Montag, 19. August 2024

Der Low-Carb-Pionier Robert Atkins

Mein Gewicht heute früh zu Beginn des dreitägigen Fastenintervalls: 79,6 Kilogramm. Das Seltsame ist, daß der schleichende Gewichtsanstieg erst ab ca. Mitte Juli losgegangen ist, bis dahin dachte ich ja sogar, daß mein Gewicht tendenziell fällt. Aber wie auch immer, es wird wohl doch Zeit, dafür zu sorgen, daß ich weiter unter 80 bleibe. Deshalb werde ich ab nächster Woche bis zum Beginn der heißen Umzugsphase wieder zwei Fastentage in den Frühschichtwochen meines Mannes einbauen, normalerweise wieder Dienstag und Donnerstag, wobei ich das je nach Tagesanforderungen bestimmt öfter auch auf einen anderen Tag verschieben werde. In den Spätschichtwochen bleibe ich voraussichtlich bei drei aufeinanderfolgenden Fastentagen immer von Montag bis Mittwoch.

Was ich in den Wochen des Umzugs mache (die Phase von Ende September bis Mitte/Ende Oktober), habe ich noch nicht entschieden, aber direkt nach dem Umzug steigen wir wahrscheinlich sofort in die Low-Carb-Phase ein, die ich ohnehin mit meinem "alten" Fastenrhythmus kombinieren wollte, also 4-2-4-2. Es kann sein, daß das diesmal bloß vier oder fünf Wochen werden, das hängt auch davon ab, wie lange es dauert, bis wir im neuen Heim richtig "angekommen" sind.

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Atkins "Diät-Revolution" war mir eigentlich dem Namen nach schon seit Jahrzehnten bekannt, obwohl ich mich inhaltlich nie damit auseinandergesetzt habe und mir sogar durch die Lappen ging, daß Atkins in den neunziger Jahren mit der "neuen Atkins-Diät" nachlegte, damit wie mit seinem ersten Buch einen Bestseller landete und um die Jahrtausendwende offenbar einen Low-Carb-Hype auslöste, den Vorgänger des jetzigen Hypes. Dieses zweite Buch habe ich jetzt, nun ja, überflogen. Denn es gründlich zu lesen, konnte ich mir sparen, viele Details zu von ihm propagierten Ernährungsform kannte ich ja längst, weil die Unterschiede zu heute üblichen LC-Formen unerheblich sind. 

Atkins starb 2003 im Alter von 72 Jahren an den Folgen eines Unfalls, und es gab eine Art Skandal, weil die ernährungsmedizinische Konkurrenz den zugehörigen Autopsiebericht leakte, dem zufolge Atkins selbst adipös gewesen sei und außerdem an typischerweise der Ernährung zugeschriebenen Krankheiten gelitten habe. Seine empörte Witwe ging an die Öffentlichkeit, um zu widersprechen: Das angegebene Körpergewicht (117 kg bei einer Körpergröße von 1,83) sei eine Folge der Behandlung im Krankenhaus vor seinem Tod gewesen, die ihn unglaublich aufgeschwemmt habe. Tatsächlich habe er 89 Kilogramm gewogen, was für einen Mann seines Alters völlig normal sei. 

Festzuhalten ist hier, daß, normal oder nicht normal, das Gewicht, das seine Witwe angab, dennoch leichtem Übergewicht, nämlich einem BMI von 26,6 entsprochen hätte. In die Statistik wäre Atkins also als übergewichtig eingeflossen. Ob der BMI ein sinnvoller Maßstab ist, darf natürlich diskutiert werden, und ebenso, ob die Definition von Übergewicht wirklich in jedem Lebensalter dieselbe sein sollte.

Aber ist es wirklich denkbar, daß wenige Tage einer aufschwemmenden Krankenhausbehandlung - die es ja wirklich gibt - zu einer Zunahme des Körpergewichts um sagenhafte 28 Kilogramm geführt haben könnten? Ich will das nicht zu voreilig ausschließen, aber man sehe mir eine gewisse Skepsis nach. Als mein verstorbener Schwager im Krankenhaus endlich durchsetzen konnte, daß man entwässernde Maßnahmen durchführte, verlor er ziemlich schnell viel Gewicht. Die exakte Zahl weiß ich nicht mehr, aber es waren ein bißchen mehr als zehn Kilogramm, 12 oder vielleicht auch 13. 28 Kilo kommt mir im Vergleich auch dazu enorm viel vor.

Ich halte es außerdem auch nicht für ausgeschlossen, daß Atkins - der seine Diät ja immerhin beim eigenen Kampf gegen überflüssige Pfunde entwickelt hatte - entgegen den vollmundigen Versprechen in seinem Buch halt doch nicht dauerhaft rank und schlank geblieben war, sondern immer mal wieder nachjustieren mußte, weil die Zahl, die die Waage anzeigte, halt doch im Lauf der Zeit nach oben schlich. Dafür spricht auch, daß Atkins seine Diät ja weiterentwickelt hatte, sicherlich auch im eigenen Interesse, sein Gewicht zu regulieren, was offenbar mit Version 1 nicht dauerhaft zu seiner Zufriedenheit geklappt hatte. Einer der Unterschiede der neuen zur ursprünglichen Version von 1972 besteht beispielsweise darin, daß er nun Bewegung für einen wichtigen Faktor hält, was ursprünglich nicht der Fall gewesen war. Dieser neue Faktor verhalf ihm vermutlich zurück zu seinem Zielgewicht, aber eine dauerhafte Gewichtsstabilität ohne gelegentliche steuernde Maßnahmen halte ich für unwahrscheinlich, weil sie eher untypisch zu sein scheint.

Die Wahrheit dürfte also vielleicht in der Mitte zu suchen sein. Atkins kann sehr wohl trotz korrekter Anwendung seiner Diät immer wieder mit ein paar überflüssigen Pfunden gerungen haben, aber außerdem durch die Behandlung, die sein Leben dann nicht retten konnte, zusätzlich noch aufgeschwemmt worden sein.  

Atkins ist ja auch nicht der erste Diät-Guru gewesen, dessen Erfolgsmodell zum Abnehmen angesichts der Entwicklung beim Erfinder selbst die eine oder andere Frage aufwirft. Das ist ja eine Art roter Faden in der Geschichte des Abnehmens. Ob nun Joschka Fischers langer Lauf zu sich selbst oder Angela Merkels pragmatische Methode, alle Snacks zwischen den Mahlzeiten zu eliminieren, oder sogar Siegmar Gabriels Magenverkleinerung: Das erhoffte Normalgewicht zu erreichen bzw. das erreichte Gewicht auf Dauer zu halten klappt bei den wenigsten, und solange man von der Kalorienlogik nicht wegkommt, wird das wohl weiter typischer Bestandteil aller Diäten sein.

Auch Atkins huldigte neben der immerhin vorhandenen Erkenntnis der hormonellen Wirkweise im Prinzip der Kalorienlogik, er ging davon aus, daß ein Teil des Erfolgs von kohlehydratarmer Ernährung darauf zurückzuführen sei, daß die Sättigung mit weniger Kalorien erreicht werden kann - was ebenfalls zutreffen dürfte, wenn man nach Kevin Halls einschlägiger Studie geht, die allerdings viel zu kurz war, um etwas über eine Langzeitwirkung aussagen zu können. Atkins selbst nannte in seinem Buch eine Zunahme von 2 Kilogramm, ab der man gegensteuern sollte, was ich jetzt fast schon übertrieben finde. Aber im Grunde reagiere ich jetzt auch auf ungefähr diesen Wert. Mein niedrigestes Vor-Fasten-Gewicht lag bei 75,5 Kilogramm, aber das war direkt nach der Endspurtphase und eine Zunahme direkt im Anschluß daran war ja einkalkuliert und das Ziel bestand darin, die 78 Kilogramm nicht zu überschreiten, was mir ja leider nicht gelungen ist. Wenn ich jedenfalls von 77,5 Kilogramm ausgehe, liege ich gerade ziemlich genau zwei Kilo darüber. Hätte ich im Frühjahr mein Zielgewicht erreicht, wäre ich wohl bei 77,5, also ebenfalls bei zwei Kilo plus zusätzlich zu der ohnehin erwarteten Zunahme, aktiv geworden.

Zufälligerweise las ich gerade auch einen Bericht über die Autorin des allerersten Diät-Bestsellers, dessen Abnehm-Modell auf Kalorienzählen beruhte, Lulu Hunt Peters, die das Buch schrieb, nachdem sie 35 Kilogramm abgenommen hatte. Interessanterweise wird in dem Artikel nicht darauf Bezug genommen, daß Frau Peters auf einem Foto, das wenige Jahre nach der Buchpublikation erschien, in der Gruppe von Damen keineswegs als besonders rank und schlank auffällt (Lulu Peters ist die Frau in der Mitte in der vorderen Reihe), auch wenn sie sicherlich ihr Vorher-Gewicht auch noch nicht wieder erreicht hatte. Und, zugegeben: Besonders figurfreundlich ist die Kleidung, die die Damen anhaben, natürlich auch nicht. Aber die Dame in der Mitte wirkt schon kompakter als jede der anderen fünf in der ersten Reihe.

