Donnerstag, 3. Oktober 2019

Mit den Worten "Fakt ist ..." wird meistens eine glatte Lüge eingeleitet.

Erst einmal das Persönliche: Gestern wog ich nach meinem ersten Fastentag der Woche sehr erfreuliche 101,6 Kilogramm (minus 2,8 Kilogramm nach dem Fastentag!). Heute morgen waren es weniger erfreuliche 103,2 (plus 1,6 Kilogramm). Aber vielleicht werde ich ja mit einer 2,3-Kilogramm-plus-x-Abnahme überrascht und lande morgen doch endlich mal unter 101? (Ich glaub's aber erst, wenn ich es sehe ...)

Natürlich enthalten die "abgenommenen" 2,8 Kilo zwischen 2,6 und 2,7 Kilo Wasser. Aber so viel Wasser auf einmal habe ich schon lange nicht mehr verloren, obwohl das bis ca. Februar dieses Jahres für den ersten Fastentag der Woche im ganz normalen Bereich gewesen ist. Und: Am zweiten Fastentag der Woche verlor ich in dieser Zeit selten weniger als mindestens 2 Kilogramm. Sollte sich also mein Stoffwechsel aus irgendeinem Grund verändert haben und höhere Flüssigkeitsschwankungen verursachen, könnte es vielleicht sogar klappen mit den 2,3 Kilo.

Wer hier regelmäßig mitliest, hat es vielleicht schon bemerkt: Ich reagiere auf manche Begriffe und Redewendungen, die typisch für unsere mediale Wissenschaftskommunikation sind, ziemlich gereizt. Eine dieser Redewendungen lautet "Fakt ist ...". Gelesen habe ich sie im vorliegenden Fall hier
 Fakt ist, dass die Ernährung kausal mit dem Erkrankungsrisiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 sowie weiteren Erkrankungen verbunden ist.
Das ist, mit Verlaub, Dummfug. Um eine kausale Verbindung nachweisen zu können, müßten die Ursachen und Wirkungen durchschaut werden, und das ist in Sachen Ernährung und Krankheiten schlicht nicht der Fall, auch wenn viele Mutmaßungen über kausale Zusammenhänge existieren.
Was hingegen bekannt ist, sind sogenannte "Korrelationen", ermittelt auf statistischem Wege: Es wurde festgestellt, daß Studienteilnehmer, die Lebensmittel x konsumieren, häufiger an Krankheit y leiden als andere, die auf es verzichten.

Auf dieser Basis sind praktisch alle Ernährungsempfehlungen der letzten Jahrzehnte erfolgt, und auf den ersten Blick leuchtet diese Vorgehensweise auch ein. Denn manche Zusammenhänge scheinen tatsächlich so überdeutlich zu sein, daß es nicht riskant, aber dafür gesundheitlich sehr erfolgversprechend erscheint, sich an ihnen zu orientieren. Was für ein grober Kunstfehler es ist, solche Korrelationen mit Kausalität zu verwechseln und dabei gar zu forsch vorzugehen, beweisen aber die unzähligen Fälle, in denen man sich nach vielen Jahren oder gar Jahrzehnten korrigieren und wieder zurückrudern mußte, weil sich die "wissenschaftlich bewiesenen" Empfehlungen als falsch herausgestellt haben. Das liegt daran, daß der menschliche Stoffwechsel komplex ist und immer viel zu viele Faktoren zusammenwirken, als daß wirklich eingeschätzt werden könnte, welche kumulierte Wirkung aus diesem komplizierten Wechselspiel der Verzicht auf einen einzelnen für gefährlich gehaltenen Faktor in Wirklichkeit haben wird.

Wegen des Cholesterins auf Eier verzichten, was jahrzehntelang empfohlen wurde, gilt heute als unnötig, und vor Margarine statt Butter wird mittlerweile sogar gewarnt. Daß Salzmangel lebensgefährlich sein kann, hindert bis heute viele Ärzte nicht daran, salzarme Kost für gesünder zu halten. Skurril, aber eher traurig und empörend als zum Lachen fand ich eine kurze Zeitungsnotiz aus einer US-Zeitung der achtziger Jahre, in der über den Erfolg einer Gesundheitskampagne gejubelt wurde, nachdem US-Fastfoodketten als Reaktion auf den mit der Kampagne verbundenen Druck den "ungesunden" Rindertalg zum Braten und Frittieren durch nach damaliger Meinung "gesunde" Transfette ersetzten. (Leider habe ich dazu keinen Link, denn es war ein Zufallsfund vor etlichen Jahren - just zu der Zeit, als die Gefährlichkeit der Transfette einschließlich der Empörung über die böse Fastfoodindustie, die sie verwendet, gerade in allen Medien war -, den ich nicht wiedergefunden habe.)
Fakt ist auch, dass es keinen einzelnen Ernährungsfaktor gibt, der für sich alleine kausal mit dem Erkrankungsrisiko verbunden ist. Entscheidend für die gesundheitliche Wirkung ist die Zusammensetzung der gesamten Ernährung.
heißt es dann weiter. Das klingt vage und ein bißchen defensiv, und dafür hatten die Autoren auch einen triftigen Grund: Ihr Anliegen bestand darin, eine wissenschaftliche Studie mit mißliebigem Inhalt zu kritisieren; dabei ging es um die Frage, ob Fleisch womöglich doch nicht so krankmachend sei, wie das in den letzten Jahren als "ernährungsmedizinischer Fakt" gehandelt wurde. "Fakten" einer ganz ähnlichen Kategorie wie die einstige Warnung vor Eiern und Butter.

Ganz ehrlich: In diesen Teilbereich der Ernährungsthematik habe ich mich nie eingefuchst, also kann ich weder die Qualität der kritisierten Studie noch die Einwände ihrer Kritiker inhaltlich beurteilen. Was ich aber beurteilen kann, ist, daß die Kritiker den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität entweder nicht kennen oder es für ratsam gehalten haben, in einer Frage, in der sie mit Widerspruch kaum zu rechnen haben, weil die meisten Leute den Fehler gar nicht erkennen würden, "alternative Fakten" zu verbreiten.

Wenn ich also in einem Bereich, den ich beurteilen kann, erkennbar angelogen wurde, warum sollte ich denselben Leuten dann in einem Bereich vertrauen, den ich nicht beurteilen kann?

Ach ja, noch was: "Fakten" sind nicht dasselbe wie "die Wahrheit", das ist den meisten Leuten nicht klar. Man kann auch mit Fakten lügen, und das sogar, ohne sie mit einer einzigen nachweisbaren Unwahrheit zu mischen. Die Kunst des Lügens mit Fakten besteht darin, falsche Assoziationen zu wecken, also durch Aufbau der Argumentation, Wortwahl und ggf. Weglassen unpassender Details dafür zu sorgen, daß die Lüge nirgends ausgesprochen werden muß, sondern erst im Kopf des Lesers/Zuhörers entsteht.

Aber das ist eine Variante für Fortgeschrittene, die hier nicht vorliegt. Im Grunde bin ich übrigens sogar ganz froh darum, daß ich auf den ersten Blick sehen konnte, daß mir hier einer vom Pferd erzählt wird.







Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen