Freitag, 29. August 2025

Baut Archen - aber vergeßt nicht, auch die Badehose einzupacken!

Mein Gewicht heute früh nach dem vierten von vier aufeinanderfolgenden Fastentagen: 72,8 Kilogramm. Damit bin ich ungefähr da, wo ich hinwollte, und zu meiner heimlichen Erleichterung begann ich am Montag mit 78,4 Kilogramm. Damit sollte die Gefahr, daß die 80 noch irgendwann vor der LC-Phase überschritten wird, gebannt sein, und danach ist ja sowieso nicht mehr damit zu rechnen. Daß es aber ausgerechnet diese symbolträchtigsten Schwellen sind, deren dauerhaftes Überschreiten immer besonders lange dauert! Der Urlaub war der Zeitraum, bei dem ich mir besonders unsicher in diesem Punkt war. Jetzt liegt mein Gewicht also ungefähr 2 Kilo unterhalb dessen, was ich vor einem Jahr gewogen habe. Das ist ein guter Ausgangspunkt, um nun endlich wirklich bis zum Ende der beiden LC-Phasen Vollzug melden zu können, daß also mein Zielgewicht von 73,5 Kilogramm (vor dem Fasten und mindestens eine Woche nach dem Ende einer LC-Phase) erreicht ist.  

Daß es neun Jahre dauern würde, um an diesen Punkt zu kommen, hätte ich, als ich mit dem Blog begonnen habe, nicht erwartet. Aber erstens habe ich anfangs nicht erwartet, daß sich auch bei einem insulinbasierten Ansatz wie Fasten die Abnahme im Lauf der Zeit so massiv reduziert, und mußte deshalb herumprobieren und mein Vorgehen modifizieren. Zweitens ist natürlich auch der Leidensdruck umso geringer geworden, je näher dran am Zielgewicht ich war. Drittens hatte ich mit der Chemotherapie und dem Hauskauf/Umzug/den Wohnungsverkäufen zwischendurch vordringlichere Sorgen, auf die ich mich konzentrieren mußte. Aber jetzt ist es langsam genug, ich will bis nächsten März nun wirklich mal "Fertig!" sagen können. Optimistischerweise gehe ich also davon aus, daß ich in den kommenden Monaten so wenig andere Sorgen haben werde, daß ich dieses Ziel nunmehr in den Vordergrund rücken kann, das seit meiner Krebsdiagnose im Herbst 2022 ja immer nur irgendwie nebenher lief. 

Frühjahr/Sommer 2024 und 2025 haben mir außerdem gezeigt, daß ein Fastentag die Woche plus jede vierte Woche drei Fastentage nicht ausreicht, um das Gewicht in etwa zu halten bzw. über den Sommer die Zunahme auf maximal ein bis zwei Kilo zu beschränken, wie ich das gerne hätte. Also werde ich wohl im März mit dem Schema 2-2-2-3 beginnen. Ich denke außerdem darüber nach, dann an Fastentagen abends einen halben Liter Fleischbrühe zu trinken. Mancher erinnert sich vielleicht ja noch daran, daß ich Fleischbrühe schon einmal eingebaut hatte und zu meinem Erstaunen feststellte, daß dies das Fasten eher unangenehmer machte. Deshalb habe ich das nie wiederholt. Jetzt habe ich mir aber überlegt, daß Fleischbrühe direkt vor dem Schlafengehen möglicherweise diesen Effekt, daß mein Stoffwechsel meint, er müsse von mir unbedingt und ungeduldig "mehr!" verlangen, nicht haben wird bzw. ich im Schlaf halt nichts davon merke und es morgens wieder vorbei ist. Bei eintägigen Fastenintervallen spielt das an sich auch sowieso keine Rolle, aber halt bei den dreitägigen. 

Was ich mir davon verspreche, ist eine realistischere Gewichtseinschätzung nach Fastentagen, weil ich auf diese Weise weniger Wasser verliere. Das hat den Nebeneffekt, daß das Risiko von Muskelkrämpfen, das im Moment besteht und mich ein wenig nervt, auch wenn es beherrschbar ist, damit wahrscheinlich ganz erledigt wäre. Im Moment ist mir die unrealistische Zahl von heute aus psychohygienischen Gründen allerdings noch lieber gewesen, deshalb fange ich damit wohl erst an, wenn ich wirklich am Ziel angekommen bin.  

