Mittwoch, 27. September 2023

Die Selbstüberschätzung der Experten

Sorry, daß ich mich erst jetzt melde. Eigentlich wollte ich am Freitag ja mein neues Tiefstgewicht melden - und daß ich es nicht getan habe, bedeutet nicht, daß ich keines hatte: Mit 76,8 Kilogramm war ich zwar ein bißchen enttäuscht, aber trotzdem: Hundert Gramm minus zum alten Tiefstgewicht ist auch ein neues Tiefstgewicht. 

Ich hatte mir irgendeine komische und ziemlich hartnäckige Magen-Darm-Geschichte eingefangen, die mehr als zwei Wochen andauerte mit Höhepunkt letzte Woche und mich ein bißchen an mein "Magen-Darm-Gesamkunstwerk" durch die Kombi Trastuzumab/Pertuzumab erinnerte, allerdings minus den flotten Otto (genaugenommen vermißte ich die meiste Zeit sogar einen langsameren Otto) und plus etwas unentschlossen wirkende, aber dennoch lästige Erkältungssymptome, und das erklärt wohl auch, warum es im Moment nicht so richtig runtergehen will auf der Waage - wobei ich am Körpergefühl eigentlich sehr deutlich die Veränderung bemerke, und netterweise vor allem um den Bauch herum, woran mir ja am meisten liegt. Das lästige Daueraufstoßen, verbunden mit einem unangenehmen Druckgefühl auch in der Brust durch die Gasblasen, die in der Speiseröhre ständig aufstiegen, hat glücklicherweise jetzt so weit nachgelassen, daß ich mich deutlich besser fühle. Im Moment ist es ganz weg, aber das war es gestern auch schon fast den ganzen Tag, erst abends war es - in glücklicherweise stark reduzierter Form - wieder zu spüren, also ist es auch jetzt vielleicht noch nicht ganz weg. 

Was mich auch ein bißchen erschreckt hatte, ist, daß ich phasenweise auch das Gefühl hatte, schlechter zu sehen (während der Chemo hatte ich das auch manchmal), aber zum Glück scheint das jetzt auch vorbei zu sein. Trotzdem werde ich auch mal zum Augenarzt gehen müssen, um auf den neuesten Stand zu kommen, was die Entwicklung meines beginnenden grauen Stars betrifft. Interessanterweise hat nebenbei auch die Neuropathie sehr stark nachgelassen und ist jetzt die meiste Zeit kaum noch zu spüren. Außerdem scheinen sich die verletzten Nerven im rechten Arm, die seit der OP ein leichtes Taubheitsgefühl an der Unterseite des Oberarms verursacht haben, ausgerechnet in dieser Zeit neu aufgebaut zu haben, jedenfalls spüre ich davon auch fast nichts mehr. Zufall, oder besteht da ein Zusammenhang? Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie der aussehen sollte.

Jedenfalls, das alles hat mich in meiner beruflichen Großkampfphase dermaßen beeinträchtigt und meine Arbeit verlangsamt, daß ich mich ranhalten mußte, um meine Deadlines nicht zu schreddern, und so blieb mir nichts anderes übrig, als das Bloggen - ebenso wie das Putzen und Aufräumen meiner Wohnung - vorübergehend als minderwichtig bleiben zu lassen. Will heißen, ich habe eine ganze Reihe von Unerledigtem aufzuarbeiten, nachdem jetzt das Vordringliche glücklicherweise erledigt ist. Meine Wohnung sieht nämlich aus wie die Sau. Aber erst mal wollte ich mit dem Blog meinen Anfang machen. :-)

Heute morgen - nach Fastentag 1 von 2 diese Woche - wog ich 79,6 Kilogramm, das hätte ich mir eigentlich auch niedriger gewünscht. Aber neues Fastenintervall, neues Glück. 

Mein Mann freut sich bereits auf die Low-Carb-Wochen ab Mitte Oktober. Bislang lief das immer so, daß er während meiner Fastentage normal gegessen hat, aber diesmal will er LC konsequent durchziehen, weil ihn sein Bauch zu stören beginnt. Mehrtägige Fastenintervalle mag er nicht, und nachdem er es mal ausprobiert hatte, wollte er das nicht wiederholen. Da aber auch "inkonsequentes" Low Carb bei ihm immer ein Schrumpfen des Bauchumfangs bewirkt hat, will er mal wissen, was passiert, wenn er das sechs Wochen lang "richtig" macht.

