woche bekommen wir täglich mindestens ein- bis zweimal einen jungen Rotschwanz als Terrassenbesucher, der nicht nur ein richtig hübscher Kerl ist, sondern auch gar keine Angst vor uns hat. Er setzt sich notfalls auch auf unseren Tisch, aber er bedient sich auch am Weichfutter in einem der Futterhäuschen. Nüsse sind für jemanden mit einem so zierlichen Schnäbelchen kaum das richtige, aber Haferflocken und Rosinen scheint er zu mögen. 

An der Stelle, wo vor unserem Einzug ein vertrocknender Riesenthuja stand, den wir fällen ließen, ist in den letzten Wochen schwarzer Nachtschatten gewachsen. Ich war anfangs unschlüssig, ob ich ihn wiederherausreißen soll, aber er hatte eine so schöne buschige Form, daß ich mich dazu nicht entschließen konnte. Inzwischen ist er riesig geworden, immer noch in schöner Form, aber für meinen Geschmack mittlerweile zu dominierend, und so hätte er beinahe doch noch dran glauben müssen, wenn nicht das Amselweibchen diesen Busch neuerdings als Lieblingsplatz gewählt hätte. Sie frißt auch die schwarzen Beeren, die an den tieferen Zweigen schon reif geworden sind, während der Busch oben herum immer noch fleißig neue Blüten produziert. An heißen Tagen verbringt die Amselin oft den gesamten frühen Nachmittag unter diesem Busch. Also muß der Busch nun natürlich bleiben. Ich habe zusätzlich zu den beiden anderen Vogeltränken an anderen Stellen im Garten eigens für sie daneben noch eine dritte aufgestellt, aber bislang habe ich nie gesehen, daß sie sie - oder eine der beiden anderen - genutzt hätte.




Freitag, 1. August 2025

Das Skandalisieren der Aktivitäten der Tabakindustrie: ein alter, abgelatschter Holzweg

Mein Gewicht heute früh nach dem vierten von vier Fastentagen diese Woche: 72,3 Kilogramm. Damit kann ich trotz allem zufrieden sein, zumal ich mir meinen Gewichtsverlauf der letzten zwölf Monate gerade angeschaut und dabei festgestellt habe, daß ich mich - anders als mir das meine Erinnerung vorgaukelte -, sehr wohl auf einem etwas niedrigeren Gewichtsstand befinde, als ich das glaubte:

 

So sah der Gewichtsverlauf der 12 Monate davor, also vom 1.8.23 bis zum 1.8.24 aus: 

 

Die steile Abwärtsbewegung direkt jenseits der Mitte war der Endspurt im früheren Frühjahr 2024, der mich ja leider nicht zum angestrebten Endpunkt geführt hatte. 2025 habe ich so etwas nicht gemacht. Ich hatte auch mehr Fastentage, die - theoretisch - dazu führen sollten, daß mein Gewicht im Vergleich zum 1. März nach meiner letzten Low-Carb-Phase in etwa gleich bleibt oder idealerweise ein wenig sinkt. Nach Low Carb geht das Gewicht wasserbedingt ja immer 1-2 Kilo nach oben, dazu wollte ich eigentlich eine sichtbare Gegenbewegung im Anschluß an Low Carb. Das hat leider nicht so ganz geklappt. Trotzdem stehe ich  im Moment ein bißchen besser da als vor einem Jahr, also will ich mal nicht meckern. 

Jetzt kommt jedenfalls der Urlaub, diesmal nicht für zwei, sondern für drei Wochen, und in der Woche, wenn ich wieder arbeite, faste ich wieder viertägig. Hoffentlich anders als letztes Jahr ausgehend von einem Gewicht unter 80. 

***

Erinnert sich noch jemand an meine Thesen zum "Sprintkrebs" und zum "Schleichkrebs"? Eine neue Studie deutet darauf hin, daß Infektionen bei der Krebsentstehung tatsächlich eine Rolle spielen könnten, wie ich das für den "Sprintkrebs" als wichtigen Auslöser vermutete, während ich bei "Schleichkrebsen" eher Lebensstilfaktoren als entscheidende Auslöser annahm. Eine Rolle von Infektionen jedenfalls bei der Metastasierung ergab sich aus besagter Studie nämlich. Für Ungeduldige und Fach-Englisch-Hasser hier außerdem einen deutschsprachigen Medienbericht darüber, verbunden mit meinem peinlich berührten Eingeständnis, daß mir Zeit gefehlt hat, mich wie gewohnt genauer mit der Quelle zu befassen. Sorry, ich bin im Vor-Urlaubs-Endspurt! ;-)

Infektionen mit Corona, aber auch Grippe, sollen, so der deutsche Bericht "... innerhalb kürzester Zeit schlummernde Brustkrebszellen wecken und zu Metastasen in der Lunge führen". Das ergibt, wenn man sich Seyfrieds Krebsentstehungstheorie dazudenkt, sehr viel Sinn: Die Mitochondrien vorgeschädigter, aber noch nicht in Krebszellen mutierter Zellen könnten durch solche Infektionen schnell über den "Point of no Return" hinausgelangen, ab dem der Krebs zu schleichen oder zu sprinten beginnt. Es könnte bedeuten, daß Infektionen mehr Mitochondrien schneller und stärker schädigen als Lebensstilfaktoren, bei denen die Zellen nur langsam in die Knie gehen, weshalb sich auch der Krebs langsamer entwickelt.  

Falls das zuträfe (tatsächlich betrafen die Ergebnisse nämlich keine menschlichen Patienten, sondern Mäuse), dann wäre es ungeheuer interessant zu wissen, wie sich das auf vorherige Sprintkrebse und Schleichkrebse verteilt. Meine Annahme war ja, daß die Sprintkrebse dank Trastuzumab und Konsorten auch deshalb so gut geheilt werden können, weil diese Therapien häufiger unter den Krebszellen keine Überlebenden zurücklassen. Somit gäbe es dann aber auch keine "schlummernden Brustkrebszellen" - es sei denn, es wären welche seit der Therapie ganz neu entstanden. Einen Fingerzeig, ob ich damit richtig liege, würde es geben, wenn man wüßte, welche Arten von schlummernden Zombie-Zellen von den Infektionen geweckt wurden, also ob das ursprünglich schnell oder langsam wachsende gewesen sind. Auf Anhieb fand ich dazu in der Studie nichts, aber das will diesmal nichts heißen, ich habe SEHR flüchtig überflogen und hatte gerade gar keinen Kopf für wissenschaftliches Englisch. 

*** 

Ich las jüngst einen Artikel bei Übermedien, der mir schwer zu denken gab, aber vermutlich anders, als der Herr Niggemeier, der Autor, sich das vorgestellt hat. Denn dieser Artikel soll mir hiermit als ein Beispiel für eine unter vielen verbreiteten Unsitte dienen. Obwohl ich überzeugt davon bin, daß Niggemeier nach seinen eigenen Begriffen journalistisch alles richtig gemacht zu haben glaubt, führt dieser Bericht seine Leser auf Holzwege, noch dazu solche, die schon seit Jahrzehnten ziemlich abgelatscht sind. Mit welchem Eifer wir trotzdem ständig wieder auf sie geführt werden, ist mehr ärgerlich als nur erstaunlich. 

Seit Jahrzehnten scheint niemand es zu bemerken, daß in solchen Berichten ein Popanz aufgebaut wird, den die Medien schon seit ein paar Jahrzehnten genauso heiß lieben wie früher die Kindermädchen anstrengender Gören den schwarzen Mann: die böse Tabakindustrie und ihre finsteren Machenschaften. Hier: speziell der Tabakkonzern Philip Morris. Mich stört an der Verteufelung der Tabakindustrie etwas Grundsätzliches, das ich in anderen Zusammenhängen auch schon erwähnt habe, etwa bei Coca-Cola oder diversen Nahrungsmittelkonzernen. Es ist nämlich irreführend, so zu tun, als täten diese Konzerne mit dem, was hier skandalisiert werden soll, etwas anderes als jeder x-beliebige andere Konzern auch. Und das wirft die Frage auf, warum es speziell und ausschließlich bei der Tabakindustrie (oder das jeweilige andere Feindbild, das aufs Korn genommen wird) nicht normal, sondern ein Beweis für ihre grundsätzliche moralische Verkommenheit sein soll. 