*** 

"Warum viele Menschen Gesundheitsinformationen meiden" behauptete das Ärzteblatt in der Überschrift zu seinem Bericht über eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung nunmehr zu wissen. 

Präziser gesagt ging es um die Frage, warum Vorsorge, Früherkennung oder Checkups bei möglichen schweren Krankheiten vermieden und Arztbesuche bei verdächtigen Symptomen verzögert werden. Als Informationsvermeidung definierten die Autoren dabei „jede Form von Verhalten, die darauf abzielt, die Beschaffung verfügbarer, aber potenziell unerwünschter Informationen zu verhindern oder zu verzögern“.

Immerhin ungefähr ein Drittel verhält sich so, speziell bei Krebs sind es 29 Prozent. Es ergab sich, daß es zwischen Männern und Frauen keine Unterschied gab, was immerhin bemerkenswert ist, da Frauen eigentlich ein anderes Verhalten in Gesundheitsfragen nachgesagt wird. Ebenso gab es keine ethnischen Unterschiede. Als sogenannte "Prädiktoren" wurden 16 andere Faktoren ermittelt, darunter die bedeutsamsten (dies direkt aus dem Studienvolltext, weil mir die Wiedergabe im Ärzteblatt mißverständlich schien):

  • information overload (r = 0.26) (im Ärzteblatt als "kognitive Überforderung" bezeichnet - halte ich aber für falsch, das suggeriert, daß es an den geistig armen Patienten liegt, wenn sie überfordert sind. Tatsächlich halte ich den Overload aber wg. persönlicher Erfahrungen für einen von außen erzeugten realen Overload. Präventionsstrategen ballern ihre Angstmachkampagnen ja immer nach dem Prinzip "Viel hilft viel"heraus) 
  • perceived stigma (r = 0.36), (Furcht vor Stigmatisierung)
  • self-efficacy (r = −0.28), (Selbstwirksamkeit - es hat sich mir aber nicht genau erschlossen, was damit gemeint ist)
  • and trust in the medical system (r = −0.25).Also fehlendes Vertrauen das medizinische System.

Erwähnen könnte man außerdem, daß es sich bei dieser "Studie" um eine Auswertung von bereits längst publizierten anderen Studien handelte, von denen die älteste, wenn ich mich nicht irre, 1992 publiziert wurde. Es wurde also niemand neu befragt oder untersucht. 

Im Großen und Ganzen deckt sich dieses Ergebnis aber ganz gut mit dem, was ich höchst unwissenschaftlich ebenfalls vermutet hätte. Erwähnen könnte man zusätzlich auch noch, daß eine ganze Menge Leute von vornherein vermeiden, sich mit Krankheiten wie Krebs überhaupt zu befassen, wenn und solange es irgend möglich ist, erkennbar gut daran, daß man dauernd die albernsten Klischees zu hören bekommt, wenn das Thema doch mal zur Sprache kommt. Das spielt aber bis zu einem gewissen Grad auch bei "Stigma" mit rein, denn wer Krebs hat, der trägt ja eine Art Kainszeichen, weil die Vorstellung, daß man an einer Krebserkrankung selbst schuld sei, zwar nirgends so verbreitet wird, aber in den Köpfen der Leute kommt es halt doch genauso an. Außerdem halten eine Menge Leute Krebskranke für sichere Todeskandidaten, während in Wirklichkeit bei Krebs im nicht metastasierten Stadium häufig die weitere Lebenserwartung durchaus wieder in etwa in den Normalbereich gebracht werden kann. 

Tatsächlich wundert es mich sogar, daß das Mißtrauen in das medinizische System nicht noch viel höher ist.  Aber wer weiß, vielleicht würde es sich heute ja als der wichtigste Faktor herausstellen, wenn man sich mal mit den Patienten des Jahres 2025 befassen würde. 

Kurz, diese Arbeit ist ganz interessant, geht m. E. aber ein wenig am Thema vorbei, das man beackern müßte, wenn das Ziel darin besteht, daß mehr Leute Früherkennungsmaßnahmen in Anspruch nehmen oder sich generell schneller informieren, wenn sie den Verdacht haben, eine schwere Krankheit zu haben. Was komplett fehlt, ist die Überlastung durch Alltagspflichten. Ich habe Wochen gebraucht, um meinen Entschluß, meine erhöhte Infektanfälligkeit mal untersuchen zu lassen, in die Tat umzusetzen, und zwar nicht, weil ich mir Sorgen wegen des Ergebnisses gemacht hätte, sondern weil mein Hausarzt telefonisch so schlecht zu erreichen ist und ich deshalb, um einen Termin zu bekommen, erst mal hinfahren mußte. Um mir für solche Zeitfresser jederzeit Zeit nehmen zu können, muß ich wohl wirklich erst mal in Rente sein. 

***

Irritierenderweise beschäftigt mich gerade der Zustand dieses Landes mehr, als ich das eigentlich möchte, meine fatalistische Bystander-Rolle - die ich mir in meiner vergleichsweise hohen Sicherheit als Besitzerin eines abbezahlten Hauses, ausreichender Altersvorsorge sowie eines Gemüsegartens und nicht zuletzt eines wachsenden Netzwerks an Nachbarschaft, das mich vermutlich im äußersten Fall auch noch ein Stück weit mittragen würde, eher als viele andere leisten könnte - fällt mir aktuell ein bißchen schwer.  

Einer Sache bin ich mir inzwischen leider ziemlich sicher: Unsere aktuelle Bundesregierung war ein tieferer Griff ins Klo, als ich ohnehin erwartet hatte. Nie hätte ich es allerdings auch über mich gebracht, eine der Parteien der Vorgängerregierung zu wählen, die ja ebenfalls gar nicht überzeugend war. Aber daß ich keine der jetzigen Regierungsparteien gewählt habe, ist mir ebenso wie zuvor bei der Ampel eine gewisse Erleichterung. Im Moment ist Nichtwählen für mich die einzige denkbare Option, alle theoretisch wählbaren Parteien machen dieselben Grundfehler, die die Populismus-Misere miterzeugt haben. Daß es mit der jetzigen Regierung voraussichtlich noch schneller in den Abgrund gehen wird, ändert daran nicht so viel, daß es für mich ein Grund sein müßte, es zu bedauern, nicht mit meiner Stimme zu einer anderen Regierung beigetragen zu haben. Also übe ich mich in diesem Punkt doch wieder in Fatalismus, aber ich bemühe mich, das nach dem guten alten österreichischen Prinzip "Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst" zu tun. Oder, wie EAV einst sang: "Pack die Badehose ein, die Sintflut ist da!" Es hat ja keinen Sinn, sich psychisch von einer Sache runterziehen zu lassen, die man sowieso nicht ändern kann. 

Im Prinzip habe ich mich nämlich schon jetzt damit abgefunden, daß die nächste Bundesregierung eine mit AfD-Beteiligung sein wird. Neuerdings verfolge ich auf Wahlrecht.de die Ergebnisse der Sonntagsfragen, um zu sehen, ob die Entwicklung in die von mir vermutete Richtung geht oder ich vielleicht ja zum Glück doch Unrecht habe. Momentan ist die AfD an der CDU - je nach Umfrageinstitut - teils bereits vorbeigezogen, teils ist sie nahe dran. Und meiner Meinung nach ist das erst der Anfang. Wie kann man eigentlich so verblödet sein, diese Sozialstaat-Abholzungs-Debatten mit ihrer Aufhetzerei aller möglichen Bevölkerungsschichten gegeneinander einfach frei laufen zu lassen, anstatt wenigstens den Versuch zu machen, sie ein wenig zu steuern? Und zwar so, daß den Populisten nicht automatisch neue Wähler zugetrieben werden?

Daß es den Medien natürlich nie kontrovers genug sein kann, ergibt sich aus der inneren Logik ihres Geschäftsmodells. Ich bin schon lange fest davon überzeugt, daß von Tagesschau bis Spiegel, Zeit und FAZ jedes Medium im Zweifelsfall eher einen Krieg oder Bürgerkrieg auslösen würde, als auf sensationelle Panik erzeugende Schlagzeilen zu verzichten. Selbstverständlich fallen bei jeder dieser Debatten wieder ein paar weitere Wähler vom demokratischen Wagen, da Panik, wie jedermann auch weiß, noch nie ein guter Ratgeber gewesen ist. Falls Friedrich Merz genau dieses Ziel verfolgen sollte, nämlich möglichst viele Wähler ins Lager der Populisten zu treiben, macht er gerade genau das Richtige mit seinen Ausfällen gegen Bürgergeld-Aufstocker mit Teilzeitjobs, von seinen Einlassungen gegen andere benachteiligte gesellschaftliche Gruppen gar nicht erst anzufangen. Und es gibt auch keinen erkennbaren Versuch, die Kakophonie von Kürzungsforderungen aus der Wirtschaft wieder einzufangen, ein bißchen zu steuern und in einen Rahmen einzubetten. Denn daß irgendwo gekürzt werden muß, ist ja sicher. Das wird den davon Betroffenen natürlich auch dann nicht gefallen. Aber wenn man den Sinn innerhalb eines grundsätzlich akzeptierten Rahmens erkennen kann, ist es noch eher zu verkraften. 

Dieser Rahmen fehlt allerdings. Der einzige Rahmen, den man erahnen kann, ist die Logik gewinnerzielender Unternehmen, und die paßt auf die Bürger einer Gesellschaft nicht, weil ihre Priorisierungen dazu nicht passen.  

Alleine Marcel Fratzschers "Rentner-Reichsarbeitsdienst"-Vorschlag - auch wenn er nicht den Hauch einer Aussicht hat, wirklich umgesetzt zu werden - wird der AfD meiner Meinung nach mindestens einen Prozentpunkt mehr Wähler verschaffen, und zwar vor allem in meiner Altersgruppe. Aber sollte er doch einmal umgesetzt werden, dann wünsche ich Herrn Fratzscher hiermit ausdrücklich eine Pflege, die aus Rentnerarbeitsdienstlern besteht, und zwar ohne jede zusätzliche Fachkraft, denn es liegt ja auf der Hand, daß ein solches Modell dazu führen würde, teure Fachkräfte einzusparen, egal wieviele und wie heilige Eide der Fratzscher schwört, daß dies nicht die Intention seinens Vorschlags gewesen sei. 

Meine Altersgruppe hat handfeste Gründe, sich von Fratzscher persönlich angegriffen, aber auch bedroht zu fühlen. Es ist ja schon ein Nachteil, länger als die heute Achtzigjährigen arbeiten zu müssen, um die reguläre Rente in Anspruch zu nehmen. Bei Frauen fällt das noch stärker ins Gewicht, denn bis zur Rentenreform der Schröderregierung 1999 lag ihr Ruhestandsalter bei 60 Jahren. Erst die Geburtsjahrgänge ab 1953 arbeiteten dann ebensolang wie Männer. Eingesehen haben die Rente mit 67 als Regelfall aber trotzdem alle, jedenfalls gab es keinen größeren Widerstand dagegen. Das zusätzliche Pflichtjahr wurde aber außerdem mit ziemlich unfairen und noch dazu inhaltlich völlig abwegigen Milchmädchenrechnungen begründeten persönlichen Vorwürfen gegen meine Generation garniert. Ignorant, selbstbezogen und naiv sollen wir gewesen sein und uns durch die Produktion von zu wenigen Kindern unserer Verantwortung verweigert haben. 

Das letzte ist so bescheuert, daß ich mich nicht mal darüber ärgern kann, sondern darüber staune, daß Fratzscher ja auch schon viel zu alt ist, um ihn als PISA-Opfer bemitleiden zu können. Hier fehlen alle Ansätze von Denken in Zusammenhängen.