Und meine Schwester hat offenbar auch der Ehrgeiz gepackt, nachdem ich ihr Höchstgewicht vom Frühjahr (84 Kilo) mittlerweile ja deutlich unterschreite. Aktuell wiegt sie um die 77 Kilogramm und möchte gerne noch bis 75, das lange ihr gewohntes Gewicht war. Sie macht das allerdings konventionell, zwar ohne Kalorienzählen, aber nach dem Prinzip "Weniger essen". Ich bin ja gespannt, ob es anhält (im Moment "profitiert" sie noch davon, daß sie sich vor zwei Wochen einen Norovirus eingefangen hatte, der ihr zwei Minuskilos eingebracht hat), und vor allem habe ich sie gebeten, ein kritisches Auge auf ihre Gewichtsentwicklung ab Mitte Oktober zu werfen, denn mich interessiert, ob sie dassselbe Phänomen mit der Zunahme zwischen Mitte Oktober und Mitte November beobachtet wie ich. Immerhin, wir teilen ja ein paar genetische Voraussetzungen, und wenn ich "Bärengene" habe, hat sie sie ja vielleicht ebenfalls.

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Die treudoof-kontraproduktiven Absonderungen der einschlägigen Lobbygruppen, vom DKFZ aufwärts, und natürlich von allen, die das retweeten und glauben, damit eine Art Evangelium weiterverbreitet zu haben, bis hin zu meinem alten Freund und Kupferstecher Professor Smollich, zur nationalen Krebspräventionswoche auf Twitter in Sachen Ernährung in den letzten Tagen bringen mich an die Grenzen meiner ohnehin nicht stark ausgeprägten Geduld. Ich habe mich sogar schon zweimal zu sarkastischen Antworten auf Twitter hinreißen lassen, obwohl ich genau weiß, daß ich mir das auch schenken könnte.

 

 

 

 

Einmal von der Unverschämtheit abgesehen, daß kurzerhand unterstellt wird, wer übergewichtig ist, der will das selbst so und könnte kinderleicht etwas daran ändern (ein Blick in den Stand der Forschung zu diesem Thema, aus der das Gegenteil hervorgeht, wäre ja wohl von sogenannten seriösen Fachgesellschaften nicht zu viel verlangt): Es ist doch völlig ballaballa, zu glauben, die Leute würden absichtlich fett bleiben wollen, wenn man sie nicht mit der Angstkrankheit Nummer 1, Krebs, ausreichend in Panik versetzt, daß sie endlich motivierter werden. Aber was mir außerdem bei der Chemo immer wieder aufgefallen ist: Mehrheitlich waren meine Mitpatientinnen schlank bis allenfalls minimal übergewichtig. Der lebende Beweis dafür, daß weniger Übergewicht, Statistik hin oder her, jedenfalls kein Schutz vor Krebs ist, bin ja wohl ich. Was kann ich mir eigentlich dafür kaufen, daß ich mit einem statistisch geringeren Krebsrisiko, das ich ja nach mehr als 50 Kilogramm Abnahme eigentlich gehabt haben müßte, Krebs bekommen habe?

 

Das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Mehr als die halbe Bevölkerung ist unglücklich über ihr Gewicht, bei Frauen sind es sogar fast drei Viertel. Nur 30 Prozent der Frauen haben außerdem noch nie eine Diät gemacht. Und denen fällt nichts Besseres ein, als ihnen die Erfolglosigkeit vorzuwerfen, die doch zum allergrößten Teil das Ergebnis von Abnehmkonzepten ist, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind ... und dann werden ihnen dieselben Konzepte ein weiteres Mal als angeblich unfehlbar angedient

Panikmache alleine wäre ja schon schlimm genug (Angst ist ja meistens ein schlechter Ratgeber), aber diejenigen, die durch so was erfolgreich in Angst und Schrecken versetzt wurden, dann noch auf den Kalorien-Holzweg zu schicken, der - statistisch gesehen - 95 Prozent von ihnen eher noch kranker als gesünder machen wird, ist geradezu niederträchtig. Die Ahnungslosigkeit alleine könnte ich solchen Gesundheitslobbygruppen ja noch verzeihen, aber nicht die Überheblichkeit und Selbstüberschätzung, die sie dazu verleitet, etwas Sinnloses bis Kontraproduktives zu propagieren, das vermutlich mehr Anwendern schaden als nützen wird.

Das sind übrigens außerdem dieselben Leute, die dann wieder hysterische Anfälle bekommen, wenn man es wagt, chemoherapiebegleitend zu fasten oder Low Carb zu essen, weil man dann ja Gewicht verliert. 