Worüber Niggemeier sich so ereifert, das sind die PR-Bemühungen um die E-Zigaretten und die Tabakerhitzer. In den ersteren Markt ist Philip Morris eingestiegen, als die Absatzzahlen der zu Anfang eher belächelten E-Zigaretten eine kritische Masse überschritten. Die Heets waren eine Eigenentwicklung des Konzerns. Beides zusammen schien Philip Morris nun ausreichend, um sich öffentlich von ihren "alten" Kunden, den Käufern normaler Zigaretten zu distanzieren. Man strebt bei dem Konzern nunmehr nach eigenem Bekunden das Ende des Rauchens an. Die bisherigen Raucher sollen stattdessen auf diese beiden in den letzten zwei Jahrzehnten neu entwickelten Ersatzprodukte umsteigen. Nach Unternehmenslogik ist beides nachvollziehbar, schließlich ist der Selbsterhalt eines Unternehmens dessen primäres Ziel. Wenn man befürchten muß, das Hauptprodukt werde eines Tages unverkäuflich, zum Beispiel, weil es verboten wird, dann wird jedes Unternehmen der Welt mit jeder Produktpalette der Welt sich nach anderen Produkten umsehen, die man herstellen kann. Daß man dann nicht von Zigaretten auf Babywindeln umsteigt, liegt auch nahe. Lieber bleibt man möglichst nahe bei dem, wofür man bereits bekannt ist. Dafür werden die von Niggemeier beschriebenen und für unerträglich gehaltenen PR-Kampagnen gestartet, wie sie jedes andere Unternehmen für Produkte, die neu eingeführt werden oder deren Absatz mehr Schwung bekommen soll, auch machen würde. 

Aus welchem Grund ich das für einen Skandal halten soll, erschließt sich mir aber nicht. Beide Ersatzprodukte - die übrigens beide ausdrücklich NICHT meinem Geschmack entsprechen - stellen erheblich risikoärmere Varianten zum eigentlichen Rauchen dar. 90 Prozent des Gesundheitsrisikos beim Rauchen entstehen nämlich durch das regelmäßige Inhalieren von Verbrennungsrauch - und, Überraschung, das müßte noch nicht einmal Tabakrauch sein, das Inhalieren von Rauch aus dem Verbrennen anderer getrockneter Pflanzen hätte genau denselben Effekt. Das bedeutet, Viktor Klemperer, der in der Nazizeit nach Kriegsausbruch, als ihm als Juden Tabakkarten verweigert wurden, auf das Rauchen von Brombeerblättertee umstieg, sich vom Gesundheitsrisiko her damit keineswegs verbessert hatte. (Er ist übrigens trotzdem fast achtzig Jahre alt geworden.) 

Bei beiden neuen Varianten findet ein Verbrennungsprozeß aber nicht statt. Warum man sich dann aber darüber echauffieren müssen sollte, daß beide immerhin Nikotin enthalten, erschließt sich mir nicht. Nikotin steht im Ruf, süchtig zu machen. Aber bei aller Anstrengung ist es auch den schärfsten Feinden des Tabaks nie gelungen, speziell diesem Bestandteil des Tabakrauchs eine krankmachende Wirkung nachzuweisen - obwohl sie das natürlich so wahnsinnig gerne täten, daß sie das gerne mit unheilsschwangeren reinen Spekulationen um eine eventuell ja doch existierende solche Wirkung zu kaschieren versuchen. In dem Fall müßte man freilich auch Nikotinpflaster verbieten, gell, Herr Niggemeier. Wenn aber das Risiko, speziell durch das Nikotin krank zu werden, so niedrig liegt, warum sollte es dann eine Rolle spielen, ob ein auf Ersatzprodukte umgestiegener Ex-Raucher davon süchtig wird oder nicht? 

Das Kernproblem scheint mir zu sein, daß beim Thema Rauchen bei Journalisten regelmäßig der Verstand aussetzt, womöglich sogar aktiv ausgeschaltet wird, weil es so verdammt riskant ist, auf einmal womöglich als Verteidiger der Tabakindustrie wahrgenommen zu werden - und das passiert regelmäßig, wann immer man die Tabakindustrie nicht in der schärfstmöglichen Weise in Grund und Boden verdammt. So etwas kann einem den guten Ruf für immer zerstören, und welcher Journalist ist mutig genug, dieses Risiko einzugehen? Aber Mut verlange ich ja gar nicht. Nur: Könnte man dann nicht wenigstens den Mund halten, anstatt einem das Nachbeten der üblichen langweiligen Phrasen, aus denen alle Berichte über die finstern Machenschaften der Tabakindustrie zu 90 Prozent bestehen, als mutigen investigativen Journalismus verkaufen zu wollen? 