Nicht einmal mit einer Geburtenrate wie in den sechziger Jahren hätte man nämlich ausgleichen können, daß seinerzeit viel weniger Rentner mitzuversorgen waren, erstens, weil die Lebenserwartung niedriger war, und zweitens, weil zwei Weltkriege die betreffenden Altersgruppen natürlich auch ausgedünnt hatten. Gleichzeitig würde eine dauerhaft so hohe Geburtenrate wie in den sechziger Jahren natürlich zu genauso massiver zusätzlicher Arbeitslosigkeit führen wie zu der Zeit, als wir damals ins Berufsleben eingetreten sind. Aber ebenso noch einmal zu der Zeit, als mein Sohn das tat und unsere Kinder - weniger als wir, aber immer noch mehr, als das Ausbildungssystem verlangte - in Ausbildung und Hochschule drängten. Hätten wir doppelt so viele Kinder gehabt, wäre das Elend Mitte der Nuller Jahre noch schlimmer geworden. Und hätten die ebenfalls so viele Kinder gehabt, wäre es bis heute dauerhaft bei dem Elend geblieben, weil dann der demographische Faktor den Arbeitsmarkt nicht zugunsten der Bewerber verändert hätte. 

Es ist also in Wirklichkeit gar nicht wahr, daß die Kinder unserer Kinder unseretwegen nichts als Nachteile zu erleiden haben. Die heutigen Berufseinsteiger, die Generation, der meine Enkel angehören würden, wenn ich nur welche hätte, hat es viel leichter als die Generation meines Sohnes, und ebenso wie meine Generation. Sie nimmt das halt als Selbstverständlichkeit. 

Neuerdings hat sich für meine Altersgruppe, die zuvor als "geburtenstarke Jahrgänge" bezeichnet worden war, die Bezeichnung "Boomer" eingebürgert. Eigentlich ist dieser Begriff ja wertneutral, obwohl er von den meisten, die ihn verwenden, nicht wertneutral verwendet wird. Ein genau umgekehrtes Beispiel liegt mit dem Wort Neger vor, für dessen Verwendung ich heute öffentlich gesteinigt werde, falls mein Blog den falschen Leuten zu Gesichte kommt. Das war einmal auch in der Verwendung wertneutral, es kommt in den seriösesten Veröffentlichungen wertneutral vor, und zwar bis in die neunziger Jahre hinein. Die Wortneuschöpfung Boomer dagegen könnte zwar neutral sein, wird aber in der Regel abfällig verwendet, und das umso begeisterter, je weiter die Verwender sich altersmäßig noch von uns entfernt fühlen. Das würde dieses Wort eigentlich zu einem guten Beispiel machen, wie man konstruktiver als die üblichen Kämpfer gegen böse Wörter mit Begriffen, die beleidigend gemeint sind, umgehen kann, wie das etwa der Schwulenbewegung auch geglückt ist, denn "schwul" war früher ja auch beleidigend gemeint. Ich fürchte allerdings, das wird nicht gelingen, wenn die damit Gemeinten weiterhin ständig kopfscheu gemacht werden und sie dies mit dem Wort "Boomer" untrennbar verknüpft erleben. 

Ich nehme an, es wird meine Generation sein, die uns nach der nächsten Bundestagswahl eine Regierung mit AfD-Beteiligung verschaffen wird. Und nein, darauf freue ich mich gar nicht.  

So sah die Altersverteilung der AfD-Wähler bei der diesjährigen Bundestagswahl aus:  

Das ist übrigens ganz interessant, denn diese Altersverteilung - bei freilich sehr viel geringerem Wähleranteil der AfD - ist seit 2013 in etwa gleich geblieben - obwohl die Befragten von 2013 seitdem überwiegend in eine höhere Altersgruppe gerutscht sind: 

 

Den höchsten Zuwachs gab es mit stolzen 20 Prozentpunkten bei denen, die 2013 der Altersgruppe 25-34 angehört hatten, was mich nicht im geringsten wundert, denn das ist natürlich die Generation, die zu Agenda-2010-Zeiten, ab 2005, in Ausbildung, Studium und/oder Berufsleben eingestiegen ist. Ich habe damals live bei meinem Sohn miterlebt, was das bedeutete, und schon damals dachte ich, daß beträchtliche Teile dieser Generation so traumatisiert würden, daß sich das eines Tages noch rächen werde. "Eines Tages" ist jetzt vielleicht gekommen. 