Red Cross humanitarian mission

Ich zögere, das Buch von Atkins zu empfehlen, weil es ein paar falsche Versprechungen macht, möglicherweise einer der Gründe dafür, warum der LC-Hype dann wieder abflaute, bevor er wieder neu entfacht wurde. Denn die Atkins-Diät soll lebenslänglich eingehalten werden und sie ist damit eine von diesen "Ich darf nie wieder x essen"-Diäten. Daß einem seltene homöopathische Dosierungen der verbotenen Lebensmittel zugestanden werden, ist eher noch eine Verschärfung der Folter als eine Erleichterung. Das erinnert mich an die zwei Rippchen Schokolade, die meine Geschwister und ich in unserer Kindheit von unserer Mutter als Betthupferl bekamen. Damals hätte ich das sicher nicht so gesehen, aber rückblickend meine ich, es wäre für mich weniger unangenehm gewesen, diese Miniportion gar nicht zu bekommen. Winz-Portionen von besonderen Köstlichkeiten gehören meiner Meinung nach durch die Genfer Konvention verboten. 

Kurz, egal, wie oft Atkins in seinem Buch betont, daß die meisten Anwender dauerhaft dabei bleiben, sich nach seinem Diätkonzept zu ernähren, ich glaube ihm kein Wort. Das Problem dabei ist natürlich, daß wie bei Atkins selbst seine Patienten mehrheitlich ihr Gewicht damit weniger zuverlässig unter ihrer eigenen Kontrolle haben, als Atkins behauptet. Stagnations- oder sogar Zunahmephasen lassen bei vermutlich den meisten früher oder später die Selbstkontrolle bei der Ernährung schleichend erodieren, und zwar umso eher, je schmerzlicher bestimmte verbotene Lebensmittel vermißt werden. Richtig ist es aber sicherlich, daß regelmäßige Diäthalter jedenfalls für einige Zeit von LC entzückt sein werden, weil es eine Diät ist, die nicht zum Hungern zwingt, um abzunehmen. Und manche Leute vermissen wahrscheinlich wirklich dauerhaft überhaupt nichts, wenn sie Zucker, Mehl oder Reis ganz aufgeben, während für andere der Alltag und insbesondere der Einkauf oder Restaurantbesuche bzw. das soziale Leben dann jedes Mal die Selbstkontrolle einem Härtetest aussetzen. Das muß wohl jeder für sich selbst ausprobieren.

Das Buch enthält übrigens durchaus auch lesenswerte Teile, auch für Leute, die mit LC schon eigene Erfahrungen gesammelt haben, weil Atkins auszeichnet, daß er als Arzt Patienten mit seiner Ernährungsform behandelt hat und deshalb seine vierphasige Therapie sehr praxisorientiert aufgebaut hat und auch zu einer Reihe von möglichen Problemen Umgangsstrategien zu bieten hat. Man sollte sich halt nicht zu sehr von seiner Begeisterung anstecken lassen, denn die ultimative Ernährungslösung für eine einfache und dauerhafte Kontrolle seines Körpergewichts ist sie vermutlich für viele Anwender doch nicht, und das vor allem, weil sie wie jede andere Diät dazu zwingt, geliebte Speisen für immer aufzugeben.

Was mich, glaube ich, am meisten stört, ist neben dem penetranten Predigerton, daß Atkins gar nicht auf die Idee gekommen zu sein scheint, daß LC nicht das einzige Mittel sein könnte, mit dem das erhoffte Ziel auf dem Wege der Stoffwechselbeeinflussung erreicht werden kann, und daß es als Baustein unter mehreren solchen Mitteln sehr wohl möglich ist, LC effektiv einzusetzen, ohne es für den Rest des Lebens ununterbrochen beibehalten zu müssen. Fasten, in diesem Zusammenhang ja naheliegend, wird von ihm nicht ein einziges Mal als mögliche zusätzliche bzw. alternierend einsetzbare Maßnahme erwähnt. Darin unterscheidet er sich aber auch nicht von seinen Nachfolgern. Professor Seyfrieds therapeutischer Ketose, bei der es aus seiner Sicht letztlich unerheblich ist, auf welche Weise sie erreicht wird, ist die einzige Ausnahme, und sie bezieht sich ja nicht auf präventive Anwendung, sondern als Therapieansatz bei Krebserkrankungen. Aber genau diese Sorte Pragmatismus täte auch im Bereich Ernährung mit dem Ziel der Krankheitsvermeidung langsam mal not. Es ist doch hochgradig albern, daß die Fasten-Community mit ihren Dr. Fung und die LC-Community um Leute wie den lautstarken Dr. Tro immer so tun, als ginge sie die jeweils andere eigentlich gar nichts an.

Ich sinne darüber nach, welchen griffigen Namen man der Sache wohl geben könnte, analog zu Seyfrieds therapeutischer Ketose. Ob Ketose in diesem Namen auch vorkommen sollte? Ich bin mir aber nicht sicher, welchen Unterschied die Ketose beim Abnehmen macht. Daß die Keto-Sticks dazu nicht viel aussagen, das immerhin ist mir mittlerweile klargeworden. Wer massenhaft Ketone im Urin ausscheidet, bei dem steht ja vor allem fest, daß verflixt viele überschüssige Ketonkörper vorhanden sind, die vom Stoffwechsel gar nicht benötigt werden. Auf die Abnahmewirkung hat diese Art von Überschuß kaum einen Einfluß, also wundert es mich auch nicht, daß ich keinen Unterschied erkennen konnte, wenn die Verfärbung des Sticks intensiver oder weniger intensiv war. Übrigens ist mir jetzt auch klar, daß bei mehrtägigen Fastenintervallen kaum so intensive Verfärbungen auftreten sollten wie bei ketogener Ernährung, da ja nicht so wahnsinnig viel mehr Ketonkörper produziert werden, wie man benötigt, wenn man gar nicht ißt. Interessant immerhin, daß genügend Überschüsse erzeugt werden, um sie ungenutzt auszuscheiden. Interessant wird es außerdem, in meinen nächsten LC-Phasen regelmäßig den GKI zu messen und zu beobachten, ob ich dabei vielleicht doch einen Einfluß eines niedrigen GKI auf die Intensität der Abnahme feststellen kann. 

Aber da ich im Moment nicht sicher sagen kann, welche Rolle speziell das Erreichen der Ketose beim Abnehmen spielt, kann das im Namen für das Baby auch nicht vorkommen. Bis mir eine bessere Idee kommt, bleibe ich bei "hormonbasierter Gewichtsreduktion", aber das benötigt mir eigentlich viel zu lange Anläufe, um es zu erklären. Das hat aber auch damit zu tun, daß das gedankliche Konzept kaum von jemandem so vertreten wird. Es ist ärgerlich, daß auch die einschlägigen Vertreter von Fasten, Keto, zuckerfrei und all dem, das in diesen Bereich wenigstens teilweise hineinspielt, meist offen oder versteckt doch die Kalorien für maßgeblich halten und sie außerdem allesamt daran glauben, man müsse doch eine bestimmte alleinseligemachende Lösung finden, anstatt sich mit einem variablen Konzept, bestehend aus unterschiedlichen möglichen Bausteinen, die man auch alternierend oder in wechselnden Kombinationen anwenden kann, anfreunden zu können, und dabei vor allem von dem Ergebnis, nämlich einer Gewichtsabnahme bis zum Wunschgewicht und dem anschließenden Halten des Gewichts ausgehen. Es ist ja tatsächlich so, daß das, was beim einen eine tolle Wirkung hat, beim anderen nur wenig oder gar nichts bringt, und ebenso fallen manchen Leuten manche Dinge schwerer als andere, aber dafür andere leichter. Das hängt sicherlich auch nicht nur von Umgebungsfaktoren ab, obwohl die natürlich auch eine Rolle spielen, sondern auch vom individuellen Stoffwechsel.

Atkins' Verdienst besteht ohne Frage darin, daß er Pionierarbeit geleistet hat und es ihm gelungen ist, seinem Konzept, das besser ist, als meine wenig enthusiastische Beschreibung es vielleicht suggeriert hat (weil ich der Meinung bin, es fehlt mindestens ein weiterer Schritt hin zu einer wirkungsorientierten Sichtweise, statt sich auf eine einzelne Methode, die diese Wirkung erzielen kann, zu fokussieren), eine millionenfache Verbreitung zu verschaffen. In seinen Büchern hat er außerdem eine taugliche Grundlage geliefert, auf der man aufbauend weiterforschen könnte, wenn man nur wollte, und darauf basierend dann auch praxistaugliche Ernährungsweisen entwickeln. Kombinationen von Low Carb und Intervallfasten sind ja möglich und können sich sogar als einfacher erweisen. Mir jedenfalls erleichtern Fastentage die Disziplin in meinen Low-Carb-Phasen. Hat man einen, drei oder vier Tage lang gar nicht gegessen, schmeckt einem ja alles, was man im Anschluß daran ißt, ausgezeichnet, und es ist dann auch völlig egal, daß da keine Brötchen mit dabei sind.


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