Die Tabakindustrie, die seinerzeit mächtig genug war, politischen Einfluß zu nehmen, steht in Wirklichkeit doch schon seit dem Ende der Neunziger mit dem Rücken zur Wand. Niemand braucht sich heute noch den Kopf darüber zu zerbrechen, ob hinter den Kulissen die böse Tabakindustrie insgeheim die Politik steuert, wenn doch offen sichtbar ist, welche Superreichen aus welcher Interessenlage heraus sich in aller Offenheit des Staats zu bemächtigen versuchen. Welche Strippen auch immer Big Tobacco vielleicht dennoch immer noch ziehen kann, verglichen mit dem, was andere Konzerne und ihre Lenker an Einfluß haben und zum Schaden der Bürger nutzen, ist das doch eine Lappalie. Und bei aller Liebe, wenn die Tabakindustrie wirklich so viel Einfluß hätte, dann wäre Rauchen nicht nahezu überall verboten und Tabak nicht mit so absurd hohen Steuern belegt, daß mit illegaler Ware nicht nur kriminelle Banden, sondern jede Terrorgruppe inzwischen ziemlich mühelos reich werden kann. Mich würde das wirklich mal interessieren, wie viel Schaden DAS anrichtet - und das wäre mal ein wirklich interessantes Thema für einen investigativen Journalisten. Falls es heute doch noch welche gibt, die sich trauen, ihren Ruf zu riskieren. 

Beim besten Willen kann ich in Bemühungen eines Tabakkonzerns, unschädlichere Produkte für ihre derzeitigen Zigarettenkäufer zu entwickeln, bekannt zu machen und zu verkaufen, außerdem nichts Verwerfliches erkennen. Daß sie das natürlich nicht aus irgendwie edlen Motiven heraus tun, sondern um weiter Geld verdienen zu können, wird für andere Produkte anderer Konzerne als völlig normal akzeptiert. Niemand hat es beispielsweise so inquisitorisch hinterfragt, als Müllers Mühle als jahrzehntelanger Hersteller von Wurst zusätzlich noch auf den Vegan-Zug aufgesprungen ist. 

Nur, das ändert nichts daran, daß E-Zigaretten meinen persönlichen Geschmack nun einmal nicht treffen. Egal, wieviel Nikotin darin enthalten ist, ihnen fehlt etwas Essentielles, nämlich die mit dem Rauchen einer Zigarette verbundenen Rituale. Eines davon zum Beispiel die sprichwörtliche Zigarettenlänge als Zeiteinheit für eine Pause. Sollte ich also süchtig sein, dann nicht nach dem Nikotin, das mir die E-Zigarette ja genausogut bieten könnte, die ich aber nicht sonderlich befriedigend finde. Mir hat an den E-Zigaretten, als sie den Durchbruch schafften, deshalb vor allem eines Sorgen gemacht: Daß unsere Obermedizinmänner das begeistert aufgreifen und damit das Rauchen umso schneller verbieten könnten. Dann wären wir Raucher dagesessen mit diesem unbefriedigenden Ersatzprodukt. Ich bin also heilfroh, daß die Raucherbekämpfer nach dem Ende der Schockstarre entschieden haben, die Ersatzprodukte auch zu bekämpfen, obwohl ich es für absurd halte. 

Man sieht diese Ersatzprodukte häufiger, als es die Verkaufszahlen eigentlich nahelegen würden, aber das mag ein rein subjektiver Eindruck von mir sein. Die Nutzer solcher Produkte entsprechen in meinen Augen den Käufern fettarmer oder veganer Fake-Wurst-Ersatzprodukte, die geschmacklich an das Original zwar nicht heranreichen, aber als "noch gut genug" empfunden werden, um sie trotzdem zu kaufen, wegen der vermuteten Belohnung, damit die gesündere Variante zu konsumieren. Da die Gesundheitsschützer die Gelegenheit verstreichen lassen haben, sie uns aufzuzwingen, bin ich mir sehr sicher, daß sie sich bei einer Mehrheit der Raucher nicht durchsetzen werden. Dafür sind sie einfach nicht gut genug. 

Daß Philip Morris das Rauchen gerne durch die von ihm angebotenen weniger gesundheitsgefährdenden Ersatzlösungen ersetzen möchte, ergibt aber ungeachtet meiner persönlichen Abneigung für diese Produkte viel Sinn angesichts der nun schon Jahrzehnte andauernden Tabakbekämpfung. Nach unternehmerischer Logik ist der Selbsterhalt des Unternehmen das Ziel Nr. 1. Wenn man sich nicht mehr sicher sein kann, seine ja weiterhin mehr als genug nachgefragten Produkte mittelfristig noch verkaufen zu können, weil sie verboten werden, dann sucht sich jedes Unternehmen selbstverständlich weitere Standbeine, einfach, weil kein Unternehmen der Welt scharf darauf ist, den Laden ganz dichtmachen zu müssen. Ich finde es hochgradig irritierend, daß implizit - denn niemand spricht das so klar aus, es ist aber die logische Konsequenz, wenn man die Vorwürfe gegen die Tabakindustrie nachliest, daß diese Forderung sich zwangsläufig daraus ergeben müßte - ausgerechnet die Tabakindustrie ihre guten Absichten nur beweisen könnte, indem sie das tut, was kein Unternehmen macht, das dies verhindern kann: Das Ende ihrer Geschäftstätigkeit zu verkünden und sich zur Ruhe zu setzen. Das nämlich entspricht der Logik der sogenannten Hexenprobe: Wird eine Hexe gefesselt ins Wasser geworfen, dann gilt sie als unschuldig, wenn sie untergeht und dabei ertrinkt. Treibt sie an der Wasseroberfläche und ertrinkt nicht, ist sie schuldig und kommt auf den Scheiterhaufen. 

Man muß die Tabakkonzerne nicht mögen (ich mag sie nämlich keineswegs), um es für bedenklich zu halten, mit welcher Selbstverständlichkeit für sie aus Sicht ihrer Bekämpfer ein anderes Recht gelten soll als für Unternehmen mit anderen Produkten. Ich fand es auch schockierend, als in Australien das Verfassungsgericht speziell für sie kurzerhand das Markenrecht für nicht zwingend anzuwenden erklärte, damit die dortige Regierung ihre "Plain Packaging"-Pläne umsetzen sollte. Wo sollen wir eigentlich hinkommen, nachdem es diesen Präzedenzfall einmal gibt? Ich habe nie nachgelesen, wie das in Australien begründet wurde. Aber fest steht: Alles, was beim Tabak einmal funktioniert hat, wird man künftig auch bei anderen aus welchen Gründen auch immer unerwünschten und wirklich oder auch nur vermeintlich schädlichen Produkten wieder machen wollen und sich dabei auf das erfolgreiche Beispiel Tabak berufen können. Besichtigen kann man das in den Debatten um Zucker, Fett oder Alkohol. Immer wieder werden dafür Schockbilder der Art verlangt, wie sie auf Zigarettenpackungen seit etlichen Jahren zu sehen sind. Und irgendwann werden die einschlägigen Aktivisten damit Erfolg haben. Es sei denn, wir bekommen so viel dringendere andere Sorgen, daß all dieser Aktivismus um bloßes "So tun, als ob" sein natürliches Ende finden wird. Das wiederum kann man sich vernünftigerweise aber erst recht nicht wünschen.  

So weit sind wir noch lange nicht, daß wir Big Tobacco unter Minderheitenschutz stellen müßten, aber mich stoßen diese Sensationsberichte ziemlich ab. Beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, was einen Journalisten an Recherchen über einen Marktakteur aus beruflicher Sicht interessieren könnten, dem sowieso jeder nur das Schlimmstmögliche zutraut. Wer Tabakkonzernen Strategien zum Vorwurf macht, gegen die er bei anderen Arten von Konzernen keine Einwände hätte, der mißt außerdem, wie erwähnt, mit zweierlei Maß. Tut ein Journalist das, dann entweder, weil er durch jahrzehntelange Einübung darauf konditioniert ist, Dinge die ein Tabakkonzern tut, anders zu bewerten als bei anderen Unternehmen. Oder er tut es deshalb, weil es sich um journalistische "low hanging fruits" handelt. Denn auf die Tabakindustrie einzudreschen, dabei kann man ja völlig sicher sein, von jeder Seite Beifall zu bekommen, meines Wissens haben dagegen nicht einmal AfD-Fans irgendwelche Einwände. Und das ist, finde ich, speziell für einen Journalisten, dem ich für seinen investigativen Eifer Anerkennung zollen soll, ein ziemlicher Offenbarungseid, denn es ist in Wirklichkeit doch ganz schön billig, da absolut risikolos. Mutig wäre es hingegen, den Tabakkontrolleuren ausnahmsweise mal zu widersprechen, wenn sie Dinge verlangen und sie in hinterfragbarer Weise begründen, denn das kann den, der das tut, tatsächlich teuer zu stehen kommen ... und vermutlich macht das genau deshalb nie jemand. 

Ein Beispiel für viele mögliche: Wenn Tabakbekämpfer eine Erhöhung der Tabaksteuer mit der Begründung fordern, nach dieser oder jener Studie würden dann zehn Prozent der armen Raucher mit dem Rauchen aufhören, dann fände ich es eine naheliegende Gegenfrage, welchen zusätzlichen gseundheitlichen Schaden eigentlich die anderen neunzig Prozent erleiden, nachdem man sie vor der Wahl gestellt hat, entweder zu rauchen oder zu essen, und sie sich für das Rauchen entschieden haben. 

***

Die Tabakpflanzen in unserem Garten gedeihen übrigens prächtig. Wer braucht schon die Tabakindustrie? ;-)