Ich betätige mich nunmehr ein weiteres Mal als Prophet und behaupte: Der nächste Anstieg der AfD-Wähler wird in den Altersgruppen über 50 am höchsten ausfallen. Die Altersgruppe 45-59 wird bei der nächsten Bundestagswahl deutlich die meisten AfD-Wähler enthalten, gefolgt von der Altersgruppe 60 bis 69. Jedenfalls dann, wenn nicht damit aufgehört wird, denen, die weniger als zehn Jahre bis zum Renteneintritt haben, zu vermitteln, man werde ihre wirtschaftliche Verwertung so lange weiterbetreiben, bis sie zu krank dafür geworden sind, ohne jede Chance, noch einige gesunde Jahre mit eigenen Inhalten zu füllen. 

Es spielt dabei außerdem keine Rolle, ob das Fratzscher-Szenario wirklich zu befürchten wäre oder nicht. Das Kopfkino, das dabei ausgelöst wird, ist für sich alleine ausreichend, um die Gewißheit, am Ende sei doch ein demokratischer Rechtsstaat eine unverzichtbare Grundlage für das eigene Wohl, auch dann, wenn man mal nicht mit ihm zufrieden ist, in dieser Generation nachhaltig zu erschüttern. Es ist ja blühender Blödsinn, zu behaupten, uns wäre es viel besser gegangen, als wir so alt waren wie heutige Zwanzigjährige. Wir hatten bloß andere Probleme, die sie heute nicht haben (siehe oben), die uns aber nicht weniger belastet haben.  

Diejenigen unter den sogenannten Boomern, die einen nachvollziehbaren Grund haben, sich sowieso benachteiligt zu fühlen, werden vermutlich besonders häufig vom Glauben an einen Staat abfallen, der sie gleichzeitig noch beschuldigt, dumm und faul zu sein. Das sind vor allem Frauen, denn die weibliche Hälfte meiner Generation ist vielfach - und damals auch politisch gewollt - nach der Familiengründung für lange Zeit und oft genug auch dauerhaft aus ihren beruflichen Bezügen herausgefallen. Das gilt nicht nur für die, die in der Minijobfalle steckengeblieben sind, sondern auch für diejenigen, deren berufliche Laufbahn im niedriger bezahlten Bereich herumdümpelte, weil sie keine andere Wahl hatten, als nach Ablauf des damals so genannten Erziehungsurlaubs zu kündigen, weil es vielen unmöglich war, eine Kinderbetreuung zu finden. 

Es gilt aber auch für alle, die in meiner Altersgruppe nach 2004 ihren Job verloren haben und sich beruflich neu orientieren mußten. Das führte nämlich zu oft viele Jahre langen Niedriglohnphasen, teils in Teilzeit, die sich selbstverständlich in einer geringeren Rente niederschlagen werden. Vor allem dann, wenn man das Vorher-Einkommen lange oder überhaupt nicht mehr wieder erreichte. Mein Mann gehört zu denen, die nach beschissenen 90erjahren mit Niedriglohn im Osten eine noch üblere Hälfte der 2000er erlebte, was man bis heute an seinen Rentenansprüchen ablesen kann. Trotzdem gehört er auch zu denen, die unter dem Strich noch Glück gehabt haben. Nicht nur, weil er eine vermögende Frau hat, sondern auch, weil die fast zwanzig Jahre in seinem jetzigen Arbeitsverhältnis dazu geführt haben, daß sein Einkommen jetzt ganz ordentlich und ungefähr auf Augenhöhe mit meinem ist. Aber daß er sich in jungen Jahren durch die Nachtschichtjahre beim Wachdienst für immer seinen Schlaf-Wach-Rhythmus versaut hat, und das für einen aberwitzig niedrigen Stundenlohn, daran ändert das halt auch nichts. 