Verdammtes Expertokraten-... (Selbstzensur, ich nehme den ursprünglich eingefügten Begriff hiermit zurück, bitte eine freundlichere Bezeichnung eigener Wahl einfügen ... mir fällt aber nur Unfreundliches ein) 👿👾👽💀💀💀😡😠💩💀💀💀

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Nachtrag: An solchen Tweets wie diesem hier sowie manchen der Kommentare sind diese Leute selbstverständlich auch schuld. 

Auf diesen Tweet immerhin habe ich nicht geantwortet, aber das war keine Kunst, denn der Orthopäde war wohl ziemlich unangenehm berührt von der teils sehr angepißten Reaktion der Leser auf sein neckisches Bildchen, auf das man - finde ich - sehr wohl unwirsch reagieren dürfen sollte. Und jetzt darf außer seiner Gefolgschaft niemand mehr antworten. Also geriet ich gar nicht erst in Versuchung. Oder vielmehr: Ich gebe ihr spontan mal hier nach, wo wir entre nous sind. 😎

So hart im Nehmen wie jeder x-beliebige Patient mit Adipositas sein muß, wenn er beim Arzt ist, scheint er also nicht zu sein, der Herr Doktor. Genau deshalb schieben Patienten mit BMI über 30 Arztbesuche auch oft hinaus, bis es einfach nicht mehr anders geht (womit sie natürlich manchmal alles nur noch schlimmer gemacht haben): Weil sie genauso dünnhäutig sind wie dieser Orthopäde. Wer faule Witze über Dünnhäutige macht, muß sich nicht wundern, wenn sie diese Witze dann nicht mögen. Wenn man es nicht aushält, dann auch mal so weit zurückzurudern, daß man sich dafür entschuldigt, sollte man es gar nicht erst machen.

Nur zur Erinnerung: Fast drei Viertel aller Frauen in Deutschland sind unglücklich über ihr Körpergewicht und die Mehrheit von ihnen kämpft einen mehr oder weniger aussichtslosen Kampf gegen ihren eigenen Körper (weil: siehe oben). Die meisten von ihnen darf man sich als dünnhäutig vorstellen.

Bei allem Verständnis dafür, daß ich mir die Aufgabe im OP dieses Arztes tatsächlich schwieriger vorstelle als bei einem Patienten mit BMI 20: Der Text wäre ja noch akzeptabel gewesen, aber in Kombination mit dem Bild war er unangemessen. Aber Halbgötter in Weiß sehen es ja niemals ein, wenn sie etwas falsch gemacht haben, oder jedenfalls geben sie es dann nicht zu. Das war vermutlich im vorliegenden Fall als reflexhafte Reaktion zu werten, eine Art ärztliche Berufskrankheit.

In einem Folgetweet sprach dieser Mensch wahrhaftig sogar von "Haßkommentaren".

 

Ich weiß nicht, wo er einen Haßkommentar gesehen haben will, also einen, wo er als Person angegriffen wird. (Immerhin, ich konnte ja nicht antworten ...) Es gab eine ganze Menge Leute, die den Inhalt kritisierten, darunter etliche, die sich erkennbar selbst durch den Inhalt angegriffen fühlten. Eine normale Reaktion auf so etwas wäre eigentlich (wenigstens insgeheim) ein Gefühl von Betroffenheit und vielleicht sogar ein bißchen Scham. Wer davon nichts zu erkennen gibt, muß es aushalten, daß andere auch keine Rücksicht auf seine verletzten Gefühle nehmen oder ihn gar verdächtigen, so etwas wie Gefühle sowieso nicht zu haben (und dann muß man auch auf nichts Rücksicht nehmen).

Unter uns Klosterschülerinnen: Solange ein Arzt nichts Schlimmeres als Mängel im Sozialverhalten zu rechtfertigen versucht, geht's aber noch - solange er nur die OP nicht verpfuscht. Die eigentlichen Probleme mit den Leuten ohne Sozialverhalten werden durch die Urheber der weiter oben oben abgebildeten Tweets ausgelöst. Wo echte (Ernährungswissenschaftler) und vermeintliche Experten (Angehörige diverser nichternährungsmedizinischer Fachrichtungen, die in Wirklichkeit in diesem Bereich auch nur Laien sind) entgegen den wissenschaftlichen Fakten so tun, als bestünden ernsthafte Erfolgsaussichten bei Anwendung ihrer Abnahme-Ratschläge, da werden Ärzte natürlich glauben, daß dies wirklich so ist. So lange, bis sie selbst vergeblich gegen überzählige Midlife-Pfunde ankämpfen müssen, was ich ihnen hiermit allesamt von Herzen wünsche - nicht als Strafe, sondern als potentielle Quelle von Erkenntnis.