Damit genug von diesem Thema, obwohl ich noch stundenlang weitermachen könnte. Jedenfalls, die Bundesregierung verhält sich extrem ungeschickt, und das Personal macht mir nicht den Eindruck, als wäre es intellektuell imstande, zu erfassen, was sie damit anrichtet. Es wird also wohl Zeit, Archen zu bauen - und dabei nicht vergessen, auch die Badehose einzupacken. ;-)  

 ***

So, und jetzt wirds hochphilosophisch, fast schon theologisch. Ich las nämlich kürzlich über Blaise Pascal (1623–1662), einem französischen Mathematiker, Physiker und Philosophen, daß nach seinem Tod in seinem Gehrock eine eingenähte Notiz gefunden wurde, auf der stand: "Feuer. Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Philosophen und Gelehrten. Gewißheit, Gewißheit, Gewißheit, Empfinden: Freude, Friede. Der Gott Jesu Christi." Diese Notiz soll er unter dem Eindruck eines intensiven religiösen Erlebnisses geschrieben und so bedeutsam gefunden haben, daß er sie immer bei sich tragen wollte. 

Ich glaube, ich weiß, was für eine Art Erlebnis das war, denn ich habe vor etlichen Jahren etwas erlebt, bei dem ich immer dachte: Wer an Gott glaubt, für den wäre das eine Gotteserfahrung gewesen, die seinen Glauben auf ein ganz anderes Niveau gehoben hätte. Dabei ist gar nicht so leicht zu beschreiben, was das für ein Erlebnis war, eigentlich ist nämlich gar nicht viel passiert und es dauerte nur Sekunden. Es war während eines ganz normalen Arbeitstags am Schreibtisch, als ich nach einem Telefonat aus dem Fenster sah und auf einmal dieses Gefühl hatte, auf eine kaum zu beschreibende Art fundamental richtig zu sein - die richtige Person am richtige Ort und in der richtigen Zeit, aber so ausgedrückt klingt es zu banal. Es war umfassender, als hätte gerade Gott, die Welt, das Schicksal oder was auch immer mir als Ganzem in allen meinen Facetten ein nachdrückliches "Ja" zugerufen. Es war ein Gefühl, getragen oder gehalten zu sein.  

Das hat noch lange in mir nachgehallt, aber irgendwann habe ich es aufgegeben, es jemandem beschreiben zu wollen, weil es unmöglich ist, jemandem zu vermitteln, wie das war - und vor allem: was es nicht war. Es hat beispielsweise nichts mit einem "Flow"-Zustand zu tun, den kenne ich auch, der passiert mir häufig, vor allem, so kurios das klingt, beim Fensterputzen. Mit dem, was ich gerade tue, eins sein, das erlebe ich öfter, auch wenn ich mich nicht bemühe, es aktiv herbeizuführen. Dies hier erlebte ich nur einmal und es was etwas anderes. 

Ich glaube jedenfalls der Beschreibung und seiner Reaktion nach, so etwas wie mir ist Blaise Pascal auch passiert. 

Was genau dieses Erlebnis ausgelöst hat, das herauszufinden war mir aber nie wichtig. Es fühlte sich gut an und tut das immer noch, wenn ich daran denke. Warum sollte das nicht genügen? Ob das jetzt aus mir kam oder von außer mir, das muß ich doch nicht unbedingt wissen. Zur Gottesfrage habe ich nämlich folgende pragmatische Lösung gefunden: Sollte es einen Gott geben und dieser Gott findet es wichtig, daß ich weiß, daß es ihn gibt, dann wird er schon Mittel und Wege finden, mir seine Existenz unmißverständlich kundzutun. Bislang ist das nicht geschehen - auch mein Erlebnis kann ganz andere Ursachen haben -, also mache ich mir um die Sache keinen Kopf, weil es die Mühe nicht lohnt, an Fragen herumzuknobeln, die auf dem Verstandesweg sowieso nicht beantwortbar sind, weil Gott nun einmal weder beweis- noch widerlegbar ist. Ich komme mit der Arbeitshypothese, daß es ihn nicht gibt, gut genug durchs Leben, aber er müßte mich auch nicht möglichst theatralisch von einem Blitz erschlagen lassen, um mich vom Gegenteil zu überzeugen. 

Aber wenn Gott es wirklich ernst damit meint, mich überzeugen zu wollen, dann kommt er in der äußeren Gestalt von Morgan Freeman. Seit ich den - eigentlich sonst gar nicht so guten - Film "Bruce Allmächtig" gesehen habe, finde ich nämlich, Gott SOLLTE, falls es ihn gibt, aussehen wie Morgan Freeman in diesem Film.  



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen